Himmelstürmer Verlag, part of Production House GmbH

20099 Hamburg, Kirchenweg 12

www.himmelstuermer.de

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Originalausgabe, Oktober 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

Coverfoto: : © C.Schmidt / www.CSArtPhoto.de

Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

Printed in Denmark

ISNB Print 978-3-86361-181-1

ISBN ePub 978-3-86361-182-8

ISBN PDF 978-3-86361-183-5

J. Dankert

Bye, bye, Mauerblümchen

Widmung

Für meine drei Jungs. Ich danke euch und ich liebe euch!

Danksagung

Florian, mein Kollege und guter Freund. Ich danke dir für all die Antworten auf hunderte Fragen und für deine Unterstützung.

Gildo, dem wunderbaren Kellner, der sich trotz vieler Gäste im Eiscafé meinem Manuskript angenommen hat, um ihm den letzten Schliff zu verpassen.

Danke.

Der letzte Schultag

Mann, was geht einem da alles durch den Kopf. Es ist der letzte Schultag. So viele Jahre haben wir uns hier alle gequält … nein, Korrektur, wir wurden gequält. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Lehrer mit seinem Examen auch einen Grundkurs im Schüler-Quälen bekommt. Ob das auch eine Prüfung ist?

Ich stand an der Treppe, beobachtete meine Mitschüler – meine Noch-Mitschüler und überlegte, wie wohl eine Lehrer-quält-Schüler Prüfung aussehen würde. Vielleicht eine Art Rollenspiel, eine praktische Prüfung, wo sich zwei zukünftige Lehrer gegenüber sitzen. Einer mimt den Pauker, der andere den Schüler. Behandelt werden einzelne Bereiche eines alltäglichen Unterrichts: mündliche Aufgaben, Klausuren, zu Spätkommen, quatschen im Unterricht. Ich bin sicher, dass meine Mathelehrerin glanzvoll bestanden hat, oder hätte, vorausgesetzt, es gäbe so eine Prüfung.

Oh, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Jacob Thomas Julian Paul Lorenz, ich bin achtzehn Jahre alt und habe heute meinen letzten Schultag. Okay, das sagte ich bereits. Was ist noch wichtig zu meiner Person? Nun, ich bin mittelgroß, mittelbrünett und laut dem Urteil meiner Schulkameraden … mittelmäßig. Ich bin ein Mauerblümchen, eine graue Maus, ein Loser. Wie immer man es nennen möchte. Solche Typen gibt es überall. Sie verbringen die Pause allein, machen nie den Mund auf, ziehen den Kopf ein, wenns mal lauter wird. Mann, mein Glück ist es, dass ich kein Streber bin. Das wäre mein Untergang gewesen. Im Grunde haben sie mich weitestgehend in Ruhe gelassen. Meistens. Fast immer. Wenn man das so im Ganzen sieht, könnte man meinen, meine Schulzeit wäre schrecklich gewesen. Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine Freundin. Also … sie ist eine Freundin, nicht meine Freundin. Sie ist … meine beste Freundin. Laura Herwig. Es gab mal eine Zeit, da war sie in mich verliebt. Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Sie hat es mir in einem Anfall von Sauforgie mitgeteilt, kurz vor dem Sauf-Koma und dem Sauf-Blackout. Ich habe es zur Kenntnis genommen, aber nie wirklich für voll genommen. Jaja, schon klar. Einige denken jetzt sicher: In seiner Position noch Ansprüche stellen …

Das tue ich nicht. Nein, wirklich nicht. Aber ihr kennt Laura nicht. Sie ist eine wirklich, wirklich … wirklich liebe Freundin, die ich unheimlich gern hab … aber, nun ja, sie sieht nicht gerade vorteilhaft aus. Eine ungebändigte, glanzlose Naturlockenpracht, die ein Sommersprossen übersätes Gesicht in Feuerrot einrahmt. Dazu süße Hasenzähnchen und eine Brille, die Bierflaschenböden Konkurrenz macht. Naja, aber sie ist wirklich nett.

Da stand ich nun, etwas abseits von einer Gruppe Jugendlicher, die es kaum erwarten konnte, endlich ihr Abschlusszeugnis in der Hand zu halten. Im Moment ließen sie ihre Schulzeit Revue passieren. Wie es schien, hatten sie alle zusammen reichlich etwas angestellt. War ich auf der gleichen Schule gewesen? Ich hatte davon nichts mitbekommen.

Schwänzen – negativ

Abschreiben – negativ

Heimlich rauchen – negativ

In der Schule rummachen – negativ

Und das waren noch die harmlosen Dinge, die sie aufzählten.

Howard Zubien, ein großer, dunkelblonder Kleiderschrank – wobei nicht genau raus war, ob es Fett oder Muskelmasse war, entdeckte, dass ich ihnen zuhörte. Nun muss ich noch eines sagen. Als ich heute morgen die Augen aufgeschlagen hatte und mir bewusst geworden war, dass dies der letzte Schultag war, hatte ich beschlossen, mein Mauerblümchendasein an den Nagel zu hängen und denen zu zeigen, dass ich durchaus … leben konnte. Nun, ich hoffte es jedenfalls.

