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Dr. ISABELLA ACKERL, geb. 1940 in Wien, Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, Promotion zum Dr. phil.; seit 1971 wissenschaftliche Sekretärin der »Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kuntschak-Preises zur Erforschung der Geschichte der Ersten Republik«. Seit Dezember 1981 Bundespressedienst in Wien. Zahlreiche Publikationen und Lexikonartikel.

Zum Buch

Die bedeutendsten Staatsmänner

“Der Staatsmann kann nie selbst etwas schaffen, er kann warten und lauschen, bis er den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört - dann vorspringen und den Zipfel des Mantels fassen, das ist alles.”

Von ihnen erwarten wir alles – doch was zeichnet einen Staatsmann aus, was sind seine Absichten und Leitgedanken, welcher Mittel bedient er sich zur Erreichung seiner Ziele und wie kann er sich der Unterstützung sicher sein?

Das Buch »Die bedeutendsten Staatsmänner« vermittelt einen spannenden und klar formulierten Einblick in ihr tatsächliches Leben und Wirken - seien es auch so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Thomas Morus, Albrecht Wenzel Eusebius Wallenstein, Armand-Jean du Plessis Herzog von Richelieu oder Tito, Charles de Gaulle und Helmut Kohl.

Isabella Ackerl
Die bedeutendsten Staatsmänner

Isabella Ackerl

Die bedeutendsten
Staatsmänner

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ISBN: 978-3-8438-0209-3

www.marixverlag.de

INHALT

EINLEITUNG

JOHN ADAMS

JOHN QUINCY ADAMS

KONRAD ADENAUER

ARTHUR JAMES BALFOUR

DAVID BEN GURION

OTTO VON BISMARCK

LÉON BLUM

SIMÓN BOLÍVAR

WILLY BRANDT

ARISTIDE BRIAND

LÁZARAO CÁRDENAS DEL RÍO

ROBERT STEWART VISCOUNT CASTLEREAGH

CAMILLO GRAF BENSO DI CAVOUR

CHIANG KAI-SHEK

CHOU EN-LAI

NIKITA SERGEJEWITSCH CHRUSCHTSCHOW

SIR WINSTON LEONHARD SPENCER CHURCHILL

GEORGES CLEMENCEAU

ALCIDE DE GASPERI

CHARLES DE GAULLE

JOHN FOSTER DULLES

ROBERT ANTHONY EDEN EARL OF AVON

LUDWIG ERHARD

LEOPOLD FIGL

LÉON MICHEL GAMBETTA

MOHANDAS KARAMCHAND GANDHI (MAHATMA)

GIUSEPPE GARIBALDI

MICHAIL SERGEJEWITSCH GORBATSCHOW

DAG HJALMAR AGNE CARL HAMMARSKJÖLD

ÉDOUARD HERRIOT

THEODOR HEUSS

BENITO GARCÍA JUÁREZ

WENZEL ANTON DOMINIK GRAF KAUNITZ-RIETBERG

MUSTAFA KEMAL (ATATÜRK)

JOHN FITZGERALD KENNEDY

JOMO KENYATTA

HELMUT KOHL

DAVID LLOYD GEORGE EARL OF DWYFOR AND VISCOUNT
GWYNEED OF DWYFOR

ROLIHLAHLA NELSON MANDELA

GEORGE CATLETT MARSHALL

JULES MAZARIN

KLEMENS WENZEL NEPOMUK LOTHAR FÜRST METTERNICH-WINNEBURG

FRANÇOIS MITTERRAND

JAMES MONROE

THOMAS MORUS

GAMAL ABDEL NASSER

JAWAHARLAL NEHRU

RAYMOND POINCARÉ

GEORGES JEAN-RAYMOND POMPIDOU

JULIUS RAAB

WALTER RATHENAU

ARMAND-JEAN DU PLESSIS HERZOG VON RICHELIEU

FRANKLIN DELANO ROOSEVELT

MUHAMMAD ANWAR AS SADAT

ROBERT ARTHUR TALBOT GASCOYNE-CECIL EARL OF SALISBURY

CARLO SCHMID

JEAN BAPTISTE NICOLAS ROBERT SCHUMAN

FELIX FÜRST SCHWARZENBERG

LÉOPOLD SÉDAR SENGHOR

GEORG KASTRIOTA (SKANDERBEG)

HEINRICH FRIEDRICH KARL VON UND ZUM STEIN

GUSTAV STRESEMANN

CHARLES MAURICE TALLEYRAND-PÉRIGORD

JOSIP BROSZ (TITO)

SITHU U THANT

ALBRECHT WENZEL EUSEBIUS WALLENSTEIN

GEORGE WASHINGTON

THOMAS WOODROW WILSON

EINLEITUNG

Das vorliegende Buch enthält 68 Biografien von Staatsmännern, vom 15. Jahrhundert beginnend bis zur Gegenwart. Es sind fast nur Männer, die das heutige Aussehen unserer Welt geformt haben. Mit Absicht wurden die führenden Gestalten der Antike weggelassen, denn von ihren Staatsgründungen bzw. von ihrem politischen Wirken hat nichts bis heute Bestand. Die großen Philosophen zu Staat und Gesellschaft in der Antike haben wohl alles schon einmal durchgedacht und auch wie in einem Labor der Geschichte erprobt, ob das eine Diktatur, eine Demokratie oder eine Oligarchie war – die Antike fand für alle Staatsformen eine theoretische Basis und hat diese auch der praktischen Erfahrung ausgesetzt. Für dieses Buch wurden jedoch bewusst jene Persönlichkeiten ausgewählt, deren Wirken noch Spuren in der Gegenwart hinterlassen hat bzw. solche, die unsere Gegenwart nachdrücklich gestaltet haben.

Als Staatsmänner wurden jene Persönlichkeiten definiert, die nicht durch Erbschaft, sondern durch Auswahl eines Herrschers oder einer Volksvertretung in ein Amt berufen wurden, das sie mit all ihrem Können, ihren Begabungen und Leistungen bestmöglich ausgefüllt haben. Natürlich sind Staatsmänner keine Heiligen, nicht jeder wurde mit dem Marschallstab im Tornister geboren, so mancher konnte eine führende Position nur nach langen Kraftanstrengungen erreichen. Doch jeder Einzelne von ihnen hat in der Geschichte seines Landes einen herausragenden Platz eingenommen, und nur von diesem Standpunkt aus erfolgt seine grundsätzliche Würdigung. Menschen, die ihrem Land zur Unabhängigkeit von einer Kolonialmacht verholfen haben, werden im eigenen Land eine andere Wertung erfahren als im Mutterland der einstigen Kolonie. Daher steht primär der nationale Blickwinkel im Vordergrund. Viele der Dargestellten haben weit über die nationale Ebene hinaus eine Wirkungsmächtigkeit entfaltet, die sie zum Symbol für eine bestimmte Politik werden ließ.

