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Kapitel 18 – Das Geheimnis der Stimme


Tony Quinn saß hinter seinem Schreibtisch und sah Anwalt Grenner nicht direkt an, als dieser in sein Büro stürmte.

„Grenner?“, fragte Quinn. „Ja, Sie müssen es sein. Ich erkenne Ihre Schritte wieder. Ich habe die Vordertür für Sie offen gelassen. Was haben Sie auf dem Herzen?“

„Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt“, sagte Grenner. „Sie wissen, wie diese Morde sich abspielen. Jemand wird vor einem plötzlichen Tod gewarnt. Nun, ich habe so eine Warnung bekommen – sie kam direkt aus dem Nichts und sagte mir, dass jemand namens James Hoffman dem Tode geweiht sei.“

„James Hoffman?“ Quinn zog die Stirn in Falten. „Ich habe einen Klienten mit diesem Namen.“

„Das weiß ich“, sagte Grenner. „Ich habe Hoffman einen Besuch abgestattet. Er ist in ein Verbrechen verwickelt. Ich weiß das. Ich ...“

Quinn lehnte sich in seinem hohen Sessel zurück. Plötzlich spannte er seine Muskeln an. Eine Stimme kam aus dem Nichts. Grenners Lippen bewegten sich nicht. Die Stimme schien direkt in Tonys Ohr zu entstehen.

„Tony Quinn, spielen Sie nicht den Narren. Sie können mich nicht täuschen. Ich weiß, dass Sie die Schwarze Fledermaus sind. Sie dachten wohl, das würde niemand herausfinden, oder? Aber Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.

Sie haben einen Klienten namens Hoffman. Er hat ein kleines Vermögen in übertragbaren Wertpapieren bei Ihnen deponiert. Sie waren in Ihrem Safe, aber jetzt sind sie verschwunden. Wohin?

Sie finden sie, wenn Sie Hoffman einen Besuch abstatten. Wenn Sie sich gut mit mir stellen wollen, töten Sie Hoffman und nehmen Sie die Wertpapiere an sich. Wer soll das je erfahren?

Tun Sie es, Tony Quinn. Sobald ich weiß, dass Sie einen Mord aus niederen Beweggründen begangen haben, habe ich keine Angst mehr vor Ihnen. Wenn Sie scheitern, werde ich Sie bloßstellen. Seien Sie also gewarnt.“

Quinn erhob seinen Kopf aus dem Polster des Sessels. Er war blass.

„Grenner, haben Sie etwas gesagt?“

Grenner machte große Augen. „Hören Sie auch die Stimme? Ich wusste, dass Sie der Nächste sind.“

Quinn griff nach seinem Telefon und wählte eine Nummer.

„James Hoffman?“, fragte er. „Hier spricht Tony Quinn. Tun Sie genau das, was ich Ihnen sage. Ihr Leben ist in Gefahr. Verlassen Sie sofort Ihr Haus. Gehen Sie zur Hintertür, neben Sie eine Abkürzung durch die ­Gärten. Dann begeben Sie sich zum Polizeihauptquartier. Ich werde dafür sorgen, dass man Sie unter Polizeischutz stellt. Trinken Sie keinen Tropfen Wasser und essen Sie nichts, noch nicht mal ein Häppchen – Ihr Leben hängt davon ab. Werden Sie das tun? Ich schwöre Ihnen, ich bin nicht verrückt. Gut – dann setzen Sie sich in Bewegung.“

Er legte den Hörer kurz auf und wählte dann die Nummer des Polizeihauptquartiers. Commissioner Warner berichtete er, was passiert war.

„Schicken Sie Männer zu Hoffmans Haus und versuchen Sie, jeden festzunehmen, der sich dort herumtreibt. Dann begeben Sie sich selbst zu meinem Büro – sofort. Grenner? Der ist hier bei mir. Sie haben Findley? Sehr gut! Nein, von Harro Jessup habe ich nichts gehört. Wir werden unsere Pläne ohne ihn besprechen. Beeilen Sie sich!“

„Ich verstehe nichts“, protestierte Grenner kleinlaut.