Howard musterte mich abfällig. „Uhh … schaut mal, Jakey will mitreden!“ Er kam auf mich zu und legte seinen Arm um mich. „Was hast du denn so angestellt?“, fragte er zuckersüß. „Eselsohren in dein Buch geknickt? Schlimm, schlimm.“ Gelächter kam auf, welches ich langsam und lächelnd nickend quittierte.

„Jaah, das auch“, antwortete ich, „und ich habe beobachtet, wie deine Freundin es sich von Frankmann besorgen lässt. Weißt du, im Grunde ist es mir ja egal, aber es sah geil aus.“ Kurz überlegte ich, ob es erbärmlich in den Ohren der anderen klang, wenn ich, statt selbst Sex zu haben, anderen dabei zusah. „Ich bin ein Spanner. Das ist meine Jugendsünde. Ich gebs zu“, setzte ich lapidar hinterher und zuckte mit den Schultern.

Howard starrte mich an, dann glitt sein Blick zu Ralf Frankmann, der abwehrend die Hände hob. „Wir unterhalten uns später, Drecksack!“

Ich lächelte und ging zwei Stufen nach oben. „Hey Zubien, tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber sie treibts auch mit anderen. Und da ich sie heute schon gesehen habe und sie nicht hier ist … versuchs mal auf dem Dachboden. Oh … Spanner und Petze … Mann, wird Zeit, dass die Schule endet. Die bekommt mir nicht.“

Nun musste ich regelrecht kichern. Ach, das Leben konnte echt schön sein. Ich wusste, dass ich mir von Zubien definitiv eine eingefangen hätte … wenn es nicht der letzte Schultag gewesen wäre und wenn er nicht so perplex dastehen und mich anstarren würde. Himmel, da sah ja ein Glubschfisch intelligenter aus.

Okay, das war meine erste Tat zum Thema Ade Mauerblümchen. Meine zweite Tat war es, in einer kleinen Wasserpfütze auszurutschen. Klassischer Kack. Ich sah mich um, doch es waren nur wenig Schüler auf dem Flur, die mich nun feixend auslachten. Glück gehabt. Ich ging die Schulflure entlang und wurde mir bewusst, dass es das letzte Mal sein sollte. Und wieder überlegte ich, ob es hier irgendetwas gab, was ich in Erinnerung behalten würde. Verdammt, nichts. Meine Schulzeit ist an mir vorbeigeflogen, während ich in meinem Schneckenhaus gesessen und aufs Ende gewartet habe. Hatte ich vielleicht deswegen so viel verpasst? Ich war immerhin schon achtzehn und komplett unschuldig … in allem. Ich hatte nie geraucht, hatte nie geschwänzt, nie gespickt … Himmel, ich hatte noch nicht mal geküsst, von Sex ganz zu schweigen. Ich war eine schulische Jungfrau. Mit dieser Erkenntnis hatte ich nicht gerechnet. Wer machte sich schon groß Gedanken darum? Ich war echt geplättet.

„Jake! Hey, warte mal.“ Laura lief mir hinterher. „Was ist los? Du scheinst mit deinen Gedanken Kilometer weit weg zu sein.“

Ich legte den Kopf schief, sah sie grübelnd an. „Nein, nicht so weit. Mir ist nur gerade etwas bewusst geworden.“

„Und was?“

Ich überlegte, ob ich es Laura unbedingt auf die Nase binden wollte. „Ach, naja … nur, dass meine Schulzeit ziemlich langweilig gewesen ist. Mehr nicht“, wich ich schließlich aus.

„Na komm, so langweilig war sie nicht.“

„Ach ja?“ Ich hob fragend die Augenbrauen. „Dann zähl doch mal meine Schandtaten auf.“ Abwartend und mit verschränkten Armen sah ich sie an.

„Du hast … also … warte, damals … ich hab gleich was …“ Ohne weiter auf mich zu achten, lief sie los, plapperte weiter vor sich hin.

„Jap, genau so seh ich das auch.“ Ich musste grinsen. Manchmal war sie einfach süß in ihrer Art.

Im Klassenraum setzte ich mich auf meinen Platz und stützte den Kopf auf die Hände.

„Ich weiß was!“ Laura strahlte mich triumphierend an.

„Na?“

„In der zweiten Klasse hast du Kreide geklaut und damit haben wir die Gehwege in unserer Straße bemalt.“

Gelangweilt machte ich nur „Wuff“ und seufzte. „Es gibt nichts zu beschönigen, Laura. Ich bin eine Trantüte.“

Nun seufzte auch sie. „Das ist Mist“, flüsterte sie, denn Mr. Lambert kam herein.

„Warum?“, gab ich genauso laut zurück.

„Weil ich dann auch eine bin. Daran müssen wir schleunigst etwas ändern.“

Lachend hob ich die Augenbrauen, sah verzeihungsheischend zu meinem Lehrer und senkte den Blick. „Dann fang mal an. Du hast noch etwa eine Dreiviertel Stunde, dann ist die Schulzeit vorbei.“

„Nun brauchen wir auch nicht mehr anfangen“, maulte sie.

