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WESTWIND


In dieser Reihe bisher erschienen


2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous


Dietmar Kuegler


Zu den Quellen Manitous


Westwind - Band 2




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.


© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-95719-092-5



Einführung

Das Jahrhundert der Pioniere


„Der Exodus begann im Jahre 1841. Ein Strom von Männern, Frauen und Kindern verließ Independence im Staate Missouri. Sie zogen nach Westen. Sie marschierten neben ihren Planwagen her, die ihre Habe enthielten, und sie hatten rund 2000 Meilen bis zur Pacific-Küste vor sich. Sie suchten eine neue Heimat und waren entschlossen, das fruchtbare Paradies zu finden, von dem die Missionare und Mountain Men berichtet hatten. Sie hatten geschworen, auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents eine neue Existenz, eine neue Welt, zu gründen.“

Huston Horn, THE PIONEERS, 1974


Der mittlere und der ferne Westen der USA unterlagen lange Zeit einer falschen Beurteilung und waren für Jahrzehnte Gegenstand phantasievollster Spekulationen. Nur wenige Reisende hatten bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts die Tiefen des amerikanischen Raums gesehen. Die wenigen weißen Männer, die in die Wildnis zogen, die Rocky Mountains und die weiten Prärien und Steppen durchquerten, waren die Pelzjäger und Pelzhändler. Sie kamen nur selten in die Zivilisation zurück und berichteten zurückhaltend von ihren Erlebnissen und Beobachtungen. Aber diese kargen Berichte regten die Phantasie vieler Menschen an.

Einige wenige Expeditionen, die von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgerüstet wurden, drangen zwar bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den fernen Westen vor, sahen aber nur vergleichsweise geringe Abschnitte dieses riesigen Landes.

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts galt der amerikanische Westen, dem Erkenntnisstand der führenden Militärs und Politiker zufolge, als wertlos. Er wurde als die große amerikanische Wüste bezeichnet. Damit gemeint waren in erster Linie die Great Plains, eine fast baum- und strauchlose sowie wasserarme Kurzgrassteppe, die sich bis zu den Ausläufern der Felsengebirge dehnte. Gerade gut genug für die der Zivilisation entfremdeten Trapper und die Indianerstämme, über deren Sitten und Gebräuche die schrecklichsten Geschichten in Umlauf gesetzt wurden.

Diese Ansicht begann sich gegen Ende der 1830er Jahre zu ändern. Das Interesse wuchs wieder. Reisende, die bis nach Oregon vorgedrungen waren, berichteten von grünen, tiefen, wildreichen Wäldern, klaren Quellen und fetter, schwarzer Erde. Führende Politiker Amerikas griffen den Gedanken einer westlichen Besiedlung auf, zumal sich mit dem Zugang zur Pacific-Küste neue Handelswege in den asiatischen Raum eröffnen konnten. Zudem landeten immer mehr Einwanderer in den Atlantikhäfen der Neuen Welt an. Manchen Regionen an der Ostküste drohte Übervölkerung. Man benötigte ein Ventil für den ständig wachsenden Strom von Menschen. (Von den gewaltigen Goldvorkommen in Kalifornien wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas.)

Da Frankreich und England weitgehend aus dem amerikanischen Einflussbereich verdrängt waren, stand diesen Plänen nur noch Mexiko im Wege, das zu jener Zeit im Besitz des gesamten heutigen Südwestens der USA und auch Kaliforniens war. Das mexikanische Staatsgebiet reichte bis noch 1848 bis ins heutige Utah und umfasste auch die heutigen Staaten Texas, Arizona, New Mexico, Nevada und Teile Colorados.

Texas, seit den 20er Jahren von weißen Kolonisten unter der Führung von Stephen Austin besiedelt, war das erste Gebiet, das sich von Mexiko lossagte und 1835 darum einen erbitterten Krieg begann, der mit der Gründung der eigenständigen Republik Texas unter der Präsidentschaft des Freiheitshelden Sam Houston endete.