„Das werden Sie bald“, sagte Quinn. „Setzen Sie sich. In Kürze kann ich Ihnen vielleicht zeigen, was hier vor sich geht. Vielleicht auch nicht, also setzen Sie Ihre Hoffnung nicht zu hoch.“


*


Commissioner Warner traf zehn Minuten später ein. Bei ihm waren Captain McGrath und Dr. Findley. Findley sah kränklich aus. Er ließ sich in einen Stuhl fallen, nachdem er Grenner zugenickt hatte.

„Jessup war unauffindbar, nehme ich an“, sagte Quinn. „Das überrascht mich nicht. Jessup war eines der ­wichtigsten Zahnräder in diesem Fall. Er hätte alles erklären können, aber ich fürchte, er ist tot.

Commissioner, vor ein paar Minuten habe ich diese unheimliche Stimme gehört. Die gleiche, die die anderen Männer gehört haben, kurz bevor sie starben. Ich habe lange darüber nachgedacht. Vielleicht habe ich den Fall gelöst. Grenner, wir brauchen eine Mitschrift von dem, was ich sage und was Findley sagt. Könnten Sie Notizen machen?“

Grenner nickte eifrig, fand ein paar Blätter Papier und setzte seinen Kugelschreiber an.

„Jessup kam vor Kurzem zu mir“, erklärte Quinn. „Er hat mir einiges erzählt. Jessup hat sein Leben lang an Glücksbringer geglaubt und an alles, was damit in Verbindung steht, wie Spiritualismus und Schwarze Magie. Sein Haus steckt voller Glücksbringer ... er glaubt sogar, dass sein Erfolg auf ihnen beruht.

Vor zwei Jahren erwarb er von einem Indianerstamm in Peru mehrere Jade-Medaillons. Sie sind unschätzbar wertvoll, da sie bereits 2500 vor Christus entstanden sind, noch vor den Azteken. Jedes Medaillon ist ungefähr 200.000 Dollar wert und es waren einige.

Peruanische Behörden würden gut dafür bezahlen oder große Museen in den USA oder auch wohlhabende Sammler. Ein Vermögen, für das manche über Leichen gehen würden.

Diese Medaillons wurden jedoch nach dem Vorbild des Gottes der Chimu für Unglück und das Böse schlechthin geschaffen. Als Jessup dies herausfand, wurde er nervös.

Zur Erinnerung, er glaubte an Glück und Pech und dass diese Talismane eine Welle von Unheil lostreten und ihn in den Ruin treiben könnten. Ihre Geschichte deutete darauf hin, dass jeder, der sie besaß, vom Pech heimgesucht wurde. So erdachte er einen cleveren Plan, um die Medaillons zu testen.

Zu dieser Zeit arbeitete Professor Carter an einem College in der Nähe von Jessups Haus. Ben Patterson arbeitete in der Stadt. Norbert Keith führte dort ein Geschäft. Dr. Draper machte Urlaub auf einer Ranch, die an Jessups Anwesen grenzte.

Jessup kannte diese Männer gut. Jedem von ihnen gab er eines der Medaillons und behauptete, dass sie ihnen Glück bringen würden und ihnen, solange sie sie trugen, nichts zustoßen konnte. Sie mussten allerdings versprechen, die Medaillons auf Verlangen zurückzugeben. Sie willigten ein. Sogar gerne, da Jessup als Glückskind galt. Dann passierten diesen Männern Dinge ... gewöhnliche Dinge, die ihnen sowieso passiert wären, aber da sie die Glücksbringer trugen, schoben sie ihr Glück auf die Medaillons.“

Findley setzte sich aufrecht. „Ich weiß nicht, wie Sie das herausgefunden haben, Quinn, aber das ist die absolute Wahrheit. Draper besaß eines und ich wusste das. Ich habe das Ding eines Nachts untersucht und festgestellt, wie wertvoll es ist. Als er es mir im Zellentrakt zusteckte, ich ... nun ... ich entschied mich, es zu behalten und nichts zu sagen. Wenn Draper auf dem Elektrischen Stuhl landete, würde es mir gehören. Glauben Sie mir, seither plagt mich das schlechte Gewissen.“

„Tony, wie haben Sie all dies herausgefunden?“, fragte Warner.

