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Kapitel 20 - Der Sieg der Schwarzen Fledermaus

Captain McGrath stieß Blackmer hastig auf einen Stuhl, wie es die Schwarze Fledermaus befohlen hatte. Der Polizist öffnete eines der Augenlider des Mannes weit, und Blackmer schrie mit heiserer Stimme, dass er sich ergab.

„In Ordnung!“, stieß er hervor. „Ich gebe zu, ich trage diese Gläser. Aber Sie haben noch immer keinerlei Beweise gegen mich, dass das, was diese Schwarze Fledermaus behauptet, wahr ist.“

„Oh doch, die habe ich“, sagte die Schwarze Fledermaus kalt. „Einer Ihrer Männer, Duke, ist ein ziemlich netter Kerl. Er wollte nichts mehr mit Ihren Plänen zu tun haben, nachdem Menschen ermordet worden waren. Duke hat eine ganze Weile damit zugebracht, Geständnisse abzugeben, laut denen Sie bis zum Hals da drin stecken. Und es brechen schon weitere Männer zusammen. Das reicht jedem Gericht als Beweis. Und im Übrigen wurde Ihr privater Tresor im Büro erst vor Kurzem geöffnet, und darin fand man die gestohlenen Juwelen. Streiten Sie es nur ab, Blackmer. Sie haben sich sehr besorgt über die Erfinder gezeigt, an denen Sie interessiert waren. Sie haben ihnen sogar geraten, ihre Arbeit anzumelden. Aber Sie hielten sich bereit, um diese Erfindungen zu stehlen, noch bevor sie angemeldet werden konnten.“

Doch Blackmer schenkte der Schwarzen Fledermaus nur wenig Beachtung. Als McGrath sich über ihn beugte, flüsterte er ihm etwas ins Ohr.

„Er hat mich. Ich bin erledigt. Das ganze Haus ist bereits von der Polizei umstellt. Dafür hat die Schwarze Fledermaus schon gesorgt. Aber, Captain, Sie wollen die Schwarze Fledermaus genauso, wie Sie mich wollen! Das weiß jeder. Das ist Ihre Chance, ihn zu kriegen. Ich sage das, weil der Richter vielleicht milde mit mir sein wird, wenn ich aktiv an seiner Gefangennahme beteiligt bin.“

„Sicher“, spottete McGrath. „Ich muss nur hingehen und ihn packen ... Mit zwei Waffen, die auf meinen dämlichen Kopf gerichtet sind. Sie sind verrückt, Blackmer.“

„Nein, Sie irren sich“, beharrte Blackmer. „Die Schwarze Fledermaus ist blind! Wir haben ihm eine Dosis von dem Licht verpasst. Er kann überhaupt nichts sehen. Er wird gar nicht merken, wenn Sie zu ihm hingehen. Seien Sie kein Narr, McGrath. Das ist die beste Gelegenheit, die Sie jemals hatten.“

McGrath Unterkiefer schob sich kämpferisch nach vorn. Dann fasste er sich ein Herz, ging von Blackmer fort und näherte sich langsam der Schwarzen Fledermaus. Die beiden Waffen bewegten sich keinen Millimeter auf ihn zu. Auf McGraths Gesicht legte sich ein erwartungsvolles Lächeln. Die Schwarze Fledermaus war blind. Tony Quinn war ebenfalls blind. Dieser Zusammenhang setzte sich in McGraths Gehirn fest. Er war häufig ausgetrickst worden, doch dieses Mal hatte er die Schwarze Fledermaus ... Dieses Mal hatte er ihn bestimmt.

Blackmer schaute gespannt zu. Jedermanns Augen waren auf McGrath gerichtet, jeder fragte sich, was er vorhatte. Die Augen der Schwarzen Fledermaus bewegten sich nicht ­einmal hinter der Maske, und auch seine Waffen rührten sich nicht.

Plötzlich stand Blackmer lautlos und ohne Aufmerksamkeit zu erregen auf. Er ging zwei Schritte rückwärts, bis er neben dem Koffer stand, den Patten mit ins Haus gebracht hatte. Blackmer legte eine Hand darauf und ließ sie dort liegen, während er die Schwarze Fledermaus angespannt beobachtete. So leise wie möglich öffnete er das Schloss und wollte gerade den Koffer öffnen.

