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Kapitel 20 – Lug und Trug

Anwalt Proctor fuhr mit seinen Fingern durch sein grau meliertes Haar.

„Captain McGrath“, sagte er rundheraus. „Ich suche Sie auf, da ich nun davon überzeugt bin, dass ich auch das Opfer eines Unsichtbaren bin. Ich möchte für das Protokoll festhalten, dass mein Bürosafe vor einiger Zeit aufgebrochen wurde und einige meiner vertraulichsten Akten gestohlen wurden. Mandanten von mir sind auf mich zugetreten und haben darüber geklagt, dass sie erpresst werden. Ich wollte nicht Bob Leslies Schicksal teilen und habe Stillschweigen darüber bewahrt.“

McGrath schüttelte den Kopf.

„Dann ist es wohl an mir, einen Haftbefehl für Sie zu besorgen. Wenn Leslie der Erpressung seiner eigenen ­Mandanten beschuldigt wird, können wir bei Ihnen keine Ausnahme machen, auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass Sie unschuldig sind. Wenn dieser Fall aufgeklärt ist, werden wir den Unsichtbaren finden, der hinter allem steckt. Was mir Sorgen macht und mich zum Handeln zwingt, ist die Möglichkeit, dass Sie oder Leslie der Unsichtbare sind. In dem Punkt kann niemand sicher sein.“

McGraths Telefon klingelte. Er ging ran, fiel bald aus seinem Stuhl und hängte wieder auf.

„Proctor“, sagte er, „wir holen uns jetzt den Unsichtbaren. Er besitzt ein Labor und ein Versteck, das wir gerade entdeckt haben. Ich habe Wachen rundherum postiert und die sind verschwunden. Sie können mitkommen. Wenn ich es mir recht überlege, befehle ich es Ihnen sogar.“


*


McGrath fuhr im Polizeiwagen zur Meadow Lane. Proctor saß wie versteinert neben ihm. Direkt vor ihnen, in einem Wagen mit heulender Sirene, saßen Warner, George Potter, der pausenlos auf seine Rechte pochte und Warners rücksichtslose Methoden kritisierte, und Charters, der Potter immer wieder befahl, den Mund zu halten. Der junge Leslie, niedergeschlagen und schweigend, starrte nur aus dem Fenster. Sie hatten sich alle in Warners Büro befunden, als der Alarm ausbrach.

Sie näherten sich vorsichtig dem Haus. Der Streifenwagen, der von der Wache genutzt worden war, parkte noch dort, aber die Polizisten waren verschwunden. McGrath trat vor die Tür, seine Waffe gezogen. Seine Hand ging zum Türgriff und zuckte direkt wieder zurück. Die Tür öffnete sich – aber es war niemand zu sehen.

„Seien Sie vorsichtig!“, warnte McGrath. „Alle bleiben nahe beieinander.“

Sie betraten das Haus und begaben sich zum Labor. McGrath öffnete die Tür mit ausgestrecktem Arm. In der hinteren Ecke des großen Raumes stand ein Stuhl mit hoher Lehne, mit dem Rücken zu ihnen, und darüber stieg eine Rauchsäule von Zigarettenqualm auf.

„Okay“, rief McGrath. „Stehen Sie auf – und keine Tricks.“

Als Antwort stieg eine Rauchwolke empor, dann erhob sich jemand langsam aus dem Stuhl. Seine Hände bewegten sich nicht, und McGrath ließ seine Waffe sinken. Es war die Schwarze Fledermaus.

„Sie haben eine Weile gebrauchte, meine Herren“, sagte er. „Willkommen im Haus der Magie und Illusionen.“

„Ergreifen Sie ihn!“, schrie Potter. „Nehmen Sie ihn fest! Er ist ein Mörder und ein Krimineller. Die Schwarze Fledermaus hat auch nicht mehr Rechte als jeder andere Mörder.“

„Seien Sie still, Potter“, sagte die Fledermaus. „Sie gehen mir langsam auf die Nerven. Wann haben Sie die Leidenschaft dafür entwickelt, Menschen hinter Gitter zu bringen? Ich hoffe nicht, dass Sie auf diese Weise Leute aus dem Weg räumen, die ihnen im Weg stehen? Oder ist es nur Ihre sture, verdrehte Natur, die sie so handeln lässt?“

Potter wich einen Schritt zurück.

