Cover

P. D. James

Der Tod kommt nach Pemberley

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Michaela Grabinger

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über P. D. James

Phyllis Dorothy James, seit 1991 Baroness James of Holland Park, wurde 1920 in Oxford geboren, widmete sich jedoch erst ab 1962, nach langen Jahren in der Krankenhausverwaltung und in der Kriminalabteilung des britischen Innenministeriums, ganz der Schriftstellerei. Weltweit als »Queen of Crime« gerühmt und mit einer Auflage von mehreren Millionen gesegnet, wurde sie mit Auszeichnungen überhäuft; ihr Commander Adam Dalgliesh ist in die Literaturgeschichte eingegangen.

Wer also könnte berufener sein als P. D. James, die Helden der großen Jane Austen in kriminelle Machenschaften zu verwickeln?

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2011

unter dem Titel »Death Comes to Pemberley« bei Faber and Faber, London.

 

 

 

 

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2011 P. D. James

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2013 Droemer Verlag

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Kerstin Kubitz

Covergestaltung: Network! Werbeagentur, München

Coverabbildung: © Joanna Jankowska / Trevillion Images

ISBN 978-3-426-41906-9

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Für Joyce McLennan

 

Meine Freundin und Privatassistentin, die seit fünfunddreißig Jahren meine Romane tippt

 

Mit Zuneigung und Dankbarkeit

Anmerkung der Verfasserin

Ich muss mich beim Geist Jane Austens dafür entschuldigen, dass ich ihre geliebte Elizabeth in das Grauen einer Mordermittlung hineingezogen habe – umso mehr, als Miss Austen ihren diesbezüglichen Ansichten im letzten Kapitel von Mansfield Park deutlich Ausdruck verliehen hat: »Sollen andere Federn bei Schuld und Elend verweilen. Ich verlasse dergleichen abscheuliche Themen, so schnell ich kann, und beeile mich, jeden, der sich nichts Schlimmes zuschulden kommen ließ, wieder in leidliches Wohlergehen zu versetzen und die übrigen zu vergessen.« Meine Entschuldigung hätte sie bestimmt mit dem Hinweis beschieden, dass sie, wäre ihr daran gelegen gewesen, sich länger bei solch abscheulichen Themen aufzuhalten, die Geschichte selbst geschrieben hätte, und zwar besser.

P. D. James 2011

Vorwort

Die Bennets von Longbourn

Unter der weiblichen Bewohnerschaft von Meryton herrschte Einvernehmen darüber, dass Mr. und Mrs. Bennet von Longbourn bei der Verheiratung von vieren ihrer fünf Töchter Glück gehabt hatten. Meryton, ein Marktstädtchen in Hertfordshire, liegt nicht auf der Strecke irgendwelcher Kavalierstouren, denn es besitzt weder ein schönes Umland, noch weist es eine bedeutende Geschichte auf, und der einzige große Herrensitz, Netherfield Park, ist zwar durchaus imposant, wird jedoch in den Büchern über die architektonisch bemerkenswerten Bauten der Grafschaft nicht erwähnt. Die Stadt verfügt über einen Saal, in dem regelmäßig Bälle, aber keine Theateraufführungen veranstaltet werden, so dass die Vergnügungen hauptsächlich in den Privathäusern stattfinden, wo die Langeweile der Abendgesellschaften und Whistrunden mit immer denselben Leuten nur vom Tratsch gemildert wird.

