C:\Users\Debora\Documents\Debs\Cursed Verlag\Veröffentlichungen\logo_sw.jpg

 

Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2017

 

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Teodora Kostova

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Cookies«

 

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-627-1

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 

C:\Users\Debora\Documents\Debs\Cursed Verlag\Veröffentlichungen\schmutz_cookies_sw.jpg

 

 

Aus dem Englischen
von Anne Sommerfeld

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Kriegsheimkehrer Amir Gopal besitzt eine kleine Bäckerei, hat einen Freundeskreis, der immer für ihn da ist, und hat sich weitestgehend mit seinen Narben arrangiert. Allerdings lässt er niemanden mehr wirklich an sich heran und spürt, dass ihm dadurch irgendetwas Tiefgreifendes fehlt. Als Jay in sein Leben tritt, haben seine Verteidigungsmechanismen von Anfang an keine Chance gegen den jungen, lebensfrohen Mann. Doch die Unsicherheit bleibt: Wird Jay noch mit ihm zusammen sein wollen, wenn Amir ihm sein Herz öffnet und all die Albträume offenbart, die ihn seit Jahren nicht mehr loslassen?

 

Für Kameron

 

Kapitel 1

 

 

»Wie hart ist das Karamell in den Nussbutterkeksen?«

Ich hob den Blick von der Zwölferbox, die ich gerade packte, um den Typen anzusehen, der die dümmste Frage stellte, die ich je gehört hatte.

»Ist es sehr flüssig? Es hört sich nämlich verdammt gut an«, fuhr er fort. Das gut rollte ihm mit einem leichten Stöhnen über die Lippen. »Aber ich möchte mir lieber nicht das Outfit ruinieren.« Er biss sich auf die volle Unterlippe und seine Augen funkelten schalkhaft.

Ich starrte ihn an. Ich konnte nicht anders. Er war so verdammt umwerfend, dass mir seine dumme Frage egal war. Wenn er wollte, konnte er endlos schwafeln, solange ich ihn dabei mit den Karamellkeksen füttern und die Flüssigkeit von seinem Kinn lecken durfte.

»Ähm…« Unsicher sah er an mir vorbei zu Chris, die gerade eine Tasse Espresso in ein Glas mit aufgeschäumter Milch goss.

Als mir klar wurde, dass ich ihn wie ein Idiot anstarrte, riss ich meinen Blick von ihm los, reichte der Dame vor ihm in der Schlange ihre Schachtel und wünschte ihr mit einem charmanten Lächeln einen schönen Abend.

Dann richtete ich meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Karamellkerl.

»Wie wär's damit?«, sagte ich und stützte die Ellbogen auf den Tresen. »Wenn du zum gleich Essen den Haferkeks nimmst, garantiere ich dir, dass du dir nicht die Klamotten einsaust.« Mein Blick wanderte anerkennend über seinen schlanken Körper, der durch die dunkle Hose und das intensiv grüne Hemd perfekt betont wurde. »Und die Butterkaramellkekse pack ich dir für später ein.«

Ein freches Grinsen umspielte seine vollen Lippen und, heilige Scheiße, zwei Grübchen zeichneten sich auf seinen Wangen ab, als er versuchte, es zu verbergen.

Die Frau hinter ihm verdrehte die Augen, ehe sie demonstrativ auf ihre Armbanduhr sah.

»Cool. Danke«, sagte der Karamellkerl und senkte die Lider.

Neben mir nahm Chris die Bestellung der Frau entgegen. Doppelt entrahmter Latte. Keine Kekse. Ich hasste sie noch mehr.

Ich spürte, dass Chris ebenso wie ich die Augen verdrehen wollte, aber sie unterdrückte das Bedürfnis und wandte sich erneut der Kaffeemaschine hinter mir zu.

»Das macht dann eins fünfundsechzig, bitte«, sagte ich, während ich dem Karamellkerl seinen Haferkeks und die eingepackten Nussbutterkekse reichte.

»Aber…«, fing er an und sah noch einmal auf die Preisschildchen im Schaukasten.

»Die Kekse gehen auf mich«, sagte ich.

»Das musst du nicht tun. Ich bezahle dafür«, protestierte er mit einem leichten Stirnrunzeln.

»Nein, ich bestehe darauf.« Die Falte zwischen seinen Brauen verschwand nicht und er sah mich direkt an. Keine Ahnung, wonach er suchte. Als sich seine klaren, blauen Augen verdunkelten, konnte ich sehen, dass er das Für und Wider meines Angebots abwog. »Ich sehe es als Investition. Ich bin mir sicher, dass du sie lieben und wiederkommen wirst, also bin ich bereit, dir eine kostenlose Kostprobe zu geben.«

Die Frau hinter ihm schnaubte spöttisch, doch als ich ihr einen bösen Blick zuwerfen wollte, erschien Chris mit ihrem Kaffee. Glücklicherweise nahm sie den Becher und suchte schnell das Weite, wobei ihre Absätze auf dem Gehweg klapperten.

»Na dann. Danke«, sagte der Karamellkerl, als er seine Kekse nahm und den Haferkeks bezahlte. »Bist du neu hier? Ich hab dich noch nie hier gesehen und ich bin seit letzter Woche jeden Tag hier.« Er lehnte sich über den Tresen und flüsterte verschwörerisch: »Ich sage dir, für die Blaubeer- und Zitronenkekse würde ich töten. Und die gesalzenen Karamellbrownies? Die sind aus gutem Grund ein Klassiker.«

Lachend stimmte ich ihm zu. Ich war lächerlich erfreut, dass er meine Kekse mochte.

»Wenn ich so weitermache, muss ich mehr trainieren oder ich werde den Berg zum Campus demnächst hinunterrollen

»Ich glaube nicht, dass das jemals passiert«, sagte ich und ließ meinen Blick noch einmal über seinen Körper gleiten.

Subtil, ich weiß. Aber ich konnte nicht anders. Dieser Mann war einfach umwerfend und selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich meine Augen nicht von ihm lassen können. Wenn er sich bewegte, strich ihm das blonde Haar über die Schultern und das Sonnenlicht brach sich in seinen natürlichen Strähnen. Und seine Augen… seine Augen hielten mich mit ihren klaren, blauen Tiefen gefangen.

»Um Himmels willen. Könnt ihr zwei später flirten? Ich sterbe, wenn ich nicht gleich eine Zimtschnecke bekomme«, meckerte die nächste in der Reihe, zwinkerte mir jedoch zu, als ich sie ansah. Erneut rettete Chris mich und arbeitete den Rest der Schlange im Eiltempo ab, während ich mich wieder auf den Karamellkerl konzentrierte.

»Tut mir leid, ich sollte gehen. Ich will dir keinen Ärger machen«, sagte er und schob die Kekse in seine Umhängetasche.

»Mach dir keine Sorgen.« Ich winkte ab und versuchte dabei lässig auszusehen, während mein Hirn auf Hochtouren nach einem Grund suchte, ihn nach seinem Namen zu fragen. Oder seiner Telefonnummer. Oder um ihn morgen wieder hierherzulocken.