Die Waffen der Schwarzen Fledermaus krachten. Kugeln durchschlugen den Koffer, und etwas darin zersplitterte. Blackmer schrie heftig auf und tat einen Hechtsprung auf die Tür zu. Die Waffen bellten erneut. Blackmer glitt stöhnend und fluchend zu Boden.

McGrath stand nur da, vier Fuß neben der Schwarzen Fledermaus. Sein Mund war weit geöffnet, seine Augen traten hervor, und langsam stieg ihm eine dunkle Röte ins Gesicht.

„Ich wusste nicht, was in dem Koffer war!“, schrie Patten. „Ehrlich, ich wusste es nicht! Jemand hat mich zu der Maschinenhalle gerufen. Einer von Blackmers Männern war dort und sagte mir, ich solle diesen Koffer nehmen und verstecken. Er sagte, darin sei ein wertvolles Experiment, und sie hätten Angst, dass diese Mörderbande dahinter her sei. Dann wurde ich hergebracht, und Blackmer wusste, dass das geschehen würde. Seine Männer müssen geahnt haben, dass er hier war, und sie haben das blendende Licht hergeschickt, um ihm zur Flucht zu verhelfen.“

Die Schwarze Fledermaus nickte.

„Das war nicht das erste Mal, dass Sie von dieser Bande reingelegt wurden, Patten“, sagte er. „Sie haben schon vorher versucht, Sie zu täuschen. Wenn Sie ins Büro zurückkommen, schauen Sie sich Ihr Telefon an. Dann werden Sie feststellen, dass ein Kabel davon wegführt zu einem Loch im Boden. Sie werden sehen, wie die Bande, die ein Telefon und dessen Nummer benutzen wollte, ihres genommen hat, indem sie die Kabel angezapft haben. Dann haben sie es so eingerichtet, dass das Telefon wieder klingeln würde, sobald sie fertig waren. Es ist nicht nötig, jetzt noch weiter ins Detail zu gehen, Patten. Aber Ihre Nummer wurde bei einem Versuch benutzt, mich, die Schwarze Fledermaus, zu ködern. Und wenn bei dem Plan irgendetwas schiefgegangen wäre, dann hätte man Sie mit voller Absicht bezichtigt.“

Nachdem er zu Patten gesprochen hatte, ging die Schwarze Fledermaus zu dem Koffer hinüber, öffnete ihn weit und enthüllte den zerstörten Apparat.

„Ein Quartzbogen, eine winzige, wassergekühlte Lampe“, erklärte er. „Man braucht nur einen viertel Liter Wasser, also war die Apparatur leicht zu transportieren. Wenn das hier genau untersucht wird, wird man feststellen, dass es gebaut wurde, um eine gewaltige Menge ultraviolettes Licht abzugeben.“

„Aber ... aber er ... Blackmer sagte, Sie wären ... wären blind. Dass er das Licht auf Sie gerichtet hat!“ Captain McGrath hatte endlich seine Stimme wiedergefunden.

Die Schwarze Fledermaus lachte leise. „Captain, Sie fallen aber auch auf die seltsamsten Geschichten rein. Manchmal frage ich mich, wie Sie überhaupt zu diesem Abzeichen gekommen sind.“

„Geht mir genauso“, warf Warner trocken ein.

Erneut errötete McGrath heftig. Er versuchte, sich vor Warner zu rechtfertigen, doch der Commissioner deutete auf Blackmer, der noch immer auf dem Boden herumkroch.

„Das ist Ihr Gefangener, McGrath. Verhaften Sie ihn. Und denken Sie daran, Sie haben es der Schwarzen Fledermaus zu verdanken, dass wir einen Gefangenen haben. Und dass wir Beweise gegen ihn haben.“

Warner schaute sich um. Die Schwarze Fledermaus war fort. Nur die Samtvorhänge bewegten sich sanft und zeigten, durch welchen Ausgang er verschwunden war.