Eine Familie mit fünf unverheirateten Töchtern zieht besonders da, wo wenig anderer Zeitvertreib geboten ist, unweigerlich das mitfühlende Interesse aller Nachbarn auf sich, und die Lage der Bennets erwies sich als ganz besonders fatal. Denn in Ermangelung eines männlichen Erben sollte Mr. Bennets Besitz an seinen Cousin, den Reverend William Collins, übergehen, der, was Mrs. Bennet gern und lautstark beklagte, sie und ihre Töchter aus dem Haus würde jagen können, noch ehe ihr Mann im Grab erkaltet war. Reverend Collins hatte zwar zugegebenermaßen versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten für Entschädigung zu sorgen. Zu seinem persönlichen Ungemach, aber mit Zustimmung seiner herrischen Gönnerin Lady Catherine de Bourgh hatte er seine Pfarrei in Hunsford, Kent, verlassen und war in der mildtätigen Absicht, eine der fünf Töchter zu seiner Braut zu erwählen, nach Longbourn gefahren. Sein Vorhaben wurde von Mrs. Bennet mit begeisterter Zustimmung begrüßt, doch ließ sie ihn unverzüglich wissen, dass sich Miss Bennet, die älteste Tochter, wohl binnen kurzem verloben werde. Sein daraufhin gefasster Entschluss, Elizabeth, die Zweitälteste und Zweitschönste, zur Frau zu nehmen, stieß auf deren entschiedene Ablehnung, so dass er gezwungen war, sich bei Elizabeths Freundin Miss Charlotte Lucas um ein wohlwollenderes Echo auf seine Bitte zu bemühen. Miss Lucas hatte seinen Antrag mit erfreulicher Bereitwilligkeit angenommen, womit Mrs. Bennets Zukunft und die ihrer Töchter nicht gänzlich zum allgemeinen Bedauern der Nachbarn besiegelt war. Nach Mr. Bennets Tod würde Mr. Collins sie in einem der größeren Cottages auf dem Anwesen unterbringen, wo sie geistlichen Trost durch seine seelsorgerische Betreuung und leibliche Nahrung in Form von Speiseresten aus Mrs. Collins’ Küche, angereichert durch die gelegentliche Gabe eines Stücks Wildbret oder einer Speckseite, erhalten würden. Doch diesen Wohltaten konnten die Bennets zu ihrem Glück entrinnen. Am Ende des Jahres 1799 durfte sich Mrs. Bennet dazu gratulieren, Mutter von vier verehelichten Töchtern zu sein. Die Heirat der jüngsten, Lydia, war allerdings nicht vorteilhaft gewesen. Lydia war mit Lieutenant George Wickham durchgebrannt, einem Offizier des in Meryton stationierten Regiments. Die Eskapade, davon waren alle überzeugt, würde nicht anders enden, als ein solches Abenteuer es verdient hatte, nämlich damit, dass Wickham sie verlassen würde, sie des Elternhauses verwiesen, aus der Gesellschaft ausgestoßen und zum Schluss der letzten Erniedrigung anheimgegeben würde, die zu nennen der Anstand den Damen verbot.

Dann aber war die Eheschließung tatsächlich erfolgt, wovon William Goulding, ein Nachbar der Bennets, als Erster berichtete, nachdem er an der Kutsche aus Longbourn vorbeigekommen war und die frisch verheiratete Mrs. Wickham ihre Hand so ins offene Fenster gelegt hatte, dass er den Ring sehen konnte. Mrs. Bennets Schwester, Mrs. Philips, verbreitete eifrig ihre Version der Flucht, wonach das Paar auf dem Weg nach Gretna Green gewesen sei, zuvor aber noch kurz in London haltgemacht habe, weil Wickham einer Patin von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählen wollte. Als Mr. Bennet auf der Suche nach seiner Tochter dort eingetroffen sei, habe das Paar den Vorschlag der Familie angenommen, die angestrebte Hochzeit besser in London stattfinden zu lassen. Niemand schenkte diesem Fantasiegespinst Glauben, doch wurde Mrs. Philips zugestanden, dass ihr Geschick beim Ersinnen desselben zumindest die Geste der Gutgläubigkeit verdient hatte. Niemals wollte man es natürlich zulassen, dass George Wickham in Meryton noch einmal die weibliche Dienerschaft ihrer Tugend und die Ladenbesitzer ihres Profits beraubte, aber man einigte sich darauf, dass man, sollte seine Ehefrau auftauchen, Mrs. Wickham dieselbe großzügige Nachsicht gewähren würde, die man zuvor Miss Lydia Bennet zugestanden hatte.

Über das Zustandekommen dieser verspäteten Hochzeit herrschte viel Rätselraten. Mr. Bennets Besitz war kaum zweitausend Pfund pro Jahr wert, und man nahm allgemein an, dass Mr. Wickham mindestens fünfhundert sowie die Bezahlung aller seiner in Meryton und andernorts aufgehäuften Schulden fordern würde, ehe er in die Heirat einwilligte. Offenbar hatte Mr. Gardiner, Mrs. Bennets Bruder, das Geld aufgebracht. Er war als warmherziger Mensch bekannt, hatte jedoch Familie und erwartete zweifellos, dass Mr. Bennet es ihm zurückzahlte. In Lucas Lodge herrschte große Angst, das Erbe des Schwiegersohns könnte dadurch eine starke Minderung erfahren. Doch als keine Bäume gefällt, kein Land verkauft, keine Diener entlassen wurden und der Metzger sich nicht abgeneigt zeigte, Mrs. Bennet die übliche wöchentliche Bestellung zu liefern, nahm man an, dass Mr. Collins und die liebe Charlotte nichts zu befürchten hatten und Mr. Collins, sobald Mr. Bennet anständig begraben war, Longbourn in sicherem Vertrauen auf die Unversehrtheit des Anwesens in Besitz nehmen könnte.