Das amüsierte mich. Ich fragte mich, wie der Sommer werden würde. Immerhin hatte ich noch sechs Wochen Freizeit, bis ich meine wahnsinnig interessante Lehrstelle im Büro beginnen würde. An meinem langweiligen Leben musste dringend etwas geändert werden und das hieße, dass ich all die Dinge nachholen müsste, die ich in der Schule verpasst hatte. Okay, das Rauchen nicht, denn ich hasste Zigarettenqualm. Und schwänzen, und Abschreiben fiel auch weg … den Sommer konnte ich nicht schwänzen. Verdammt, was blieb denn dann? Sex! Stimmt, der fehlte auch noch. Ich nahm mir vor, bis zum Ende des Sommers keine Jungfrau mehr zu sein.

Kurze Zeit später standen Laura und ich auf dem leeren Schulhof. Die anderen Schüler hatten es plötzlich und das erste Mal in ihrer Schulzeit verdammt eilig gehabt, hier wegzukommen. Sonst hatten sie noch ewig auf dem Parkplatz herumgelungert, um Zeit tot zu schlagen.

„Es ist ein seltsames Gefühl, wenn eine Epoche hinter dir liegt“, sinnierte ich.

„Epoche? Mann, du bist heute sehr theatralisch, mein Freund“, lachte Laura.

„Jaah! Weils eine Epoche war.“

„Sicher?“

„Jap, denn eine Epoche ist ein Zeitalter … ein längerer geschichtlicher Abschnitt mit grundlegenden Gemeinsamkeiten. Hey, ich hab mir ja doch was gemerkt. Gruselig, lass uns gehen.“ Ich verzog das Gesicht und verließ den Schulhof. Doch am Tor blieb ich stehen. „Wahnsinn. Ist dir klar, dass wir das heute das letzte Mal machen?“

„Was?“

„Na durch dieses Tor gehen. Und das nennst du unwichtig. Das ist superwichtig!“

Laura gab mir einen Schubs, so dass ich nach vorn stolperte … über die magische Grenze. „Na vielen Dank. Ich wollte das genießen.“

Laura lachte mich regelrecht aus, also straffte ich die Schultern, nickte und lief los.

Ade Schule, ade alte Epoche – sei gegrüßt, neue Epoche!

Beginn einer neuen Epoche

Drei Tage waren die Sommerferien jetzt alt und ich lag dösend auf meinem Bett. Grübelnd, was ich mit mir, meiner neu geborenen Langeweile und dieser neuen Epoche meines Lebens anfangen sollte, starrte ich an die Zimmerdecke und seufzte in einer Tour. Konnte ein einzelner Mensch so viel seufzen? Hatte ich jemals so viel geseufzt? Warum machen Menschen überhaupt diese völlig dämlichen Laute? Fragen über Fragen.

Okay, ich ging gedanklich zurück zu meinem letzten Schultag. Immerhin hatte ich mir ja vorgenommen, kein Loser mehr zu sein. Aber wie konnte ich das ändern? Ich sah an meinem Körper hinunter. Tennissocken in jungfräulichem Weiß, eine langweilige blaue Jeans und ein ziemlich weites, blaues langweiliges T-Shirt. Alles in allem … langweilig. Okay, daran konnte ich doch bestimmt etwas ändern. Schnell stand ich auf, öffnete meinen Kleiderschrank und seufzte. Da war es wieder … dieses vollkommen sinnfreie Geräusch. Ich zuckte mit den Schultern, inspizierte meinen Kleiderschrank und schüttelte frustriert den Kopf.

„Blau … blau … blau … blaue Jeans, blaues Shirt, blauer Pullover … oh Wahnsinn … ein grüner Pullover. Ich bekomm gleich nen Jubelanfall …“ Ich knallte die Schranktüren zu, so laut, dass gleich meine liebe Mutter auf der Matte stand.

„Mum, ich habe nichts anzuziehen.“

Sie musterte mich von oben bis unten. „Du bist aber auch nicht nackt.“

„Aber so gut wie. Mum, da ist nur Schrott drin.“ Ausladend wedelte ich mit der Hand zum Kleiderschrank und ließ mich theatralisch aufs Bett fallen.

„Das ist doch Quatsch.“ Sie öffnete nun frech die Türen und zog ein Shirt heraus. „Schau mal, das ist doch nett.“

Ich hob den Kopf, mitsamt der linken Augenbraue und sank zurück. „Das Shirt hatte ich schon mit dreizehn an. Jetzt bin ich achtzehn. Da ist ein Rennauto drauf. Super!“

„So lange hast du das schon? Na, das sieht aber noch gut aus.“

Innerlich verdrehte ich die Augen. Klar sah das Ding gut aus, ich erlebte ja auch nichts.

„Und was ist mit dem Pullover?“

Nun setzte ich mich auf, musterte den schlichten, eigentlich etwas zu großen, dunkelblauen Pullover. „Nichts … der ist … hässlich und … blöd.“ Nun reagierte ich trotzig. Eine meiner weniger netten Eigenschaften.