Quinn lachte. „Ich sage es Ihnen. Die Schwarze Fledermaus hat Kontakt mit mir aufgenommen. Er konnte nicht zu uns stoßen und hat die Information daher ...“

„Ja, natürlich hat er das“, unterbrach ihn McGrath. „Sie haben die Beute selbst. Sie sind die Schwarze Fledermaus und dieses Mal geben Sie es praktisch sogar zu.“

„Moment“, sagte Quinn. „Ich bin noch nicht fertig. Dr. Findley, wollen Sie uns noch etwas sagen? Denken Sie daran, die Schwarze Fledermaus hat mir die ganze Geschichte erzählt.“

Findley stöhnte. „Ich wusste, ich würde niemals damit davonkommen, ihn anzulügen. Okay, es gab da einen Mann, der für uns arbeitete. Sein Name war Tomlinson. Ich habe der Schwarzen Fledermaus erzählt, dass ich noch nie etwas von der kleinen Ratte gehört hatte. Tomlinson muss uns von ... von dem, der hinter den Medaillons her ist, auf den Hals gehetzt worden sein.

Ich habe ihn beim Stöbern erwischt, habe mir gedacht, was er vorhatte, aber hielt meinen Mund. Warum? Ich schätze, ich wollte irgendwann das Medaillon selbst in die Finger bekommen. Tomlinson floh natürlich. Man hatte ihn wahrscheinlich bei uns eingeschleust, um etwas über das Medaillon herauszufinden.“

„Ah, jetzt gehen wir der Sache so langsam auf den Grund“, sagte Quinn. „Captain McGrath, dem kann ich nicht mehr viel hinzufügen, aber ich erwarte jemanden, der die ganze Geschichte kennt. Gehen Sie ins ­Wartezimmer und schauen Sie, ob da jemand auf Sie wartet?“

Grenner stand auf und näherte sich Quinn.

„Setzen Sie sich, Grenner“, sagte Quinn. „Ich habe gehört, wie sie den Stuhl zurückgeschoben haben, und wenn ich einmal die Schritte eines Mannes gehört habe, erkenne ich sie jederzeit wieder.“

Grenner schaute überrascht, aber setzte sich wieder. „Ich wollte nur etwas wegen der Notizen fragen. Nichts Wichtiges.“

McGrath kam herein und hatte Harro Jessup im Schlepptau. Jessup trat direkt an Quinns Schreibtisch.

„Die Schwarze Fledermaus hat kürzlich mein Leben gerettet“, sagte er, „und bat mich, hierher zu kommen und meine Geschichte zu erzählen. Ich bin zum Teil für das verantwortlich, was passiert ist, und wenn ich dafür bestraft werden soll, habe ich es verdient.“

„Wir sind ganz Ohr“, sagte Quinn.

Jessup räusperte sich und blickte sich um. „Würde mir jemand etwas zu trinken bringen? Ich bin ausgetrocknet. Meine Herren, der Gesichtslose hat versucht, mich zu rösten. Das hat mir gereicht. Die Wahrheit muss nun ans Licht kommen.“

Quinn sagte: „Die Schwarze Fledermaus hat mich auch besucht. Wir kennen die Geschichte der Medaillons. Fahren Sie von da an fort.“

McGrath brachte das Glas Wasser und stellte es auf Quinns Schreibtisch. Jessup nahm einen Schluck und stellte es wieder hin.

„Anfangs wusste ich nichts von dem Wert dieser Medaillons“, sagte er, „aber ich hatte Angst vor ihnen – davor, was sie mir antun konnten. In den Tagen der Chimu-Indianer hatten sie den Ruf, die gefährlichsten Steine der Welt zu sein. Sie befanden sich in der alleinigen Obhut ihres Medizinmannes.

Ich wollte feststellen, ob sie irgendeine Wirkung auf ihre Träger ausübten. Wir alle wissen, was den Männern passierte, die bereit waren, diese furchtbaren Dinger aufzubewahren. Zuerst hatten sie Glück und dann kam der Tod.

Wie ein Narr habe ich einen behalten, aber ich habe ihn nicht getragen. Dann habe ich ihren wahren Wert herausgefunden und war entschlossen, sie mir umgehend zurückzuholen. Den einen, den ich behalten hatte, brachte ich mit in die Stadt und wurde fast getötet.