Vor dem Fenster wartete Silk. Er nahm den Arm der Schwarzen Fledermaus und führte ihn eilig dorthin, wo Carol und Butch den Wagen geparkt hatten. Butch fuhr eilig davon.

Carol seufzte und schaute zur Schwarzen Fledermaus auf.

„Tony, wir haben’s geschafft. Die Wahrscheinlichkeit war so gering wie nie, aber wir haben diese Bande vernichtet. Oh Tony, aber der Preis, den wir dafür bezahlt haben! Du bist blind. Einige von den anderen, die erblindet sind, haben sich erholt, einige nicht. Deine Augen sind operiert worden. Sie waren nicht normal.“

Die Schwarze Fledermaus hob die Hände und schälte sich die Maske vom Gesicht. Er nahm einen kleinen Sauger aus seiner Tasche, setzte ihn auf seine Augen und ­entfernte zwei kleine, milchige Scheiben. Doch die Augen, die dahinter verborgen gewesen waren, starrten blind geradeaus.

„Carol“, sagte er sanft. „Du bist so schön heute Nacht. Gefahr bekommt dir gut. Und dein Kleid ... ein perfektes Blau. Ich mag Blau an dir.“

„Tony!“, rief Carol. „Tony, du kannst sehen! Auch in der Dunkelheit, genau wie vorher. Ich kann nicht mal die Farbe meines Kleides sehen, aber du kannst es. Du bist nicht blind!“

Minutenlang sprachen sie kein Wort. Silk wandte sich ab und betrachtete die Landschaft. Einmal rieb er mit dem Finger über seine Augen, doch auf seinem Gesicht lag ein Lächeln.

„Ich habe gespürt, wie mein Augenlicht zurückkehrte“, sagte Quinn. „Kurz nachdem Silk mir sagte, dass du und Butch vor Ort seid. Ich wusste nicht, wie lange es dauern würde. Also habe ich diese Gläser hergestellt und habe sie so gefärbt, dass ich meine Augen benutzen kann, wenn es nötig sein sollte. Doch für den Fall, dass sie dieses Licht noch einmal auf mich richten würden, hätte es mir nicht geschadet. Als Mac mich ins Gesicht geschlagen hat, ist etwas passiert. Vermutlich kam wieder Leben in die Nerven, und ich konnte langsam wieder sehen. Allerdings nicht genug, um mir selbst zu vertrauen. Aber als Blackmer versuchte, den Koffer zu öffnen, ich schätze, da habe ich ihm eine echte Überraschung bereitet.“

„Du hast ihn überrascht!“, rief Carol. „Was glaubst du, wie es mir ging? Aber jetzt kann die Schwarze ­Fledermaus weiterhin Verbrecher jagen und ist immer noch ... Oh Tony, ich glaube, ich fange gleich an zu weinen!“

„Du glaubst, du fängst gleich an zu weinen.“ Vom Vordersitz erklang ein halb ersticktes Schluchzen. „Ich heule wie ein Baby, seit ich die guten Nachrichten gehört habe“, sagte Butch.

DIE SCHWARZE FLEDERMAUS
Band 18


In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones


Die Hauptfiguren des Romans:


03_Fledermaus

Die Schwarze Fledermaus


03_Carol

Carol Baldwin


03_Silk

Silk Kirby


03_Butch

Butch O'Leary


02_McGrath

Inspector McGrath



G. W. Jones


Die Augen des Blinden


Aus dem Amerikanischen von Swantje Baumgart






Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung 
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Harald Gehlen
Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies
Illustrationen: Dorothea Mathies
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-018-5

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!


G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.

Daniels wurde am 3. Juni 1905 in Connecticut geboren, brach sein Studium aus finanziellen Gründen ab und begann 1931 eine beispiellos produktive Karriere als Autor. Allein in den folgenden drei Jahrzehnten veröffentlichte er über 2.000 Geschichten: Comics, Bücher, Radio­hörspiele, aber vor allen Kriminal- und Superheldenromane. Für den Chicagoer Verlag Thrilling Publications erschuf er die Figur der Schwarzen Fledermaus und verfasste einen Großteil ihrer 62 Abenteuer, die zwischen 1939 und 1952 in den USA erschienen. Daniels starb am 19. Juli 1995 im Alter von 90 Jahren in Kalifornien.