Im Verlauf der folgenden 10 Jahre entwickelte sich die innenpolitische Lage der USA dermaßen rasant in Richtung auf eine expansive Haltung, dass der 1846 ins Amt gewählte Präsident Polk bereit war, sogar einen Krieg mit Mexiko zu führen, um die Grenze der Vereinigten Staaten bis zum Pacific ausdehnen und die Mexikaner südlich hinter den Rio Grande verdrängen zu können.

1845 wurde Texas als Staat in die USA aufgenommen, und 1846 brach der Krieg gegen Mexiko aus, der 1848 damit endete, dass die USA im Friedensvertrag von Gua­dalupe Hidalgo gewaltige territoriale Landgewinne festschreiben konnten. Mit diesem Krieg wurden die geographischen Grenzen der Vereinigten Staaten, so wie wir sie heute kennen, im Wesentlichen festgelegt.

Nur wenig später wurde in Kalifornien Gold entdeckt. Diese Tatsache markierte den historischen Beginn einer Ära, die man heute als den Wilden Westen bezeichnet.

Die Goldfunde im Bach der Sägemühle des aus Baden stammenden Kolonisten Johann August Sutter lösten in den darauffolgenden Jahren eine Einwandererschwemme in die USA ohnegleichen aus und verursachten einen nicht abreißenden Strom von Wagentrecks quer durch den kaum erforschten Westen.

In den ersten 10 Jahren nach der Entdeckung des Goldes zogen mehr als 100.000 Menschen mit Planwagen in das Land westlich des Mississippi hinaus. Viele erreichten niemals ihr Ziel, andere wurden bitter enttäuscht, ihre Träume vom schnellen Reichtum zerplatzten wie Seifenblasen.

Die ersten westwärts rollenden Trecks waren allerdings schon früher aufgebrochen. Es hatte sich dabei jedoch nur um unbedeutende Einzelunternehmen gehandelt.

1820 hatte der Trapper Jedediah Smith den South Pass entdeckt, eine befahrbare Passage über die Rocky Mountains zur Westküste; bis dahin hatte man nicht geglaubt, dass die Rocky Mountains mit Fahrzeugen überquert werden konnten. Die erste Massenwanderung nach Westen fand dann aber erst im Jahre 1846 statt, als die Angehörigen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage – auch Mormonen genannt – vor ihren Gegnern flüchten mussten. Zu Fuß, mit Handkarren und Planwagen, zogen sie durch die Prärie, durchquerten reißende Ströme und überschritten hohe Berge, um sich im Tal des Großen Salzsees anzusiedeln.

Binnen weniger Jahre verwandelten sie mit Bienenfleiß diese wüste Einöde in ein blühendes Paradies und widerlegten damit die These von der großen Wüste so nachhaltig wie nur möglich. Die Siedlungen der Mormonen wurden wenige Jahre später Anlaufplätze für die Goldgräbertrecks, die sich weiter nach Kalifornien bewegten.

Man muss angesichts dieser Massenbewegung wissen, dass der Boden dafür seit Jahren gut vorbereitet war. In den Oststaaten der USA war schon vor dem Krieg mit Mexiko und den kalifornischen Goldfunden eine mächtige Propa­gandakampagne für die Besiedlung der westlichen Ebenen angelaufen. Ihr Held und Bannerträger war der jugendliche John C. Frémont, ein enthusiastischer, idealistischer, aber auch ehrgeiziger und überaus talentierter Emporkömmling, der als einer der bedeutendsten Forscher und Reisenden in die amerikanische Geschichte eingegangen ist.

Er hatte sich mit viel Protektion Zugang zum Expeditionskorps der US-Armee verschafft und im Auftrag der Regierung mehrere größere Forschungsreisen durch den Westen unternommen. Von da an wurde er, dem die Presse den Ehrentitel Der Pfadfinder verlieh, nicht müde, die Schönheiten und Chancen des großen, freien Landes zu beschreiben und zu preisen. Vieles, was er verkündete, war fehlerhaft, war reine Schwärmerei, aber sein Einfluss auf die Geschichte der Westwanderung ist nicht zu unterschätzen.