»Arbeitest du morgen?« Eine Welle der Erleichterung brach über mir zusammen. Er wollte mich wiedersehen.

»Klar. Komm vorbei, wann immer du willst. Ich heb dir ein paar Karamellkekse auf.« Als ich ihn angrinste, strahlte er zurück und zog den Riemen seiner Tasche die Schulter hoch.

»Cool. Nochmals danke«, sagte er, während er langsam rückwärts ging und den Haferkeks hochhielt.

»Gern geschehen.«

Während ich beobachtete, wie er zwischen den Fußgängern verschwand, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.

»Wow«, sagte Chris, stieß mich mit der Hüfte an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal erlebe.«

»Wovon redest du?« Ich nahm mir fest vor, sie zu ignorieren und mich auf die wartenden Kunden zu konzentrieren, aber ich musste feststellen, dass sie jeden Einzelnen bedient hatte, während ich mit dem Karamellkerl geflirtet hatte.

»Du schwärmst ja richtig«, sagte sie entzückt.

»Leck mich. Ich schwärme nicht.«

Ich kehrte ihr den Rücken zu und verschwand auf der Suche nach etwas, das mich bis zur nächsten Kundenwelle beschäftigen würde, im hinteren Teil des kleinen Ladens.

»Du bist so was von am Schwärmen, Großer.« Sie folgte mir und unglücklicherweise konnte ich mich nirgends verstecken.

Mit finsterem Blick drehte ich mich zu ihr um. Chris ignorierte ihn gänzlich. Ich wusste, dass sie in wenigen Sekunden etwas sagen würde, das mich zur Weißglut treiben würde, also entschied ich, ihre Versuche im Keim zu ersticken.

»Ich bin Veteran. Nachts plagen mich Albträume. Ich wäre fast bei einer Bombenexplosion draufgegangen.« Der spöttische Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb unverändert, während ich einen weiteren Schritt auf sie zuging. »Ich. Schwärme. Nicht.«

Sie brach in schallendes Gelächter aus und schlug mir kopfschüttelnd auf den Oberarm. Ich war froh, eine Freundin zu haben, mit der ich über diese Dinge lachen konnte. Noch vor einem Jahr war es nicht so einfach gewesen, mich meiner Vergangenheit zu stellen, geschweige denn Witze darüber zu machen.

»Außerdem verdienst du deinen Lebensunterhalt damit, Kekse zu backen, und ich verwette meine linke Titte darauf, dass du es auch zum Vergnügen machst.« Mit offenem Mund starrte ich sie an. »Du weißt schon, um die endlosen, tristen Nächte, die du eingeigelt in deinem Haus verbringst, zu füllen. Allein.« Das letzte Wort betonte sie extra stark und hob eine Braue.

Ihre Versuche, mich mit jemand Nettem zu verkuppeln, waren in der Vergangenheit kläglich gescheitert. Deshalb versuchte sie es gar nicht mehr. Leider hieß das nicht, dass sie es mir nicht jedes Mal, wenn sich ihr die Gelegenheit bot, unter die Nase rieb.

»Wie du meinst«, grummelte ich und ging wieder nach vorn, als sich ein Kunde näherte.

 

»Du solltest mit ihm ausgehen«, sagte Chris, nachdem der Kunde mit seiner Keksschachtel verschwunden war.

»Mit wem?«

»Dem süßen Typen!«, wimmerte sie und breitete die Arme aus.

Ich wandte mich um und betrachtete ihre hübschen Züge – die gerade Nase, die runden Wangen, den Schmollmund und ihre ausdrucksstarken, dunklen Augen. Heute hatte sie ihr rotes Haar einigermaßen gebändigt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, den sie mit einem schwarzen Schal mit weißen Totenköpfen verziert hatte. Nicht jede Frau konnte so etwas tragen. Diejenigen, die es wie Chris konnten, sahen auf lässige Art und Weise trendy aus. Diejenigen, die es nicht konnten, ähnelten einer Hausfrau in den Fünfzigern – egal, wie alt sie tatsächlich waren.

»Amir!« Chris seufzte verzweifelt.

»Ich werde nicht mit ihm ausgehen.«

»Warum nicht?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Wann hattest du dein letztes, richtiges Date?«

Gott, sie war wie ein Hund hinter dem Knochen her.

»Hm, ich weiß nicht. Lass mich nachdenken.« Gespielt grüblerisch sah ich nach oben und tippte mir gegen das Kinn. »Es war vor ein paar Monaten mit diesem scheußlichen Assistenzarzt, mit dem du mich verkuppeln wolltest.«

»Er war nicht scheußlich. Du hast ihm ja keine Chance gegeben.«

»Chris, er hat Socken in den Sandalen getragen. Beim ersten Date. Und er hat mich Babe genannt, bevor er versucht hat, mich zu küssen.«

»Okay, schön. Aber das ist Monate her. Du musst wieder raus, Amir.«

»Nein, danke. Ich hab von den letzten Dates, die du für mich organisiert hast, noch immer PTBS.«

Die Worte waren ohne Nachzudenken aus mir herausgesprudelt und ich bemerkte meinen Fehler erst, als der Ausdruck in ihren Augen weich wurde und all ihr Gehabe verschwand.

»Amir…«

»Schon in Ordnung, Chris, wirklich«, unterbrach ich sie, da eine Unterhaltung über meine tatsächliche Belastungsstörung das Letzte war, was ich jetzt wollte. Glücklicherweise erschien in diesem Moment ein Kunde und ich wandte mich ihm zu, um seine Bestellung aufzunehmen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Chris nach hinten ging, nachdem sie gehört hatte, dass der Mann einen Cappuccino wollte. Ihre Schultern sanken nach unten und ich hasste mich dafür, sie aus der Fassung gebracht zu haben, auch wenn es technisch gesehen nicht meine Schuld war. Chris gehörte zu meinen engsten Freunden und wir verbrachten so viel Zeit miteinander, dass es unvermeidlich war, einander hin und wieder auf die Zehen zu treten. Aber zu sehen, wie schwer meine Probleme auch auf ihren Schultern lasteten, verursachte mir ein schlechtes Gefühl.

Zum Glück bildete sich kurz darauf eine weitere Schlange und wir waren bis zum Feierabend beschäftigt, sodass wir keine Chance hatten, das Gespräch wieder aufzunehmen. Nachdem der letzte Kunde seine Kekse erhalten und sich verabschiedet hatte, ließ ich das Gitter zur Hälfte herunter und begann, den Laden aufzuräumen.

»Du kannst gehen, Süße«, sagte ich zu Chris, als sie mir mit den übriggebliebenen Vorräten helfen wollte. »Ich pack nur alles zusammen und gehe dann zum Zentrum.«

»Bist du sicher?«

Ich winkte ab und musste sie fast davonjagen. Wir machten immer zusammen sauber, aber in den letzten Monaten war sie so oft für mich eingesprungen, dass es das Mindeste war, ihr hin und wieder einen freien Abend zu verschaffen.