Das Abenteuer Die Augen des Blinden erschien im Januar 1942 unter dem Titel The Eyes of the Blind in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.




Kapitel 1 – Blendendes Licht

Der Mann, der gerade die Bank betrat, war ein durchschnittlicher Typ, einer dieser Männer, den man innerhalb einer Menschenmenge wohl kaum eines zweiten Blickes würdigen würde. Er war ordentlich gekleidet, mittelgroß und nicht übermäßig schwer, und er pfiff fröhlich, als er den großen Eingangsbereich der Bank durchschritt. In einer Hand trug er einen schwarzen Koffer.

Ein uniformierter Wachmann trat hervor und schaute ihn forschend an. Der Mann grinste.

„Ich komme von der Atlas Versicherung“, sagte der Mann mit dem Koffer. „Ich überprüfe die Sicherheit der Bank, Officer. Sie scheinen mir ein gutes Beispiel für Effizienz zu sein.“

Der Wachmann tippte an seine Kappe. „Danke, Sir“, sagte er zufrieden. „Wenn Sie eine Inspektion durchführen wollen, gehen Sie zu Mister Carey, dem Assistenten des Finanzdirektors. Das ist der da drüben in dem Büro ... Ja, das Büro mit der offenen Tür.“

Der Inspektor der Versicherungsgesellschaft begann wieder fröhlich zu pfeifen, betrat forsch Careys Büro und ließ seinen Hut auf den Schreibtisch des kleinen Bankangestellten fallen. Er überreichte seine Karte und ein Identifikationsschreiben. Carey überflog beides und schaute dann zu seinem Besucher auf.

„Was wollen Sie denn überhaupt inspizieren?“, fragte er. „Ist das nicht etwas ungewöhnlich?“

Der Mann lächelte. „Ungewöhnlich? Haha ... für mich nicht, Mister Carey. Ich inspiziere schon seit über zehn Jahren Banken. Wir schauen nach, ob das Zeitschloss nicht rostig und das Tränengas nicht überaltert ist, all diese Dinge. Aber im Ernst, die Arbeit ist unabdingbar, das muss Ihnen klar sein. Ich bin darauf trainiert, eine Menge Unstimmigkeiten zu erkennen, die der Aufmerksamkeit einer durchschnittlichen Person entgehen. Und Banken benötigen natürlich allen Schutz, den sie bekommen können. Nun, kann ich mich an die Arbeit machen?“

Carey schaute bedauernd drein und griff nach dem Telefon.

„Sie werden einen Augenblick warten müssen, Mister ...“, er warf einen Blick auf die Karte. „Mister Landis, während ich in Ihrer Firma anrufe und Sie überprüfe. An diesem Ort liegt eine Menge Geld herum, und wir sind etwas kleinlich, wenn es darum geht, wer damit in Kontakt kommt.“

Landis lachte. „Wenn Sie nicht anrufen würden, um mich zu überprüfen“, sagte er, „dann hätte ich einen negativen Bericht über Sie geschrieben, Mister Carey. Wir Versicherungsleute sehen es gern, wenn unsere Kunden auf Zack sind. Bitte rufen Sie an ... Jetzt gleich.“


*


Carey erreichte die Telefonistin der Bank und sagte ihr, sie solle ihn bei der Atlas Versicherung mit einem Verantwortlichen verbinden. Wenig später rief die Telefonistin Carey zurück, und eine männliche Stimme antwortete.

„Hier spricht Martin“, sagte die Stimme. „Personalmanager bei der Atlas Versicherung.“

Und dann als Antwort auf Careys Anfrage: „Landis? Oh, ja ... sicher. Wenn der Mann, nach dem sie fragen, einen Meter siebzig groß ist und hundertfünfundvierzig Pfund wiegt, graue Augen hat, schwarze Haare und eine Narbe an der Lippe, im oberen linken Mundwinkel, dann ist es Landis, richtig. Das ist unser Mann.“

Carey betrachtete ihn genau, besonders die Narbe, die seltsam aussah, denn dadurch schien Landis ständig zu lächeln.