Mum interessierte das nicht. „Ich könnte dir ja was draufbügeln. Dann ist er nicht mehr hässlich.“

„Sag mal, weißt du noch, vor wie vielen Jahren du mich geworfen hast?“, fragte ich genervt. „Das waren nicht sechs oder zehn … das waren achtzehn, Mum. Achtzehn Jahre. So alt bin ich nämlich. Ach was red ich. Fast neunzehn. Was willst du da raufbügeln? Tweety? Oder nackte Frauen?“

Kurz runzelte meine Mutter die Stirn. „Oh, also … nackte Frauen müssen nicht sein. Ich hatte mehr an … also … Fußball. Du bist doch ein Junge. Ist Fußball nicht was?“

Ich gabs auf. Meine Mum würde in meiner neuen Epoche nicht allzu viel Platz haben. Sie lebte noch in meiner Kleinkindepoche. „Mum, könnte ich mein Geburtstagsgeld nicht jetzt schon haben? Sind ja nur noch drei Wochen. Dann könnte ich shoppen gehen.“

„Shoppen? Du meinst Einkaufen? Was willst du denn kaufen?“

„Mum …“ So langsam war ich echt verzweifelt. „Worüber, zum Teufel, reden wir die ganze Zeit?“

„Mäßige deinen Ton, Kind.“

Ich blies die Wangen auf, biss mir auf die Unterlippe und atmete tief durch. „Ich möchte mir gern ein paar neue Klamotten kaufen. Würdest du mir mein Geld jetzt schon geben?“, fragte ich übertrieben lächelnd.

„Ich weiß nicht … ich rede mit deinem Vater.“ Damit legte sie die Sachen wieder ordentlich zusammen und in meinen Schrank.

Ein letzter Blick in diesen und es war klar, dass die Sozialstation demnächst eine Kleiderspende aus dem Hause Lorenz bekommen würde. Ich lief die Treppe hinunter zu meinem Großvater, setzte mich ihm gegenüber und sah einen Moment zu, wie er mit akribischer Sorgfalt seine Münzen polierte.

„Die hier, mein Junge, habe ich aus dem ersten Weltkrieg mitgebracht … das ist eine spanische Münze“, erklärte er voller Enthusiasmus.

Ich sank mit der Stirn auf den Tisch. „Großvater, als der erste Weltkrieg tobte, warst du noch ein Kind und Spanien war gar nicht dabei und die Münze ist aus England“, seufzte ich.

„Bist du sicher?“ Mein Großvater runzelte die Stirn.

„Jap, bin ich. Sag mal, wo ist Großmutter?“

„Ich glaube, sie ist Mittag kochen.“ Er besah sich nun die Münze genauer, war wieder vollkommen in seiner eigenen, kleinen, meist ausgedachten Welt vertieft.

„Großmutter? Hi.“

„Jake, mein Junge. Na, wie sind die Ferien?“

„Ganz gut … naja, ich hab drei Tage auf dem Bett gelegen. Großmutter, ich brauche dringend neue Klamotten und ...“

„Neue Klamotten? Kannst du nicht ordentlich reden?“, unterbrach sie mich.

Manchmal ging mir meine liebe Familie gehörig auf den Sender. „Entschuldige bitte. Ich brauche neue Kleidung. Hosen, Pullover … alles irgendwie.“

„Verstehe. Was ist denn mit deinen Hosen und Pullovern, die du hast?“

„Na ja, die sind nicht mehr wirklich … schön. Die habe ich seit drei Jahren oder länger.“

Sie zupfte an ihrer Kittelschürze. „Die habe ich seit fünfzehn Jahren. Und sie ist tadellos. Ich kaufe mir auch nicht einfach eine neue, nur weil mir die Farbe vielleicht nicht mehr gefällt“, rügte sie mich.

Wieder atmete ich tief durch. „Großmutter, ich bin aber nicht du und ich bin achtzehn und … Mann, ich will doch einfach nur neue Klamotten haben!“ Ich wusste, dass ich so niemals an Geld kommen würde, aber meine Familie regte mich einfach auf. „Siehst du eine Möglichkeit, mir mein Geburtstagsgeld drei Wochen früher zu geben?“, fragte ich jetzt wieder ganz höflich.

Sie musterte mich. „Ich werde bis heute Abend darüber nachdenken und mich mit deinen Eltern beratschlagen.“ Für sie war das Gespräch beendet.

Ich lächelte verkniffen, verließ die Küche und blieb neben meinem Großvater stehen. „Wie hast du das vierzig Jahre ausgehalten?“

„Jake! Schau, die hab ich ...“

„Ja, ich weiß, die ist aus Angola und du hast sie zur Jahrhundertwende gefunden.“

„Nein, ich war niemals in Angola. Aber ...“

„Großvater, manchmal bist du echt süß.“ Ich lief die Treppe wieder nach oben in mein Zimmer und warf mich wieder aufs Bett. Blicklos starrte ich an die Decke, überlegte, welche Klamotten ich mir kaufen würde. Hatte ich überhaupt Ahnung davon? Jeans … klar. Was sonst? Shirts … vielleicht mal ein Hemd? Das müsste Mum dann bügeln. Oh Freude. Ich stellte fest, dass meine Vorstellungskraft, was Mann so tragen konnte, ziemlich gering war. Also geringer als gering. Aber wen sollte ich fragen? Laura? Nein, die Süße war nett, wirklich, aber sie hatte von Klamotten noch weniger Ahnung als ich.