Während ich die restlichen Kekse, Brownies und regionalen Spezialitäten wie das Shortbread zusammenpackte, kam mir der Gedanke, eine Teilzeitaushilfe einzustellen. Chris war eine grandiose Bäckerin und kannte meine Rezepte in- und auswendig, aber wir brauchten vor allem zu den Stoßzeiten Hilfe.

In den letzten Monaten war Cookie's immer belebter geworden. An manchen Tagen hatten wir Mühe, den Mittags- und Abendandrang zu bewältigen. Das Positive war, dass der Laden früher als erwartet einen beträchtlichen Gewinn abwarf. Andererseits brauchten wir definitiv Hilfe.

Beim Abwasch machte ich mir gedanklich die Notiz, mich bald darum zu kümmern, wischte den Tresen ab und schlenderte mit zwei Keksschachteln in der Hand zur Tür hinaus.

 

***

 

Sobald ich die Tür des John Sherwood Veteran Rehabilitation Centre öffnete, hörte ich Flos Krallen über den Boden kratzen, als sie auf mich zustürmte. Ich stand kurz davor, von einem vierzig Kilo schweren Labrador angesprungen, angesabbert und abgeleckt zu werden. Während ich mich panisch nach einer geraden Oberfläche umsah, auf der ich die Keksschachteln vor dem Zusammenprall abstellen konnte, hörte ich eine vertraute Stimme sagen: »Flo, bleib!«

Flo war ein absolut gehorsamer und gut erzogener Hund. Beim Spielen war sie ausgelassen und übermütig, aber sie befolgte jeden meiner Befehle oder der Menschen, die sich um sie kümmerten.

»Gott sei Dank«, murmelte ich, als Shane auf mich zukam. Flo lief brav neben ihm. Die Zunge hing ihr aus dem Maul und sie wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Ich wusste, dass sie es kaum erwarten konnte, mich anspringen zu dürfen.

Ich liebte es, sie so glücklich zu sehen. Als ich mich von meinen Verletzungen erholt und an den Gedanken gewöhnt hatte, dass mein linkes Bein unterhalb des Knies amputiert worden war, war sie mir eine große Hilfe gewesen.

»Hey, Kumpel«, begrüßte mich Shane und nahm mir die Schachteln aus der Hand. »Die Kekse sind in Sicherheit«, verkündete er grinsend. »Schnapp ihn dir, Mädchen.«

»Arschloch«, stieß ich gerade noch hervor, ehe sich Flo auf die Hinterbeine stellte, ihre Vorderpfoten auf meine Brust legte und mir mit ihrer langen, nassen Zunge das Gesicht ableckte.

 

Kapitel 2

 

 

»Cookie!«

Peters donnernde Stimme hallte durch den Raum, als ich eintrat, und alle Anwesenden wandten sich um und lächelten mich an. Flo, die offenbar beschlossen hatte, mir genug Zärtlichkeiten zukommen gelassen zu haben, rannte durch die Verandatüren hinaus in den Garten. »Was geht, Alter?« Mit einem Arm zog mich Peter in eine männliche Umarmung, in der anderen Hand hielt er zwei meiner Kekse.

Ich setzte mich neben ihn und eine Weile unterhielten wir uns über Belanglosigkeiten. Ich liebte Peter wie einen Bruder. Zwei Jahre lang war er in meiner Einheit gewesen und wir waren beide gebrochen nach Hause gekommen. Die Bombe, die mich mein Bein gekostet hatte, hatte Peter noch schlimmer erwischt. Zwar besaß er noch alle Gliedmaßen, hatte jedoch eine Niere verloren, trug einen Herzschrittmacher und sein gesamter Körper, inklusive seinem Gesicht, war von entsetzlichen Verbrennungen gezeichnet. Schmerz war nun eine Konstante in seinem Leben und er schluckte Schmerztabletten wie Bonbons, um nachts wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Peter hatte mir nie etwas davon erzählt. Er trug unentwegt ein Lächeln auf den Lippen und beschwerte sich nie, aber ich wusste es. Das Leben hatte ihn bei lebendigem Leib verschlungen und wieder ausgespuckt, aber Peter war dennoch glücklich. Er war glücklich, am Leben zu sein, und auch wenn sein Körper ihn nun immer öfter im Stich ließ, war er glücklich, seine Frau umarmen, seine Kinder abends ins Bett bringen und seine Eltern an Weihnachten besuchen zu können.

Peters Einstellung war nicht nur für mich, sondern auch für die anderen Veteranen, die im Zentrum behandelt wurden, inspirierend. Für mich war Peter mehr als ein Bruder. Er war der Mann, der mich aus einem brennenden Gebäude gezerrt und mir damit das Leben gerettet hatte.

»Also«, begann Peter lauter als nötig, sagte aber nichts weiter, bis ich aus meinem Gedankenkarussell ausgebrochen war und ihn ansah. Seine braunen Augen wirkten freundlich, aber er sah mich immer mit einem Hauch Sorge darin an. Dieses Mal war es nicht anders. »Kommst du am Samstag zum Abendessen?«

»Hab ich eine Wahl?«, fragte ich übertrieben seufzend. Ich kam unheimlich gerne zum Essen zu Peter und das wusste er ganz genau.

»Nicht wirklich. Wenn du versuchst, dich quer zu stellen, setz ich Jane auf dich an«, sagte er und zuckte mit den Schultern.

Kopfschüttelnd biss ich mir auf die Unterlippe, um mein Lächeln zu verbergen. Jane, Peters Frau, war ein 1,60 Meter kleiner Feuerwerkskörper, der es liebte, einen riesigen Wirbel um mich zu veranstalten. Es machte mir nichts aus.

»Du kannst jederzeit jemanden mitbringen«, sagte Peter und der ernste Ton in seiner Stimme ließ meinen Magen verkrampfen. »Das weißt du, oder?«

Ich nickte. Peter gehörte zu den wenigen Menschen, denen ich damals in Afghanistan erzählt hatte, dass ich schwul bin. Nach der Reaktion meines eigenen Vaters auf diese Enthüllung war es mir schwergefallen, mich anderen Menschen gegenüber zu offenbaren. Lange Zeit hatte ich der traditionellen indischen Erziehung meines Vaters und seiner konservativen Familie in Delhi die Schuld für seine Reaktion gegeben. Aber im Lauf der Zeit war ich mit mir selbst ins Reine gekommen und hatte erkannt, dass es keine Entschuldigungen dafür gab.

Peter hatte nie ein Problem mit meiner Sexualität gehabt. Als wir nach dem ersten Einsatz zurückgekommen waren, hatte Jane versucht, mich zu verkuppeln, ihre Versuche aber schnell wieder aufgegeben. Damals war ich noch nicht bereit gewesen. Ich war nicht bereit gewesen, als ich allein im Bett gelegen und meine wütenden, hilflosen Schreie im Kissen erstickt hatte.

Ich war nicht bereit gewesen, als ich meine Prothese angelegt und in einen dunklen, stickigen Club gegangen war, um mit einem hübschen Jungen auf die Toilette zu verschwinden, und ihm nicht erlaubt hatte, meinen nackten Oberkörper zu berühren, da ich Angst hatte, er würde von meiner entstellten Haut angeekelt sein.