Nicht immer gehörten Wahl der Mittel und eingesetzte Methoden zum moralischen Kodex der herrschenden Gesellschaft, doch das Erkennen von neuen Wegen und die innovative Fantasie haben nicht selten einen durchschlagenden Erfolg erzielt.

Welche Begabungen und Eigenschaften einen Staatsmann ausmachen, wird sich kaum abgrenzen lassen. Was er vom Start weg mitbringen muss, sind sicherlich eine gute Ausbildung und der unbändige Wille nach Wissen und Verstehen. Manche von ihnen wurden systematisch für eine künftige Funktion erzogen, der eine oder andere stolperte in ein Metier, das er sich erst erobern musste. Neugier auf menschliche Verhaltensweisen, der Wunsch zu gestalten und Menschen in gewisse Richtungen zu lenken, die Leidenschaft für eine Idee, Ausdauer und Geduld, ein subtiles und dezentes Feingefühl bei der Einschätzung von Freund und Feind waren immer wieder hilfreich. Ein entspanntes Verhältnis zu Macht und Machtausübung gehörte oft dazu, und die viel zitierte Fortune, die auch darin besteht, dass der rechte Mann zur rechten Stunde bereitsteht. Es bedurfte manchmal auch der Führungspersönlichkeiten, die den Mut aufbringen, ein Land oder einen Staat aus einer gescheiterten Situation herauszuführen. Zuletzt muss ein guter und sich immer auch der Möglichkeit des plötzlichen Scheiterns bewusster Staatsmann jene Demut aufbringen, die ihn dazu befähigt einzusehen, dass Erfolg oder Misserfolg nicht mathematisch steuerbare Vorgänge, sondern schicksalsbestimmte Geschehnisse sind, die auch mit grundsätzlichen Weltanschauungen beantwortet werden können.

Ein gewisser Mut zur Wahrhaftigkeit gehört dazu, ob er sich darin äußert, dass Tatsachen verbalisiert werden, die sich keiner auszusprechen traut, oder in der allen vertrauten Verlässlichkeit des gegebenen Wortes.

Eine Eigenschaft eines Staatsmannes, die dem Charakter der Demokratie sehr entspricht, ist die Teamfähigkeit. Die Bereitschaft, warten zu können und den richtigen Augenblick abzuwarten, wann ein Schritt öffentlichkeitsverträglich wird, erfordern viel Geduld und Vertrauen in die gefasste Meinung.

Im Übrigen – jede Zeit hat ihre Mittel und ihre Werte. Gab es Phasen in der Geschichte, da nur der Sieg auf dem Schlachtfeld es erst ermöglichte, eine Lösung eines Problems zu finden, so leben wir heute in einer Zeit, in der als beste Tugend gilt, Konflikte ohne Waffen auszutragen. Der in der Antike geprägte Grundsatz »do ut des« (Ich gebe, damit du gibst), der den Grundsatz des Kompromisses in wenigen Buchstaben umschreibt, ist heute gültiger denn je.

So berichtet jede dieser Biografien über ein Leben der Erfolge und Misserfolge, der großen Visionen und billigen Untaten, der persönlichen Tragödien und der Veränderungen, die eine Zeit auf den Kopf stellten. Geschichte in ihrer lebendigsten Form.

Isabella Ackerl

JOHN ADAMS

Da der älteste von drei Söhnen eines Farmers und Stadtrates (select man) schon als Kind einen wachen Geist verriet, wurde er mit Blick auf College und nachfolgendes Studium erzogen. Adams begann in Worcester bei einem sehr gebildeten Juristen zu studieren, unterrichtete gleichzeitig an einer Mittelschule und machte seinen Abschluss in Jura schließlich in Harvard.

Als junger Anwalt erwies sich Adams als sehr ehrgeizig und politisch äußerst zielstrebig. Es war jene Zeit in der amerikanischen Politik, in der Befürworter und Gegner des Kolonialstatus Position bezogen. Adams nahm sehr bald eindeutig Stellung – gegen das britische Mutterland. Heftigst griff er den Erlass »Writs of Assistance case« aus dem Jahr 1761 an, der Hausdurchsuchungen durch Zollbeamte nach Schmuggelgut auch ohne das Vorliegen von Beweisen ermöglichte. Adams sah darin eine Verfassungswidrigkeit. Ebenso bekämpfte er den »Stamp Act«, der besagte, dass jedes Dokument eine Stempelmarke tragen müsse.

1764 heiratete er die Pfarrerstochter Abigail Smith aus dem nahen Weymouth, die über gute Beziehungen zu politischen Kreisen verfügte, was sich für Adams als sehr hilfreich erwies. Abigail hinterließ einen reichen, sehr lebhaft verfassten Briefwechsel, Adams selbst schrieb Tagebuch – Dokumente, die die Turbulenzen ihrer Zeit hervorragend widerspiegeln. In seinem Tagebuch zeigt Adams sich als widersprüchlicher und sehr eifersüchtiger Mensch, misstrauisch und zornig, aber auch verspielt und äußerst zart, wenn es um seine Familie geht.

Ab 1763 veröffentlichte er regelmäßig Beiträge für verschiedene Tageszeitungen in Boston, in denen er wie in einem Selbstgespräch die Probleme der Zeit diskutierte. Er nahm grundsätzlich einen Rechtsstandpunkt ein und wandte sich gegen alle aus Großbritannien gleichsam aus der Ferne diktierten Erlasse, denen die Bewohner der Kolonien nicht zugestimmt hatten.

1768 erschienen seine in der »Boston Gazette« publizierten Artikel in London als Buch unter dem Titel »A Dissertation on the Canon and Feudal Law«. Grundtenor des Werkes ist der Protest der Neuen Welt gegen die Autorität und das Feudalrecht der Alten Welt.

Im Jahr 1770 übernahm Adams die Verteidigung von fünf britischen Soldaten in einem Sensationsprozess: Die fünf Soldaten waren im Zuge des »Boston Massacre« wegen Mordes angeklagt worden – ausgelöst durch ihr Einschreiten bei der Vollziehung der »Townshend Acts«, als sie die Einfuhrsteuer auf Glas, Tee bzw. Papier einbeziehen sollten. Dabei waren fünf Menschen zu Tode gekommen. Die öffentliche Meinung war gegen die Soldaten aufgebracht, doch Adams erzielte einen Freispruch.