„We-wenn Sie denken, ich sei der Unsichtbare ... Nein! Um Himmels willen, nein! Das bin ich nicht! Ich schwöre es Ihnen! Ich möchte nur, dass die Gerechtigkeit siegt. Vor elf Jahren wurde meine Tochter von einem verrückten Autofahrer getötet. Er beging Fahrerflucht und ließ sie einfach sterben. Ist er dafür eingesperrt worden? Ist er nicht. Sein Vater stand über dem Gesetz. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und ich habe mir geschworen, dass niemand mehr nach solchen Taten ungeschoren davonkommt. Aber ich bin kein Dieb. Sie können mich nicht beschuldigen, der Unsichtbare zu sein.“

„Warum nicht?“, sagte die Schwarze Fledermaus. „Ich könnte alle von Ihnen beschuldigen, mit Ausnahme von Commissioner Warner und Captain McGrath. Wissen Sie, meine Herren, ich weiß, wie der Unsichtbare arbeitet, und ich weiß auch, dass er niemals wirklich den Mantel der Unsichtbarkeit getragen hat.“

Ein Chor überraschender Ausrufe antwortete ihm. Die Fledermaus trat vor.

„Bob Leslie“, sagte er, „hat ein paar wertvolle und vertrauliche Unterlagen verloren. Sie wurden gestohlen von den Helfern unseres so genannten Unsichtbaren. Auf diese Weise haben sie genug Material gesammelt, um einige von Leslies Klienten zu zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Anwalt Proctor hat ähnliche Dokumente verloren.

Die Agenten des Unsichtbaren sind zum großen Teil talentierte Trickbetrüger. Er hat sie um sich geschart, da sie intelligenter waren als durchschnittliche Gauner, und mit ihrer Hilfe hat er noch mehr Handlanger aufgetrieben. Sie haben besondere Vorkehrungen getroffen, um ihre Opfer in eine Falle zu locken, bei der sie all ihr Geld verlieren und daraufhin Diebstahl begehen, um ihr Geld zurück zu bekommen und so in die Machenschaften der Bande verwickelt zu werden.

Betrachten wir erst einmal den Banküberfall. Roy Banton war gezwungen, dem Unsichtbaren zu gehorchen. In der Nacht vor dem Überfall hat er das Geld aus der Bank geschafft. Am nächsten Tag hat er so getan, als wäre es soeben direkt aus seinen Händen gestohlen worden. Ich weiß nun genau, was in der Bank passiert ist. Banton wurde gesagt, dass man sich um ihn kümmert. Er hatte Anweisung, auf das Dach des benachbarten Gebäudes zu klettern, wo Hilfe für ihn bereitstand, die ihn heimlich verschwinden ließ. Er sollte am Rand des Daches stehen und hinunterschauen, auf ein bestimmtes Signal aus einem Fenster achtgeben.

Was Banton nicht wusste, war, dass er seit ein paar Tagen eine Droge verabreicht bekam. Diese Droge erzeugt großen Schwindel an hoch gelegenen Orten. Banton wurde nicht vom Dach geschubst. Er ist hinuntergefallen. Banton nahm regelmäßig Medizin für seine Nerven ein. Der Mörder hat es geschafft, in Bantons Haus einzubrechen und die Droge unter sein Beruhigungsmittel zu mischen. Banton hat das Fläschchen versehentlich zerbrochen und den Inhalt in ein Aspirin-Fläschchen gefüllt, das ich mir angeeignet und den Inhalt untersucht habe.“

Die Zuhörer der Schwarzen Fledermaus lauschten aufmerksam. Charters begann, nervös auf und ab zu laufen. McGrath paffte an seiner Zigarre.