Auch Monate später war ich nicht bereit gewesen, als ich mit Shane im Bett gelegen und er mir seine Liebe gestanden hatte. Ich war weggerannt.

Mittlerweile? Ich war nicht sicher. Das Bild des Karamellkerls blitzte so unerwartet in meinen Gedanken auf, dass es mich aus dem Gleichgewicht brachte. Ich erinnerte mich an sein sündhaftes Lächeln und die Freundlichkeit in seinen Augen und stellte mir vor, wie warm und weich sich seine Haut unter meinen Fingern anfühlen würde.

»Bereit?«, erklang Shanes Stimme direkt neben mir. Ich zuckte erschrocken zusammen. Langsam verlor ich meine Kampfinstinkte, wenn ich ihn nicht kommen sah, bevor es zu spät war.

»Na klar«, sagte Peter und stand auf, wobei er sich an der Armlehne abstützte. Im Vorbeigehen klopfte er mir auf die Schulter und folgte Shane in den Raum für die Krankengymnastik.

»Amir?« Ich hob den Kopf und begegnete Shanes Blick durch den Raum. »Bleibst du?«

Ich nickte.

Ich hatte ohnehin nichts Besseres vor.

 

***

 

Die nächste Stunde über spielte ich mit Flo draußen im Garten und unterhielt mich mit allen, die im Zentrum faulenzten und meine Kekse aßen. Ich liebte es, wie sich ihre Gesichter aufhellten, wenn sie mich kommen sahen, in der Gewissheit, dass ich ihnen etwas Köstliches vorbeibrachte. Diese Männer waren alle im Krieg gewesen, hatten entsetzliche Dinge gesehen und konnten einen Menschen mit bloßen Händen töten. Doch wenn in ihren Augen diese kindliche Freude aufblitzte, wenn sie meinen Spitznamen Cookie durch den Raum riefen und miteinander um die letzte Zimtschnecke stritten, schwoll mein Herz vor Zuneigung an.

»Amir!«, hörte ich Shane von der offenen Tür her rufen. Mit einem Kopfnicken bedeutete er mir, ihm zu folgen, und ich stand auf. Flo rannte hinein, als hätte Shane ihren Namen gerufen, und brachte die Männer damit zum Lachen. Ich schüttelte den Kopf und winkte zum Abschied.

Drinnen steuerte ich die kleine Küche direkt neben Shanes Büro an. Wie erwartet, bereitete er gerade zwei Tassen Tee zu. Ein Teller mit Schokoladenkeksen stand bereits auf dem Tisch.

»Danke«, sagte ich, als er mir die dampfende Tasse reichte.

Während ich vorsichtig an meinem Tee nippte, musterte Shane mich und der Blick seiner grünen Augen bohrte sich regelrecht in mich. Es war sinnlos, meine wahren Gefühle zu verbergen. Seit wir uns vor zwei Jahren kennengelernt hatten, musste Shane nur einen Blick auf mich werfen und wusste sofort alles.

Es jagte mir eine Heidenangst ein.

»Wie geht's dir?«, fragte Shane auf dem Weg zum Tisch. »Ich hab das Gefühl, dass wir eine Ewigkeit nicht miteinander gesprochen haben. Dabei bist du jeden Tag hier.«

Jeden Morgen kam ich vorbei, um Flo abzugeben, und holte sie jeden Abend nach der Arbeit wieder ab. Seit das Cookie’s geöffnet hatte, konnte ich nicht einmal zur Mittagszeit eine Stunde freischaufeln, um mit ihr Gassi zu gehen. Sie liebte es hier – sie konnte sich im Garten austoben und wurde von allen Anwesenden bis zum Umfallen verwöhnt. Außerdem war sie eine ausgebildete Therapiehündin. Ihre Aufgabe war es, Menschen zu helfen, und im Zentrum konnte sie großartige Arbeit leisten.

»Mir geht's gut«, antwortete ich und senkte den Blick, um einen weiteren Schluck Tee zu nehmen.

Shane seufzte. »Amir…«

»Es geht mir gut, Shane«, sagte ich, wobei meine Stimme schärfer klang, als ich beabsichtigt hatte. Ich begegnete seinem Blick. »So gut es mir eben gehen kann. Es gibt nun mal Dinge, die du nicht reparieren kannst, okay?«

Sein Kiefer spannte sich an und er wandte den Blick ab, jedoch nicht rechtzeitig, um den Schmerz in seinen Augen zu verbergen.

Wir hatten diese Unterhaltung schon oft geführt und sie endete jedes Mal auf die gleiche Weise. Shane war ein Kontrollfreak, der immer etwas tun musste, der kaputte Dinge reparieren wollte. Helfen. Er wollte immer helfen. Unglücklicherweise suchte er sich andauernd die härtesten Fälle aus; die Männer und Frauen, die so gebrochen waren, dass sie niemals wieder die alten werden würden.

Aber Shane… Er gab alles, was er hatte, um ihnen zu helfen, und diese Eigenschaft liebte ich an ihm, obwohl sie mich ebenso zur Weißglut brachte.

»Ich will nicht streiten«, flüsterte er, ohne mich anzusehen.

Gott, wie ich das hasste. »Ich auch nicht.«

Er nickte und eine Weile aßen und tranken wir schweigend.

»Wie wäre es, wenn wir ausgehen?«, schlug Shane vor, nachdem er aufgestanden war und den leeren Teller sowie die Tassen zur Spüle getragen hatte.

»Ich weiß nicht…«

»Komm schon, Amir. Das wird lustig. Gott weiß, dass wir beide ein bisschen Spaß gebrauchen können.« Mit einem frechen Grinsen drehte er sich um und stützte die Arme hinter sich auf der Anrichte ab. »Wie in den guten, alten Zeiten.«

Ich schüttelte den Kopf, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken. Wir hatten uns in einem Club kennengelernt, hatten getanzt und die ganze Nacht rumgemacht, ohne uns einander vorzustellen. Am nächsten Tag war ich zum ersten Mal ins John Sherwood Centre gekommen und hatte erfahren, dass Dr. Shane Sanford – der Typ, mit dem ich mich am Abend zuvor vergnügt hatte – mein Physiotherapeut war.

»Na gut«, sagte ich. »Aber lass uns noch ein paar Jungs mitnehmen.«

Ich konnte das nicht mit Shane machen, nicht noch einmal, und er wusste es, also nickte er zustimmend.

 

***

 

Am nächsten Tag beschleunigte sich mein Herzschlag, als sich die Leute anstellten, um ihren Mittagsnachtisch zu bekommen. Karamellkerl stand zwischen ihnen, lachte und unterhielt sich mit einem Freund. Sein Lächeln erhellte den trüben Oktobertag und weckte ein warmes, angenehmes Gefühl in mir. Wie ein Teenager beim ersten Date. Genau in diesem Moment hob er den Kopf und fesselte mich mit dem Blick seiner strahlend blauen Augen. Um nichts in der Welt hätte ich wegsehen können. Sein Lächeln verschwand und wich einem ernsten Ausdruck, während er meinem Blick standhielt und dem Freund neben sich keine weitere Beachtung schenkte.

