Anett Steiner

 

 

Kuss der Regenfrau

 

 

Zwölf sinnlich-erotische Geschichten
für Liebhaber von Rubensfrauen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR

Redaktion ‚Sinnliche Seiten‘

Obertor 4

98634 Wasungen

Deutschland

 

www.twilightline.com

 

3. Auflage, 2019

ISBN 978-3-944315-35-5

 

© 2011-2019 Twilight-Line Medien

Alle Rechte vorbehalten.


 

Inhalt

 

 

 

Kuss der Regenfrau

 

Begegnung einer Nacht

 

Der Zauberer

 

Die Hexe

 

Fünfzehn Minuten

 

Der Gärtner

 

Hans im Glück

 

Knistern und Flüstern

 

Lauras Held

 

Marianne

 

Wand an Wand

 

Tanz der Traumfängerin

 

 

 

 

 

 

Kuss der Regenfrau

 

Als Paul von der Arbeit kam, war er müde, hungrig und schmutzig. Eine lange und heiße Woche lag hinter ihm. Die Sonne hatte seine Haut verbrannt und der Schweiß verzweigte Spuren im Staub auf seinem Körper hinterlassen.

In der Wohnung war es stickig und dunkel. Paul sehnte sich nach Abkühlung, doch alle Fenster waren verschlossen.

Er hatte Durst und der Kühlschrank war leer.

Sie war nicht da.

Damit hatte er gerechnet.

In letzter Zeit war Corinna nur selten da, wenn er nach Hause kam.

Paul öffnete die Fenster und die kühle Abendluft erfrischte ihn und begleitete ihn bis ins Badezimmer.

Er duschte kalt, hatte von der Hitze genug, genauso wie vom Schmutz auf der Haut. Er ließ nur wenig Wasser auf sich herabregnen, sah den Tropfen zu, wie sie den Schweißbahnen folgten auf einer Berg- und Talbahnfahrt über Muskeln, Sehnen und einen nicht mehr allzu jungen Körper. Das schmutzige Wasser tanzte als kleiner Strudel über dem Abfluss und Paul ertappte sich dabei, dass sein Kopf sich leer anfühlte, während er vor sich hinstarrte. Doch nicht nur sein Kopf war leer. Er drehte das Wasser voll auf, der Strahl war hart und traf schmerzhaft auf seine verspannten Nackenmuskeln.

Er seifte sich ab, wusch sein Haar, wartete vergeblich darauf, dass er sich sauber und erfrischt fühlen würde. Aber er blieb müde, die Erschöpfung ließ sich nicht vertreiben, auch wenn sein Hunger inzwischen vergangen war.

Er rieb sich mit einem Handtuch trocken, das so rau war, wie er es eigentlich mochte, aber diesmal reizte es nur unangenehm seine sonnenverbrannte Haut. Also schlang er es sich um die Hüften, obwohl seine Schultern noch immer feucht waren, sein Haar tropfte, seine Füße nasse Spuren auf den Bodenfliesen hinterließen.

Er fragte sich, ob die Flasche Whisky noch hinter dem Wohnzimmerschrank stand, wo er sie versteckt hatte, nachdem er sich das letzte Mal betrunken hatte. Sie war noch da und das zauberte ihm ein Lächeln aufs abgespannte Gesicht.

Er holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es bis zum Rand, stellte sich damit ans Fenster und schaute hinaus auf die Straße. Die Hitze der letzten Tage entlud sich abkühlend in einem heftigen Gewitter.

Vergeblich versuchte er sich um Corinna Sorgen zu machen. Sein Blick wanderte die Straße auf und ab und weil er nicht erhoffte ihr Auto zu erblicken, machte es ihm auch nichts aus, dass sie nicht kam.

Er wusste längst, dass Corinna in anderer Männer Betten schlief, doch seinen Körper wies sie nicht ab, wenn sie sich anbot, was sie allerdings nur noch selten tat. Sie war einfach noch zu jung dafür, Woche für Woche allein zuhause auf ihn zu warten. Sie würde ihn verlassen, früher oder später. Vielleicht hatte sie das auch schon längst.