Seine Anwaltspraxis war nun gefragt, er konnte zwei Angestellte aufnehmen. Allerdings erlitt er auch einen schweren gesundheitlichen Rückschlag, der ihn nötigte, für eine Weile Erholung zu suchen. Ein Jahr später war er wieder auf dem Posten und wurde in das House of Representatives von Massachusetts gewählt. Zwei Jahre später nahm er am Continental Congress, der gesetzgebenden Körperschaft, als Mitglied der Delegation von Massachusetts teil. Es war dies die erste Konstituante der 13 US-Gründerstaaten. Damals galt seine Sympathie, wie sein Tagebuch beweist, den radikalen, absoluten Gegnern Englands. Vor allem die britische Steuer- und Handelspolitik fand in ihm einen erklärten Kontrahenten. Es war Adams, der 1775 die Ernennung George Washingtons zum Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen vorschlug.

Ab Mitte der 1780er-Jahre profilierte er sich als Befürworter einer völligen Trennung der nordamerikanischen Staaten vom britischen Mutterland. Daher war er auch – ebenso wie Thomas Jefferson – an der Abfassung der Unabhängigkeitserklärung beteiligt. 1777 entsandte man ihn mit Benjamin Franklin nach Frankreich, um die Anliegen der unabhängigen Vereinigten Staaten zu vertreten. Auf dieser Reise begleitete ihn sein zehnjähriger Sohn John Quincy, welcher der sechste Präsident der Vereinigten Staaten wurde. So war es nur logisch, dass Adams im September 1783 auch zu den Unterhändlern des Vertrages von Paris gehörte, der die 13 Gründerstaaten in die Unabhängigkeit entließ.

Die nächsten Jahre verbrachte Adams als Gesandter in Holland und als Amerikas Erster Botschafter am Hof von St. James in London. Nach seiner Rückkehr nach Amerika stand er acht Jahre an der Seite George Washingtons als Vizepräsident.

Nach Ablauf von Washingtons Amtszeit wurde Adams zum zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Seine Ära wurde von außenpolitischen Schwierigkeiten und innenpolitischen Spannungen überschattet, vor allem in seiner Föderalistischen Partei kam es zu Auseinandersetzungen. Selbst ein gemäßigter Politiker, vermochte er den radikalen Flügel seiner Partei nicht zu zähmen, der wegen des Jay-Vertrages, der die Nord- und Nordwestgrenze der Vereinigten Staaten zu Großbritannien und vor allem die gegenseitigen Handelsinteressen regelte, fast einen Krieg provoziert hätte. Schließlich kam es zur Spaltung der Partei. Adams’ Gegner, Thomas Jefferson, erreichte einen glanzvollen Wahlsieg.

Als Anhänger der Lehren Charles Montesquieus trat Adams grundsätzlich für ein Zweikammersystem und eine strenge Trennung von Legislative und Exekutive ein. Auch die persönliche Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat und der Regierung hielt er hoch. Probleme hatte er mit enragierten Anhängern der Französischen Revolution, die ihm in ihren Forderungen zu weit gingen.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt war er nicht mehr politisch tätig, blieb aber an allen Vorgängen äußerst interessiert. Seine letzte große Freude war 1825 die Wahl seines Sohnes John Quincy zum Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Adams publizierte auch grundsätzliche, theoretische Werke wie »Thoughts on Government« (1776) und »Defense of the Constitutions of Government of the United States of America« (1787). Bereits im Ruhestand verfasste er Teile einer »Autobiography«.

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JOHN QUINCY ADAMS

Der älteste Sohn des zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten wuchs in einer von Intellektualität und politischem Diskurs bestimmten Atmosphäre auf. Schon als Teenager wurde er Zeuge von bedeutenden politischen Ereignissen wie der Schlacht von Bunker Hill 1775. In den Jahren 1778 und 1780 begleitete er seinen Vater auf Reisen nach Europa. Er bekam die Gelegenheit, an einer privaten Schule in Paris zu studieren. Als sein Vater Botschafter in Holland war, schrieb er sich an der Universität in Leiden ein. Daher sprach er sehr gut Französisch und auch ein wenig Holländisch. Er dürfte sich schon sehr früh der Bedeutung seines Umfelds bewusst geworden sein, was sein ab 1780 geführtes Tagebuch erkennen lässt. Es stellt in seiner geradezu brutalen Offenheit ein großartiges Zeitdokument dar.

1781, als 14-Jähriger, begleitete er den amerikanischen Gesandten Francis Dana als Sekretär und Dolmetscher für Französisch nach Russland. Dana sollte den Hof in St. Petersburg für eine offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten gewinnen, doch trotz eines fast zweijährigen Aufenthalts wurde Dana von Zarin Katharina II. nicht ein Mal empfangen. Auf der Rückreise traf John Quincy Adams seinen Vater in Paris, begleitete ihn aber nicht nach London, wo der Vater am Hof von St. James akkreditiert war, sondern kehrte nach Massachusetts zurück.

Adams begann ein Jurastudium in Harvard, das er 1787 abschloss. Drei Jahre später erhielt er die Zulassung für das Gericht in Boston. In diesen Jahren schrieb Adams zahlreiche politische Artikel, welche die Aufmerksamkeit von Präsident Washington erregten, der ihn 1794 als amerikanischen Vertreter nach Holland schickte. Damals galt Den Haag als ein wichtiger Beobachtungspunkt für die europäischen Koalitionskriege gegen das revolutionäre und postrevolutionäre Frankreich. Seine offiziellen Depeschen und die privaten Briefe an den Vater, zu dieser Zeit Vizepräsident, informierten die amerikanische Regierung bestens über die Vorgänge in Europa. Zwei Jahre später entsandte ihn Washington, der ihn für einen seiner fähigsten Beamten hielt, nach Portugal.

1797 wurde Adams’ Vater Präsident der Vereinigten Staaten und entsandte den Sohn nach Preußen. Im selben Jahr ging John Quincy Adams die Ehe mit Louisa Catherine Johnson ein. Es gelang ihm, mit Preußen einen Freundschafts- und Handelsvertrag abzuschließen. Derartige Verträge waren für das noch junge und daher kaum diplomatisch anerkannte Staatswesen der Vereinigten Staaten wichtige Schritte auf dem Weg zur internationalen Akzeptanz. Nach seiner Abberufung aus Berlin 1800 wurde er 1801 in den Senat von Massachusetts, zwei Jahre später in den Senat der Vereinigten Staaten gewählt. Sofort wurde er mit Fraktionen, Gruppierungen und den damit verbundenen Feindschaften, die teilweise seinem Vater galten, konfrontiert. Ursprünglich Mitglied der Föderalistischen Partei, ergab sich bei ihm eine zunehmende Unzufriedenheit mit deren Politik, die ihn schließlich zwang, seinen Sitz im Senat aufzugeben. Er selbst sah sich nie nur als einen Vertreter einer Partei, sondern betrachtete immer das Interesse des gesamten Landes als seine Aufgabe. So unterstützte er Präsident Thomas Jefferson in der Verhängung eines totalen Außenhandelsembargos, um Großbritannien zu zwingen, die Rechte der Vereinigten Staaten anzuerkennen. Zwischen 1806 und 1809 lehrte Adams als Professor in Harvard. Mittlerweile war er zur Partei der Republikaner gewechselt, die eher seinem Standpunkt entsprach.