Seine Berichte verklärten die Welt der Trapper und Indianer zu einem Land, das dem Garten Eden nicht unähnlich war.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Viele der Pioniere, die mit großen Erwartungen aufbrachen, gingen an der Härte und Grausamkeit des Landes zugrunde.

Nur die Stärksten überlebten, nur sie fassten Fuß. Und so schob sich die Zivilisation langsam voran und drängte stetig die eigentlichen Herren dieser wilden Welt, die Indianer und die weißen Pelzjäger, an die Wand. Die Eroberung des amerikanischen Westens war – was früher selten erwähnt wurde – ein Kulturkampf zwischen der weißen Zivilisation und der Kultur der roten Stämme. Es ging um eine radikale Ausmerzung des indianischen Lebens und gleichzeitig um die Ausbeutung einer scheinbar unerschöpflichen Natur.

Hatte sich bis dahin der Mensch dem Land angepasst, passten die Pioniere nun das Land ihren Bedürfnissen an. Heute nennt man diese Phase der Geschichte einen Clash of Cultures, einen Zusammenprall der Kulturen – und das beschreibt die Vorgänge zutreffend.

Der Siedlerstrom nach Westen begründete aber auch einen neuen, rasch wachsenden Industriezweig: In Pennsylvania hatten die Nachkommen deutscher Wagenmacher die der Landschaft adäquaten Fahrzeuge gebaut, die Conestoga-Wagen. Für die Trecks nach Westen wurde aus diesen riesigen Transportfahrzeugen eine kleinere Version entwickelt, die von jeweils vier Ochsen gezogen wurde und die gesamte Habe der Pioniere tragen konnte. Die weißen Planen dieser Wagen wirkten aus der Ferne im Meer des Steppengrases wie die Segel von Schiffen, was ihnen die Bezeichnung Prärieschoner eintrug; sie wurden zu einem Symbol der Eroberung des Landes.

Die Trecks mussten ausgerüstet werden. Konservenfabriken entstanden. Immer neue Möglichkeiten wurden erprobt, Lebensmittel haltbar zu machen und die Trecks mit Proviant zu versorgen.

Der junge, ideenreiche Waffenfabrikant Samuel Colt begann in dieser Zeit eine atemberaubende Karriere mit immensen geschäftlichen Erfolgen. Seine Revolver wurden für die Pioniere zu unentbehrlichen Waffen, denn das Land im Westen war gefährlich, und jeder Mann war sein eigener Hüter. Es gab weder Recht noch Gesetz. Das Faustrecht und ein verschwommener Ehrenkodex bestimmten die Regeln. Der Stärkere setzte sich durch, der Schwächere blieb auf der Strecke. Die Pioniergesellschaft kannte keine Gnade. Sogar Frauen und Kinder wurden bewaffnet.

Goldgräber benötigten Schürfausrüstungen, Siedler beluden ihre Wagen mit Ackergeräten und Saatgut. Für Medikamente musste genauso gesorgt werden wie für Kleidungsstücke, die der Wildnis angemessen waren.

Es dauerte nicht lange, da bildeten sich – vor allem längs des Missouri und des Mississippi –, mit Schwerpunkten in St. Joseph, Independence und St. Louis, regelrechte Unternehmen, die nichts anderes taten, als Trecks auszurüsten, unerfahrene Siedler mit Wagen und Zugochsen und allen Ausrüstungsgegenständen zu versehen, die für den Zug durch die Great Plains vonnöten waren.

Sie stellten die Trecks zusammen und sorgten für landeskundige Führer. Sie richteten Raststationen ein, und bereits bestehende Stützpunkte in der Wildnis, die bis dahin vorwiegend dem Pelzhandel gedient hatten, stellten sich darauf ein, in Zukunft die Vorräte von Trecks zu ergänzen und Reparaturen auszuführen.