„Kommen wir nun zum Mord an dem Bankwächter“, fuhr die Fledermaus fort, „und dem Phänomen von Türen, die sich von selbst öffnen, und Windzüge, die entstehen, wenn eine unsichtbare Person nahe an bestimmten Zeugen vorbeigeht. Der Bankwächter, der auf die Tür zulief, wurde durch ein Messer getötet, das von einem der Männer des Unsichtbaren geworfen wurde. Niemand sah das Messer durch die Luft fliegen. Der Wächter, der wahrscheinlich sofort tot war, lief noch ein paar Schritte, bis er zusammenbrach.

Die Tür der Bank öffnete sich, wie sie sich sicher erinnern. Ein alter Trick, wie Kinder ihn anwenden, aber in diesem Fall sehr effektiv. Ein Mitglied der Bande, das ein paar Meter von der Tür entfernt stand, befestigte ein durchsichtiges Stück Schnur am Türknopf und zog im richtigen Moment daran. Die Windzüge, die es in der Bank, dem Juweliergeschäft und der Auktion gegeben haben soll, haben nie stattgefunden. Wenn sie diese Zeugen überprüfen, werden Sie herausfinden, dass sie zur Bande des Unsichtbaren gehören und bewusst dort postiert wurden.“

„Aber was war mit dem Überfall auf das Juweliergeschäft und dem Diebstahl des Diadems?“, fragte McGrath.

„Taschenspielertricks, Captain. Die Halsketten wurden bewusst hervorgeholt. Der Angestellte, Deering, sollte den Diebstahl vorbereiten. Das Tablett mit dem Schmuck war präpariert. Ein falscher Boden, identisch mit der Präsentationsfläche des Tabletts, wurde über den Schmuck geklappt. Die Edelsteine schienen verschwunden zu sein. Deering stieß einen Schrei aus, löste den Alarm aus und erregte so viel Aufmerksamkeit, wie er nur konnte. Dann entnahm er den Schmuck von unter dem doppelten Boden und versteckte ihn, wo die Agenten des Unsichtbaren, die anschließend auftauchen sollten, ihn einsammeln konnten.

Meines Wissens nach tauchte ein Streifenwagen auf, nur Sekunden nach dem Diebstahl. Die Streifenpolizisten kamen in das Ladenlokal. Dennoch haben diese Polizisten den Einbruch nicht gemeldet. Warum? Weil sie zu der Bande von Schwindlern gehörten, die die Edelsteine wegbringen sollten.

Deering stellte plötzlich fest, dass er geliefert war, dass er wahrscheinlich getötet werden sollte, genauso wie Banton. Er zog eine Waffe, betrat ein Privatbüro, wie es ihm aufgetragen wurde, und wartete auf die Verstärkung. Einer der Bande rüttelte an der Hintertür.

Deering öffnete, aber entfernte weder die Kette noch den Stahlriegel. Er wurde erschossen und von der Wucht des Schusses in die Mitte des Raumes geschleudert. Die Tür fiel wieder ins Schloss und es schien, als ob kein Mann den Raum betreten haben konnte – zumindest kein sichtbarer.“

Er legte eine Sprechpause ein und sofort ergriff Captain McGrath das Wort.

„Das war auch meine Theorie“, sagte McGrath, „aber es gab keinen Beweis, und der Unsichtbare wirkte so gottverdammt echt ...“

„Das wollte er auch“, antwortete die Fledermaus. „Sein Plan war, dass jeder den Unsichtbaren für echt hielt. So konnte er die Menschen gezielt einschüchtern und von großen Unternehmen Zahlungen erpressen, damit sie nicht von ihm ausgeraubt werden. Der Vorfall in der Auktionshalle wurde ähnlich inszeniert. Der Wächter, der unter dem Einfluss der Bande stand, brachte die Vitrine in den Saal. Eine intelligente Konstruktion, die noch nicht einmal dann den Trick preisgab, wenn sie in Stücke gerissen wurde.