Die bald nach Lydias Hochzeit erfolgte Verlobung von Miss Bennet mit Mr. Bingley, dem Herrn von Netherfield Park, fand dagegen großen Beifall. Sie kam auch nicht überraschend, denn die Bewunderung, die Mr. Bingley für Jane hegte, war seit der ersten Begegnung der beiden bei einem Ball offensichtlich gewesen. Miss Bennets Schönheit, Sanftmut und naiver Optimismus hinsichtlich der menschlichen Natur, aufgrund dessen sie niemals schlecht über andere sprach, machten sie zum allgemeinen Liebling. Doch wenige Tage nach Bekanntgabe der Verlobung ihrer Ältesten mit Mr. Bingley sprach sich ein noch größerer Triumph für Mrs. Bennet herum, dem man zunächst ungläubig begegnete. Miss Elizabeth Bennet, die zweitälteste Tochter, würde Mr. Darcy heiraten, den Besitzer von Pemberley, eines der größten Häuser in Derbyshire – einen Mann, der, wie es hieß, über ein Einkommen von zehntausend Pfund pro Jahr verfügte.

In Meryton war allgemein bekannt, dass Miss Lizzy Mr. Darcy hasste. Dieses Gefühl teilte sie mit der Mehrzahl der Gäste des ersten Balls, zu dem Mr. Darcy mit Mr. Bingley und dessen beide Schwestern erschienen war und bei dem er seinen Stolz und seine dünkelhafte Geringschätzung der Anwesenden ausreichend unter Beweis gestellt hatte. Trotz des Drängens seines Freundes Mr. Bingley hatte er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass keine der im Saal befindlichen Frauen es wert sei, seine Bekanntschaft zu machen. Als Sir William Lucas ihm Elizabeth vorstellte, weigerte sich Mr. Darcy allen Ernstes, mit ihr zu tanzen, und erklärte Mr. Bingley später, sie sei nicht hübsch genug, um ihn reizen zu können. Alle waren davon überzeugt, dass es keiner Frau jemals gelingen würde, als Mrs. Darcy glücklich zu sein, und Maria Lucas brachte diese Überzeugung auf den Punkt: »Wer will schon den Rest des Lebens tagein, tagaus am Frühstückstisch einem so übellaunigen Gesicht gegenübersitzen?«

Miss Elizabeth Bennet war jedoch kein Vorwurf daraus zu machen, dass sie eine besonnenere und zuversichtlichere Auffassung vertrat. Schließlich kann man im Leben nicht alles haben, und jede junge Dame in Meryton hätte mehr als nur das übellaunige Gesicht am Frühstückstisch ertragen, hätte sie dafür zehntausend pro Jahr heiraten und die Herrin von Pemberley werden können. Die Damen von Meryton waren durchaus gewillt, die Betrübten pflichtschuldig zu bemitleiden und den Glücklichen zu gratulieren, doch galt es, in allen Dingen Maß zu halten, und Miss Elizabeths Triumph war einfach zu grandios. Sie räumten zwar ein, dass sie hübsch sei und schöne Augen habe, doch davon abgesehen nichts, was sie einem Mann mit zehntausend im Jahr empfehlen könne, und es dauerte nicht lange, da hatte sich ein aus den einflussreichsten Tratschmäulern bestehender Zirkel eine Erklärung zurechtgelegt: Miss Lizzy war seit der ersten Begegnung mit Mr. Darcy entschlossen gewesen, ihn sich zu angeln. Als das Ausmaß dieser Strategie offenkundig geworden war, fanden alle, dass sie ihre Karten von Beginn an sehr geschickt ausgespielt hatte. Mr. Darcy hatte es zwar beim Ball abgelehnt, mit ihr zu tanzen, den Blick jedoch oft auf sie und ihre Freundin Charlotte gerichtet, die, schon seit Jahren auf der Suche nach einem Ehemann, große Fertigkeiten im Erkennen jedes Zeichens von Zuneigung besaß und Elizabeth davor warnte, mit ihrem unübersehbaren Faible für den attraktiven und beliebten Lieutenant George Wickham einen zehnmal bedeutenderen Mann zu kränken.