Die Trecks benutzten die Wege, die seit dem 18. Jahrhundert von den Trappern gegangen und vorgezeichnet worden waren. Auf der nordwestlichen Route, dem Oregon Trail und dem Mormon Trail, wurde das legendäre Fort Laramie bekanntester und bedeutendster Anlaufposten für die Trecks über den South Pass.

Unter dem Namen Fort William 1834 gegründet, wurde es von der Amerikanischen Pelzkompanie unterhalten und 1849 an die US-Armee verkauft.

Auch andere Stützpunkte, wie der Handelsposten des legendären Trappers Jim Bridger, waren beliebte Rastplätze der Wagenkolonnen.

Diese Trading Posts, einst erste Landmarken der Zivilisation in der Wildnis, wurden jetzt zum Dreh- und Angelpunkt der Westwanderung.

Zahllose kleine Händler versuchten, sich an das große Geschäft mit den Siedlertrecks anzuhängen. Sie erkundeten eigene Routen durch die Berge, die von den alten, bekannten Trails abwichen und an ihren Handelsposten, die abseits der großen Treckstraßen lagen, vorbeiführten. Viele dieser Routen, die den unerfahrenen Pionieren oft als kürzer und leichter angepriesen wurden, waren reine Phantasieprodukte oder entwickelten sich für viele Siedler zu Sackgassen in den Untergang.

Wagenkolonnen, die solchen dubiosen Trails folgten, endeten nicht selten auf tragische Weise. So ging im Jahre 1846 eine Wagenkolonne unter Führung der Familien Reed und Donner in den Rocky Mountains erbärmlich zugrunde, weil sie einer Route des Trappers Hastings vertraut hatten, der seinen Trail aber nur zu Pferde abgeritten war, ihn also niemals mit einem Wagen befahren hatte. Die Fahrzeuge gelangten nur unter großen Schwierigkeiten voran. Als sie vom Schnee überrascht wurden, blieben sie endgültig stecken. Die Stärksten gingen zu Fuß weiter, und von den Zurückbleibenden überlebten nur wenige, darunter der deutsche Auswanderer Lewis Keseberg aus Lüneburg, die sich vom Fleisch gestorbener Frauen und Kinder ernährt hatten.

Vertrauensseligkeit zahlte sich in einem Land mit so harten Sitten und Gebräuchen nicht aus. Aber immer wieder folgten leichtgläubige Pioniere den Ratschlägen und Versprechungen raffinierter Geschäftemacher, die nicht das Wohl der westwärts ziehenden Familien, sondern nur ihre eigenen finanziellen Interessen im Auge hatten. Und unter ihnen selbst tobten Konkurrenzkämpfe, bei denen es bisweilen zu blutigen Auswüchsen kam. Vor diesem Hintergrund, der die Auswucherungen der Zivilisation in markanter Weise aufzeigte, vollzog sich der Untergang der Indianer und der Trapper.

Dieser Roman beschreibt den trockenen Sommer des Jahres 1841 auf den Great Plains, in dem die Weichen für die weitere Entwicklung dieses fast unberührten Landes und für das Schicksal der wenigen Menschen, die hier lebten – Rote und Weiße – gestellt wurden.

Das Jahrhundert der Pioniere begann.

In diesem Roman wird der verzweifelte und doch hoffnungslose Kampf der letzten Waldläufer ums Überleben geschildert. Sie mussten ihn verlieren. Aber vielleicht waren auch die vermeintlichen Sieger auf lange Sicht Verlierer. Denn mit dem rücksichtslosen Vordringen kam nur ein scheinbarer Fortschritt. In Wahrheit brachte es einen Verlust an individueller Freiheit und führte zu Vermassung, Desorientierung und Materialismus. Eine natürlich gewachsene Ordnung, die eine gleichgewichtige Lebensform ermöglicht hatte, nach der wir uns heute so oft wieder sehnen, wurde auf ewig zerstört.