„Danke“, sagte Carey. „Damit bin ich absolut zufrieden, Mister Martin.“

Er hängte den Hörer ein und stand auf. Landis zündete sich eine Zigarette an, schlenderte mit Carey zu den großen Tresorräumen hinüber und überprüfte kurz den Mechanismus und die Tränengasbomben. Er machte ein paar Einträge in das kleine Buch, das er zu diesem Zweck geöffnet hatte, dann bat er, die Tresorräume mit den Bankschließfächern im Kellergeschoss zu sehen. Dieses Mal nahm er die Tasche mit. Die Tasche, die er zuvor in Careys Büro zurückgelassen hatte.

Mit einer Handbewegung schickte Carey den Wachposten fort, der an dem großen Tor stand, das den Weg in die Tresorräume versperrte. Sechs oder sieben Leute waren an den kleinen Schreibtischen in den Tresorräumen damit beschäftigt, die Inhalte ihrer Tresorfächer zu untersuchen.

„Ich verstehe nicht, was Sie hier wollen, Mister Landis“, sagte Carey. „Niemand würde jemals versuchen, ein Bankschließfach auszurauben. Es ist nicht nur genauso schwierig, wie in die großen Tresorräume oben zu gelangen. Wenn man außerdem erst einmal drinnen ist, würde ein Gangster nichts finden als mehrere Hundert Kisten, die zweimal verschlossen wurden. Einmal von der Bank und dann noch mal von dem entsprechenden Mieter.“

Landis lächelte. „Sicher. Da haben Sie Recht, Mister Carey, aber unsere Police deckt auch die Bankschließfächer ab. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ein Bild vom Inneren mache? Nur für unsere Aufzeichnungen und unsere Experten, damit sie es untersuchen können. Ich hätte auch die Kunden gern etwas näher zusammen, nur für die Atmosphäre.“

Die Bankkunden hatten nichts dagegen, dass in dem Tresorraum Bilder von ihnen gemacht wurden. Tatsächlich gefiel ihnen der Gedanke. Sie gingen zu verschiedenen Schreibtischen und Tischen, die in Landis’ Nähe standen, und taten so, als wären sie eifrig damit beschäftigt, ihre Schließfächer zu untersuchen. Carey selbst strich hastig sein Jackett glatt und stellte sich lässig genau vor Landis’ Kamera.

Landis öffnete die schwarze Tasche und suchte darin herum. Er hob die Tasche an und stellte sie auf den Tisch. Dann drehte er sie herum, so dass das Innere auf die Bankkunden und Carey gerichtet war. Sie sahen eine große Anzahl Glasröhren, mehrere Kabel und Gegenstände, die aussahen wie Batterien. Das sahen sie, ja, und das war das Letzte, was sie sahen.

Die Glasrohre glühten kurz auf, dann begann ein kleines Rohr genau in der Mitte der Apparatur heller und ­heller zu leuchten. Ungefähr drei Sekunden lang wurde das Licht immer intensiver, bis jemand die Hand vor seine Augen schlug und einen Schrei ausstieß.

Carey, der Assistent des Finanzdirektors, stolperte umher, unfähig, irgendetwas zu sehen außer diesem schrecklichen, sengenden Licht. Eine Frau schrie auf und fiel in Ohnmacht. Ein Mann fluchte, als er feststellte, dass er das Licht nicht ausschalten konnte, indem er seine Augen bedeckte. Er versuchte es mit seinem Arm, doch das Licht schien das Fleisch und die Knochen seines Armes zu durchdringen. Es war ein intensives weißes Licht und es erzeugte prasselnde Geräusche wie die von ­Quecksilberdampf.


*


Der Wachmann an dem großen Tor hörte die Schreie und rannte dorthin, woher der Trubel kam. Er schaute nicht direkt ins Licht, doch es blendete ihn dennoch.

Er zog seine Waffe, zog den Abzug zurück und versuchte, herauszufinden, was vor sich ging. Bevor er zu sehr erblindete, um noch etwas zu sehen, erkannte er, wie Carey durch sein Blickfeld taumelte. Der Wachmann bewegte sich einige Schritte nach vorn und bog um eine Ecke.