Niemand hat das Diadem wirklich gesehen. Alle sahen eine Spiegelung. Durch eine Bewegung des Spiegels, der in die Vitrine eingebaut war, konnte man das Abbild des Diadems verschwinden lassen. Der Wächter schrie auf und gab heimlich das Diadem an ein Mitglied der Bande weiter, bevor er die Aufregung im Saal befeuerte. Der Gauner verließ unbehelligt die Halle. Der Wächter eilte nach draußen und ab in die Freiheit, wie er glaubte. Sie töteten ihn.“

„Ersparen Sie uns die Details!“, schrie Charters aufgeregt. „Wenn Sie wissen, wer der Gauner ist, dann stellen Sie ihn bloß.“

Proctor wischte sich durchs Gesicht. „Sie können den ganzen Tag reden, aber ich bin nicht überzeugt. Ich glaube, dass es doch einen Unsichtbaren gibt. Die riesige Maschinerie und all die Chemikalien ...“

„Eine großartige Kulisse“, sagte die Fledermaus, „um den Glauben an das Wunder eines Unsichtbaren zu fundamentieren. Der Unsichtbare wollte, dass wir diesen Ort entdecken.“

Jeder Mann im Raum zupfte an seinem Hemdkragen. Die Hitze war beinahe unerträglich. Da stieß Bob Leslie plötzlich einen scharfen Schrei aus und deutete auf den Boden. Alle folgten seinem Blick und hielten plötzlich starr vor Schreck inne.

In der Mitte des Raumes waren Fußabdrücke. Sie erschienen, wie von den Schritten eines Unsichtbaren erzeugt, der durch das Zimmer ging. In diesem unheimlichen Umfeld reichte das Auftauchen dieser Abdrücke aus, um allen im Raum eine gehörige Angst einzujagen.

Die Schwarze Fledermaus lief plötzlich zu einer großen Laborbank, ergriff ein Kleidungsstück und wischte hastig über die Fußabdrücke. Sie verschwanden nicht. Die Fledermaus richtete sich auf.

„Noch ein Trick“, sagte er knapp. „Der Unsichtbare bestreicht die Sohlen seiner Schuhe mit einer Chemikalie, durchschreitet den Raum und sorgt dafür, dass der Raum gut beheizt ist. Kurz darauf erscheinen durch die Hitze die Fußabdrücke aus dem Nichts. Aber ich habe sie mit einer anderen Chemikalie fixiert. Nun müssen wir nur noch den Mann finden, dessen Schuhe ...“

Charters warf sich plötzlich auf die Schwarze Fledermaus, ein Messer in seiner Hand. Als die Klinge niedersauste, drehte die Fledermaus sich zu einer Seite weg, bohrte eine Faust in Charters’ Zwerchfell und griff nach seiner Messerhand. Er verdrehte sie schmerzhaft und das Messer fiel zu Boden.

McGrath trat es beiseite, dann drückte er die Mündung seiner Waffe gegen Charters’ Rücken. Der Anwalt ergab sich und verfluchte dabei die Schwarze Fledermaus.

McGrath zwang ihn, sich genau in die Fußabdrücke zu stellen. Sie passten exakt zu Form und Größe seiner Schuhe.

„Zwei Dinge haben Sie verraten, Charters“, sagte die Fledermaus ruhig. „Zu Stummfilmzeiten waren Sie Kameramann beim Film. Ihre Spezialität waren so genannte Spezialeffektaufnahmen. Eine Vielzahl von Geistereffekten wurden von Ihnen erzeugt. Alles, was Sie gemacht haben, waren Tricks – Illusionen. Sehr gute, gebe ich zu, weil Sie die nötige Erfahrung hatten.

Den Klang von Schritten haben Sie durch Schallplattenaufnahmen erzeugt. Um noch mehr zur Verwirrung beizutragen, ließen Sie die Schritte so klingen, als wenn sie von einem humpelnden Mann stammten. Proctor humpelt, aber hängt dieses Gebrechen nicht an die große Glocke. Sie hofften, dass zumindest ein Verdacht auf ihn fällt.