Und dann geschah es, dass Jane, zum Dinner in Netherfield eingeladen, von einer sehr zupass kommenden Erkältung befallen wurde (weil ihre Mutter darauf bestanden hatte, dass sie dorthin ritt, anstatt in der Kutsche zu fahren), und, wie von Mrs. Bennet geplant, mehrere Nächte in Netherfield verbringen musste. Elizabeth hatte sich sofort zu Fuß nach Netherfield aufgemacht, und Miss Bingley sah sich von ihren guten Manieren veranlasst, die ungebetene Besucherin bis zur Gesundung Miss Bennets bei sich aufzunehmen. In der knappen Woche, die sie in Gesellschaft von Mr. Darcy verbrachte, waren Elizabeths Hoffnungen offenbar gestiegen, und sie hatte aus der erzwungenen Nähe das Beste gemacht.

Wenig später hatte Mr. Bingley dem Drängen der jüngsten Bennet-Mädchen nachgegeben und seinerseits in Netherfield einen Ball veranstaltet, bei dem Mr. Darcy tatsächlich mit Elizabeth tanzte. Die an der Wand aufgereiht sitzenden Anstandsdamen hatten ihre Lorgnetten zu den Augen gehoben und, wie die übrigen Gäste auch, das Paar eingehend beobachtet, während es durch die Reihe tanzte. Die beiden sprachen zwar nur wenig miteinander, doch schon die Tatsache, dass Mr. Darcy Elizabeth wahrhaftig aufgefordert hatte und nicht abgewiesen worden war, erregte das Interesse und bot Stoff für Spekulationen.

Der nächste Schritt in Elizabeths Feldzug war ihr Besuch bei Mr. und Mrs. Collins im Pfarrhaus von Hunsford gewesen, den sie gemeinsam mit Sir William Lucas und seiner Tochter Maria abstattete. Normalerweise hätte Lizzy diese Einladung sicherlich abgelehnt, denn welchen Gefallen konnte eine vernünftige Frau an sechs Wochen in Mr. Collins’ Gesellschaft finden! Alle wussten, dass Miss Lizzy seine erste Wahl gewesen war, ehe Miss Lucas ihm ihre Zustimmung zur Heirat gab. Allein schon ihr Taktgefühl hätte sie also, von allen anderen Bedenken abgesehen, an einem Besuch in Hunsford hindern müssen. Aber sie hatte natürlich gewusst, dass Lady Catherine de Bourgh Mr. Collins’ Nachbarin und Gönnerin war und deren Neffe Mr. Darcy sich mit großer Wahrscheinlichkeit im benachbarten Rosings aufhalten würde, während die Besucher im Pfarrhaus weilten. Charlotte, die ihrer Mutter jede Einzelheit ihres Ehelebens bis hin zum Gesundheitszustand der Kühe, des Geflügels und ihres Mannes mitzuteilen pflegte, hatte daraufhin in einem Brief berichtet, Mr. Darcy und sein Cousin, Colonel Fitzwilliam, der ebenfalls in Rosings zu Besuch war, seien während Elizabeths Aufenthalt oft ins Pfarrhaus gekommen, und einmal habe sich Mr. Darcy dort ohne seinen Cousin eingefunden, als Elizabeth allein gewesen sei. Mrs. Collins, in deren Augen diese Auszeichnung für seine beginnende Verliebtheit sprach, schrieb, sie glaube, dass ihre Freundin jeden der beiden Gentlemen bereitwillig genommen hätte, wäre denn ein Antrag erfolgt. So aber war Miss Lizzy unverrichteter Dinge nach Hause zurückgekehrt.