Landis trat hinter ihm hervor. Er hielt ein schmales Messer hoch erhoben, das mehr an den Eispickel eines Barmixers erinnerte als an eine Säbelklinge. Es fuhr hinab, drang direkt über dem Herzen in den Rücken des ­Wachmanns ein und schnitt durch Muskeln und Knochen. Binnen Sekunden war der Wachmann tot.

Landis ließ die Leiche seines Opfers zu Boden gleiten, warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass niemand sonst in Sicht war, der ihn hätte stören können. Die Schreie der Opfer von dem schrecklichen Licht konnte man in der Bank durch die schweren Zwischentüren kaum gehört haben. Landis hastete den engen Gang hinunter, der mit nummerierten Bankschließfächern gesäumt war. Vor einem Abschnitt blieb er kurz stehen, während seine Hände zügig arbeiteten. Dann eilte er zu den Kisten, die geöffnet auf den Tischen standen. Er durchsuchte sie sorgfältig, stopfte sich die Taschen mit Beute voll, dann eilte er zu seinem mörderischen Koffer. Seltsamerweise schien ihn das Licht, das die anderen Leute hatte erblinden und ohnmächtig werden lassen, zu keinem Zeitpunkt zu beeinträchtigen.

Er nahm die schwarze Tasche auf, schloss sie, und das furchtbare Licht erlosch. Carey, der wie ein Blinder beide Hände nach vorn gestreckt hielt, taumelte umher. Er begann laut zu schreien. Landis trat näher heran und versetzte ihm einen Aufwärtshaken auf den Kiefer. Dann verließ Landis unbekümmert die Tresorräume, ging die Treppe hinauf und durch die Bank, als wäre nichts geschehen.

Ein schlaksiger Mann, der an einem großen Tisch gerade einen Einzahlungsschein ausgefüllt hatte, kam hinü­ber und schloss sich ihm an.

„Alles in Ordnung?“, fragte er mit einem deutlichen Zischen in der Stimme.

„Prächtig!“, grinste Landis. „Absolut prächtig. Müssen wir uns beeilen?“

„Sollten wir besser“, empfahl der schlaksige Mann. „Freut mich zu hören, dass alles wie geplant gelaufen ist. Ich bin im Büro der Telefonistin von der Atlas Versicherung geblieben, mit einer Knarre, die auf den Zinken von der Dame gerichtet war, bis dein Anruf kam. Ich hab ihn angenommen, wie wir’s geplant hatten. Als jemand anrief, hab ich ihm gesagt, ich wäre ein Sachbearbeiter von der Versicherungsgesellschaft. Danach wurde das Telefonmädchen immer schwieriger zu händeln, neigte zur Hysterie. Am Ende musste ich sie niederschlagen. Ich schätze, in der Telefonzentrale sind schon ein Dutzend Anrufe angekommen.“

Als die beiden Männer die Bank verließen und den Bürgersteig überquerten, hielt ein großer Wagen an. Sie stiegen ein, und der Wagen fädelte sich reibungslos in den fließenden Verkehr ein.

Mindestens drei bis vier Minuten vergingen, nachdem der Wagen verschwunden war, bevor in der Bank der erste Alarm ausgelöst wurde. Carey kam schnell wieder zu Bewusstsein, und er tastete blind umher, bis er gegen die Stufen stieß. Um Hilfe schreiend stolperte er hinauf.

Jemand trat auf einen der Alarmknöpfe, und binnen Minuten wimmelte es in der Gegend von Polizeiwagen. Einer der ersten Beamten von Rang, die vor Ort waren, war Captain McGrath vom Hauptquartier. McGrath war stolz darauf, sofort auf Notrufe zu reagieren, und ebenso stolz war er auf sein Äußeres. Er war klein und untersetzt und rühmte sich damit, dass sein Schnäuzer stets sorgfältig geschnitten war. Er trug einen dunklen Anzug und einen Filzhut, der seine kalten, stechenden Augen halb bedeckte.