Der seit 1809 amtierende Präsident James Madison schätzte Adams’ große Begabung, vor allem auf dem außenpolitischen Feld, und ernannte ihn zum Botschafter der USA in Russland, just in jener Phase, als Zar Alexander I. sich entschloss, mit Napoleon zu brechen. Die Situation zeigte sich nun für den amerikanischen Botschafter überaus offen, ganz anders als er sie seinerzeit erlebt hatte. Die Anbahnung von Handelsbeziehungen begegnete keinerlei Widerständen. Adams berichtete sehr detailliert aus St. Petersburg über Napoleons Russlandfeldzug und über das Desaster der Grande Armée.

Im Jahr 1814 verhandelte der Diplomat mit den Briten in Gent monatelang über einen Friedensvertrag, der den seit 1812 schwelenden Krieg beendete. Dabei waren die guten Beziehungen zu Russland durchaus hilfreich. Man einigte sich auf den Status quo ante – es blieb alles so, wie es war. Die Grenzziehung zu Kanada wurde einer eigenen Schiedskommission anvertraut.

Anschließend ging Adams nach Paris, wo er Napoleons Rückkehr aus Elba erlebte, und dann an den Hof von St. James als Botschafter – eine Position, die schon sein Vater innegehabt hatte. In London verhandelte er eine Handels- und Seefahrt-Konvention, erzielte aber weiter keine spektakulären Erfolge.

Als James Monroe 1817 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, berief er Adams als Außenminister in seine Administration. Als solcher hatte Adams ganz wesentlichen Anteil an der Formulierung der Monroe-Doktrin (Amerika den Amerikanern), welche die Ausschaltung aller europäischen Kolonialmächte aus dem amerikanischen Kontinent forderte. Weiterhin spielte er eine wichtige Rolle bei der Erwerbung Floridas, das von Spanien gekauft wurde. Adams verfolgte sehr konsequent diesen politischen Ansatz, auch gegenüber Russland, dem er sich seit seiner Zeit als Botschafter sehr verbunden fühlte. Als das Zarenreich versuchte, in Kalifornien Fuß zu fassen, lehnte er dies in einer scharf formulierten Note ab. Adams nährte auch ein gewisses Misstrauen gegenüber der Heiligen Allianz in Europa, insbesondere gegen die Pläne Großbritanniens in Südamerika.

Nach der Amtszeit Monroes wurde Adams 1825 zum sechsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. So erfolgreich und akzeptiert er als Außenminister gewirkt hatte, so wenig glücklich verlief seine Präsidentschaft, auch wegen der Feindschaft mit seinem Gegenkandidaten Andrew Jackson. Ob es die Frage der Ausdehnung der Exekutivgewalt war, die Förderung der Künste und Wissenschaften zur Hebung der allgemeinen Bildung – Adams stieß auf den erbitterten Widerstand des Kongresses. Trotzdem entwickelte sich seine Präsidentschaft zu einer wirtschaftlich höchst erfolgreichen Phase für die Vereinigten Staaten. An eine Verlängerung seiner Amtszeit war aber nicht zu denken, Adams unterlag Andrew Jackson.

Eine Zeit lang zog sich Adams aus der Politik zurück, kehrte aber 1831 wieder in den Kongress zurück, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Er war ein gefürchteter Redner und profilierte sich als entschiedener Gegner der Sklaverei. Immer wieder beantragte er, dass jedes in den USA geborene Kind frei sein sollte, dass kein Staat in die Vereinigten Staaten aufgenommen werde, in dem die Sklaverei herrsche, und dass es keine Sklaven und keinen Sklavenhandel im District of Columbia geben dürfe. Jahrelang wurden seine Vorlagen von den Sklavenhalterstaaten bzw. ihren Vertretern blockiert, doch langsam gewannen seine Ansichten mehr Zustimmung. 1844 konnte er seine Anträge endlich durchbringen. Er vertrat als Anwalt die Sklaven des Schiffes »Amistad«, die revoltiert hatten, und konnte die Freiheit für sie gewinnen.

Adams war ein großer, aber schwieriger Geist, ein unabhängiger Denker, dem die Sache der Res publica über alles ging. Persönlich ein zurückhaltender Mensch, der nur wenige Freundschaften pflog, dafür über die Zahl seiner Feinde nicht klagen musste. Er war ein Politiker, dem die Vereinigten Staaten sehr viel verdanken – formte er doch mit der Monroe-Doktrin, mit den Verträgen mit Großbritannien und den Gebietserwerbungen von Spanien die künftigen Grenzen dieser Großmacht.

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KONRAD ADENAUER

Der aus dem katholischen Rheinland stammende Adenauer war schon durch seine Herkunft für eine Karriere in einer christlichen Rechtspartei bestimmt. Der Sohn aus einer Beamtenfamilie, die einen sehr bescheidenen Lebensstil pflegte sowie Pflichterfüllung und religiöse Werte als Lebensleitlinien hochhielt, besuchte das humanistische Gymnasium in Köln. Er hatte zwei ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Nach dem Abitur 1894 begann er eine Banklehre, brach diese aber ab, als er ein Kölner Bürgerstipendium erhielt. Er studierte Jura und Politikwissenschaft in Freiburg, München und Bonn. Sein Interesse für Politik äußerte sich nicht nur ideell durch sein Studium, er wandte sich auch früh der praktischen politischen Arbeit zu. Seine Partei war das Zentrum – die einzig wählbare Partei für einen Katholiken aus dem Rheinland. Bereits 1906 wurde er in den Kölner Stadtrat gewählt, noch während des Ersten Weltkrieges wurde Adenauer zum Oberbürgermeister von Köln bestellt, eine Funktion, die er bis zu seiner Vertreibung durch die Nationalsozialisten unangefochten und höchst anerkannt ausübte. Als Kommunalpolitiker war Adenauer ein hervorragendes Beispiel, wie man bereits in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts moderne Kommunalpolitik machen konnte. Durch den Ausbau des Rheinhafens verbreiterte er die wirtschaftliche Grundlage der Stadt, gleichzeitig schuf er rund um Köln an Stelle des Festungsgürtels einen Grüngürtel, um es auch für die Bevölkerung attraktiv und lebenswert zu machen. Er förderte die Ansiedlung von Industriebetrieben, unter anderem der Ford-Werke, er investierte in Kultur- und Freizeitanlagen und betrieb die Wiedergründung der Kölner Universität, die 1798 aufgelassen worden war.