Dann aber hatte doch noch alles gut geendet, als Mrs. Gardiner und ihr Mann, Mrs. Bennets Bruder, Elizabeth einluden, sie auf einer sommerlichen Vergnügungsreise zu begleiten. Die Fahrt hatte eigentlich zu den Seen führen sollen, musste jedoch wegen Mr. Gardiners geschäftlicher Verpflichtungen verkürzt werden, und es sollte nicht weiter nördlich gehen als bis Derbyshire. Kitty, die vierte Tochter der Bennets, hatte die Nachricht übermittelt, doch niemand in Meryton nahm den Vorwand für bare Münze. Eine wohlhabende Familie, die sich die Reise von London nach Derbyshire leisten konnte, war sicherlich in der Lage, auch zu den Seen weiterzufahren, wenn sie gewollt hätte. Da lag es auf der Hand, dass Mrs. Gardiner als eine in den Heiratsplan ihrer Lieblingsnichte Eingeweihte sich für Derbyshire entschied, weil Mr. Darcy in Pemberley sein würde, und tatsächlich besichtigten die Gardiners und Elizabeth das Haus – zweifellos nachdem sie im Gasthof erfragt hatten, wann der Herr von Pemberley sich in seinem Anwesen aufhalten würde – gerade, als Mr. Darcy dorthin zurückkehrte. Selbstverständlich wurde das Ehepaar Gardiner, wie es die Höflichkeit gebot, vorgestellt und die ganze Gesellschaft zum Dinner in Pemberley eingeladen, und sollte Miss Elizabeth irgendwelche Zweifel gehegt haben, ob ihr Plan, sich Mr. Darcy zu sichern, klug war, so hatte der Anblick von Pemberley ihre Entschlossenheit, sich bei der erstbesten Gelegenheit in ihn zu verlieben, sicherlich nur noch verstärkt. Wenig später waren Mr. Darcy und sein Freund Mr. Bingley nach Netherfield Park zurückgefahren und hatten sich ohne Umschweife in Longbourn gezeigt, wo das Glück von Miss Bennet und Miss Elizabeth Bennet endgültig und triumphal besiegelt wurde.

Doch diese Verlobung, so großartig sie war, rief nicht dieselbe Freude hervor wie die von Jane. Elizabeth hatte nie große Beliebtheit genossen, und die weitsichtigeren unter den Damen von Meryton hegten gelegentlich sogar den Verdacht, Miss Lizzy würde hinter ihrem Rücken über sie lachen. Außerdem warfen sie ihr vor, sarkastisch zu sein, und obwohl eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Bedeutung des Wortes herrschte, wussten sie immerhin, dass es sich dabei um eine für Frauen wenig wünschenswerte, da von den Gentlemen besonders missbilligte Eigenschaft handelte. Die Nachbarinnen, deren Neid auf den Triumph jede Befriedigung über die Aussichten dieser Verbindung überstieg, trösteten sich mit der gegenseitigen Beteuerung, Mr. Darcys Stolz und Arroganz würden im Verein mit der schnippischen Art seiner Gattin das Zusammenleben zu einer solchen Qual machen, dass nicht einmal Pemberley und zehntausend im Jahr dafür entschädigen könnten.

Wenn man bedenkt, wie viele Formalitäten erfüllt sein müssen, damit eine große Hochzeit auch wirklich als solche gelten kann – das Anfertigen von Porträts, die Indienstnahme von Anwälten, der Erwerb neuer Kutschen und der Hochzeitsgarderobe –, wurden die Ehen zwischen Miss Bennet und Mr. Bingley sowie zwischen Miss Elizabeth und Mr. Darcy an ein und demselben Tag in der Kirche von Longbourn mit erstaunlich geringer Verspätung geschlossen. Und es wäre der glücklichste Tag in Mrs. Bennets Leben geworden, hätte ihr nicht während der ganzen Messe vor lauter Angst, Mr. Darcys herrische Tante, Lady Catherine de Bourgh, könnte in der Kirchentür auftauchen und die Hochzeit verbieten, das Herz gerast, so dass sie sich ihres Triumphs erst nach dem Schlusssegen völlig sicher sein konnte.