Es war sicher keine einfache Welt, die dort im Westen Amerikas unterging. Sie war hart und vielfach komplizierter, als der romantisch verklärte Rückblick es ahnen lässt. Aber sie war ehrlich und frei. Der Mensch konnte atmen und aufrecht gehen, er brauchte nicht zu heucheln. Das Land setzte Maßstäbe, es liebte die offenen und starken Charaktere, die Einfachheit und die Unabhängigkeit.

Die Trapper Abe McNott und Tulipe stehen hier für die vielen anderen, die in der unerschlossenen Wildnis ihre Existenz und Selbstverwirklichung gesucht hatten. Der Pionier Zacharia Kent, einer jener ersten Händler im weiten Land, hatte sich den sich verändernden Strömungen der Zeit angepasst und sich innerlich von diesen Idealen abgewandt. Er repräsentiert jene Männer, die aus dem Zug der großen Siedlertrecks ein Geschäft machen wollten, egoistisch und ohne Rücksicht auf die Menschen.

Trapper wie McNott widerstanden als eigenwillige Individualisten den Versuchungen, und sie zahlten dafür mit ihrem Leben. Aber vielleicht zahlten die Landeroberer, die hemmungslosen Kolonisten, am Ende selbst den höchsten Preis.

Man sollte sich dennoch an sie erinnern: Die Welt im Westen Amerikas ist, auch in der Zeit ihres Umbruchs, noch heute – gerade heute – einen Traum wert.



Der Regenmacher


„Der dringende Bedarf an Regen, verbunden mit der Furcht vor der Gefahr der Trockenheit, hat immer und überall in den Agrarkulturen der Welt dazu geführt, dass Versuche unternommen wurden, die Elemente zu kontrollieren. In früheren Zeiten waren die Götter von Donner und Regen wichtiger als die Sonnengötter vieler Mythologien und wurden mit allen Mitteln milde gestimmt. In Südamerika setzten die Indianer die Ebenen in Flammen und versuchten so, die in Wolken gebundene Feuchtigkeit zur Auflösung zu bringen, während in Nordamerika in Perioden starker Trockenheit die Medizinmänner meditierend in ihren Hütten saßen und stark riechende Zauberkräuter verbrannten, weil sie glaubten, dass der Rauch Einfluss auf das Klima ausüben könne.“

Jeanne Schinto, RAINMAKERS, 1977


Vor mehr als sechs Wochen war er in den Bergen aufgebrochen. Seitdem war er unterwegs in die Täler von Wyoming.

Er ging zu Fuß und trug ein fest geschnürtes Bündel aus Biberfellen mit einem Gewicht von gut zweihundertundfünfzig Pfund auf dem Rücken. Er ging leicht ­gebückt, denn das Bündel hing an einem breiten Riemen, den er sich um die Stirn gelegt hatte. Trotzdem schritt er fest und stetig aus. In der rechten Hand hielt er den Lauf eines großen Kentucky-Gewehrs, das er beim Gehen hinter sich her schleifte.

Er trug gegerbte Hirschlederhosen mit Fransen an den Nähten und ein ebensolches Hemd. Auf dem Kopf hatte er eine Waschbärfellmütze. Die untere Hälfte seines lederhäutigen Gesichts wurde von einem struppigen schwarzen Bart bedeckt, der bis fast auf die Brust reichte.

Sein Name war Abe McNott. Er war Schotte von Geburt, und das war auch schon alles, was er über seine Herkunft wusste.

Seine Gestalt war gedrungen und sehr kräftig. Er war ein Mann, der viel ertragen konnte.

Über ihm wölbte sich ein wolkenloser Himmel, an dem die Sonne wie ein glutspeiendes Feuerrad stand. Sie versengte das Land und trocknete Bäche und Flüsse aus.

McNott hatte gewusst, dass ein trockener Sommer bevorstand, als er seine Hütte in den Bergen verlassen hatte, aber er sah seine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Das vorige Jahr war ein gutes Biberjahr gewesen, obwohl McNott all seine Erfahrungen hatte aufbieten müssen, um eine gute Beute zu erzielen. Wenn er an seine Rückkehr in die Berge dachte, befielen ihn düstere Ahnungen.