Parlamentarische Erfahrungen sammelte Adenauer schon vor 1918 – als Mitglied des preußischen Herrenhauses. Ab 1920 gehörte er dem preußischen Staatsrat an, 1928 wählte ihn das Zentrum zum Parteisprecher.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor Adenauer alle politischen Funktionen und wurde aus Köln verbannt. Er lebte in dieser Zeit in Rhöndorf, wurde immer wieder Verfolgungen ausgesetzt, zuletzt 1944 nach dem Attentat auf Hitler verhaftet und ins KZ geschickt. Versuche verschiedener Vertreter des deutschen Widerstandes, ihn für eine Mitarbeit zu gewinnen, lehnte er dezidiert ab.

Nach Kriegsende installierten ihn die Amerikaner sofort wieder als Bürgermeister, aber als die Briten das Rheinland als Besatzungszone übernahmen, wurde er seines Amtes enthoben.

Schon vor Kriegsende war die Christ-Demokratische Union gegründet worden, die den alten Zwist zwischen Katholiken und Protestanten auf der politischen Ebene überwinden sollte. In dieser Partei spielte Adenauer von Anfang an eine große Rolle, bereits 1946 wurde er Parteivorsitzender in der britischen Zone, von wo aus sich die Partei über alle vier Besatzungszonen ausbreitete.

Als die Parteien in Deutschland darangingen, eine neue Verfassung zu formulieren, wurde der Parlamentarische Rat gebildet, zu dessen Präsident Adenauer 1948 bestellt wurde. Die zu beratende Verfassung für einen Bundesstaat konnte allerdings nur für die westlichen Besatzungszonen Gültigkeit erlangen, da die russische Besatzungszone, die spätere Deutsche Demokratische Republik, sehr schnell eigene Wege ging.

Nach Abschluss der Verfassungsberatungen, an deren Ende die Formulierung des Grundgesetzes stand, wurden die ersten freien Wahlen ausgeschrieben. Adenauer stand mittlerweile an der Spitze der westdeutschen CDU, die gemeinsam mit der bayerischen CSU einen Stimmenanteil von 31 Prozent erringen konnte. Adenauer, ein strikter Gegner der SPD und einer egalitären Massengesellschaft, formte eine Koalitionsregierung aus CDU/CSU sowie FDP und DP, die nur eine geringe Mehrheit besaß. Um seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ließ er sich von Ärzten bescheinigen, dass er, immerhin 73 Jahre alt, das Amt eines Bundeskanzlers durchaus zwei Jahre ausüben werde können. Tatsächlich blieb er Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bis 1963.

Adenauers Kanzlerschaft war die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders, jener Phase, in der Deutschland wieder seinen Platz in der Gemeinschaft der Staaten einnahm, die Zeit, in der es auch seine außenpolitischen Präferenzen und Ziele klar formulierte. In tagespolitischen Fragen agierte Adenauer pragmatisch und kompromissfähig, vor allem wenn es um die Verteidigung der Einheit der Bundesrepublik ging. In seiner Ära schaffte das Land immerhin die Eingliederung von fast zehn Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen.

Sein Hauptinteresse, seine Liebe und seine Grundsatztreue galten der Außenpolitik, die er nach rigorosen Vorgaben lenkte, an denen er nicht rütteln ließ. Er sah die große Gefahr und Bedrohung für die Mitte Europas und ihren Frieden in der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa. Er konnte und wollte nicht an eine friedliche Koexistenz mit der Sowjetunion glauben, woraus seine strikte Partnerschaft mit den Westmächten und mit der NATO resultierte. Dazu gehörten auch die atomare Abschreckung und die damit verbundene Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Eines seiner großen Vorhaben war die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die sich nicht verwirklichen sollte.

Um diesem Gesamtziel zu dienen, führte er Deutschland 1950 in den Europarat, Deutschland wurde Gründungsmitglied der Europäischen Kohle- und Stahl-Union und stand damit am Anfang der heutigen Europäischen Union. 1955, nach dem Scheitern der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, wurde das Land souverän und damit Vollmitglied der NATO. In den nächsten Jahren erfolgte die deutsche Wiederbewaffnung.

Diese Politik Adenauers erfuhr in den Wahlen 1953 und 1957 ihre Honorierung, die CDU gewann beachtlich an Stimmen. Eine wichtige Ursache dieses Wahlerfolgs lag sicherlich auch in Adenauers Wahl seines Wirtschaftsministers: Ludwig Erhard und seine soziale Marktwirtschaft führten das Land in nur wenigen Jahren zu einem nie gekannten Wohlstand aller Bürger. Eine breite Palette von sozialstaatlichen Maßnahmen sicherte den innenpolitischen Frieden. Allerdings wollte Adenauer nie zulassen, dass Erhard mehr als das Amt des Wirtschaftsministers erreichen könnte. Immer wieder erklärte er ihn als ungeeignet für das Amt des Kanzlers, was zu schweren Differenzen zwischen den beiden führte. Letztlich erwies sich aber die Richtigkeit seines Urteils – Erhards Kanzlerschaft war ein Misserfolg.

Erst die Wahlen von 1961 zeigten Abnutzungserscheinungen der regierenden CDU und ihres greisen Kanzlers. Weltpolitisch stand es ebenfalls nicht zum Besten, im August 1961 begann das DDR-Regime mit dem Bau der Berliner Mauer. Adenauer musste eine Koalitionsregierung mit der FDP bilden. Vor seinem Rücktritt schloss er noch den seine Karriere als Außenpolitiker krönenden Vertrag, der zugleich der bedeutendste dieser Nachkriegszeit war: 1963 unterzeichnete er mit Charles de Gaulle den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, der das gute Verhältnis der beiden altgedienten Politiker auf Dauer auf die beiden Staaten ausdehnen sollte.

Nach seinem Rücktritt 1963 blieb Adenauer noch drei Jahre Vorsitzender der CDU. In diesen Jahren kam es öfter zu Angriffen auf ihn – er hätte sich zu wenig der Frage der deutschen Wiedervereinigung gewidmet. Er jedoch hatte dies als eine Aufgabe der Westalliierten erachtet. Die Bundesrepublik Deutschland war unter Adenauers Führung strikt nach der Hallstein-Doktrin vorgegangen, die besagte, dass nur der Westen Deutschlands den Alleinvertretungsanspruch für Deutschland wahrnehmen könne. Versuche der in der Opposition agierenden SPD, Deutschland auf eine neutrale oder bündnisfreie Politik einzuschwören, scheiterten am unerbittlichen Nein des Kanzlers.

Adenauer überzeugte die Menschen durch die Einfachheit und die Klarheit seiner Sprache, er war unprätentiös, bescheiden und diszipliniert. Zweimal verheiratet, blieb er beide Male als Witwer zurück. 1904 hatte er Emma Weyer, eine Tochter aus einer wohlhabenden Kölner Familie, geheiratet, die ihm politisch und gesellschaftlich so manche Wege ebnete. Sie starb 1916, aus dieser Ehe stammten drei Kinder. Aus seiner Ehe mit Auguste Zinsser gingen fünf Kinder hervor.