Paul nahm einen großen Schluck Whisky, der heiß und kratzend seine Kehle hinunter rann und ihn mit wohliger Gleichgültigkeit erfüllte, wenn er an Corinna dachte.

Die abgekühlte, regennasse Luft, die durchs Fenster drang, floss an seinem Körper hinab und bereitete ihm Gänsehaut.

Und vielleicht, nur vielleicht, hatte er Lust auf ein wenig Zärtlichkeit...

Zärtlichkeit nur, keine Akrobatik, kein Hochleistungsprogramm, wie es Corinna immer erwartete. Dafür war er viel zu müde, nicht mehr bereit, sich irgendwelchen Forderungen zu stellen. Er hatte viele Frauen gehabt in seinem Leben, viele wie Corinna, die zu ihm kamen und etwas von ihm erwarteten, von dem sie selbst nicht ausdrücken konnten, was es war. Irgendwie schienen sie alle zu meinen, er sei so eine Art Maschine, nichts anderes zu Wollen zustand, als zu Arbeiten und des Nachts dem form- und gesichtslosen Gespinst von einem multiplen Irgendwas nachzujagen, das laut Corinnas Frauenzeitschriften ja wohl von einem guten Liebhaber zu erwarten sei...

Nun, er hoffte für sie, unter ihren derzeitigen Liebhabern möge einer sein, der sie zu was auch immer zu treiben im Stande wäre.

Paul nahm einen weiteren großen Schluck aus seinem Glas und fragte sich, was er in eine Zeitschrift schreiben würde, wenn es um seine Wünsche ginge. Er war keine achtzehn Jahre mehr, wo es nur darum ging, es so oft, kurz und hart wie möglich zu tun und unter Freunden damit zu prahlen. Seine Bedürfnisse hatten sich verändert. Vielleicht war er in die sprichwörtlichen Jahre gekommen, auch wenn sein Körper noch immer für das Titelbild von „Mens Health“ tauglich war. Er wollte... ja was wollte er?

Er goss sich mehr Whisky ein und dachte darüber nach, was er wollte.

Berührt werden. Berührt auf eine ganz besondere Art. Von einer ganz besonderen Frau. So berührt, dass der eigentliche Akt nur eine Nebensache ganz am Ende eines langen Weges sein würde und der Weg das Ziel war. Er wollte keines dieser dürren jungen Mädchen, die zwar einen schönen Körper hatten, aber keine Ahnung davon, wie man einen Mann so berührte, dass er es nicht sofort tun, sondern erst einmal träumen wollte, sich hintragen lassen auf einer Welle unausgesprochener Fantasien. Er wollte auch keine Egoistin mehr wie Corinna, die immer nur forderte, von ihm befriedigt zu werden.

Er wollte... mehr Whisky, auch wenn ihm davon heiß wurde.

Draußen prasselte noch immer literweise Regen vom Himmel herab, Blitze durchzuckten die Dunkelheit und der Blick auf die Straße offenbarte nur ein verwaschenes Nichts.

Eine einsame Nacht, die erst an ihrem Anfang stand, in der Pauls Lust unbestimmt wuchs, auch wenn Whisky und Müdigkeit seinen Körper ganz schwer machten.

Regenflüsse rannen an den Fensterscheiben hinab und das Licht der Blitze zauberten sie als Schatten auf Pauls Haut. Rinnsale und Wassertropfen, teils aus seinem nassen Haar von der Dusche, teils als Abbild des Regens auf den Fenstern. Verwundert und mit vom Alkohol verlangsamten Gedanken sah er zu, wie Wasserperlen und Regenschatten auf seinen Muskeln tanzten und kribbelten wie eine Berührung. Eine Berührung, die seine Nackenhaare kitzelnd aufstehen ließ... Der Wind strich wie Atem über seine sensible Haut und Paul schloss die Augen, während ein weiterer, warmer Whiskystrom seine Kehle hinabfloss und für Hitze in seinem Unterbauch sorgte. Vielleicht hatte er schon zu viel getrunken, mahnte er sich, aber das hatte keine Bedeutung in dieser Nacht.