*


Als die Polizei eintraf, war ein Arzt gerade mit den Augen von Carey beschäftigt. Captain McGrath wartete, bis der Arzt fertig war. Der Arzt schaute auf, schüttelte wenig hoffnungsvoll den Kopf und nahm McGrath zur Seite.

„Der Patient sagt, ein grelles Licht hätte ihn geblendet, Captain“, erklärte der Arzt hastig. „Vielleicht stimmt das, aber ich habe noch nie von einem so starken Licht gehört, dass es die Sehkraft praktisch wegbrennen kann, so wie es in diesem Fall passiert ist. Ich glaube nicht, dass Carey oder irgendeine von den Personen, die in dem Tresorraum waren, jemals wieder sehen wird. Zumindest für viele Monate nicht, denn es gibt vielleicht eine Möglichkeit ...“

McGrath sog scharf die Luft ein, und der Gedanke an einen anderen Mann, der nichts sehen konnte, schoss ihm durch den Kopf. Zumindest hatten einige der besten Augenärzte der Welt dies bestätigt, und doch zweifelte McGrath manches Mal an deren Wort. Er dachte an Tony Quinn, ehemaliger Bezirksstaatsanwalt, der durch einen schrecklichen Unfall erblindet und nun selbstständiger Rechtsanwalt war. Ein blinder Rechtsanwalt, und vielleicht war er auch dieser unheimliche nächtliche Streuner, den man als die Schwarze Fledermaus kannte.

McGrath sagte sich, dass Tony Quinn vielleicht an diesem Fall interessiert sein könnte, in dem Leute durch die Hand eines Verbrechers erblindet waren. Quinn würde mit solchen Opfern mitfühlen. Und wenn er die Schwarze Fledermaus war, würde er vielleicht sofort eingreifen, und vielleicht würde er dabei irgendwo und irgendwann einen kleinen Fehler machen. McGrath lebte in der Hoffnung, zur Stelle zu sein, wenn dieser Fehler eines Tages passieren sollte. Er hatte geschworen, dass die Schwarze Fledermaus demaskiert und in eine Zelle geworfen werden würde, und dass er der Mann wäre, der dies tun würde.

Nicht, dass McGrath die Leistung der Schwarzen Fledermaus nicht guthieß, denn dieser maskierte Kämpfer gegen das Verbrechen brachte mehr der übelsten Gauner dorthin, wo sie hingehörten, als das halbe Polizeipräsidium. Das war in Ordnung für McGrath. Das Problem war nur, dass die Schwarze Fledermaus unkonventionelle Methoden anwandte, um das Verbrechen zu bekämpfen, und sich weigerte, sich der Bürokratie zu unterwerfen. Mitunter wurden seine Aktivitäten auch vom Klang bellender Waffen begleitet. In den Augen von McGrath waren all das ebenfalls Verbrechen.

Diese Aktionen machten die Schwarze Fledermaus ebenfalls zum Gesetzesbrecher, und aus diesem Grund war er Captain McGraths rechtmäßige Beute.

Careys leere Augen waren voller Tränen, als McGrath zu ihm zurückkehrte.

„Blind“, murmelte er vor sich hin. „Kann nichts sehen. Ich werde nie wieder sehen können. Dieses Licht ... dieses schreckliche Licht ... es hat mein Augenlicht verbrannt. Ich bin blind!“

McGrath setzte sich neben Carey.

„Ich bin für die polizeiliche Untersuchung zuständig“, erklärte er. „Sagen Sie mir, wie dieser Kerl Landis mit dem Licht aussah. Erinnern Sie sich daran?“

„Ob ich mich erinnere?“, stöhnte Carey. „Er war das Letzte, was ich gesehen habe, wahrscheinlich das Letzte, was ich jemals gesehen haben werde in meinem Leben. Ich werde nie vergessen, wie er aussah. Na ja, ich habe die Versicherungsgesellschaft angerufen, von der er sagte, dass er in ihrem Auftrag käme. Der Mann dort gab mir eine perfekte Beschreibung von Landis.“