Im Gedächtnis der Deutschen ist Adenauer der Gründungskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der »Größte« der Nachkriegszeit, der für Parlamentarismus und Grundgesetz stand. Politisch hatte er zu seiner Zeit keinen Widerpart – Kurt Schumacher, in diesen Jahren SPD-Chef, war für Adenauer kein ernsthafter Gegner. Schumachers Sozialismus war ideologisch aufgeladen und aufdringlich, während die Menschen in der Nachkriegszeit Sicherheit, Klarheit und Würde suchten. Sicherlich war Adenauer ein Mann mit Fortune, der in der Politik vernünftige und moralisch vertretbare Lösungen fand. Integration war für ihn ein wichtiger Grundsatz, an dem er auf europäischer Ebene, im Verhältnis zu Frankreich und in der Stellungnahme zur NATO konsequent festhielt. Die Alternative dazu wäre die Neutralität gewesen, doch Adenauers politische Erfahrungen in der »Welt von gestern«, beginnend vom Bündnissystem Bismarcks über die Weimarer Republik und die beiden Weltkriege, lehrten ihn, dass Neutralität nichts oder zu wenig wert sein könnte.

Adenauer kam nicht aus einer mit dem Geschäft der Res publica schon lange verbundenen Familie, vielmehr war er ein Homo novus, ein Newcomer, der durch diese Tatsache anderen Menschen Mut machte, dass man als Einzelner in der Politik etwas zu bewegen vermag. Dass er in seiner politischen Arbeit nicht an Traditionen gebunden war, war auch seine Stärke. Nach seinem Rücktritt widmete er sich nicht nur der Rosenzucht, sondern verfasste auch seine »Erinnerungen«.

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Werke

Erinnerungen (1965-1968) in 4 Bänden

ARTHUR JAMES BALFOUR

Arthur James Balfour, über ein halbes Jahrhundert der mächtigste Mann der britischen Konservativen, wuchs in einer reichen britischen Adelsfamilie heran. Sein Umfeld war intellektuell geprägt, sein tägliches Leben mit Politik durchsetzt. Seine Karriere war schon durch die Tatsache vorgezeichnet, dass bereits sein Onkel Robert Cecil Marquess of Salisbury britischer Premier war. Den Traditionen der Familie entsprechend, absolvierte er Eton und studierte am Trinity College in Cambridge. Nach Abschluss seiner Studien übernahm er ein konservatives Mandat im Parlament für den Wahlbezirk Hartford.

Balfours lebenslanges Interesse galt aber auch der Wissenschaft. Schon 1879 hatte er die Abhandlung »Defence of Philosophic Doubt« veröffentlicht, in der er zu beweisen suchte, dass auch Wissenschaft auf einem Glaubensakt beruhe. Er nahm im philosophischen Diskurs der Viktorianischen Zeit, der sich zwischen Wissenschaft und Religion bewegte, den Standpunkt der Religion ein.

1885 übernahm Balfour unter der Regierung Salisbury sein erstes offizielles Amt als Präsident des Local Government Board, ein Jahr später wurde er Schottland-Minister, anschließend Erster Sekretär für Irland. Als unbedingter Gegner des Irish Home Rule erhielt er den Beinamen »Bloody Balfour«, weil er mitleidlose Unterdrückungsmaßnahmen anordnete. Gleichzeitig befand er sich in offenem Gegensatz zu den englischen Großgrundbesitzern in Irland, die in Abwesenheit, als »absentees«, die Bevölkerung unterdrückten. Balfours Politik bzw. Strategie lautete hingegen »killing home rule by kindness«.

1891 übernahm er die Funktion des Sprechers der Konservativen im House of Commons und wurde zum First Lord of the Treasury bestellt.

Ein Jahr darauf verloren die Konservativen die Mehrheit, das liberale Ministerium von William Gladstone folgte nach. In dieser Phase führte Balfour die Opposition im britischen Parlament.

Ab 1895 bildete Balfours Onkel, der Marquess of Salisbury, zum dritten Mal eine Regierung, der Neffe übernahm das Amt des Lord-Schatzkanzlers. Er war zwar ein Gegner des Burenkrieges, vertrat aber die Ansicht, dass, wenn die Briten schon einen Krieg in Südafrika führten, sie ihn auch entscheidend gewinnen müssten. In diesen Jahren erlangte Balfour immer mehr Macht – parallel zur immer weiter fortschreitenden Krankheit seines Onkels. Daher schien es nur logisch, dass er nach dem Ausscheiden seines Onkels das Amt des Premiers übernahm.

Einer seiner ersten Regierungsakte war die Erlassung des »Balfour Act«, eines Gesetzes, das die Verwaltung der Pflichtschulen völlig reorganisierte. Im folgenden Jahr wurde der »Wyndham Land Purchase Act« beschlossen, eine Regelung, die den Kauf von Land durch Pächter in Irland begünstigte. Mit dem »Committee of Imperial Defense« etablierte er eine weltweit einsetzbare Verteidigungsstrategie für das Empire. Doch keines dieser Gesetze konnte die Zustimmung der Wähler finden. Außerdem gestattete er die Einwanderung von Chinesen als Minenarbeiter in Südafrika, als es dort einen erheblichen Arbeitskräftemangel gab. Auch dies führte zu Protesten von Menschenrechtskämpfern und der Labour Party.

Einen echten Prestigeerfolg errang Balfour mit dem Abschluss der Entente Cordiale mit Frankreich, welche die englische Isolationspolitik beendete und den Kern eines europäischen Bündnissystems bildete. Zugleich wurden die Interessenssphären der beiden Großmächte abgesteckt – Großbritannien wahrte die Vorherrschaft in Ägypten und damit die Kontrolle über den Suezkanal, Frankreich behielt Marokko als sein Einflussgebiet.

1905 trat Balfour wegen parteiinterner Zwiste über den Freihandel zurück, blieb aber bis 1911 offizieller Parteiführer. Den Riss wegen Joseph Chamberlains Schutzzollpolitik konnte er aber nicht zusammenschweißen, was zu Wahlniederlagen der Konservativen 1906 und 1910 führte.

Erst 1915 übernahm Balfour wieder ein offizielles Amt: Im Kriegskabinett von Lord Herbert Henry Asquith wurde er als Nachfolger Winston Churchills Erster Lord der Admiralität, ein Jahr später wechselte er in das Auswärtige Amt. In diesen Kriegsjahren zeigte er sich bereit, Regierungsverantwortung in den beiden liberalen Koalitionskabinetten von Asquith und David Lloyd George zu übernehmen.