Und dann lächelte er wieder. Nur für mich.

Das Lächeln brachte seine Augen zum Leuchten und als sich Grübchen auf seinen hübschen Wangen abzeichneten, vergaß ich zu atmen.

»Du schwärmst«, flüsterte mir Chris ins Ohr und ich zuckte heftig zusammen.

Verdammt, Chris. Der Moment war zerstört. Karamellkerl wandte sich wieder seinem Freund und ihrem Gespräch zu. Ich war vergessen.

Während ich die Leute in der Schlange bediente, schlug mein Herz schneller, je näher er dem Tresen kam.

»Du hattest recht«, sagte Karamellkerl, als er an der Reihe war. »Die Nussbutterkekse waren die besten, die ich je gegessen habe.« Er zwinkerte mir zu und leckte sich über die Lippen, als würde er versuchen, dem Geschmack der Kekse nachzuspüren. »Ich hätte gern ein Dutzend davon zum Mitnehmen, bitte. Und einen Eton Mess-Keks auf die Hand.«

»Freut mich, dass sie dir geschmeckt haben«, sagte ich und verpasste mir innerlich einen Tritt für diese lahme Antwort.

Chris glitt neben mich, um die nächste Bestellung aufzunehmen und mich nicht gerade unauffällig ans Ende des Tresens zu schieben. Ich nahm an, dass das ihre Art war, uns etwas Privatsphäre zu verschaffen, warf ihr aber dennoch einen bösen Blick zu. Subtilität war nicht ihre Stärke.

»Was möchtest du, Cedric?« Karamellkerl wandte sich an seinen Freund.

Ich sah zu Cedric hinüber und hasste ihn augenblicklich. Die Attraktivität dieses Kerls glich einer Marmorstatue. Seine Haut war makellos, ebenso wie seine Kleidung, seine Haare und sogar seine Nägel. Alles an ihm schrie piekfeiner, reicher Bastard und ich fragte mich, warum sich Karamellkerl mit ihm abgab.

»Ich weiß nicht…«, antwortete Cedric gedehnt und warf der Keksauslage einen unwilligen Blick zu.

Also, die Leute konnten über mich sagen, was sie wollten, aber wenn sie meine Kreationen ansahen wie etwas, das sie sich von der Schuhsohle abgekratzt hatten, bekamen wir ein Problem.

»Die Blaubeer- und Zitronenkekse sind großartig«, half Karamellkerl freundlicherweise aus. Cedric rümpfte die Nase.

»Haben Sie auch etwas Veganes?«, fragte Cedric und sah mich direkt an. Die Arroganz in seinen Augen schreckte mich ab, aber es gelang mir, ein höfliches Lächeln aufzusetzen, ehe ich antwortete.

»Nein.«

»Seit wann bist du Veganer?«, fragte Karamellkerl ungläubig.

»Bin ich nicht. Ich fühle mich nur gerade nicht so gut und will meinen Magen nicht mit zu viel Fett reizen.«

Ich schwöre bei Gott, es erforderte all meine Selbstbeherrschung, dem Kerl keine zu verpassen.

»Sei kein Arsch«, sagte Karamellkerl leise. Entschuldigend sah er mich an, doch ich gab mich betont gleichgültig.

Während die beiden Cedrics Keksauswahl besprachen, machte ich mich nützlich, indem ich Karamellkerls Bestellung einpackte. Die Euphorie, die ich vor wenigen Minuten angesichts seiner Anwesenheit empfunden hatte, war Enttäuschung und Bedauern gewichen. Was wollte er mit so einem Blödmann? Wenn all seine Freunde so waren, musste er auch ein arrogantes, verwöhntes Bürschchen sein. Oder?

Ich wusste, dass ich voreingenommen und anmaßend war, konnte es aber nicht abstellen. Dieser Cedric war mir nicht geheuer und aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass er sich auch nur in der Nähe von Karamellkerl aufhielt.

Wie erbärmlich – ich kannte nicht mal seine Namen und entwickelte schon einen Beschützerinstinkt.

»So, das hätten wir«, sagte ich, als ich ihm den Beutel über den Tresen reichte.

»Bist du sicher, dass du nichts willst?«, fragte Karamellkerl seinen Freund, während er seine Brieftasche hervorzog.

»Lass uns einfach gehen, Jay«, sagte Cedric und sah genervt auf seine Uhr. »Wir sind schon spät dran. Wir hätten genauso gut ein paar Kekse bei Marks & Spencer kaufen können, anstatt eine verdammte halbe Stunde anzustehen.«

Jay. Sein Name war Jay.

Ich grinste, taub und blind für Cedrics Wutanfall.

Sein Name war Jay.

Ein plötzlicher Anfall von Panik überkam mich so heftig, dass ich nach Luft schnappte. Ich konnte ihn nicht gehen lassen. Was, wenn ich ihn nie wiedersah? Was, wenn sein Arschlochfreund ihn überredete, mittags immer zu Marks & Spencer zu gehen?

Was, wenn er mich nie wieder anlächelte?

Jay reichte mir das Geld und runzelte die Stirn. Als sich unsere Blicke trafen, sah er mich sanft und entschuldigend an. Das gab mir die Kraft für meinen nächsten Schritt.

Ich kritzelte meine Handynummer auf die Visitenkarte des Ladens und reichte sie ihm zusammen mit seinem Wechselgeld.

Es war eine diskrete Geste und zum Glück fiel sie Cedric-dem-Blödmann nicht auf. Jay schon. Ich hielt den Atem an, während ich auf seine Reaktion wartete.

Er strahlte. Verdammt noch mal, er strahlte richtig und sein ganzes Gesicht hellte sich auf.

»Danke. Wir sehen uns«, sagte er, während er das Wechselgeld und meine Nummer in seine Brieftasche steckte.

Ich sah den beiden nach und fühlte mich wie ein Schuljunge, der zum ersten Mal verliebt war. Seit langem hatte ich mich nicht mehr so gut, so frei gefühlt. Nie, um ehrlich zu sein.

Ich hatte mich noch nie so gefühlt und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Erneut stieg Panik in mir auf und ich hasste mein verkorkstes Denken, das in weniger als einer Sekunde von Euphorie zu Panik umschwenken konnte.

»Warum machst du nicht Pause, Liebling?«, fragte Chris neben mir.

Bereit, ihren Vorschlag abzulehnen, warf ich einen Blick auf die Schlange, aber es warteten nur noch zwei Leute. Chris würde das mit links schaffen.

Nickend verließ ich den Laden durch die Hintertür. Nie hatte ich eine Zigarette dringender gebraucht.