Nun kann ich die ganze Geschichte erzählen. Bis die Schwarze Fledermaus mit mir gesprochen hat, habe ich immer noch geglaubt, dass diese Morde mit dem Pech zusammenhingen, das die Medaillons brachten. Mehr noch, der gesichtslose Mann, in seiner wahren Identität, machte mir weiß, dass ich für die Morde gesetzlich verantwortlich war. Moralisch sowieso. Daher habe ich nichts getan und meine Klappe gehalten.

Der gesichtslose Mann wusste, was vor sich ging. Warum? Weil ich ihn gebeten hatte, mir zu helfen, die Medaillons zurückzubekommen. Er kannte jede Person, die eines hatte, und auch meine Angst vor dem Pech, das diesen Dingern anhaftete.

Dann hat er sich an die Arbeit gemacht, sie zu beschaffen, auf eine Art und Weise, von der ich nichts wissen wollte und mein Hass auf Unglück bringende Talismane verstärkte. Er schnüffelte den Besitzern nach, überprüfte ihre Freunde, Kollegen und Feinde. Um ein paar der Steine zu finden, setzte er Spione ein, bestach Leute – tat alles, um das zu erfahren, was er wissen wollte und jemanden zu finden, dem gegenüber die Besitzer der Medaillons Mordgedanken empfinden konnten.“

„Dann kennen Sie den Namen dieses Mannes?“, fragte Quinn ruhig.

Harro Jessup nickte und lächelte. „Lassen Sie mich fortfahren. Fangen wir an mit Professor Carter. Der gesichtslose Mann wusste von der neuen Munition durch einen Spion, den er im Labor des Colleges eingesetzt hatte. Bei dem jungen Ben Patterson war es der Diebstahl eines Kollegen, die dem gesichtslosen Mann eine Chance bot.

Dieser verbrecherische Angestellte hatte bereits seit langer Zeit Geld gestohlen und ging oft zum Glücksspiel, um zu versuchen, genug Geld zu gewinnen, um seinen Diebstahl zu verbergen. Alle Glücksspieler der Unterwelt wussten dies und unter ihnen war ein Mann, der für den Gesichtslosen arbeitete.

Schließlich schröpfte der Angestellte die Kasse so richtig, wahrscheinlich angestachelt durch seinen Glücksspiel-Kumpel, den der Gesichtslose geschickt hatte.

Im Fall von Norbert Keith war es für den gesichts­losen Mann ein Leichtes, herauszufinden, dass ­Matthew ­Cornish ihm eine Menge Geld schuldete. Mit dem ­Wissen, dass es sich bei Cornish um einen charakterlosen Schwächling handelte, besuchte er Cornish und inszenierte sich als jemand, der glatt der Teufel höchstpersönlich sein konnte. Cornish raubte das Geschäft auf seinen Vorschlag hin aus.

Bei Dr. Draper war es ein offenes Geheimnis, dass er reich erben würde, wenn seine Patientin starb.

Der gesichtslose Mann arbeitete von da an auf Hochtouren mit der Hilfe seiner Männer – dummer Kreaturen, die glaubten, dass es sich bei ihrem Anführer um den Teufel selbst handelte. Der gesichtslose Mann schnippte mit den Fingern und wer auch immer ihn bedrohte, kippte um. Nicht tot, nur bewusstlos durch ein Gas, das aus einer kleinen Gummikapsel gepresst wurde, die von seinem Handschuh verdeckt wurde. Ein Betäubungsgas aus der Cyclopropangruppe.

Die Schwarze Fledermaus hat einen Hauch davon abbekommen und das Gas erkannt. Die Schwarze ­Fledermaus wurde nicht bewusstlos davon, da der gesichtslose Mann es nur an der frischen Luft bei ihm anwenden konnte und die Luft das Gas verdünnt hat. Daher blieb der volle Effekt aus.“

„Wer ist es?“, bellte McGrath. „Wer ist der gesichtslose Mann und wie hat er es angestellt, dass es so schien, als hätte er kein Gesicht?“

„Das war nicht besonders schwierig“, antwortete Jessup. „Er hat natürlich ein Gesicht, das er allerdings durch eine Maske verdeckt hat, die aus einem Material bestand, welches das Licht auf eine Art und Weise reflektierte, dass es den Anschein hatte, er besäße gar keine Gesichtszüge.