Seine herausragende Leistung war die Erkenntnis, dass Großbritannien in Palästina dem Zionismus Raum geben müsste. Von den jüdischen zionistischen Vertretern Chaim Weizmann und Nahum Sokolow gedrängt, erklärte er im November 1917 in einem Brief an Lionel Walter de Rothschild, dem Oberhaupt des britischen Familienzweiges der Rothschilds, dass Großbritannien bereit wäre, den Zionismus zu unterstützen. Damit legte er die Basis für die 30 Jahre später erfolgte Gründung des Staates Israel.

Nach dem Ersten Weltkrieg lastete er sich kein Regierungsamt mehr auf, blieb aber immer politisch aktiv und interessiert. 1926 zeichnete er für den »Balfour-Report« verantwortlich, der das Verhältnis zwischen dem britischen Mutterland und den Dominions neu regelte und die Grundlage für das 1931 erlassene Westminster-Statut wurde, das den Dominions – zum damaligen Zeitpunkt waren dies Australien, Irland, Kanada, Neufundland, Neuseeland und Südafrika – innere Autonomie verlieh.

Zuletzt arbeitete der schon 80-jährige Politiker an der Niederschrift seiner Memoiren, die 1930 unter dem Titel »Chapters of Autobiography« erschienen.

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DAVID BEN GURION

Dem aus dem russischen Ostpolen stammenden David Grün – den Namen Ben Gurion nahm er erst in Palästina an – war die Idee des Zionismus schon seit frühester Jugend vertraut: Sein Vater Avigdor Grün, ein Hebräischlehrer, war begeistertes Mitglied von »Chovevei Zion«, seine Mutter verlor er schon im Alter von elf Jahren. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich mit seinem Jugendfreund Isaak Ben Zwi nach der russischen Revolution von 1905, die auch den Antisemitismus wieder an die Oberfläche geschwemmt hatte, der »Poale Zion«, die von den Ideen Theodor Herzls beeinflusst war, anschloss. Schon als 14-Jähriger hatte er die Ezra Jugendbewegung gegründet, die Hebräisch als Umgangssprache propagierte.

1906 wanderte David Grün nach Palästina aus, wo er als Landarbeiter in Orangenplantagen und Weingärten sein Fortkommen fand. Wie viele seiner Altersgenossen war er oftmals arbeitslos, bittere Armut und Malaria waren die ständigen Begleiter seiner Jugend. In diesen Zeiten wuchs in ihm die Überzeugung, dass die Besiedlung des Landes das Hauptziel des Zionismus sein müsse.

Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Ben Zwi und dessen späterer Ehefrau Rachel Yanait schrieb er für die zionistische Zeitschrift »Ahdut«, wobei er erstmals den Namen Ben Gurion verwendete. In der jüdischen Arbeiterbewegung erreichte er bald eine führende Position.

Nach seiner Teilnahme am Zionistischen Weltkongress in Wien ging David Ben Gurion nach Istanbul, um Jura zu studieren, warb aber auch für ein jüdisches autonomes Gebiet auf dem Territorium des Osmanischen Reiches. Doch als Aktivist der jüdischen Bewegung wurde er verhaftet und des Landes verwiesen. Er ging in die Vereinigten Staaten, wo er nach der Balfour-Deklaration, in der die Briten in einer Kompromisserklärung zustimmten, dass das jüdische Volk in Palästina eine Heimstätte haben sollte, mit Ben Zwi eine Freiwilligenbewegung mit dem Namen »Jüdische Legion« gründete. 1917 heiratete er die aus Russland stammende Paula Munweis, die bis zu seinem Tod seine politischen Aktivitäten teilte.

Erst 1918 durfte er wieder nach Palästina zurückkehren. Er betätigte sich wieder in der Arbeiterbewegung. 1920 gründete er mit Mitstreitern die jüdische Gewerkschaftsbewegung »Histradut«, die Landkauf und Besiedlung durch jüdische Einwanderer forderte. In wenigen Jahren gelang es Ben Gurion, die verschiedenen sozialistischen Gruppen in der zionistischen Arbeiterpartei Mapai zu vereinen.

In konsequenter Verfolgung seiner Ideen organisierte und leitete er die Selbstverwaltung der Jewish Agency, welche die illegale Einwanderung von Juden, vor allem aus Deutschland, organisierte. Im Machtkalkül zwischen der britischen Mandatsmacht, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Einwanderung nach Palästina empfindlich einschränkte, und den arabischen Einwohnern Palästinas versuchte Ben Gurion eine ausgleichende, maßvolle Rolle, die zwischen politischer Vision und der Situation angepasstem Pragmatismus oszillierte, zu spielen. Konsequent in seinen Standpunkten, aber flexibel in der Taktik erreichte er damit ein Maximum, vor allem für die von Nazi-Deutschland verfolgten Juden. Ab 1942 galt daher sein Hauptaugenmerk dem sogenannten Biltmore-Programm, das eine jüdische Masseneinwanderung für die Verfolgten forderte. Zu diesem Zeitpunkt wurde erstmals auch die Gründung eines eigenen jüdischen Staates als Programm öffentlich formuliert.

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging die illegale Masseneinwanderung weiter, die Überlebenden des Holocausts wollten sicher im eigenen Land leben. Wie dramatisch die damalige Situation war, schildert Leon Uris in seinem (auch verfilmten) Buch »Exodus«. In diesen Jahren leitete Ben Gurion im Rahmen der Jewish Agency den Bereich Verteidigung; er kämpfte gegen die britische Mandatsmacht und für die Gründung eines unabhängigen Staates.

Angesichts dieser Lage sahen sich die Briten gezwungen, die Sache den Vereinten Nationen zur Entscheidung vorzulegen, die im November 1947 die Aufteilung Palästinas zwischen Juden und Arabern festlegten.

Am 14. Mai 1948 verkündete Ben Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel. Wenige Stunden später marschierten vier arabische Staaten in Israel ein – Gebot der Stunde war nun die Überleitung der bisher illegalen Verteidigungskräfte in eine reguläre Armee. Der Erhalt des Staates in dieser schwierigen Gründungsphase war sicherlich das Verdienst Ben Gurions. Treffend charakterisiert der Schriftsteller Amos Oz die damalige Rolle des Staatsgründers: »Ben Gurions eiserner Führungswille in diesen eineinhalb schicksalhaften Jahren des Unabhängigkeitskrieges verwandelte ihn vom ›Ersten unter Gleichen‹ in der zionistischen Führung in einen modernen König David.«

Siebenmal übernahm er in den folgenden Jahren die Ministerpräsidentschaft, fünfmal auch das Verteidigungsressort. Ben Gurion ist vor allem die militärische Verteidigungsbereitschaft Israels zu verdanken, die in den lokalen Kämpfen der folgenden Jahre das Überleben des Staates sicherte. Seine konsequent verfolgte Einwanderungspolitik machte es möglich, dass sich die Bevölkerung Israels innerhalb von fünf Jahren ab der Staatsgründung verdoppeln konnte.