Gombell, Proctors Chauffeur, wusste, wer Sie sind, und hatte Kenntnis von Ihrer Historie, und Sie haben ihn in die Bande aufgenommen, da Sie auch Dinge über ihn wussten. Gombell hatte Angst vor Ihnen. Er beging Selbstmord. Nach seinem Tod fürchteten Sie sich vor möglichen Ermittlungen und stahlen bestimmte Dokumente aus Leslies Akten.“

„Warten Sie!“, schrie Charters. „Warten Sie! Sie haben mich – ja. Sie haben mich ausgetrickst, Schwarze Fledermaus, aber ich werde Sie bloßstellen! Sie wissen zu viel. Sie sind Tony Quinn, der Anwalt, der angeblich blind ist. Vielleicht bin ich geliefert, aber ich beende auch die Karriere der Fledermaus!“

„Vielleicht“, sagte die Fledermaus, „täuschen Sie sich. Jedenfalls ist das gerade nicht das Thema. Wir beide hatten vor kurzer Zeit einen Schusswechsel. Sie haben das Duell gewonnen, aber ich habe in Ihrem Schreibtisch einen Schlüssel gefunden. Es war einer von zweien, die für Bob Leslies Geldschrank passen, der sich in seinem Büro befindet und worin er seine Dokumente aufbewahrt. Ein Schlüssel befindet sich immer noch in Bob Leslies Besitz. Er trägt ihn stets an seinem Schlüsselring. Den anderen gab er seinem Vater.

Sie und Richter Leslie waren Partner und standen sich nahe. Nur Sie wussten von dem zweiten Schlüssel und waren in der Lage, ihn sich problemlos anzueignen. Sie wollten ihn zurückbringen, aber haben es nicht getan. Wie dem ganzen Rest ihres Schlags, steigt ihnen Erfolg schnell zu Kopf und Sie fangen an, Fehler zu machen.

Ich denke, das ist soweit alles, meine Herren. Commissioner, ich danke Ihnen, dass Sie alle hierher gebracht haben, ohne dass jemand gemerkt hat, dass wir beide dieses Treffen geplant haben. Und auch dafür, dass Sie Ihre Polizisten heimlich abgezogen haben. Halten Sie Charters fest, Captain. Gleich gehen die Lichter aus.“

Die Fledermaus hatte ihren Rückzug vorbereitet. Sein Auto parkte in einiger Entfernung von dem Haus. In kürzester Zeit war er beim Wagen, öffnete die Tür – und schaute direkt in die Mündung einer Dienstpistole. Captain McGrath, mit einem leicht reumütigen Lächeln auf dem Lippen, hielt die Waffe in seiner Hand.

„Steigen Sie ein, Fledermaus“, befahl er. „Wir sind quitt, ich bin Ihnen nichts schuldig. Wir hatten keinen Waffenstillstand. Ich habe das Recht, Sie gefangen zu nehmen, und das nutze ich. Ich habe die Schwarze Fledermaus erwischt.“

Die Fledermaus bewegte sich nicht.

„Gratuliere, Captain McGrath“, murmelte er. „Das habe ich nicht erwartet. Warner hat den Gefangenen in Gewahrsam, nehme ich an?“

„Ich habe ihn mit Handschellen an den Commissioner gekettet“, berichtete McGrath strahlend, „und bin wie der Teufel hierher gerannt. Es ist aus, Fledermaus. Sie können genauso gut Ihre Maske abnehmen und mir Ihr Gesicht zeigen ... Tony Quinn. Charters hatte recht. Sie sind Tony Quinn.“

Die Fledermaus lachte leise. „Wollen Sie ein paar Dollar darauf setzen, Captain? Sie scheinen so absolut sicher, dass es in Ihren Augen kein großes Risiko sein dürfte.“

„Gerne! Ich würde alles darauf wetten, inklusive meiner Marke, dass Sie Tony Quinn sind. Kommen Sie – nehmen Sie die Maske ab. Das Spiel ist aus.“

„Noch nicht. Hier ist mein Einsatz. Sie sagten, jeder Einsatz wäre Ihnen recht. Gut! Ich wette meine Freiheit gegen eine Gefangennahme durch Sie, dass ich nicht Tony Quinn bin.“