Langsam, stand ich auf, zog mir das Shirt über den Kopf und betrachtete mich im Spiegel. Ich war nicht mal hässlich … oh, hab ich überhaupt schon gesagt, wie ich aussehe? Entschuldigt. Also ich bin knapp einen Meter achtzig groß, und schlank. Ich habe braune Augen und hellbraunes Haar. Ich hasse meine Frisur. Meine Haare sind ziemlich dick, was es nicht leicht macht, etwas damit anzustellen. Sie sind glanzlos und stumpf, aber kurz. Tja, was noch? Oh, ich bin ziemlich muskulös. Warum, weiß ich auch nicht. Wenn ich mir meinen Oberkörper so ansehe, stelle ich fest, dass ich gar nicht so hässlich bin. Aber was soll ich mit mir anstellen? Ich legte den Kopf schief und seufzte. Ich war absolut einfallslos. Leider bestand meine Familie aus meiner Mutter, die von Styling keine Ahnung hatte, aus meinem Vater, der Tag für Tag in Schlabberjeans und Pullunder rumlief, meinem Großvater, der … okay, der fällt ohnehin weg, und meiner Großmutter, bei der ich nicht wusste, ob sie mich in eine Kittelschürze stecken wollte. Ich hatte keine Geschwister, keine Tanten oder Onkel, die mir helfen könnten. Also musste ich das irgendwie allein durchstehen. Hab ich Angst? Nein, ich glaub nicht.

Okay, fassen wir zusammen. Ich brauchte neue Klamotten, eine neue Frisur – irgendwie ein komplett neues Styling.

Ich stand vor meinem Spiegel … und stand … und stand und rührte mich nicht. Es war ein großer Schritt. Umstylen hieß nicht nur, sich mal eben ein paar Haare abschnippeln zu lassen, oder in eine neue Hose zu schlüpfen. Es hieß vor allem, sich einem neuen Lebensgefühl hinzugeben.

Ich drehte mich, zog meine Hose hinunter und betrachtete meinen Hintern. Klein und fest. Ja, der konnte sich sehen lassen. Und wo ich schon mal dabei war, mich genauer zu betrachten – das tat ich nicht allzu oft und auch nicht wirklich so genau - drehte ich mich um, zog meine weiße Baumwollunterhose auch noch hinunter, um ihn zu betrachten. Oh, Memo an mich selbst: Mit dieser Unterwäsche bist du in zwei Jahren noch Jungfrau! Ich hatte nicht wenig in der Hose … glaubte ich. Ich hatte keine Vergleichsmöglichkeiten. In der Schule bin ich immer erst duschen gegangen, wenn alle anderen raus waren.

Ich rümpfte die Nase, bei all den Schamhaaren und nahm mir vor, mir nicht nur oben eine neue Frisur anzuschaffen. Kahlschlag … ja, das wäre ne Idee. Ich zog mich wieder an, schnappte mir mein Portemonnaie und verließ das Haus, um Einwegrasierer zu kaufen. Ich würde nämlich genau da anfangen. Da unten.

Wie rasiert man sich am besten?

Ich war nicht lange unterwegs, nur ein paar Minuten. Die Drogerie lag gleich in meiner Straße. Im Nachhinein dachte ich mir: Wärst du mal woanders hingegangen. Es war ein wunderbares Gefühl, der alteingesessenen Verkäuferin, die meiner Mum vermutlich schon bei der Wahl meiner ersten Windel geholfen hat, zuzusehen, wie sie die Einwegrasierer in die Kasse eingab.

„Na, soweit ist es schon? Kommt schon der erste Bartwuchs, mein Junge?“, säuselte sie. So laut, dass es auch der alte Mann in Gang zehn gehört hatte.

Zu meiner neuen Epoche zählte auch, dass ich mich nicht mehr überall versteckte. Also lächelte ich frech – ich hoffte, dass es frech war und nicht unhöflich – und sagte: „Aber nein, Frau Summer, ich will mir den Sack rasieren. Meinen Sie, die Klingen funktionieren?“ Ich verfluchte meine roten Wangen, zeugten sie doch nicht gerade von jugendlicher Coolness. Zumindest schnappte Frau Summer nach Luft, gab mir in Windeseile mein Wechselgeld zurück und ich wusste, dass ich meiner Mum bald die Gründe meiner Intimrasur erläutern müsste.

