Der Bergpfarrer 411 – Liebe meines Lebens

Der Bergpfarrer –411–

Liebe meines Lebens

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-259-8

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Den Schraubenzieher noch in der Hand, schob sich Lena unter dem alten, rostigen Traktor hervor. Sie richtete sich halb auf und strich sich mit dem Arm ein paar zerzauste blonde Strähnen aus der Stirn.

»Hallo, Papa! Da bist' ja wieder! Das ist aber schnell gegangen. Was hat Dr. Wiesinger denn gesagt?«

Statt einer Antwort schüttelte Martin Leitner missbilligend den Kopf. »Mein Gott, Madl! Wie schaust du denn aus! Dein Overall, deine Hände, dein Gesicht… alles Schwarz! Und dein Kopftuch auch. Jetzt hätt bloß noch gefehlt, dass du mit offenen Haaren unter den Traktor gekrochen wärst!« Ein weiteres Kopfschütteln folgte. »Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, den Traktor zu reparieren?«

Lena Leitner schaute ihren Vater verständnislos an. »Du weißt doch selber, dass er andauernd schlapp macht, Papa. Und dass wir ihn für die Ernte dringend brauchen.«

»Ja, schon. Aber du hättest ihn halt zum Hanninger in die Werkstatt fahren müssen!«

»Wie denn?«, gab Lena leicht genervt zurück. »Diesmal ist mir das Vehikel gar net erst angesprungen.«

»Soso. Und da hast du dich kurzerhand selber ans Werk gemacht. Und hast dir gedacht, wenn du ein paar Schrauben locker machst, spurtet unser alter Traktor wieder los wie Schmidts Katze. Lena! Also wirklich!« Martin Leitner wandte sich ab. Schlurfenden Schrittes ging er auf das Haus zu.

»Papa, ich hab dich vorhin gefragt, was der Doktor gesagt hat!« Mit einem Satz war Lena auf den Beinen und lief ihrem Vater hinterher.

»Nix hat er gesagt«, erwiderte Martin Leitner mürrisch.

»Was heißt da nix? Jetzt lass dir doch net jedes Wort aus der Nase ziehen, Papa! Hat Dr. Wiesinger herausgefunden, was dir fehlt?«

»Die Haustür hast auch wieder sperrangelweit offen stehen lassen«, moserte der Leitner-Bauer. »Während du unter dem Traktor herum gespielt hast, hätte ein Einbrecher gut und gern das ganze Haus ausräumen können. Dann wären wir jetzt bettelarme Leute.«

»Es ist helllichter Tag, Papa. Und wir sind hier in St. Johann. Net in der Bronx oder was weiß ich, wo.«

»Ja, ja, um eine freche Antwort bist du nie verlegen. Aber dich ein bissel schön machen und ein bissel lieb und nett und freundlich sein, das bringst net fertig. Mich wundert’s sowieso, dass der Brunner-Tobias net längst genug von dir hat.« Ächzend streifte Martin Leitner im Hausflur seine groben Schuhe von den Füßen und ging auf Strumpfsocken weiter in die Küche. »Jeder andere an seiner Stelle würde keinen Blick mehr an dich verschwenden.«

Lena schluckte die Antwort hinunter, die ihr auf der Zunge lag. »Wir reden jetzt net vom Brunner-Tobias, Papa. Und auch net von mir. Sondern von dir und von dem, was der Doktor gesagt hat.«

»Nix. Dr. Wiesinger hat gesagt, dass er nix gefunden hat. Cholesterin, Blutzucker, Nierenwerte, Leberwerte… alles im grünen Bereich. EKG, Belastungs-EKG und Herzultraschall… vollkommen in Ordnung. Bandscheibenvorfall hab ich auch keinen. Und meine Knie haben zwar leichte Verschleißerscheinungen, aber Dr. Wiesinger hat gemeint, das sei, wenn jemand von Jugend an körperlich hart gearbeitet hat, mit Ende fünfzig völlig normal.«