„Die Wette gilt“, antwortete McGrath. „Ich weiß, dass ich recht habe. Wie klären wir die Angelegenheit?“

„Warum fahren wir nicht zu einem öffentlichen Telefon? Ich gebe Ihnen mein Wort, nicht zu fliehen. Rufen Sie bei Tony Quinn an. Wenn er nicht zuhause ist, nehme ich meine Maske ab.“

McGrath trat aufs Gaspedal. Er steckte seine Waffe weg, weil er wusste, dass auf das Wort der Schwarzen Fledermaus Verlass war. Sie hatten bereits zuvor ­zusammengearbeitet, wenn sie einen Waffenstillstand ausgehandelt hatten, und McGrath hatte in diesen Situationen niemals versucht, die Fledermaus zu demaskieren, noch hatte die Fledermaus versucht, ihn anzugreifen.

McGrath befolgte den Vorschlag der Schwarzen Fledermaus, hielt in einer Seitenstraße an, betrat eine Drogerie und wählte die Nummer von Tony Quinns Anwesen.

Silk ging ans Telefon.

„Hören Sie zu“, sagte McGrath. „Das Spiel ist aus. Hier spricht Captain McGrath und ich habe die Schwarze Fledermaus. Ich weiß, dass es Tony Quinn ist, aber ich nehme seine Wette an. Wenn Quinn zuhause ist, holen Sie ihn ans Telefon und beweisen es. Und hören Sie – ich falle auf keine Tricks rein, wie zum Beispiel eine Schallplattenaufnahme.“

„Aber Captain“, antwortete Silk, „Mister Quinn nimmt gerade ein Bad. Das Telefon steht direkt vor dem Badezimmer. Ich ... entschuldigen Sie mich, Sir.“

McGraths Gesicht nahm die Farbe von Rotkohl an. Durch die Leitung hörte er das Geräusch von plätscherndem Wasser und dann Tony Quinns nörgelnde Stimme so deutlich, als würde er direkt in den Hörer sprechen.

„Silk! Silk, wer ist da? Wer ist da, Silk?“

„Es ist McGrath“, sagte Silk. „Er muss verrückt sein. Sagt, er hat Sie festgenommen. Ich bin mir sicher, er ist wahnsinnig geworden, Sir.“

„Silk!“ Quinns Stimme war erneut klar zu hören. „Sagen Sie ihm, er soll sich einen Moment gedulden. Ich komme in einer Minute raus. Kommen Sie herein und reichen Sie mir ein Handtuch, bitte. Warum zum Donnerwetter lassen Sie die Tücher nicht auf dem Handtuchständer. Haben Sie vergessen, dass ich blind bin?“

McGrath legte auf. Er ging zurück zum Auto und fand die Schwarze Fledermaus hinter dem Steuer.

„Okay“, sagte McGrath. „Sie haben gewonnen. Ich lag falsch und ich halte mich an mein Wort. Aber hören Sie, wenn ich Sie das nächste Mal erwische, wird nicht gewettet. Ich werde Sie so schnell in eine Zelle treiben, dass Sie gar nicht wissen, wie Ihnen geschieht. Ich – ach, zum Teufel damit! Was bringt es denn? Ich bin froh, dass wir gewettet haben. Wenn es Sie nicht gäbe, würde ich unsichtbare Männer durch die ganze Stadt jagen und dabei den Verstand verlieren. Ich ...“

„Auf Wiedersehen, Captain.“ Die Schwarze Fledermaus kicherte. „Es tut mir leid, dass Sie so falsch lagen. Wir werden uns bald wiedersehen. Irgendein blauäugiger Gauner wird wieder versuchen, über Nacht zum Millionär zu werden ... Oh, übrigens, nachdem Sie so nett waren, Ihr Wort zu halten: Fahren Sie zu Charters’ Haus. Die Halsketten und das Diadem befinden sich in seinem Safe. Ich habe ihn für Sie offenstehen lassen.“

McGrath beobachtete, wie das Auto wegfuhr. Er rieb sich das Kinn und lächelte ein wenig. Plötzlich verschwand das Lächeln von seinen Lippen. Ihm wurde klar, dass er kilometerweit vom Stadtzentrum entfernt war und es keine Busverbindung zum Zentrum gab. McGrath fluchte und stapfte los ...