Paul hielt die Augen geschlossen und spürte Regen und Schatten, Wind, Whisky und jene Lust nach einer unbestimmten Zärtlichkeit, die nichts damit zu tun hatte, seinen Mann stehen und irgendein Programm bestreiten zu müssen, das auf reinem Durchhaltevermögen beruhte.

Während er das schwebende Gefühl genoss, in das er hineingefallen war, fühlte er sich plötzlich beobachtet. Es war nicht unangenehm, dieses Gefühl, aber es machte ihn neugierig.

Wer mochte es sein, der ihn von der regennassen Straße anschaute, wie er nackt vor dem offenen Fenster stand? Das Handtuch um seine Hüften war irgendwann zwischen dem dritten und vierten Whisky zu Boden geglitten.

Er träumte mit offenen Augen, so war ihm, als er die wohlgerundete Frau auf der Straße erblickte. Sie schien aus dem Regenwasser zu entstehen, mit den kühlen Tropfen davon zu fließen und doch überall gleichzeitig zu sein, so wie er sich Hände auf seinem Körper wünschte, die ihn streichelten, fließend und überall gleichzeitig, damit sein Verstand damit überfordert sein möge, ihnen nachzuspüren.

Ihre Blicke trafen sich und ihm wurde klar, dass er schamlos und nackt vor ihr stand, oben am Fenster und keine Kontrolle mehr über seine Lenden hatte, die sich gierig und neugierig ausbreiteten. Er hatte keine Lust sich zu bedecken oder das Fenster zu schließen, es gab niemanden und nichts außer sie und ihn und dazwischen die Straße.

Paul war nicht sicher wieso sie zum Hauseingang gelaufen und die Treppen zu ihm heraufgestiegen war. Vielleicht hatte er ihr mit Augen oder Händen ein Zeichen gegeben. Vielleicht hatte er sie zu sich gewunken, ausgedrückt, dass sie willkommen und erwartet war in dieser Nacht, in der er keine Leistungen vollbringen wollte, nur Zärtlichkeit empfangen.

Jedenfalls hatte er ihr die Tür geöffnet und sie unvoreingenommen Besitz von sich ergreifen lassen. Sie war wunderschön, mollig, weich. Ihr Busen fast winzig im Vergleich zu ihrer sonstigen Körperfülle, ihre ausladende Hüfte erinnerte ihn an die nackte Aphrodite.

In wohltuender Passivität ergab er sich in alles, was die Regenfrau mit ihm zu tun gedachte. Er hatte alles auf einmal gefühlt, die müde und träge Schwere seines Geistes, die schmerzenden Muskeln seiner anstrengenden Arbeit, den lösenden Whisky und dann ihre Hände und Lippen, die sich über ihm ausbreiteten wie Regentropfen, ihn sanft und bestimmt umschlossen und bedeckten, ihn eintauchen ließen in ein Nirgendwo und Überall. Zurück blieb ein Gefühl der Befreiung, das tief aus seinem Unterbauch kam und das besser war als alles, was er jemals erlebt hatte.

 

Begegnung einer Nacht

 

Wie lange hatte Martina schon nicht mehr die Sterne gezählt?

Dabei hatte es eine Zeit gegeben, da sie den Blick in den Nachthimmel über alles geliebt hatte und sogar Astrologin werden wollte. Als kleines, dickes Mädchen war es nicht leicht gewesen Freunde zu finden. Wem auch immer sie sich genähert hatte, der hatte sie nur ausgelacht. Noch heute erschauderte sie beim Gedanken an die Bilder von damals. Eigentlich hätte sie ihre Mutter dafür hassen müssen, wie sie sie zurecht gemacht hatte. Zwei dicke Zöpfe rechts und links, die ihr Gesicht nur noch breiter machten, ein viel zu enges Shirt, das kaum ihren Bauch bedeckte und diese hässlichen Faltenröcke, die kaum bis zu den Knien reichten und ihre dicken Waden nicht bedeckten.