Es gibt anpassungsfähige Plastiksubstanzen von einer Beschaffenheit, die sie in gedämpftem Licht quasi unsichtbar macht, und der gesichtslose Mann ließ niemals zu, dass direktes Licht auf seine verdeckten Gesichtszüge fiel. Außerdem konnte er durch das Material sehen und atmen. Durch clever arrangierte Beleuchtung schien er aus dem Nichts zu erscheinen und zu verschwinden. Einfach so.“

„Aber die Stimme“, fragte Quinn nervös. „Ich habe sie eben gehört, als ich mich in meinem Stuhl zurücklehnte. Sie schien aus weiter Ferne direkt an mein Ohr zu dringen. Grenner stand direkt neben mir und er konnte nichts hören.“

Jessup verhielt sich nicht wie ein alter Mann. Er bewegte sich blitzschnell zu Quinns Stuhl, riss ein Stück des Lederpolsters ab und zog ein rechteckiges Gerät hervor.

„Hier ist Ihre Stimme“, sagte er. „Das ist eine neue Art von Empfangsgerät. Es ist seit Kurzem auf dem Markt und wurde für Menschen konstruiert, die taub sind, aber immer noch Schallwellen über ihre Knochen wahrnehmen können. Niemand kann die Worte hören, die aus dem Gerät kommen – die aus einiger Entfernung gesendet werden, manchmal von den engen Vertrauten des gesichtslosen Mannes.

Das Gerät gibt kein Geräusch von sich, außer die Rückseite des Ohrs – oder der Nacken – kommt damit in ­direkten Kontakt. Darum schien die Stimme direkt im Ohr zu entstehen. Sie tat es wirklich – jenseits des Trommelfells. Das Gerät wurde gebaut, um genau dies zu erreichen. Der gesichtslose Mann hat sie versteckt und anschließend hat er – oder einer seiner Männer – sie wieder entfernt.

Professor Carters Frau wurde ebenfalls ermordet – so geschickt, dass es wie Selbstmord aussah. Sie wusste von dem Medaillon, genauso wie Professor Carter. In seiner Zelle fiel ihm plötzlich auf, dass das Medaillon weg war, und ihm wurde klar, dass es etwas mit den jüngsten Geschehnissen zu tun hatte. Bevor er darüber reden konnte, wurde er getötet.“

„Niemand befand sich in der Nähe seiner Zelle“, warf McGrath ein. „Ich sage, es war Selbstmord. Nehmen Sie als Beispiel Dr. Draper, wie soll das Mord gewesen sein?“

Jessup nahm sein Wasserglas und schnüffelte daran.

„Die Antwort liegt hier drin“, sagte er. „Dieses Wasser ist jetzt vergiftet. Das Gift wurde geschickt durch ein Röhrchen geblasen. Es befand sich in einer kleinen, sofort wasserlöslichen Kapsel. Der Mann, der ...“

Plötzlich wirbelte Jessup herum und hechtete auf Anwalt Grenner zu. Der Mann versuchte gerade, eine Waffe aus seiner Tasche zu ziehen. Jessup schlug ihn, nahm ihm die Waffe ab und warf sie auf einen leeren Stuhl. McGraths Bewegung kam ähnlich schnell, Handschellen klickten. Grenner fing an, lautstark seine Unschuld zu verkünden. Jessup näherte sich ihm, nahm den Kugelschreiber aus seiner Westentasche und schraubte ihn auf.

„Grenner hat keine Notizen gemacht. Schauen Sie sich die leeren Seiten an. Auch in dem Büro, als Dr. Draper getötet wurde, hat er nichts notiert. Ich war dabei und es war mir aufgefallen. Durch den Kugelschreiber hat er die Kapseln rausgeblasen, er achtete darauf, immer nur einen dabei zu haben. Wenn er durchsucht worden wäre, hätte man nichts Verdächtiges bei ihm gefunden.