Ich hatte nie viel auf mein Aussehen gegeben, wie man heute erkennen konnte, aber als ich fünfzehn war, hatte ich mit Stolz in der Badewanne meine knapp zehn Brusthaare betrachtet. Ich fand es toll. Zeigten sie mir doch, dass ich definitiv kein Kind mehr war. Ich war ein Jugendlicher mit zehn Brusthaaren. Meine Mum – ganz klassisch – kam herein, während ich in der Wanne saß und sagte mir, ich wäre noch zu jung für Brustbehaarung. Ich war perplex gewesen. Nicht nur, dass ich splitternackt im Badewasser saß und meine Mum mich so sah … nein, sie kritisierte meine zehn Brusthaare. Und außerdem, was hätte ich denn tun sollen? Ihnen sagen: Sorry Jungs, kommt in zehn Jahren nochmal, ich bin zu jung für euch!? Wohl kaum. Ich hatte meiner lieben Mum flapsig geantwortet, dass es meine Haare waren und das blieben sie auch. Heute waren es mehr als zehn … knapp dreißig würde ich sagen. Und ich wusste, dass sie meinen neuen Einwegrasierern zum Opfer fallen würden.

Ich hatte die Drogerie schnell verlassen und war nach Hause geeilt. Tja, wie rasierte man sich am Besten? Mit Rasierschaum? Sollte ich den von Dad benutzen? Mist, ich hätte mir welchen kaufen sollen. Schnell ging ich ins Bad und schloss die Tür. Mit grübelnder Miene betrachtete ich die Sprühdose Rasierschaum. Nach einer gefühlten halben Stunde stellte ich die Dose ins Regal zurück und ließ Badewasser ein.

„Jake, Liebling?“, rief meine Mum.

„Ich bin im Badezimmer!“

Wie so oft, riss sie einfach die Tür auf, scherte sich nicht darum, dass ich erwachsen war und nackt sein könnte, was ich zum Glück noch nicht war. „Was machst du hier?“

„Baden.“

„Um diese Zeit?“ Sie starrte zwischen der Badewanne und mir hin und her.

Ich runzelte die Stirn. „Jaah … gibt’s für so was Sperrzeiten?“

„Nein, aber es ist erst Mittag. Das Essen ist gleich fertig.“

Nun seufzte ich. „Mum, ich hab keinen Hunger. Ich habe doch vor zwei Stunden erst Frühstück gegessen.“

„Das kommt davon, wenn man so spät aufsteht. Ich erwarte dich in zehn Minuten am Mittagstisch.“ Sie wollte das Bad verlassen, doch ich hielt sie fest.

„Mum!“ Ich atmete noch einmal tief durch. „Lass mich bitte allein entscheiden, wann ich esse, okay?“

Sie funkelte mich aus ihren grauen Augen an, nickte dann und schüttelte den Kopf. „Komm aber nicht in zwei Stunden an und erzähle mir, dass du Hunger hast.“

Frustriert verdrehte ich die Augen. „Ich schaffs gerade noch so, mir ein Brot allein zu machen, keine Panik. Ich wäre dann gern allein, wenn es okay ist. Oh und, Mum, gewöhne dir endlich an, anzuklopfen. Ich bin keine sechs mehr!“

„Verheimlichst du mir etwas?“

„Nein! Ich möchte nur etwas mehr Privatsphäre, wenns recht ist.“

„Jake, ich bin deine Mutter. Wenn jemand deinen Körper kennt, dann bin ich es“, erwiderte sie beleidigt.

Ich zählte gedanklich bis zehn. „Mag sein, aber ich hätte dennoch gern Privatsphäre.“

Murrend und schimpfend verließ meine Mutter das Badezimmer, und ich wusste, dass sie das jetzt mit Großmutter am Mittagstisch ausdiskutieren würde. Mir war es egal. Ich schloss die Tür, legte mir zwei Rasierer auf den Badewannenrand und zog mich komplett aus. Dann schaute ich an mir hinunter. Brust rasieren … jap. Unterhalb des Bauchnabels … hm … nein, das fand ich schön. Um meinen Penis herum … ein definitives Ja! Beine … oh Mann, das war aber reichlich Haar. Ich legte einen dritten Rasierer bereit. Dann hob ich die Arme, betrachtete meine Achseln. Auch das würde weichen müssen.

Als das Wasser fertig war, setzte ich mich auf den breiten Wannenrand am Kopfteil und schnappte mir die Duschgelflasche. Bei all den Haaren wäre Dads Rasierschaum leer, das war zu auffällig. Noch einmal begutachtete ich den ersten Rasierer, hoffte, nicht Mums Badezimmer vollzubluten, weil ich mich vielleicht zu dämlich anstellte und seifte meine Brust ein. Das waren die einzigen Haare, die ich mit Wehmut gehen ließ. Sie waren es, die mir damals gezeigt hatten, dass ich kein kleiner Junge mehr war. Ich setzte den Rasierer an und nach nicht mal einer Minute war meine Brust haarlos. Ich strich mit der Hand über die Haut, lächelte zufrieden und rasierte meine Achseln. Das war schon weit komplizierter. Das Haar war dichter und länger. Stellte ich mich vielleicht zu blöd an? Ich war hartnäckig und kurze Zeit später war auch meine Achselbehaarung Geschichte. Zumindest für den Moment und ich hoffte, diese Prozedur nicht jeden Tag machen zu müssen. Das Nachrasieren würde hoffentlich schneller gehen.