»Aha. Und warum hast du in der Nacht immer Herzrasen und bekommst kaum Luft, wenn du angeblich so gesund bist? Und warum tut dir dauernd dein Rücken weh? Und warum kannst du manchmal fast net gehen, weil du solche Schmerzen in den Knien hast?«

Der Leitner-Bauer zuckte die Schultern. »Das musst net mich fragen, sondern den Dr. Wiesinger«, antwortete er nicht eben freundlich, während er zum Herd ging und das Bratrohr öffnete. »Ah, da brutzelt ein Schweinshaxerl«, freute er sich. Einen Augenblick lang war er aufgeräumt und guter Laune, setzte aber schon im nächsten Moment wieder seine kritische Miene auf. »Hast es auch schön mit Salz und Pfeffer, Knoblauch und Kümmel eingerieben? Und ausgiebig Dunkelbier darüber geschüttet? Oder hast bloß den ganzen Vormittag an dem vermaledeiten Traktor herum gemacht und das Haxerl allein vor sich hinschmoren lassen?«

Als Lena stumm blieb, nahm Martin Leitner sich einen Löffel aus der Tischschublade, tauchte ihn in die Soße und kostete. »Gar net schlecht«, murmelte er anerkennend, holte sich ein Messer und schnitt sich ein Stück von der Kruste ab. »Wirklich net schlecht, Madl. So ein leckeres Schweinshaxerl würd dem Tobias auch schmecken. Da bin ich mir ganz sicher.«

Lena holte Teller und Besteck aus dem Küchenbüffet und deckte den Tisch.

»Und wie soll’s jetzt mit deiner Gesundheit weitergehen, Papa?«, bohrte sie nach. »Hat dir Dr. Wiesinger wenigstens ein Medikament verschrieben?«

Martin Leitner kaute an einem neuen Stück Kruste. »Net direkt«, mümmelte er. »Er hat gemeint, ich soll mich erst einmal ganz genau durchchecken lassen. Stationär. Droben im Klinikum auf der Nonnenhöhe.«

Lena griff sich die Platte mit der Schweinshaxe, stellte sie auf eine feuerfeste Unterlage und begann mit geschickten Händen, das Fleisch vom Knochen zu lösen und zwei Portionen anzurichten. »Scheint mir ein brauchbarer Vorschlag zu sein.«

»Was? Brauchbar? Dass ich net lach!«

»Also keine stationäre Untersuchung?«, fragte Lena und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Nein, natürlich net! Sowas kommt gar net in Frage. Das hab ich auch dem Wiesinger gesagt.«

»Aha. Und… und warum willst du dich partout net auf der ›Nonnenhöhe‹ durchchecken lassen? Ich meine, dir liegt doch daran, deine Beschwerden loszuwerden, Papa. Je eher, desto besser. Und wenn dafür ein Aufenthalt in der Klinik eben nötig ist…«

»Wochenlang in der Klinik! Und auf dem Hof geht alles drunter und drüber, während ich droben auf der ›Nonnenhöhe‹ untätig im Bett herumliege!«

Lenas Augenlider verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich kann mich sehr wohl um den Hof kümmern. Und das weißt du auch.«

Der Leitner-Bauer winkte ab. »Ich weiß vor allem, dass du ein Madl bist. Und ein Madl ist mit einem Hof von der Größe des Leitnerhofs überfordert.«

»Ein Madl ist net dümmer als ein Bursch. Und kann die gleiche Arbeit verrichten«, verteidigte sich Lena. »Und außerdem ist‘s ja net für die Ewigkeit. Sondern nur für die Dauer deiner Untersuchung. Also bestimmt net länger als für eine Woche.«