Er muss lange geübt haben, um so genau zielen zu können. Die Kapsel war weich und sie hätte selbst dann kein Geräusch gemacht, wenn sie auf das Glas getroffen wäre. Der Kugelschreiber hätte sogar einer genauen Untersuchung standgehalten, da Grenner den Stift nur aufgeschraubt und die Mine und den Druckkopf entfernt hat. Das Blasen selbst erregte auch keinen Verdacht. Grenner schien einfach auf dem Kuli herumzukauen.“

„Und Grenner kennt Sie schon länger, Mr. Jessup?“, fragte Warner. „Und weiß daher auch von Ihren Medaillons?“

„Ja, ich habe ihm auch eines angeboten, aber er hat abgelehnt. Später habe ich ihn angeheuert, um sie zurückzubekommen und habe ihren Wert offenbart. Daraufhin wollte er alle haben. Ich habe nichts gesagt und noch nicht einmal gezeigt, dass ich ihn wiedererkannte, weil ich selbst in die Sache verwickelt war. Hier ist Ihr Killer, meine Herren – und hier sind die Medaillons. Sie sind wichtiges Beweismaterial. Die Schwarze Fledermaus hat sie mir zugespielt. Sie befanden sich in Grenners Haus.“

Jessup legte die Medaillons auf den Schreibtisch. „Ich denke, das ist alles. Darf ich jetzt gehen?“

„Sicher“, sagte McGrath. „Bleiben Sie aber in der Stadt, für die Verhandlung. Und danke für die gute Zuarbeit. Dieses Mal kann die Schwarze Fledermaus nicht den ganzen Erfolg für sich verbuchen.“

Jessup schüttelte McGraths Hand und fuhr mit seinem Daumen über dessen Stirn. „Schmutz“, lachte er. „Kohlenstaub, nehme ich an. Auf Wiedersehen.“

Jessup verließ das Büro. McGrath gab Grenner einen Schubs in Richtung Tür, aber der Anwalt war auf einmal leichenblass. Er versuchte zu sprechen. Warner stieß einen Schrei aus. Findley zeigte auf McGraths Stirn.

„Captain ... auf Ihrer Stirn – ein Aufkleber der Schwarzen Fledermaus. Das war nicht Jessup. Das war die Schwarze Fledermaus!“

„Verdammt, nein!“ McGrath fluchte laut, als er den Aufkleber entfernte. „Die Schwarze Fledermaus hat ihm aufgetragen, das zu tun und ihm den Aufkleber gegeben. Er wollte, dass ich glaube, dass Tony Quinn nicht die Schwarze Fledermaus sein kann. Auf so einen Trick falle ich nicht rein.“

Die Bürotür öffnete sich und der echte Jessup kam langsam herein. Sein Kopf war verbunden, seine Miene verhärmt.

„Ich möchte ein Geständnis ablegen“, sagte er. „Ich bin verletzt, aber nicht schwer. Jemand hat mich hierher gebracht und mir aufgetragen, einzutreten. Was ist los? Warum starren Sie mich an, als hätten Sie ein Gespenst gesehen?“

McGrath betrachtete Grenner von Kopf bis Fuß. „Okay“, bellte er, „dann war es doch die Schwarze ­Fledermaus. Ich habe mich wieder geirrt, aber es beweist etwas zu meinem Vorteil.“

„Und das wäre, Captain?“, fragte Quinn.

„Es beweist, dass ich nicht die Schwarze Fledermaus bin, wie dieser verrückte Gauner behauptete. Kommen Sie, Grenner, bringen Sie mich nicht dazu, meine Wut an Ihnen auszulassen.“

Grenner ging rasch durch die Tür. Der Rest seiner Reise verging ebenso rasch. Das geht jedem so, auf den der Elektrische Stuhl wartet.

Silk, wie immer tadellos gekleidet, traf ein, um Tony Quinn nach Hause zu bringen, nachdem Captain McGrath Grenner abgeführt hatte. Sich auf Silks Arm stützend, machte sich Quinn auf den Weg zu seinem Auto, das vor dem Bürogebäude parkte. Er stieg ein, zeigte aber kein Zeichen von Überraschung, als er Carol vorfand, die im Schatten des Rücksitzes kauerte.