Ob Mrs. Bennet die Gesellschaft ihrer zweitältesten Tochter fehlte, muss bezweifelt werden; ihr Mann aber vermisste Elizabeth, die immer schon sein Lieblingskind gewesen war. Sie hatte seine Intelligenz, einiges von seinem Scharfsinn sowie seine Freude an den Marotten und Ungereimtheiten der Nachbarn geerbt, und in Longbourn ging es ohne sie nicht nur einsamer, sondern auch weniger vernünftig zu. Mr. Bennet war ein kluger, belesener Mann, der in seiner Bibliothek nicht nur Zuflucht, sondern auch die Quelle seiner glücklichsten Stunden fand. Darcy und er waren rasch zu dem Schluss gelangt, dass sie einander mochten, und wie unter Freunden üblich akzeptierten beide die Eigenheiten des jeweils anderen als Beweis für dessen überlegenen Verstand. Seine Besuche in Pemberley, die Mr. Bennet meist dann abstattete, wenn man am wenigsten mit ihm gerechnet hatte, verbrachte er vorwiegend in der Bibliothek, die zu den besten in privater Hand zählte und aus der man ihn selbst zu den Essenszeiten nur schwer herausbekam. Die Bingleys in Highmarten besuchte er weniger oft – nicht nur, weil er Janes übermäßigen Einsatz für die Behaglichkeit und das Wohlergehen ihres Mannes und der Kinder manchmal als lästig empfand, sondern auch weil es dort kaum neue Bücher und Zeitschriften gab, die ihn interessierten. Mr. Bingleys Geld stammte aus dem Handel. Er hatte keine Familienbibliothek geerbt und erst nach dem Kauf von Highmarten House daran gedacht, eine anzulegen. Bei diesem Vorhaben hatten Darcy und Mr. Bennet ihm nur zu gern geholfen. Es gibt wenig Angenehmeres, als das Geld eines Freundes zu dessen Nutzen und der eigenen Erfüllung auszugeben, und wenn die Käufer hin und wieder zur Verschwendung verführt wurden, trösteten sie sich mit dem Gedanken, dass Bingley es sich immerhin leisten konnte. Obwohl die nach Darcys Vorgaben entworfenen und von Mr. Bennet gutgeheißenen Regale noch keineswegs gefüllt waren, zeigte sich Bingley stolz auf die elegant angeordneten Werke und die glänzenden Ledereinbände. Hin und wieder, wenn die Jahreszeit oder das Wetter weder Jagen noch Angeln zuließen, schlug er sogar ein Buch auf und wurde lesend angetroffen.

Mrs. Bennet hatte ihren Mann nur zweimal nach Pemberley begleitet. Sie war mit Freundlichkeit und Langmut von Mr. Darcy empfangen worden, hatte aber zu viel Ehrfurcht vor ihrem Schwiegersohn, als dass sie die Erfahrung erneut machen wollte. Elizabeth vermutete sogar, dass es ihrer Mutter mehr Vergnügen bereitete, ihren Nachbarn von den Wundern Pemberleys zu erzählen – von der Größe und Schönheit der Gartenanlagen, der Stattlichkeit des Hauses, den vielen Dienern und der prunkvollen Tafel –, als all das selbst zu sehen und zu erleben.

Mit ihren Enkeln beschäftigten sich weder Mr. Bennet noch seine Frau besonders viel. Fünf rasch hintereinander geborene Töchter hatten die Erinnerung an schlaflose Nächte, schreiende Kleinkinder, eine sich ständig beklagende Säuglingsschwester und aufsässige Kindermädchen wachgehalten. Eine vorläufige Begutachtung kurz nach der Geburt jedes Enkels bestätigte die Aussage der Eltern, dass das Kind von bemerkenswerter Schönheit sei und bereits über eine eindrucksvolle Intelligenz verfüge; danach genügte es den Großeltern, regelmäßig schriftlich über die weitere Entwicklung unterrichtet zu werden.

Sehr zum Verdruss ihrer zwei ältesten Töchter hatte Mrs. Bennet beim Ball in Netherfield lautstark verkündet, sie erwarte, dass durch Janes Heirat mit Mr. Bingley auch ihre jüngeren Töchter wohlhabende Männer kennenlernen würden, und zur allgemeinen Überraschung erfüllte ausgerechnet Mary diese ganz natürliche mütterliche Prophezeiung. Niemand hatte geglaubt, dass Mary jemals heiraten würde. Sie las wie besessen, jedoch völlig wahllos und ohne Verständnis, spielte fleißig, aber gänzlich talentfrei Klavier, und lieferte fast unablässig Platitüden ab, die weder klug noch witzig waren. Am männlichen Geschlecht hatte sie nie das geringste Interesse gezeigt. In ihren Augen war jeder Ball eine Strafe, die sie nur deshalb erduldete, weil sie ihr die Gelegenheit bot, sich am Klavier in den Mittelpunkt zu rücken und die Zuhörerschaft durch den wohlüberlegten Einsatz des rechten Pedals in völlige Wehrlosigkeit zu versetzen. Und doch war sie keine zwei Jahre nach Janes Hochzeit die Gattin von Reverend Theodore Hopkins, dem Pfarrer der an Highmarten grenzenden Kirchengemeinde.