 

***

 

Ich war kein Raucher. Zwar hatte ich immer eine Schachtel in meinem Rucksack, aber in den meisten Fällen dachte ich nicht daran. Rauchen half mir, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Glücklicherweise waren diese Momente in letzter Zeit selten geworden. Außerdem zündete ich mir gern eine an, wenn ich ausging, tanzte und trank. Aber auch das kam in letzter Zeit nur selten vor, sodass ich mit einer Schachtel Zigaretten über Monate hinkam.

Kaum hatte ich die Zigarette angezündet, fühlte ich die Wirkung des Nikotins. Ich lehnte mich gegen die Wand, zog einige Mal an dem Glimmstängel und spürte, wie sich mein Körper entspannte.

Meine Reaktion auf Jay hatte mich erschüttert und ich hatte keine Ahnung, warum. Der Typ war wunderschön – es gab kein besseres Wort, um ihn zu beschreiben – und ich fühlte mich irrsinnig zu ihm hingezogen, aber das war nicht alles.

Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so empfunden zu haben. Um ganz ehrlich zu sein, wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte. Eine Sache wusste ich jedoch mit Sicherheit: Ich mochte die Gefühle, die Jay in mir auslöste, wenn er mich anlächelte. Es brachte mich furchtbar durcheinander, aber ich mochte es.

 

***

 

In dieser Nacht schlief ich nicht gut, also schleppte ich mich an einem Samstag um fünf Uhr morgens aus dem Bett. Nachdem ich mir eine Tasse starken Kaffees gebrüht hatte, richtete ich einige Bleche Kekse, Zimtschnecken und Brownies her. Meist bereitete ich den Teig abends in der Woche zu, fror ihn ein und nahm ihn am nächsten Morgen zum Backen mit in den Laden. Aber da wir am Wochenende später öffneten, hatte ich morgens genug Zeit, alles zu Hause zu backen. Tagsüber legten Chris und ich ein Extrablech mit dem jeweiligen Verkaufsschlager nach, damit die Auslage nie leer war.

Als ich fertig war, war es beinahe acht Uhr. Am Wochenende öffneten wir um elf, also hatte ich genügend Zeit für einen Spaziergang mit Flo. Sie wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als sie sah, wie ich meine Laufprothese anlegte und ihre Leine vom Kleiderhaken nahm.

Es war kalt. Wirklich scheißkalt. Der Morgennebel machte das nicht besser. Seufzend zog ich mir die Kapuze über den Kopf und rannte los.

Flo konnte ziemlich gut mit meinem Tempo mithalten. Ich wusste, dass sie lieber im Kreis um mich herumgesprungen wäre, aber ich hatte sie seit dem Welpenalter darauf trainiert, mit mir zusammen zu joggen.

Zuerst brannte die kalte Luft in meinen Lungen. Dann ließ ich mich in das anspruchslose Training fallen und spürte, wie sich der Nebel in meinem Kopf ebenso wie der Dunst über den Kanälen auflöste, als die Sonne über den Wolken hervorschaute. Anfangs hatte es Monate gedauert, bis Shane mich überzeugt hatte, dass ich trotz meines amputierten Beins nicht nur trainieren konnte, sondern es mir auch noch guttun würde. Zuerst hatte es sich seltsam angefühlt, aber er hatte recht behalten. Ich fühlte mich gut. Ich fühlte mich wieder wie ich selbst.

Mittlerweile versuchte ich dreimal die Woche zu laufen und ein paar Gewichte zu stemmen. Obwohl mein Terminkalender immer voll war, fand ich Zeit zum Trainieren. Selbst bevor ich in die Luft gesprengt wurde und die Albträume angefangen hatten, war ich kein großer Schläfer gewesen. Deshalb waren die frühen Morgenstunden für mich und Flo am besten geeignet. Sie liebte unsere morgendlichen Läufe ebenso wie ich.

Schnell hatten wir unsere Fünf-Meilen-Markierung erreicht und drehten um. Auf dem Rückweg nahmen wir eine andere Route – durch einen Park und anschließend an der Straße entlang, bis wir den Park vor unserer Haustür erreichten. Flo wusste, was das bedeutete. Spielzeit.

Ich warf ihren Ball, bis mir der Arm wehtat. Flo war natürlich begeistert wie immer und zeigte keine Ermüdungserscheinungen. Ich lachte, als sie nach oben sprang, um den Ball in der Luft zu fangen, ihn aber verfehlte und dann einige Male im Kreis lief, bis sie den Ball wiedergefunden hatte.

Gegen neun Uhr morgens war der Park beinahe verlassen. Die Sonne schien nun heller und wärmte mich, sodass ich mir die Kapuze vom Kopf schob. In der Ferne konnte ich den Verkehrslärm hören, wie die Ladentüren geöffnet wurden und einige Passanten entweder von einer langen Nacht nach Hause kamen oder aber hektisch zur Arbeit aufbrachen.

Es war friedlich. Es war mein Zuhause. Was ich gewohnt war.

»Hey«, hörte ich eine Stimme hinter mir und erschrak. Als ich mich umdrehte, sah ich Jay auf mich zulaufen. Er trug eine dunkle Jogginghose und einen ebenso schwarzen Kapuzenpullover. Sein Lächeln war strahlend, als er langsamer wurde und vor mir zum Stehen kam. Augenblicklich rannte Flo auf den Neuankömmling zu, wedelte mit dem Schwanz und verlangte nach Streicheleinheiten. Jay ging in die Hocke und kraulte sie hinter den Ohren, während sie ihm das Gesicht ableckte.

»Flo, hör auf«, sagte ich streng, aber Jay winkte lachend ab.

»Ist schon okay. Ich liebe Hunde. Zu Hause habe ich einen Labrador wie sie.«

Flo gab ihm ihren Ball – die kleine Verräterin – und Jay warf ihn, ehe er sich an mich wandte. Er lächelte so glücklich, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Er ließ seinen Blick an meinem Körper hinabgleiten und seine Augen weiteten sich, als er an meiner Prothese ankam. Er biss sich auf die Unterlippe und sah er mich wieder an. Ich hatte Erschütterung, Ekel oder sogar Mitleid erwartet, doch das Einzige, was ich sah, war Überraschung.

»Wie hast du dein Bein verloren?«

»Afghanistan.«

»Du bist Soldat?«

»Ich war Soldat. Jetzt backe ich Kekse.«

»Was findest du gefährlicher?«, fragte Jay und ich lachte. »Oh, du lachst, aber ich wette, dass ich in der Küche mehr Schaden anrichten kann als eine Landmine.«

»Ich bin sicher, dass das nicht stimmt.«

»Ich kann kochen«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Aber backen… Vertrau mir, ich bin hoffnungslos. Das ist zu systematisch für mich. Zu viele Regeln. Ich improvisiere gern.«

»Ich kann es dir beibringen«, sagte ich, ohne groß darüber nachzudenken. Die Vorstellung von Jay in der Küche, seine Hände mit Mehl bedeckt, seine Wangen gerötet, die Nase konzentriert gekraust, ließ meine Gedanken sofort in die vollkommen falsche Richtung abdriften.