Wer hätte ein solches Mädchen mögen sollen?

Martina ging in die Küche und machte sich eine Schüssel Salat. Ohne Dressing, denn das hatte viel zu viel Fett. Eigentlich ging sie jeden Morgen vor der Arbeit joggen, doch heute hatte sie auf einen Angestellten der Stadtwerke warten müssen, der ihre Zählerstände für Wasser und Strom ablesen wollte.

Sie hatte den ganzen Morgen vergeudet, um auf ihn zu warten und als er endlich aufgekreuzt war, hatte die Zeit vor der Arbeit nicht mehr ausgereicht, um noch Laufen zu gehen.

Sofort fühlte sie sich schlecht.

Wenn sie nicht jeden Tag trainierte, gönnte sie sich gar kein Essen.

Das kleine fette Mädchen von damals trug heute Kleidergröße 36. Das erforderte eiserne Disziplin. Seit Jahren maßregelte sie sich, gönnte sich nichts, war nur darauf bedacht zu trainieren und kein Gramm zuzunehmen.

Vielleicht war das der Grund, warum bereits ihre zweite Ehe gescheitert war.

Möglicherweise fanden Männer Frauen schwierig, die jede Einladung zum Essen ausschlugen mit der Begründung „Ich bin auf Diät“, obwohl sie so knochig waren, dass die spitzen Hüftknochen jedes sinnliche Beisammensein vereitelten.

Auf der anderen Seite war eine schlanke Frau das Schönheitsideal dieser Zeit und somit konnte keine von ihnen dem Teufelskreis entrinnen, auf der einen Seite für den Mann zu kochen und zu backen, sich von ihm ausführen zu lassen und dabei nicht dicker werden zu dürfen.

Martina trank einen halben Liter Wasser mit einem Löffel Apfelessig und stocherte in ihrem Salat.

Nach der Schule hatte sie sich gegen das Astronomie-Studium entschieden, weil sie nicht länger den ganzen Tag sitzen wollte. So würde sie ihre Figurprobleme nie in den Griff bekommen, redete sie sich ein.

Wenn sie heute nicht joggte, würde sie nicht schlafen können. Dann verbrauchte sie nicht so viele Kalorien wie sonst. Und das machte sie launisch und unzufrieden.

Sie schob den Teller zur Seite und stieg auf die Waage. Sie zeigte 500 Gramm mehr als am Vortag. Panische Hitze stieg in Martinas Gesicht und sie griff sofort nach ihrer Sportkleidung. Dann musste sie heute eben im Dunklen laufen. Besser als gar nicht.

Sie trat auf die Straße und wärmte sich auf. Dehnte Muskeln und Sehnen und streckte sich. Über ihr breitete sich ein wolkenloser Nachthimmel aus und sie fragte sich erneut, wann sie sich das letzte Mal Zeit genommen hatte, in den Sternenhimmel zu sehen.

Als Kind hatte sie oft Sterne gezählt, weil sie nicht schlafen konnte wegen all der Hänseleien. Mit tränennassen Augen war sie dann eingeschlafen und hatte sich am Morgen nicht mehr an die Zahl erinnert.

Sie hüpfte eine Weile auf der Stelle, drehte das Becken, beugte die Knie, dann fiel sie in einen langsamen Trab durch die dunklen Häusergassen. Sie lief Richtung Stadtzentrum. Im Stadtpark war sie lange nicht mehr unterwegs gewesen, scheute normalerweise den Vergleich mit anderen. Obwohl sie längst schlank und gut trainiert war, konnte sie den Neid nicht ablegen gegen jene, die längere Beine hatten oder besser ausgeprägte Bauchmuskeln.