*


Tony Quinn saß in seinem Lieblingssessel am Kamin, zog abwechselnd an seiner Pfeife und lachte. Silk heulte vor Schadenfreude.

„McGrath sagte sogar, er würde es merken, wenn ich ihm eine Aufnahme vorspiele“, lachte er. „Das war eine gute Idee, eine Platte für einen solchen Anlass vorzubereiten. Es klang gewiss echt und McGrath konnte keine Fragen stellen, um Sie zum Antworten zu bringen, weil Sie im Bad waren. Mit einer normalen Aufnahme wären wir nicht davongekommen, Sir. Mit dieser hat’s geklappt, aber ich fürchte, beim nächsten Mal, wenn ich McGrath begegne, muss ich ihm direkt ins Gesicht lachen.“

DIE SCHWARZE FLEDERMAUS
Band 16



In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones


Die Hauptfiguren des Romans:


03_Fledermaus

Die Schwarze Fledermaus


03_Carol

Carol Baldwin


03_Silk

Silk Kirby


03_Butch

Butch O'Leary


02_McGrath

Inspector McGrath



G. W. Jones


Der unsichtbare Tod


Aus dem Amerikanischen von Harald Gehlen





Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung 
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Harald Gehlen
Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies
Illustrationen: Dorothea Mathies
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-016-1

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels, so auch beim vorliegenden Roman.

Daniels wurde am 3. Juni 1905 in Connecticut geboren, brach sein Studium aus finanziellen Gründen ab und begann 1931 eine beispiellos produktive Karriere als Autor. Allein in den folgenden drei Jahrzehnten veröffentlichte er über 2.000 Geschichten: Comics, Bücher, Radio­hörspiele, aber vor allen Kriminal- und Superheldenromane. Für den Chicagoer Verlag Thrilling Publications erschuf er die Figur der Schwarzen Fledermaus und verfasste einen Großteil ihrer 62 Abenteuer, die zwischen 1939 und 1952 in den USA erschienen. Daniels starb am 19. Juli 1995 im Alter von 90 Jahren in Kalifornien.

Das Abenteuer Der unsichtbare Tod erschien im September 1941 unter dem Titel The Black Bat‘s Invisible Enemy in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.




Kapitel 1 – Ein unsichtbarer Mörder

Die Wertpapier- und Treuhandbank öffnete um 9.30 Uhr, mit der gleichen exakten Pünktlichkeit wie seit über siebzig Jahren. Einer der ersten vor Ort, bevor der Arbeitstag offiziell begann und die schweren Kupfertüren für die Kunden geöffnet wurden, war Roy Banton. Er arbeitete hier schon lange als Kassierer und Angestellter; die Jahre wollte er am liebsten gar nicht zählen. Aber er war noch kein alter Mann, in keinerlei Hinsicht. Seine Schritte waren noch immer leicht und er konnte 10.000 Dollar in großen Scheinen genauso schnell durch seine Finger blättern lassen wie jeder seiner jüngeren Kollegen.

Die Bank war ein imposanter Ort. Sobald die Kupfer­türen geöffnet waren, würden die Kunden durch die inneren Glastüren das Gebäude betreten. Im Innenraum stießen sie dann auf einen Halbkreis von Kassen- und Kundendienstschaltern. Die Sachbearbeiter waren im hinteren Teil des Gebäudes untergebracht. Um zu ihnen zu gelangen, musste man zuerst einem bewaffneten Wachmann den Grund des Besuches erklären.

Der große Raum besaß eine gewölbte Decke und war gut beleuchtet. In der Mitte der nördlichen Wand befand sich der glänzende Safe mit seinen massiven Scharnieren, seinen Zahlenschlössern und mit der verzierten und verchromten Klinke, die an das Steuerrad eines Schiffes erinnerte.