Da der Pfarrer von Highmarten verhindert war, hatte an drei Sonntagen Mr. Hopkins den Gottesdienst übernommen, ein dünner, melancholischer Junggeselle von fünfunddreißig Jahren mit einer Neigung zu ausufernden Predigten mit kompliziertem theologischem Inhalt, die ihm den Ruf eines enorm klugen Menschen eingebracht hatten. Obwohl man ihn kaum als reich bezeichnen konnte, erfreute er sich eines mehr als ausreichenden Einkommens zusätzlich zu seinen Bezügen. Als Mary an einem dieser Sonntage in Highmarten zu Besuch war, wurde sie nach dem Gottesdienst an der Kirchentür von Jane mit ihm bekannt gemacht und beeindruckte ihn auf der Stelle, indem sie seine Ausführungen lobte, die von ihm vorgenommene Auslegung der Bibelstelle billigte und so häufig auf die Bedeutung von Fordyces Predigten zu sprechen kam, dass Jane, der sehr daran lag, endlich mit ihrem Mann das aus kaltem Braten und Salat bestehende Sonntagsmahl einzunehmen, ihn für den nächsten Tag zum Dinner bat. Es folgten weitere Einladungen, und kaum drei Monate später wurde Mary Mrs. Theodore Hopkins, wobei sich das öffentliche Interesse an dieser Heirat ebenso in Grenzen hielt wie der Prunk bei der Trauung.

Einen Vorteil sah die Kirchengemeinde zunächst darin, dass das Essen im Pfarrhaus merklich besser wurde. Mrs. Bennet hatte ihren Töchtern beigebracht, wie wichtig gute Mahlzeiten für den häuslichen Frieden waren und welche Anziehungskraft sie auf männliche Gäste ausübten. Die Kirchenbesucher hofften, der Wunsch des Pfarrers, pünktlich in sein eheliches Glück zurückzukehren, werde die Gottesdienste verkürzen; doch obwohl sein Leibesumfang zunahm, blieb die Länge seiner Predigten gleich. Die beiden lebten in vollkommener Eintracht miteinander, wenn man von Marys anfänglicher Forderung nach einem eigenen Bücherzimmer absah, damit sie in Ruhe lesen konnte. Der Raum wurde geschaffen, indem man das einzige gute Gästezimmer zu ihrer alleinigen Verwendung umgestaltete, womit die eheliche Harmonie gestärkt und die Einladung jeglicher Verwandten zum Übernachten unmöglich gemacht war.

Im Herbst 1803, dem Jahr, in dem Mrs. Bingley und Mrs. Darcy das jeweils sechste glückliche Ehejahr feierten, hatte sich nur für eine von Mrs. Bennets Töchtern, Kitty, noch kein Ehemann gefunden. Aber weder Mrs. Bennet noch Kitty selbst grämten sich über diesen Misserfolg. Kitty genoss das Ansehen und die Annehmlichkeiten der einzigen noch zu Hause wohnenden Tochter, besuchte regelmäßig Jane, deren Kinder sie sehr mochten, und kostete ein Leben aus, das nicht erfüllender hätte sein können. Obendrein waren die Besuche von Wickham und Lydia kaum dazu angetan, für die Ehe zu werben. Sie trafen stets in ausgelassener Stimmung ein und wurden von Mrs. Bennet, die sich immer freute, ihre Lieblingstochter zu sehen, überschwenglich begrüßt. Doch der anfängliche gute Wille der beiden verkam bald zu Streit, gegenseitigen Schuldzuweisungen und Klagen darüber, wie dürftig ihre finanzielle Unterstützung durch Jane und Elizabeth ausfalle, so dass Mrs. Bennet sich über ihre Abreise schließlich genauso freute wie darauf, sie beim nächsten Besuch wieder willkommen heißen zu dürfen. Aber sie brauchte eine Tochter zu Hause, und Kitty, die seit Lydias Weggang sehr viel liebenswerter und hilfsbereiter geworden war, machte ihre Sache gut. Deshalb konnte man Mrs. Bennet im Jahre 1803 als eine – soweit es ihre Natur zuließ – glückliche Frau bezeichnen; sie hatte sogar bereits ein viergängiges Dinner im Beisein von Sir William und Lady Lucas durchgestanden, ohne sich auch nur einmal über die Ungerechtigkeit des Erbvertrags auszulassen.

Erstes Buch

Der Tag vor dem Ball