„Der Anruf bei der Versicherungsgesellschaft wurde nie durchgestellt“, sagte McGrath. „Das wurde bereits überprüft. Einer von Landis’ Kumpeln war im Telefonbüro und hatte eine Waffe auf die Telefonistin gerichtet. Er hat den Anruf angenommen und mit Ihnen gesprochen.“

„Aber die Beschreibung war perfekt“, beharrte Carey. „Landis war einssiebzig groß, wog einhundertvierzig Pfund, hatte graue Augen und schwarze Haare. Und er hatte links an der Oberlippe eine Narbe, mit der er aussah, als würde er ständig lächeln. Finden Sie ihn, Officer! Finden Sie ihn, und bringen Sie die Ratte in meine Reichweite. Ich werde ihm seinen miesen Hals umdrehen. Ich werde ...“

„Ganz ruhig“, beschwichtigte McGrath. „Mit der richtigen Behandlung werden Sie vielleicht wieder sehen können. Übrigens, wenn das Licht alle anderen angegriffen hat, wie kommt es dann, dass Landis nicht auch erblindet ist? Hat er irgendeine Brille getragen?“

Carey schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein“, sagte er. „Ich bin sicher, das hat er nicht. Ich kann das nicht verstehen. Wie ist es ihm gelungen, nicht davon beeinflusst zu werden?“

„Das war nur ein neuer Weg, eine Bank auszurauben“, sagte McGrath. „Er hat es nicht gewagt, das Licht in der Bank selbst einzusetzen, weil dort zu viele Leute waren. Einige davon wären vielleicht außerhalb der Reichweite des Lichtes gewesen und hätten Alarm geschlagen. Also raubte er stattdessen die Bankschließfächer aus. Hat außerdem ziemlich fette Beute gemacht. Ungefähr siebzig oder achtzig Riesen in bar und Juwelen, die einige der Leute in ihren Blechdosen hatten. Das sagen meine Männer.“

„Und der Wachmann ... der arme alte Murphy ... sie sagen, er ist tot.“ Carey bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und erschauerte.

„Yeah“, sagte McGrath. „Ich schätze, das Licht hat ihn nicht schnell genug geblendet, oder er war nicht in dessen Reichweite. Und so ist Landis einfach von hinten an ihn herangetreten und hat ihm ein Messer ins Herz gerammt. Gut, Mister Carey, Sie sollten besser sofort zu einem Arzt gehen. Irgendjemand, der alles über Augen weiß. Wenn Sie Probleme haben sollten, einen zu finden, dann nehmen Sie Kontakt mit Tony Quinn auf, dem Rechtsanwalt. Sie kennen ihn, jeder kennt ihn. Ehemaliger Bezirksstaatsanwalt. Er war schon bei jedem Augenarzt im Land, schätze ich.“

„Und haben sie ihn geheilt?“, fragte Carey hoffnungsvoll.

Einen Augenblick lang biss sich McGrath auf die Unterlippe und runzelte die Stirn.

„Wissen Sie, Mister Carey. Da bin ich nicht sicher. Nicht sicher.“



Kapitel 2 – Blinder Besucher

Hinter der Tür mit der Aufschrift ANTHONY QUINN, RECHTSANWALT befanden sich ein Wartezimmer und ein Vorzimmer, in dem ein Stenograf und ein Mitarbeiter mit ihrer Arbeit beschäftigt waren. Beide schauten auf, als jemand an der Tür fingerte. Offenbar bereitete sie ihm Probleme.

Schließlich wurde sie geöffnet. Eine junge Frau trat ein. An ihrem Arm hing Carey, der Assistent des Finanz­direktors von der Bank, die zwei Tage zuvor so spektakulär ausgeraubt worden war.

„Wir würden gern mit Mister Quinn sprechen“, sagte die junge Frau. „Nein, es handelt sich nicht um eine rechtliche Angelegenheit. Es ist ein ... persönlicher Gefallen, um den wir ihn gern bitten würden. Fragen Sie ihn bitte, ob er einen Moment mit uns sprechen kann.“

Tony Quinns Signalanlage summte, und er drückte den Knopf. Er lauschte seinem Mitarbeiter, der ihm Careys Namen nannte, dann ordnete er an, die Besucher sofort hineinzubringen.