»Ich hab aber nein gesagt. Und nein heißt nein. Du allein auf dem Hof, Lena, das kommt überhaupt net in Frage. Net einmal für einen einzigen Tag lass ich dich hier allein die Verantwortung übernehmen«, beharrte der Leitner-Bauer störrisch. »Wenn du willst, dass ich mich auf der ›Nonnenhöhe‹ untersuchen lasse, heirate den Brunner-Tobias. Dann kann ich mich beruhigt ins Krankenhaus legen. Beim Tobias ist der Hof in den besten Händen. Einen tüchtigeren Bauern als den Tobias gibt es gar net.«

»Papa! Das ist Erpressung, weißt du das? Und was die Qualitäten vom Tobias als Bauer betrifft…«

»Nein, das ist keine Erpressung, Madl. Das ist vernünftiges Denken. Aber vernünftiges Denken ist dir leider vollkommen fremd«, fiel Martin­ Leitner seiner Tochter ins Wort.

Lena häufte zum Fleisch noch einen Schöpflöffel Sauerkraut und zwei Semmelknödel auf den Teller ihres Vaters. Dann schob sie ihm seine Mittagsmahlzeit hin. »Und wenn ich den Tobias net mag? Ich meine, wenn ich ihn bloß als Freund und Nachbarn mag und net zum Heiraten?«

Martin Leitner zerteilte die beiden Semmelknödel in mundgerechte Bissen, die er mit der Gabel in die Soße drückte, damit sie sich vollsaugen konnten. »Wo ist denn da der Unterschied?«, knurrte er. »Freundschaft ist ein fruchtbarer Boden, auf dem die Liebe wachsen und gedeihen kann.«

Lena stieß zischend die Luft aus. »War das bei dir und der Mama auch so? Ich meine, ist eure Liebe erst mit der Zeit entstanden?«

Der Leitner-Bauer runzelte die Stirn. »Was ist denn das für eine dumme Frage?«, wich er aus. »Wir waren glücklich miteinander, meine Mathilde und ich. Sehr glücklich sogar. Das ist das Einzige, was zählt. Und wenn dieser Motorradfahrer net gewesen wäre, der die Mathilde auf dem Gewissen hat, dann… dann wäre sowieso alles ganz anders gekommen. Weil ich dann dich und den Michael net allein hätte großziehen müssen.«

Lena legte ihre Hand auf den Arm ihres Vaters. »So darfst du net reden. Du hast deine Sache gut gemacht, Papa«, sagte sie. »Der Micha und ich, wir hatten auch nach Mamas Tod eine schöne Kindheit. Und wir werden dir immer dankbar sein für das, was du für uns getan hast.«

Martin Leitner schüttelte Lenas Hand ab. »Dass ich net lach«, stieß er bitter hervor. »Dankbarkeit! Das ist doch bloß ein leeres Wort. In Wirklichkeit schert ihr euch keinen Deut um mich. Du hast dem Brunner-Tobias einen Korb gegeben, obwohl mir so viel daran liegt, dass aus euch beiden ein Paar wird. Und der Michael, dein feiner Herr Bruder, ist noch schlimmer. Seit drei Jahren treibt er sich in der ganzen Welt herum. Sein letzter Brief ist aus Aus­tralien gekommen. Der nächste kommt vielleicht aus China. Oder vom Nordpol.«

»Er schreibt dir, Papa. Er will seine Eindrücke und Erlebnisse mit dir teilen. Das heißt, er ist im Grunde immer noch mit dir und mit seiner Heimat verbunden. So kann man es doch auch sehen, oder?«, versuchte Lena, ihren Bruder zu verteidigen.

Der Leitner-Bauer gab keine Antwort. Wortlos schaufelte er sein Essen in sich hinein.