»Das wäre toll.«

Die Eindringlichkeit, die seine blauen Augen verdunkelte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Mein Blick fiel auf seinen Mund, seinen perfekten, rosafarbenen Mund, und dieser Bastard leckte sich über die Lippen.

Flo prallte gegen ihn, sodass er einen Schritt zurücktaumelte. Jay richtete seine Aufmerksamkeit auf Flo, streichelte sie und redete auf sie ein, während sie aufgeregt um ihn herumsprang.

Mein Handy in meiner Hosentasche klingelte und als ich es herauszog, sah ich Shanes Namen auf dem Display.

»Hey«, sagte ich, nachdem ich mit dem Daumen über das Display gewischt hatte.

»Selber hey.« Shanes verschlafene Stimme ließ mich schmunzeln. Ich entfernte mich ein paar Schritte von Jay und Flo und wartete, dass Shane zum Grund seines Anrufs kam. »Ich wollt nur sicher gehen, dass du uns heute Abend nicht sitzen lässt.«

»Werd ich nicht, keine Sorge.« Kurz hielt ich inne und sah über die Schulter zu Jay zurück, der gerade versuchte, Flo den Ball abzunehmen. »Ich glaube, ich brauche das. Du hattest recht.«

Shane schnaubte. »Ich hab immer recht, Hübscher. Das solltest du mittlerweile wissen.«

Ich lächelte, als wir uns noch eine Weile unterhielten und uns für zehn am Focus verabredeten, ehe ich auflegte.

»Dein Partner?«, fragte Jay mit hochgezogener Augenbraue. Mit zwei abgespreizten Fingern hielt er den dreckigen Ball fest und warf ihn erst, als Flo ihn anbellte.

»Wenn ich mich recht entsinne, hab ich dir gestern meine Nummer gegeben«, sagte ich und schob das Handy zurück in die Tasche. »Warum sollte ich das tun, wenn ich einen Partner hätte?«

»Weiß nicht.« Jay zuckte mit den Schultern. »Viele Männer tun das.«

»Tja, ich bin keiner von denen.«

Jay senkte den Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich wünschte, den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen zu können, aber der Winkel stimmte nicht. Er schien verärgert und ich wusste nicht, warum.

»Hör zu«, sagte ich und trat auf ihn zu. Endlich sah er mich an. »Meine Freunde schleppen mich heute Abend in diesen Club – Focus – und ich finde, dass du auch kommen solltest.«

Schweigend musterte er mich einen Augenblick. Dann sagte er: »Klar, sicher. Wann?«

»Wir treffen uns gegen zehn, aber ich nehme an, dass wir eine Weile bleiben werden.«

»Kann ich jemanden mitbringen?«

Scheiße, nein.

»Natürlich.«

»Cool. Dann sehen wir uns später.«

Wie aufs Stichwort erschien Flo, ganz dreckig von ihrem morgendlichen Training. Jay streichelte sie und warf ein letztes Mal den Ball, ehe er sich mit einem Winken verabschiedete und davon joggte. Ich sah ihm nach und beobachtete, wie sich sein Körper geschmeidig beim Rennen bewegte. Jay war schmaler als ich und auch einige Zentimeter kleiner, aber ich war sicher, dass er unter all der Kleidung einen ziemlich heißen Körper versteckte.

Ob er Tattoos hatte? Oder Muttermale? Hatte er Haare auf der Brust oder rasierte er sich? War es dunkelblond?

Ich fragte mich, wie sich seine Haut anfühlte, und meine Finger begannen zu kribbeln.

Ich ballte die Fäuste und zwang mich, nicht an ihn zu denken.

Es funktionierte nicht.

 

***

 

Als ich am Club ankam, hatten es sich meine Freunde bereits in einer der Sitzecken gemütlich gemacht. Shane saß mit einem Bier am Rand des sichelförmigen Sofas und sah in seinem engen, schwarzen T-Shirt und der ebenso engen Jeans einfach umwerfend aus. Er hatte einige Leute aus dem Zentrum, Meredith – eine der Krankenschwestern – und noch ein paar, die ich nicht kannte, eingeladen. Sie drängten sich mindestens zu zehnt in der Sitzecke.

»Sieh mal einer an«, schallte eine nur allzu bekannte Stimme hinter mir. »Seht mal, wer sich entschieden hat, aufzutauchen.«

Ich drehte mich um und wusste, wen ich sehen würde, doch das milderte die Überraschung, meinen besten Freund vor mir zu haben, nicht im Geringsten. Greg starrte mit einem breiten Grinsen zurück.

»Was zur Hölle machst du denn hier?« Ich wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern zog ihn umgehend in eine feste Umarmung. Sein vertrauter Geruch umfing mich und ich atmete tief ein, um so viel wie möglich davon aufzuschnappen.

Seit unserer Kindheit war Greg mein bester Freund. Als ich nach dem Abschluss zum Militär gegangen war, war er zur RAF gegangen. Sein Job hatte ihn ebenfalls um die halbe Welt geführt und wir hatten uns kaum zu Gesicht bekommen, waren aber immer in Kontakt geblieben. Neben meiner Mutter war er die einzige Person in meinem Leben, der ich bedingungslos vertraute.

»Ich bin zurück«, sagte er, legte seine Arme um mich und drückte mich fest.

»Was? Endgültig?« Ich zog mich ein Stück zurück, um ihn anzusehen. Seine dunklen Augen glitzerten belustigt und er sah gut aus. Besser als vor sechs Monaten, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.

»Nein. Noch nicht.« Jegliche Heiterkeit wich aus seinem Gesicht und er wandte den Blick ab.

Greg war etwa ein Jahr älter als ich. Nächstes Jahr würde er seinen dreißigsten Geburtstag feiern. Ich rechnete kurz nach und kam zu dem Schluss, dass sein zwölfjähriger Vertrag mit der RAF kurz darauf auslaufen würde.

Während der letzten zwei Jahre hatte er immer stärker wie jemand gewirkt, der sich von der realen Welt abgekoppelt hatte. Langsam hatte sich eine harte Schale um seine Seele gelegt.

»Hey«, sagte Greg und hob mein Kinn an, während er mit dem Finger über die Falte zwischen meinen Augenbrauen strich. »Wir werden drüber reden. Ich versprech's dir. Aber nicht heute Abend, okay?«

Ich nickte und der Knoten in meiner Brust löste sich ein wenig, als Greg wieder lächelte.

»Lass uns Shane Hallo sagen. Ich bin sicher, dass er sich freut, mich wiederzusehen.« Mit dem Kinn deutete er auf Shane, der uns beobachtete und einen Schluck von seinem Bier nahm.

Greg hatte schon immer etwas für Shane übrig gehabt. Ich vermutete, dass die beiden zusammen gekommen wären, wenn Greg länger als eine Woche in der Stadt geblieben wäre.

»Was macht dich da so sicher?«, fragte ich und zog eine Braue nach oben.

»Oh, bitte. Ich bin unwiderstehlich.« Er zwinkerte mir zu, nahm meine Hand und führte mich zur Sitzecke.