So, was noch? Die Beine. Das Zentrum meines Körpers hob ich mir für den Schluss auf. Ich musste gestehen, ich war etwas panisch. Ich sah meinen Penis schon abrasiert im Badewasser schwimmen, neben all den Haaren, die meiner neuen Epoche zum Opfer gefallen waren. Das Beine rasieren erwies sich als ein Geduldsakt unnatürlichen Ausmaßes. Die Knöchelpartien waren der Horror, die Knie ebenfalls und bei den Oberschenkeln zeigte sich, dass langes Sitzen auf dem Badewannenrand, den Hintern einschlafen und die Beine zittern ließ. Ich stand auf, wartete, bis das Kribbeln im Hintern nachließ und setzte mich wieder. Mit ruhigen Fingern nahm ich die Arbeit wieder auf, entfernte Haare, wusch den Rasierer aus, wechselte zwischen dem linken und rechten Bein zum neuen Rasierer und bestaunte zwischendurch immer wieder meine Arbeit. Das Badewasser war mittlerweile kalt und mein rechtes Bein erst halb fertig. Ein kleiner Schnitt am Knie blutete ins Wasser, doch das interessierte mich im Moment nicht. Akribisch führte ich meine Arbeit fort, als es an der Tür übertrieben deutlich klopfte.

„Jake, ich würde gern auf die Toilette“, sagte meine Mutter. „Bedecke also kurz deine Intimzonen.“

Ich zeigte der Tür bei diesen ironischen Worten meinen Mittelfinger und sah mich um. Links neben mir lag der benutzte Rasierer, rechts der unbenutzte, den Dritten hielt ich in der Hand. Mein Blick glitt zum Haarbedeckten Badewasser. Kein netter Anblick, meine Mutter würde auf der Stelle umfallen. „Kannst du nicht unten gehen?“, rief ich zurück.

„Also, nun mach dich nicht lächerlich. Ich komme jetzt rein.“

Es war ein Reflex von wenigen Nanosekunden. Ich riss den Duschvorhang zu und glitt ins Wasser. Angewidert von der Kälte und den vielen Haaren verzog ich das Gesicht und würgte gespielt und lautlos. Das war ja wohl abartig.

Mum kam rein, setzte sich auf die Klobrille und ich stopfte mir die Finger in die Ohren. Himmel, wie schräg war das bitte? Ich saß zwischen all meinen dunklen Haaren nackt im eiskalten Wasser mit nur eineinhalb rasierten Beinen und hörte zu, wie meine Mutter pinkelte. Bitte, lieber Gott, lass mich taub werden … überall.

„Das Wasser muss doch schon kalt sein“, setzte sie auch noch zum Smalltalk an.

„Hm …“, brummte ich nur. War meine Mutter ein Kamel? Wie konnte ein einzelner Mensch so lange pinkeln?!

Endlich war sie fertig, spülte, wusch sich die Hände und als ich ihre Finger am Duschvorhang entdeckte, knurrte ich. „Mum!“

„Oh verzeih mir, Kind. Ich werde dir schon nichts abschauen. Bist du bald fertig?“

„Wieso? Muss Dad auch noch aufs Klo?“

„Nein, ich frage nur.“

Ich verdrehte die Augen. „Ja Mum, ich bin bald fertig.“ Erleichtert hörte ich, wie die Badezimmertür zuging und lugte hinter dem Vorhang hervor. „Na endlich!“ Schnell war der Vorhang wieder weg, ich setzte mich wieder auf den Wannenrand und beendete meine Arbeit am rechten Bein. Irgendwie war das alles ganz schön eklig. Und vor allem, wie sollte ich mich da unten rasieren? Ich zog den Stöpsel und sah zu, wie das ablaufende Wasser der Badewanne eine nette Schamhaardekoration verpasste. Innerlich schüttelte ich mich, schnappte mir die Dusche und spülte alles weg, wusch mich selbst auch und war von meinen haarlosen Beinen ganz begeistert. Nachdem die Badewanne und ich selbst auch haarfrei waren, setzte ich mich nun auf die lange Seite der Wanne, schnappte mir den dritten Rasierer und schäumte meine Hoden mehr als großzügig ein. Dann saß ich da. Es war eine Sache, sich in die Knöchel oder ins Knie zu schneiden, aber ein Schnitt am Sack war unschön und vermutlich noch schmerzhafter.

Ich rasierte erst die Partie über dem Penis, dann am Schaft entlang und als ich den Rasierer das erste Mal auf die weiche Haut des Hodens aufsetzte, atmete ich tief durch und fing an. Wieder Erwarten war es einfacher als gedacht. Immer wieder kontrollierte ich mit den Fingern, beugte mich weit nach unten, um besser sehen zu können und rutschte schlussendlich ungalant in die Wanne. „Fuck!“, fluchte ich laut, rappelte mich wieder auf und stellte mich hin. Mit den Fingern überprüfte ich meine Ganzkörperarbeit, duschte und säuberte die Wanne nun endgültig. Die Rasierer würde ich gleich draußen in die Mülltonne werfen. Sicher war sicher.

Dann sah ich mich um. Die Haut war gereizt, also musste ich mich eincremen. Memo an mich selbst: Eigene Bodylotion kaufen.

Nachdem ich fertig war, steckte ich den Kopf aus dem Badezimmer, überprüfte die Lage und huschte mit einem Handtuch um die Hüften ins Zimmer zurück.