Doch in der Dunkelheit waren ihr die beleuchteten Wege des Parks lieber als der einsame Pfad am Fluss, den sie normalerweise wählte.

Ihr Atem kondensierte in der kühlen Nachtluft. Der klare Sternenhimmel ließ die Kälte zu Boden fallen, die Straßen glitzerten im Mondlicht.

Martina hatte ihren Rhythmus gefunden, Ruhe breitete sich in ihr aus, so könnte sie endlos weiterlaufen. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, federte in den Knien, atmete gleichmäßig und konzentriert. Manchmal gelang es ihr beim Laufen die Gedanken auszuschalten. Sie passierte die Stadtmauer, das Tor in den Park. Konnte die Kuppel der Sternwarte sehen.

Dort war sie lange nicht mehr gewesen. Nicht mehr, seit sie den Plan aufgegeben hatte Astronomin zu werden.

Sie steuerte auf die Sternwarte zu. Gleichmäßig griffen ihre Schritte aus, die Kiesel des Weges knirschten unter ihren Schuhen. Sie spürte wie sich die Muskeln in ihren Beinen, an Bauch und Rücken anspannten. Wie sie Fett verbrannte, das es an ihrem Körper eigentlich gar nicht gab, dass sie sich nur einredete in der Erinnerung an das dicke Kind, das sie gewesen war.

„Geführter Sternenabend“ stand in großen Buchstaben auf einer Tafel am Eingang der Warte.

Sie spürte, wie ein kurzes Zögern nach ihr griff, ihre Schritte kleiner wurden, dann wandte sie ihren Blick ab und lief weiter, lief an dem Schild vorbei.

Sie kannte jedes einzelne Sternbild, würde auf jeder Sternenkarte sofort die Planeten zeigen können, einen nach dem anderen. Was könnte ihr so ein geführter Sternenabend in der Warte schon Neues bringen?

Sie lief weiter, setzte Schritt vor Schritt, gleichmäßig tickend wie ein Uhrwerk.

Dann blieb sie stehen.

Wollte nicht weiterlaufen, konnte nicht.

Die Veranstaltung in der Sternwarte hatte ihr Interesse geweckt und sie konnte sich nicht gegen die Neugier wehren. Auch wenn sie alles über die Sterne wusste, wollte sie gern unter denen sein, die dieses längst vergessene Interesse mit ihr teilten.

Sie drehte auf dem Absatz um und ging langsam auf die Warte zu. Stieß den Atem gleichmäßig und lang aus, spürte dem Nebel nach, der daraus entstand.

Vor der Warte zögerte sie, schob unschlüssig Kiesel mit ihren Schuhen von einer Seite auf die andere, dann trat sie ein.

Sie wusste nicht was sie erwartet hatte. Jedenfalls nicht das, was sie vorfand.

Die Warte war leer, nicht ein einziger Platz besetzt.

Vor den leeren Stühlen stand eine Frau. Eine Frau, ganz anders als Martina. Sie hatte blondes Haar, helle Augen und mehr als ein paar Kilo zu viel auf den Hüften.

Martina sah zu Boden. Wäre das ihr Spiegelbild, wenn sie nicht angefangen hätte zu laufen und Salat zu essen? Selbst wenn, die Frau war schön. Ihre Fülle, ihre üppigen Formen wirkten natürlich und ursprünglich. Die mollige Frau war schön, sogar in Martinas Augen und das war wirklich bemerkenswert.

„Bin ich zu spät?“, fragte Martina, „Oder zu früh? Findet die Sternenführung heute statt?“

Die Rubensfrau hob die Schultern.

„Weder noch. Sie sind nicht zu früh und auch nicht zu spät und die Veranstaltung findet statt, sobald sich auch nur ein Teilnehmer findet.“

Martina sah sich um. Der Raum war zweckmäßig eingerichtet, ein paar Holzstühle, ein Podest mit Teleskop. An den Wänden hingen Sternenkarten.