Roy Banton warf einen Blick auf die Uhr, während er sich seines Mantels und seiner Weste entledigte. Er schlüpfte in ein graues Jackett aus einem leichten Stoff, als er zum Safe eilte. Das Zeitschloss würde sich in zwanzig Sekunden öffnen. Dann würde der Kassenassistent seinen Teil zur Öffnung des Mechanismus beitragen. Der alte Gaube würde aus seinem Buchhaltungsbüro gewackelt kommen, um ein weiteres Zahlenschloss zu bedienen und Roy Banton würde sich schließlich um das letzte Schloss kümmern.

Nur im Zusammenspiel des Zeitschlosses und dem gemeinsamen Bemühen der drei Männer ließ sich der Tresorraum öffnen. Sogar der Präsident der Bank könnte dies nicht alleine machen.

Nun schwangen die tonnenschweren Türen auf, so leicht wie die Terrassentür eines kleinen Bungalows. So einer wie das Haus, in dem Roy Banton mit seinem Vater lebte. Der Tresor war eine beeindruckende Konstruktion. Kein Dieb und keine Gaunerbande könnte ihn mit Sprengstoff, Bohrern, Brechstangen und aller Zeit der Welt öffnen. Die Erbauer hatten diesen Tresor als einbruchssicher eingestuft und das war er auch.

Roy Banton betrat den Tresor und verteilte Geldscheine und Silber an die anderen Kassierer. In fünf Minuten würde die Bank öffnen.

Banton befand sich immer noch im Safe, als die ersten Kunden die Bank betraten. Um 9.30 Uhr befanden sich bereits elf Kunden im Kassenraum.

Genau in diesem Moment hörte man Roy Banton aus der Tiefe des Tresors laut aufschreien. Er stolperte aus dem Tresorraum heraus, sein Gesicht weiß wie Alabaster. Er wedelte mit den Armen und brabbelte etwas, das niemand verstehen konnte. Schließlich kehrte seine Stimme zurück.

„Die Lohntüten der Albee-Baugesellschaft. Sie sind weg! Sie sind weg! Sie sind mir einfach aus der Hand geklaut worden. 200.000 Dollar in Scheinen. Einfach aus meiner Hand geklaut!“

Malloy, der Vorgesetzte der Wachleute, rannte zu Banton und gab gleichzeitig Anweisungen, dass man Alarm geben sollte. Er packte Banton und schüttelte ihn heftig.

„Hören Sie mir zu, Roy! Hören Sie mir zu. Niemand hat den Safe verlassen! Befindet der Dieb sich noch im Tresor?“

„Nei-nein! Das Geld – ich hatte es in meinen Händen! Man hat es mir entrissen und ich konnte noch nicht mal den Mann erkennen, der das getan hat. Er war – unsichtbar!“

Draußen erklang eine Alarmglocke. Malloy stürmte in den Tresorraum, eine Waffe in der Faust. Niemand konnte sich dort verstecken und er war erleichtert, den Raum leer vorzufinden. Ein anderer Wachmann, der zuvor damit beschäftigt war, Kugelschreiberminen an den Schreibtischen auszutauschen, zog seine eigene Waffe und eilte zum Haupteingang, um dort seinen Posten zu beziehen.

Er hatte die Tür beinahe erreicht, als er stolperte und hart zu Boden fiel. Ein Stöhnen kam über seine Lippen.

Eine Frau in seiner Nähe schrie und fiel ebenfalls leise zu Boden. Jeder in der Bank – und es waren genug, um die Geschichte später zu bestätigen – sahen, wie eine der Glastüren am Eingang plötzlich nach außen aufschwang und sich dann wieder schloss, als ob jemand, den man nicht sehen konnte, hindurch geeilt war.

Malloy half zuerst der heulenden, hysterischen Frau wieder auf die Füße und stützte sie auf dem Weg zu einer der mit Leder überzogenen Bänke. Dann schnaubte er wütend, als er sich dem älteren Wachmann näherte.