»Ich hätt noch eine Nachspeise«, sagte Lena, als er seinen leeren Teller zurückschob. »Einen karamellisierten Apfelkuchen. Den magst du doch so gern.«

Martin überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Jetzt nimmer. Vielleicht heute Nachmittag. Jetzt schau ich erst einmal nach unseren Ziegen drunten auf der Bachwiese. Und dann geh ich beim Hanninger vorbei. Und sag ihm, er soll sich um unseren Traktor kümmern.«

»Das ist net notwendig, Papa. Wirklich net. Wenn du ein kleines bissel später gekommen wärst… eine knappe Viertelstunde noch, dann wär ich fertig gewesen. Ich… ich mach jetzt schnell den Abwasch und dann geh ich hinaus und schau, dass der Traktor fertig wird.«

Der Leitner-Bauer bedachte seine Tochter mit einem vernichtenden Blick. Schweigend erhob er sich, schlüpfte wieder in seine Schuhe und verließ das Haus. Nicht ohne lautstark und mit Nachdruck die Tür ins Schloss zu werfen.

Lena trat ans Fenster und sah ihrem Vater nach. Sie konnte doch nicht Tobias Brunner heiraten, nur damit ihr Vater zufrieden war! Unwillkürlich wanderte Lenas Blick zum Nachbarhof hinüber, der stattlich und stolz in der Mittagssonne lag.

Tobias führte den Hof zusammen mit seinem älteren Bruder Gerhard. Die beiden waren ein erfolgreiches Team.

Gerhard, der willensstärkere der beiden, war der Kopf und traf die Entscheidungen, Tobias ordnete sich ihm unter. Er war ein netter, umgänglicher und durchaus attraktiver junger Mann, aber die Begegnungen mit ihm verursachten Lena kein Herzklopfen. Und keine Schmetterlinge im Bauch.

Über Lenas Miene legte sich ein Zug von Nachdenklichkeit. Obwohl sie mittlerweile schon achtundzwanzig war, träumte sie noch immer von der großen Liebe. Gab es sie überhaupt? Und wenn ja, würde sie ihr begegnen? Wenn ihre Mutter noch leben würde, könnte sie vielleicht mit ihr darüber sprechen.

Freundinnen, mit denen man sich über solche Dinge austauschen konnte, hatte Lena nicht. Für Mädelsnachmittage und -abende blieb ihr keine Zeit. Immerhin lastete die viele Arbeit auf dem Hof, der angeschlagenen Gesundheit ihres Vaters wegen, fast ausschließlich auf ihren Schultern.

Ab und an war Lena schon knapp davor gewesen, Pfarrer Trenker um Rat zu fragen, hatte den Gedanken aber immer wieder verworfen.

Mit einem Seufzer wandte Lena sich vom Fenster ab, ließ heißes Wasser in die Spüle und machte sich an den Abwasch. Arbeit war immer noch das beste Mittel gegen Grübeleien aller Art.

*

Als Lena nach dem Gottesdienst in den warmen Sommertag hinaustrat, stand Pfarrer Trenker schon am Kirchenportal, um, wie jeden Sonntag, seine Gemeindemitglieder persönlich zu verabschieden und mit jedem von ihnen ein paar freundliche Worte zu wechseln.

»Und wie geht’s dem Papa?«, fragte er Lena, die in letzter Zeit immer häufiger allein zur Kirche gekommen war.

»Leider net besonders gut«, antwortete Lena. »Deshalb war er auch net in der Messe. Er ist droben auf dem Hof geblieben und hat sich ein bissel hingelegt.«

Sebastian nickte verständnisvoll. »Dass dein Vater gesundheitlich net auf der Höhe ist, tut mir leid«, antwortete er. »Für ihn und für dich, Lena. Habt ihr inzwischen wenigstens einen Knecht gefunden, der bei der Ernte zur Hand geht?«

»Bis jetzt leider noch net. Aber das Arbeitsamt hat versprochen, uns eine geeignete Kraft zu schicken. Wenn es net anders geht, eben einen Erntehelfer aus Polen.«

Dann hoffen wir das Beste«, meinte Sebastian Trenker. »Du brauchst schließlich auch ein bissel Entlastung, Lena.«