Tatsächlich wirkte er auf die meisten Menschen unwiderstehlich – Männer und Frauen gleichermaßen. Greg zog kein Geschlecht vor, wenn es um seine Sexpartner ging, und soweit ich wusste, gab es davon eine Menge. Sein muskulöser Körper, die attraktiven Gesichtszüge und sein Bad Boy-Charme hatten sich über die Jahre als stark anziehend herausgestellt.

Bei mir hatte es nie funktioniert. Ich konnte sein gutes Aussehen würdigen – ich war ja nicht blind –, aber wenn ich Greg ansah, sah ich den dürren Jungen, der mir in Mathe geholfen hatte, und den unbeholfenen Teenager, der mit mir gegen die Mobber gekämpft hatte. Und den jungen Mann, der an meiner Seite gestanden hatte, als mein Vater mir das Leben zur Hölle gemacht hatte.

Ich sah den Mann, der mit mir zusammen zum Militär gegangen war, und auch wenn wir verschiedene Wege eingeschlagen hatten, würde ich ihm das nie vergessen.

»Hi, Shane«, schnurrte Greg, als wir den Tisch erreichten. »Freut mich, dich wiederzusehen.« Sein Blick glitt an Shanes Körper hinab, ehe er ihm wieder in die Augen sah. »Danke, dass du mich eingeladen hast.« Greg legte einen Arm um Shanes Schultern und zog ihn an sich.

Lachend schüttelte Shane den Kopf und wies Gregs Mätzchen damit ab.

»Du wusstest, dass er in der Stadt ist, und hast mir nichts gesagt?«, fragte ich an Shane gewandt.

»Ich hab es erst gestern erfahren«, sagte er und hob abwehrend die Hände. »Er kam zum Zentrum und hat mich schwören lassen, dir nichts zu sagen. Er wollte dich überraschen.«

Grunzend verdrehte ich die Augen, ehe ich den Rest der Gruppe begrüßte.

Der Alkohol floss hemmungslos, die Musik war gut und ich amüsierte mich mit einigen meiner engsten Freunde. Trotzdem konnte ich mich nicht vollständig entspannen, da es auf Mitternacht zuging und Jay noch immer nicht aufgetaucht war. Immer wieder sah ich auf mein Handy, ob er mir vielleicht eine Nachricht geschrieben hatte, aber nichts tat sich.

»Lass uns tanzen«, flüsterte Shane, nachdem ich mein Handy zum hundertsten Mal an diesem Abend zurück in die Tasche gesteckt hatte. Ich benahm mich erbärmlich und alle wussten es, auch wenn sie vorgaben, es nicht zu bemerken.

Shane wartete nicht darauf, dass ich seine Einladung ablehnte. Er stellte meine Flasche auf den Tisch, griff nach meiner Hand und zerrte mich auf die Tanzfläche. Durch die Hitze im Club waren seine Wangen gerötet und seine Haare ein wenig verschwitzt, aber er wirkte glücklich. Mit funkelnden, grünen Augen legte Shane seine Arme um meinen Nacken und wir tanzten.

Ich ließ die Musik meine Gedanken davonspülen. Shane hatte recht – wir hatten schon seit langer Zeit keinen Spaß mehr gehabt und nachdem ich mich entspannt hatte, fühlte es sich gut an. Im Gegensatz zu mir war Shane ein toller Tänzer. Ich ließ ihn das Tempo bestimmen und folgte seiner Führung, so gut es ging. Die Tanzfläche war überfüllt, sodass niemand wirklich sehen konnte, wie schlecht ich war.

Über Shanes Schulter hinweg sah ich Greg mit einem süßen, blonden Mann tanzen. Als hätte er meinen Blick gespürt, drehte sich Greg um und zwinkerte mir zu, dann schlang er die Arme um den Mann und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Typ antwortete, indem er seine Arme ebenfalls um Greg schlang und zurückflüsterte.

Trotz meines Seufzens breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. Greg würde heute Abend flachgelegt werden, wie immer, wenn er ausging, aber ich würde wahrscheinlich allein nach Hause gehen. Ich war ohnehin nicht in der Stimmung für eine anonyme Nummer zwischendurch.

»Alles okay?«, fragte Shane und sein warmer Atem kitzelte mein Ohr.

»Ja«, antwortete ich und strich ihm eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

Shane lächelte mich an. Es war ein trauriges, verständnisvolles Lächeln und wir tanzten weiter, bis sich der donnernde Bass mit meinem Herzschlag vermischte.

 

***

 

»Wo ist das Schnuckelchen?«, fragte Shane an Greg gewandt, als wir zu unserer Sitzecke zurückgingen. Ich nahm einen Schluck von meinem Bier und hätte beinahe gestöhnt, als die kühle Flüssigkeit meine Kehle hinablief.

»Weiß nicht«, erwiderte Greg mit einem Schulterzucken.

Shane hob eine Braue. »Hat er dich für einen heißeren Typen sitzenlassen?«

»Siehst du hier jemanden, der heißer ist als ich?«

Lachend ließ Shane seinen Blick über die Menge schweifen und tippte sich nachdenklich mit dem Finger gegen die Lippen.

Die beiden zankten sich noch eine Weile, doch ich blendete sie aus, als eine Bewegung am Eingang meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Eine Gruppe betrat den Club, zwei Kerle mit zwei Frauen und zwei weitere Männer, die ihnen folgten. Ich verengte die Augen, als ich erkannte, dass einer davon Cedric, das Arschloch, und Jay der andere war. Für meinen Geschmack standen sie viel zu nah beieinander und als Cedric seinen Arm um Jays Schultern legte, wäre mir beinahe die Sicherung durchgebrannt. Er sagte irgendwas und die beiden Pärchen vor ihnen drehten sich lachend um. Jay lächelte, doch er war nicht auf seine Freunde fokussiert. Er suchte den Raum ab, maß jede Person mit seinem Blick, bis er schließlich auf mir landete.

Er hielt nach mir Ausschau, während der verdammte Cedric seinen Arm um ihn gelegt hatte.

Ohne nachzudenken kletterte ich aus der Ecke und ging wie in Trance auf ihn zu.

Jay strahlte mich an, löste sich aus Cedrics Umarmung und kam mir entgegen.

»Bist du mit dem Kerl zusammen?«, fragte ich an seinem Ohr, ohne ihn jedoch zu berühren. Er schüttelte den Kopf.

Das war alles, was ich wissen musste. Ich schnappte mir seine Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. Es war mir egal, dass ich mich gerade als Riesenarschloch präsentiert hatte, weil ich für seine Freunde nicht mal ein Hallo übrig gehabt hatte.

Jay schien es allerdings nichts auszumachen. Als wir in der Mitte der Tanzfläche angekommen waren und ich ihn ansah, lächelte er immer noch. Seine blauen Augen sahen mich an, als hätte ich tausend Geheimnisse, die er unbedingt erfahren wollte.

»Freut mich, dass du da bist«, sagte ich. Es war eine wunderbare Ausrede, um ihm näherzukommen. Er legte eine Hand auf meine Hüfte und grub seine Finger in meine Jeans, als ich mich zurückziehen wollte.