„Leider gibt es nicht mehr sehr viele Leute, die Interesse an den Sternen haben. Nicht einmal, wenn sie einen romantischen Spaziergang machen. Früher gehörte es zum Schick, dass der Mann seiner weiblichen Begleitung die Sternbilder zeigen konnte. Heute interessiert das niemanden mehr.“

Die mollige Frau hob die Schultern, ihr Busen wogte, Martina musste wegsehen.

„Ich bin ziemlich sattelfest was die Sterne angeht, ich fürchte für mich würde sich Ihre Führung nicht lohnen.“

Die Frau lächelte.

„Sind Sie sicher, dass es nichts gibt, was ich Ihnen Neues zeigen kann?“ Ihre Stimme war leicht und süß. Angenehm.

Martina begann auf der Stelle zu hüpfen, damit ihre Muskeln nicht kalt wurden. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Ob sie sicher sei, dass die mollige Frau ihr nichts Neues zeigen könnte, hatte sie gefragt? Doch, und ob, dachte Martina plötzlich. Aber der Gedanke, der sich dahinter formte, erschreckte sie fast. Sie schüttelte sich, schüttelte den Gedanken ab. Wie kam sie nur auf so eine absurde Idee?

„Ich muss jetzt weiter“, verabschiedete sie sich und wollte so schnell wie möglich weg. Bevor die Situation außer Kontrolle geriet, nur sicherheitshalber.

„Nun dann, schönen Abend noch“, antwortete die Frau und berührte Martina zum Abschied leicht am Arm. Die Wärme dieser kurzen Berührung drang ihr bis auf die Haut. Sie fühlte sich seltsam, nervös, aufgewühlt, machte sofort kehrt und lief aus der Warte.

Sie kam aus dem Tritt, fand nicht in ihren vorherigen Laufrhythmus zurück, sondern rannte viel zu schnell, hetzte fast. Sie bekam Seitenstechen, stolperte, stürzte fast. Was war nur los mit ihr? Dieser Gedanke, dieser verdammte Gedanke an das, was die Frau ihr Neues zeigen könnte... Es war ein verbotener, erschreckender Gedanke. Hatte nichts mit den Sternen am Himmel zu tun.

Sie blieb stehen, hielt sich die Seite, atmete keuchend. So konnte sie nicht weiterlaufen. Sie streckte die Arme nach oben, beugten ihren Körper dann nach unten, berührte mit den Händen den Boden, atmete tief und regelmäßig. Nach ein paar Minuten hatte sie das Seitenstechen wieder im Griff. Aber ihre Gedankenwelt nicht.

Langsam machte sie sich auf den Rückweg, kam wieder an der Warte vorbei, wollte nicht zum Eingang hinübersehen, sondern einfach weiterlaufen. Doch es gelang nicht. Die mollige Frau stand vor der Tür, winkte Martina zu und rief: „Schön das Sie es sich anders überlegt haben und zurückkommen!“

Ich habe es mir nicht anders überlegt, dachte Martina und fühlte sich dennoch geschmeichelt von der erneuten Einladung.

Wenn kein weiterer Interessent kam, würde sie mit der Molligen ganz allein in einem dunklen Raum sein. Nein! Nicht schon wieder diese Gedanken, die ihre Oberschenkel kribbeln, ihr Herz klopfen ließen! Sie blieb stehen, schaute zu der Frau hinüber und in ihren Augen sah sie etwas, das sie nicht deuten konnte. Die Frau war trotz ihrer Körperfülle schön anzusehen und in keiner Weise abstoßend. Im Gegenteil, diese Fülle passte zu ihr, Martina konnte sie sich nicht dünner vorstellen.

Sie war neidisch auf diese Frau, die wahrscheinlich nicht nur Salat aß und joggte, sondern einfach so sein konnte, wie sie war.

„Kommen Sie schon“, sagte die Frau und streckte Martina ihre Hand entgegen. „Ganz bestimmt werden Sie es nicht bereuen.“