Der trockene, dürre Sommer ließ die Gewässer sterben, und damit verschwanden auch die Biber, die durch die Jagd in den letzten Jahren sowieso selten geworden waren.

Kein Windhauch regte sich, als McNott über die Hügel oberhalb des North Platte schritt, der noch im Frühjahr, gefüllt mit den Schmelzwassern, ein rauschender Strom gewesen, in den letzten Wochen aber zu einem armseligen Rinnsal verkümmert war.

Weit vor sich sah er eine dünne Rauchfahne steil aufsteigen. Die Sonne stand im Zenit, und es gab keinen Schatten, als er in ein langgestrecktes Flusstal des North Platte hineinwanderte. Am östlichen Ende sah er Indianerzelte. Auf einer sandigen Klippe über dem Fluss bemerkte er einen Mann.

Er beschleunigte seine Schritte nicht. Das Gras, durch das er schritt, war kniehoch, aber es war ausgetrocknet und hatte eine bräunliche Tönung angenommen.

Am Rand des Dorfes standen die Krieger, Frauen und Kinder und spähten zur Klippe hin. McNott erkannte, als er sich dem Lager genähert hatte, einen hochgewachsenen, breitschultrigen Krieger, dem er schon begegnet war. Er wusste nun, dass er sich dem Lager einer Gruppe von Oglala-Sioux näherte.

Sie bemerkten ihn erst, als er schon auf Rufweite heran war. Einige Köpfe wandten sich ihm zu. McNott blieb am Rand des Lagers stehen und ging in die Knie. Er legte seine Last ab. Als er sich erleichtert wieder aufrichtete, stand der hochgewachsene Krieger vor ihm.

„Ich grüße dich, Bibermann“, sagte er. Er trug einen Lendenschurz und Hirschlederleggins. Sein Oberkörper war nackt. Die Narben der Sonnentanzzeremonie waren auf dem breiten Brustkorb zu sehen. Um die muskulösen Oberarme trug er perlenbestickte Lederbänder. Das schwarze Haar hatte er zu zwei Zöpfen geflochten, die sein kantiges Gesicht einrahmten.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, Grey Wolf.“ McNott drückte dem Häuptling die Hand. „Ich bin auf dem Weg zum großen Rendezvous bei Kent‘s Fort.“

„Du hast Biber mitgebracht?“

„Ich hatte Glück. Meine Beute ist gut. Aber dieses Jahr wird schlecht für die Jagd.“

Grey Wolfs Stirn bewölkte sich.

„Die Prärien verdorren, die Ströme trocknen aus, und die Büffel kommen nicht. Die Geister der Trockenheit sind stark. Wenn der Sommer so bleibt, werden wir nach dem Süden ziehen und die Büffel suchen müssen. Sonst werden wir im nächsten Winter hungern.“

„Im Süden sind die Pawnee und noch weiter südlich die Comanchen.“

„Ja“, sagte Grey Wolf. „Wir ziehen nicht gern dorthin, aber sollen wir verhungern?“

McNott blickte zur Klippe über dem North Platte. Der einzelne Krieger dort stand nun hochaufgerichtet da und schien direkt in die Sonne zu blicken.

Er war sehr hager, war barfuß, trug nur einen kurzen Lendenschurz und hatte seinen Körper mit Erdfarben bemalt. Sein Gesicht war schneeweiß, nur über seine Wangen zogen sich schmale schwarze Striche. Um die Arme hatte er Bänder gewunden, von denen Vogelbälge und kleine Zinnglöckchen hingen. Auf dem Kopf trug er eine dicht mit Federn besetzte Kappe, aus der sich vorn der Schnabel eines Adlers wölbte.

Vor ihm brannte ein kleines Feuer, dessen Rauch McNott schon von weitem gesehen hatte. Rings um die Feuerstelle waren farbige Flusskiesel zu einem Kreis zusammengelegt worden.