Sie fuhren los, und als sie sich bis auf eine Meile Quinns Haus genähert hatten, schaute Silk in den Rückspiegel und sagte: „Die volle Anerkennung gebührt Carol, Sir. Sie hatte Jessup bereits in eine gesprächige Stimmung gebracht, als ich am Bungalow eintraf. Dann habe ich mich, wie Sie mir aufgetragen haben, zu Ihrem Büro begeben, immer noch als Jessup verkleidet. So habe ich Commissioner Warner, McGrath und Grenner die Details ausgebreitet, die Jessup mir verraten hat – und die Dinge, die Sie mir offenbart haben.“

Quinn lächelte grimmig. „Es konnte nur Grenner gewesen sein. Niemand ist Professor Carter in seiner Zelle nahegekommen, außer Grenner. Jessup schied in dem Moment als Verdächtiger aus, als Grenners Männer versuchten, ihn zu töten und an sein Medaillon zu kommen.

Dr. Findley war auch lange Zeit ein logischer Kandidat. In erster Linie, da er Arzt ist und die Morde durch den Einsatz eines kaum bekannten Giftes verübt wurden. Aber auch er wurde von Grenners Männern angegriffen, als diese an eines der Medaillons heranwollten. Dadurch blieb nur Grenner, da einer von den dreien der Mörder von Dr. Draper sein musste.

Grenner muss klar gewesen sein, dass er unser Hauptverdächtiger war. Er muss vermutet haben, dass ich die Schwarze Fledermaus bin, und hat mir in seiner Verzweiflung auch eine seiner Nachrichten geschickt. Darum habe ich Silk gebeten, die Details des Falls als Jessup verkleidet auszubreiten und sich dann als die Schwarze Fledermaus auszugeben. Aus dem gleichen Grund habe ich Carol gebeten, den echten Jessup vorbeizubringen. Ich bin mir sicher, dass nun niemand mehr vermutet, dass ich die Schwarze Fledermaus sein könnte.“

„Grenner war schlau“, sagte Carol. „Als Jessup wieder bei Bewusstsein war, war dieser mehr als bereit zu reden, weil er wusste, dass Grenner dahintersteckte. Bevor Grenners Handlanger versucht haben, Jessup zu töten, hat er Grenner vertraut und auf seinen Rat gehört. Vorher hatte Jessup die Informationen zurückgehalten, nicht nur weil Grenner ihm dazu geraten hatte, sondern auch, weil der Anwalt behauptet hatte, dass er die ganze Geschichte Commissioner Warner erzählt hatte, der die Informationen geheim halten wollte, bis eine Festnahme gemacht worden war.“

Silk steuerte das Auto um eine Kurve herum und hielt an. Carol stieg aus.

„Sehen wir uns bald wieder, Tony?“, fragte sie.

Tony Quinns Augen, die zuvor lebendig geglitzert hatten, wurden plötzlich stumpf und leblos.

„Bald, Carol“, antwortete er. „wir sehen uns, wenn ein weiterer Narr glaubt, die Grenzen von Recht und Anstand überschreiten zu müssen. Und auf der Welt leben viele Narren. Es wird also nicht allzu lange dauern.“


DIE SCHWARZE FLEDERMAUS
Band 21


In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones




G. W. Jones


Teufel ohne Gesicht



Aus dem Amerikanischen
von Harald Gehlen





G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.

Daniels wurde am 3. Juni 1905 in Connecticut geboren, brach sein Studium aus finanziellen Gründen ab und begann 1931 eine beispiellos produktive Karriere als Autor. Allein in den folgenden drei Jahrzehnten veröffentlichte er über 2.000 Geschichten: Comics, Bücher, Radio­hörspiele, aber vor allen Kriminal- und Superheldenromane. Für den Chicagoer Verlag Thrilling Publications erschuf er die Figur der Schwarzen Fledermaus und verfasste einen Großteil ihrer 62 Abenteuer, die zwischen 1939 und 1952 in den USA erschienen. Daniels starb am 19. Juli 1995 im Alter von 90 Jahren in Kalifornien.

Das Abenteuer Teufel ohne Gesicht erschien im Juli 1942 unter dem Titel The Faceless Satan in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.


Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Harald Gehlen
Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logogestaltung: Mark Freier
Illustration: Dorothea Mathies
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-021-5

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!