Grundsätzlich versöhnungsbereit, schloss Ben Gurion 1952 mit der Bundesrepublik Deutschland ein Wiedergutmachungsabkommen. 1963 trat er als Ministerpräsident zurück, bis 1970 gehörte er dem jüdischen Parlament, der Knesset, an. Im Alter von 84 Jahren zog er sich aus der Politik zurück und lebte im Kibbuz Sde Boker in der Negev-Wüste, wo er seine Memoiren schrieb.

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OTTO VON BISMARCK

Otto von Bismarck, der Schöpfer des Deutschen Kaiserreiches, ist als politische Persönlichkeit nicht mit Schlagworten wie dem »eisernen Kanzler« oder gar mit der Kategorie eines großen Bösewichts zu erfassen. Er war vielmehr ein Mensch der vielfältigen Spannungen und der Widersprüche. Seinem Grundsatz, dass ein Politiker immer mehrere Möglichkeiten vorausplanen müsse, entsprach er völlig. Keineswegs hatte er von Anbeginn seiner politischen Karriere den deutschen Nationalstaat geplant, vielmehr arbeitete er sich von der Ebene Preußens hinauf zum deutschen Nationalstaat. Zweifellos hatte er gerade auf dem Felde der Innenpolitik viele Schwächen, viel zu spät erkannte er, wohin sich im Zeitalter der Industrialisierung die politischen Kräfte und damit die Parteien entwickeln würden. Unbenommen bleiben ihm seine außenpolitischen Leistungen, sein klares Kalkül und die politische Fantasie, die er zur Erreichung eines politischen Zieles entwickelte.

Bismarck stammte aus einer Familie einfacher Landedelleute aus der Altmark, seine Vorfahren waren Gewandschneider, sein Vater Ferdinand war ein bescheidener Mann, seine Mutter Wilhelmine, geborene Mencken, hingegen eine sehr gebildete und ehrgeizige Bürgerliche aus einer Gelehrtenfamilie. Ihr Ziel war es, aus dem Sohn etwas zu machen. Mit dem Vater verband ihn eine liebevolle Beziehung, von der Mutter fühlte er sich ziemlich gegängelt.

Das Jahr seiner Geburt, 1815, in dem der Wiener Kongress die politische Landkarte Europas neu gestaltete, mit dem Wunsch, alles wieder so herzustellen, wie es vor der Französischen Revolution gewesen war, stellte auch eine Zeitenwende dar, die den Aufbruch zu neuen Denkweisen einleitete.

Bismarck besuchte in Berlin das Gymnasium, wo er nie als besonders begabt auffiel. 1832 ging er nach Göttingen, um Jura zu studieren, genoss jedoch mehr das Studentenleben – er gehörte dem Korps Hannovera an -, als sich den Wissenschaften zu widmen. Viele Streiche aus seiner Studentenzeit sind überliefert, viele eher peinliche Vorfälle mit den akademischen Behörden sind dokumentiert. Er selbst schrieb später, dass er ein »liederliches Leben« geführt habe, Interesse für Politik war damals nicht auszumachen.

Bismarck beendete sein Studium in Berlin und ging nach dem Referendarsexamen an Gerichte nach Aachen und Potsdam. Sein damaliges Berufsziel war die diplomatische Laufbahn, denn die Bürokratie konnte er nicht ausstehen. Er konnte sich weder an geregelte Dienstzeiten noch an Autoritäten anpassen. Zum großen Missfallen der Eltern quittierte er 1838 den Staatsdienst, er wollte unter gar keinen Umständen Beamter werden. »Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine«, meinte er später über diesen Entschluss. Bismarck wollte mit Menschen arbeiten und nicht mit Papier. Daher konzentrierte er sich für wenige Jahre auf den Beruf eines Landwirtes, die dafür nötigen Kenntnisse eignete er sich selbst an. In diesen Jahren ging er viel auf Reisen, fuhr nach England, Frankreich und in die Schweiz und führte ein bewegtes Leben, wofür sein Spitzname, der »tolle Bismarck«, Zeugnis ablegt. Er las enorm viel, Literatur, Geschichte, Philosophie waren die Themen, denen sein Interesse galt. Er liebte William Shakespeare und Lord Byron, mit dem Geheimrat Goethe konnte er weniger anfangen. Seine metaphysische Ausrichtung bezeichnete er selbst als »nackten Deismus«. In einem pietistisch angehauchten Freundeskreis lernte er Johanna von Puttkamer kennen, seine spätere Frau. Als in ebendiesem Freundeskreis eine noch junge Frau einer tödlichen Krankheit zum Opfer fiel, wurde er ein überzeugter Christ, ohne jedoch eine engere kirchliche Bindung zu suchen. 1846 hielt er brieflich um Johannas Hand an, ein Jahr später wurde geheiratet. Sie war eine Frau von »seltenem Geist und seltenem Adel der Gesinnung«.

Im Mai 1847 wählte ihn die Ritterschaft in den Vereinigten Preußischen Landtag, in ein Gremium, in dem die Liberalen das Übergewicht hatten. Die Konservativen, denen Bismarck nahestand, die für Krone und Adel eintraten, waren nur schwach vertreten. Bismarck rückte nur als Ersatzmann in diesen Landtag ein. Zuvor war er Deichhauptmann von Schönhausen gewesen, hatte also einer ständischen Vertretung angehört. Seine generelle Gesinnung war ständisch konservativ, er verteidigte etwa die Rechte des Adels zur Parforcejagd und trat für die Beibehaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein. Einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreichte er, als er eine Rede über die Haltung des preußischen Volkes im Jahr 1813 hielt. Er widersprach vehement der These, dass sich das Volk erhoben habe, um eine Verfassung zu erlangen. Zu diesem Thema kam es im Landtag zu wilden Diskussionen. Mit solchen Äußerungen erwarb er sich den Ruf eines radikalen Kämpfers gegen Liberalismus und Verfassung. Gerade in den Jahren der Revolution von 1848/49 hielt er kämpferische Reden, in dieser Wendezeit stand er für Preußentum und Königstreue. Bismarck bekannte sich zu seinem Antisemitismus, er sah, welche konfessionellen Auseinandersetzungen zu gewärtigen waren.

Im Jahr 1849 wurde er Mitglied der zweiten Kammer des preußischen Landtages und beteiligte sich an der Gründung der »Kreuzzeitung«. Er beklagte die Mängel des eigenen Standes und bekämpfte das Frankfurter Parlament. So wollte er keinesfalls eine Kaiserwahl durch die Paulskirche. Russland, das war für ihn damals der richtige Partner.