Im Innern dieses Kreises hatte der Krieger aus Glimmerschiefer, verschiedenfarbigem Sand aus dem Flussbett und Steinstaub Ornamente der Fruchtbarkeit auf den Boden gemalt.

Reglos stand er da und hatte den Kopf gehoben. Unvermittelt streckte er die Arme aus. In den Händen hielt er Rasseln, die er jetzt zu schütteln begann. Gleichzeitig drangen gutturale, kehlige Laute aus seinem Mund. Ein monotoner, an- und abschwellender Gesang.

Er begann mit den Füßen zu stampfen und sich tanzend um das Feuer und den Steinkreis zu bewegen. Sein Gesang wurde immer kräftiger, sein Tanz immer wilder, immer ekstatischer. Auch an seinen Fußknöcheln hingen Bänder mit Zinnglöckchen. Rasseln und Glöckchen unterstützten rhythmisch den Gesang des Mannes.

„Das ist Wakonda“, sagte Grey Wolf leise. „Der ­Regen­macher.“

„Ich habe seinen Namen schon gehört.“

„Er ist ein großer Medizinmann.“

„Er soll einen starken Zauber haben“, sagte McNott.

„Wenn er uns nicht hilft, dann müssen wir unser Land verlassen.“

Wakonda bäumte sich dem Himmel entgegen. Er schwang die Arme, schüttelte die Rasseln und stampfte, dass Staubwolken unter seinen nackten Füßen aufstoben. Sein Gesang verlor nicht an Kraft, er wurde sogar eindringlicher, durchdringender, flehender.

Wakonda sprang über das Feuer und wieder zurück, ohne den Kreis aus Steinen zu beschädigen. Er warf ein Pulver in die Flammen, die daraufhin für Sekunden fast mannshoch aufschossen. Danach stieg ein rötlicher Rauch auf, und Wakonda tanzte weiter.

Langsam sank die Sonne nach Westen. Die Frauen der Oglala kehrten in die Tipis zurück, nur die Kinder und Krieger standen weiter am Lagerrand und beobachteten den Regenmacher, der einen wilden Kampf mit den Geistern der Trockenheit ausfocht.

McNott hatte sich niedergelassen und aß aus einer Tonschale Pemmikan, den ihm die Frau von Grey Wolf gebracht hatte.

Als die Sonne sich rot färbte und der westliche Horizont in tausend lodernden Farben brannte, erstarb die Stimme Wakondas.

Seine Bewegungen waren müde geworden. Er ließ die Arme sinken und sackte unvermittelt neben dem Feuer zu Boden.

Grey Wolf stieß einige Worte in Oglala-Sprache aus. Zwei Krieger liefen auf die Klippen und hoben Wakonda auf. Sie trugen ihn herunter.

McNott sah, dass die Bemalung im Gesicht und auf dem Körper des Medizinmannes zerlaufen war. Wakonda lag in Trance, er nahm nicht wahr, was mit ihm geschah.

Grey Wolf strich sich über die Stirn. Er spähte zum Himmel und schüttelte den Kopf.

„Keine Wolke“, sagte er. „Kein Wind. Wakondas Zauber war zu schwach. Die Quellen des Großen Geistes sind versiegt.“

„Sie werden sich wieder füllen.“ McNott legte dem Häuptling die Rechte auf die Schulter.

„Trotzdem müssen wir nach Süden ziehen, um die Büffel zu suchen.“

Grey Wolf wirkte besorgt. McNott wusste, dass er Grund dazu hatte. Weiter südlich lebten Stämme, die den Sioux feindlich gesinnt waren, die es nicht gern sehen würden, wenn Oglala in ihre Jagdgründe eindrangen.

„Bleib bei uns, Bibermann. In meinem Zelt ist immer Platz für dich.“

„Danke“, antwortete McNott. „Ich bleibe gern. Morgen ziehe ich weiter.“

Er schaute zur Klippe über dem North Platte, die jetzt in der Dämmerung verschwamm. Das Feuer des Regenmachers war erloschen.