Neues Hobby – Haare Waschen bei Robin

Am späten Nachmittag saß ich mit meinem Buch im Garten, als meine Mutter samt Großmutter im Schlepptau auf mich zugestürmt kam.

„Jacob Lorenz!“

Ich runzelte die Stirn, hob langsam den Blick vom Buch und zuckte leicht zusammen, als die beiden Familienfurien sich vor mir aufgebaut hatten. „Was ist?“

„Was ist? Was ist?“, steigerte sich Mum in einen nervenden Singsang. „Was ist? Ich war gerade in der Drogerie und ...“

„Du hast dir Rasierer gekauft?“, fiel ihr Großmutter ins Wort.

Ich ertappte mich für einen kleinen Moment dabei, wie ich schuldbewusst den Kopf senken wollte, doch ich schluckte kurz, hob die rechte Augenbraue und nickte. „Ja, was ist daran so verwerflich? Das sind keine Drogen.“

„Nicht in diesem flapsigen Ton, mein Freund.“ Großmutter hatte sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter dreiundsechzig aufgebaut und funkelte mich wild an.

Sie war mir unheimlich, aber dennoch blieb ich standhaft. „Was denn? Darf ich mir keine Rasierer kaufen?“

„Wofür waren die?“, fragte meine Mutter.

„Zum Rasieren!“, erklärte ich strahlend. War ich im falschen Film?

„Jacob, ich warne dich. Ich habe mit Frau Summer gesprochen.“

Ach verdammt, da war ja was. Die wunderbare Frau Summer, der ich strahlend auf die Nase gebunden hatte, dass ich mir mit den Dingern den Sack rasieren wollte.

„Jaah …“, sagte ich deswegen nur halbherzig.

„Sie sagte, dass du … dass du … ich kann es nicht aussprechen.“

Belustigt biss ich mir auf die Unterlippe. „Ich habe meinen Körper von all dem lästigen Haar befreit, und nein, Mum. Ich werde es dir nicht zeigen“, nahm ich ihr gleich den Wind aus den Segeln.

„Soll das heißen, dass du dir vorhin da … da unten … rum … gespielt hast, während ich auf der Toilette war?“ Sie kreischte es beinahe und ich schüttelte seufzend den Kopf.

„Ich hab dir gesagt, dass du unten pinkeln sollst.“

„Ich kann nicht glauben, dass ich von einer Fremden erfahren muss, was du tust.“ Sie steigerte sich immer weiter in ihre … Wut? Frust? Zorn? War sie sauer, weil ich sie das nicht hab machen lassen?

„Mum, es ist egal. Frau Summer ist mir egal. Es ist doch mein Körper und wenn ich mich …“ Geiler Gedanke. So genial, dass ich kurz stockte.

„Und wenn du dich was?“, fragte meine Großmutter drohend. Sagte ich schon, dass Großmutter Mums Mutter war? Sie gingen gerade in Fleisch und Blut über, und wäre das ganze ein Science Fiction Roman, würden sie sich jetzt zu einer großen, übermächtigen Bestie vereinen.

„Und wenn ich mich tätowieren lasse, ist das auch meine Sache!“, erklärte ich übermütig.

Großmutter schnappte nach Luft, Mum sank theatralisch auf den Stuhl neben mir. Um das ganze Elend noch zu unterstreichen, packte sie sich schwer an ihr Herz.

„Das ist nicht wahr, oder?“

„Was? Das Tattoo? Ich habs nicht getan, aber ich würde … ich könnte … wenn ich wollte.“ Und Hölle jaaah, ich wollte!

„Das verbiete ich dir!“

Ich sah zu Großmutter auf. „Du kannst es mir nicht verbieten. Du bist nicht meine Mutter und … ich bin volljährig. Das ist nicht eure Entscheidung. Mann, worum geht’s hier eigentlich? Darf ich nicht erwachsen werden? Habt ihr Angst, dass ich demnächst mit knallrotem Iro und zwanzig Piercing im Gesicht rumlaufe?“

„Na viel fehlt ja nicht mehr!“, plusterte sich Großmutter auf und ich schüttelte den Kopf.

„Das wird nicht passieren. Nur weil ich mir die Beine rasiere, werde ich nicht zum … was weiß ich.“

„Du hast dir die Beine rasiert? Warum?“, fragte Mum in heller Aufregung.

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weil es cooler aussieht. Solltest du auch ausprobieren. Schließlich trägst du die Röcke. Wobei … Dad würde es vermutlich nicht mal bemerken. Du könntest dir ne Glatze verpassen, und er würde es nicht bemerken.“

„Sprich nicht so von deinem Vater!“, rügte Großmutter mich wieder.

„Was soll ich denn eurer Meinung nach tun?“

„Na …“ Mum rang hart um ihre Fassung, „dich nicht rasieren! Ich weiß einfach nicht, was ich noch mit dir machen soll.“

Ich war wirklich irritiert. War ich jetzt mit rasierten Beinen zum Kleingangster geworden? Wenn es so war, täte es mir wirklich leid. Ich zuckte also mit den Schultern.