Daniela Emminger

GEMISCHTER SATZ

Novelle

Federschwert

Daniela Emminger

GEMISCHTER SATZ

Novelle

Czernin Verlag, Wien

Mit freundlicher Unterstützung des Wiener Winzers Franz-Michael
Mayer, der mit dem Literatur-Programm »in vino veritas« junge österrei-
chische Autorinnen und Autoren unterstützt.

Produziert mit Unterstützung der Kulturabteilung
des Landes Oberösterreich und der Stadt Wien,
MA7 / Literaturförderung

Emminger, Daniela: Gemischter Satz /
Daniela Emminger
Wien: Czernin Verlag 2016
ISBN: 978-3-7076-0581-5

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe
in Print- oder elektronischen Medien

Gemischter Satz

Ich kann nicht weitermachen,
ich werde weitermachen.

(SAMUEL BECKETT)

[Gemischter Satz: bezeichnet einen Wein, der sich aus unterschiedlichen Rebsorten aus einem Weingarten zusammensetzt. Im Gegensatz zur Cuvée werden hier mehrere Rebsorten zusammen angebaut und nach der gemeinsamen Lese auch gemeinsam gekeltert. Ursprüngliches Ziel war es, durch die unterschiedlichen Reife- und Säuregrade eine gleichbleibende Weinqualität zu sichern. Der nette Nebeneffekt, eine deutlich erhöhte Vielschichtigkeit des Endproduktes, hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben. Österreich darf als einziges EU-Land Weinflaschen mit der Bezeichnung »Gemischter Satz« versehen.]

Ein gemischter Satz setzt sich aber auch aus verschiedenen Satzbausteinen wie Subjekt, Prädikat und Objekt zusammen, die je nach Zweck, Gefühl und Laune miteinander kombiniert werden können.

Prolog.

HABEN SIE SCHON einmal mit jemandem per Buch Schluss gemacht? Nein? Ich auch nicht. Aber es gibt bekanntlich für alles ein erstes Mal, wir lernen ja nie aus. Vielleicht handelt es sich in diesem Fall um meines.

Martin Muli, ein Freund von mir, der lieber Mäusespeck isst, als ich Hasen häute, hat mir einen Sweater aus Paris mitgebracht. Die Aufschrift ist wenig erbaulich: True love lies, awake at night. Wenn dem so ist, weiß ich endlich, warum ich in den letzten (verflixten) zweieinhalb Jahren so oft nicht einschlafen konnte, nächtelang wach lag oder überhaupt nur noch am Schlafen war. Rocko Schamoni sang gestern im Radio: Leben heißt sterben lernen, Lieben heißt leben lernen. Auch das trifft mich und auf mich zu. Genau wie die Aussage – aller guten Dinge sind –, die erst kürzlich auf einem Plakat in Berlin zu lesen war: Fuck me like the whore I am. Nicht, dass ich eine Hure wäre, aber eine Hurerei ist es schon, das Leben, und gefickt fühlt man sich mitunter auch. Bleibt schließlich noch ein verwaschenes Fan-T-Shirt von den Toten Hosen, das sich im Eigentum jenes Mannes befindet, um den es hier mitunter gehen soll, auf dem steht: Ficken, Bumsen, Blasen. Es ist der Untergang.

Sie merken schon, ein normales Buch wird das nicht. Aber da ich Sie das jetzt schon wissen lasse, spare ich Ihnen vielleicht Ihre kostbare Zeit und mir meine Worte, die schließlich irgendwo ankommen wollen. Es reicht mir wieder einmal mit meinen Altlasten und den Erfahrungen, die das Leben so mit sich bringt. Ich habe nichts zu verlieren, ich weiß nicht mehr, wer ich bin, und ich weiß nicht mehr, wer ich sein möchte. Ich weiß überhaupt nichts mehr, kann den Nebel, der mich umgibt, nicht benennen, ihm keinen Namen geben und mir damit auch nicht. Tolle Voraussetzungen, nicht wahr, doch weil ich nicht vorhabe, wie die sechzehnjährige Tochter einer Therapeutin, die ich selbstverständlich nur vom Hörensagen kenne, Hand in Hand mit meinem Freund von der Brigittenauer Brücke in die Donau zu springen, fahre ich lieber nicht händchenhaltend mit dem Zug zwischen Oberösterreich und Wien hin und her, mal dem einen, mal dem anderen Bundesland davon, zumal es keinen Freund mehr gibt.

Ich bleibe in Bewegung, meine Gedanken und meine Füße bewegen sich, bewegen mich, und solange man sich bewegt, ist noch alles in Ordnung, solange man sich bewegt, ist es noch nicht zu spät. Mein Gott, klingt das schon wieder negativ.

Ich bin gerade richtig schön in Fahrt. Mein Pulsschlag beläuft sich auf geschätzte hundertachtzig, und würde ich nicht in einem definitiv zu vollen Zugabteil sitzen, ich liefe wie ein Kaspar Hauser, nackt, lauthals drauflosschreiend, durch den Wald oder schlüge wie eine sinnesentrückte Rentnerin an der Supermarktkasse mit den Krückstöcken auf die Süßigkeitenregale ein, bis die weiß gekleideten Krankenpfleger und der Bus mit den eckigen Rädern kämen, um mich schneller abzutransportieren, als ich bis drei zählen könnte. Und ich kann schnell bis drei zählen: eins, zwei, drei.

Mein Freund hat mich verlassen. Ein nicht ganz unwesentliches Detail für den Umstand, der ein Zustand ist, dass ich nunmehr proseccobewaffnet, kettenrauchend und namenlos im ehemaligen Fremdenzimmer meines Elternhauses sitze, einen verschlissenen Pyjama aus den Achtzigerjahren trage und in ein Dorf by night blicke, das über derlei beliebte Ansichtskarten nicht verfügt, vielleicht ja eine Marktnische, lieber Herr Bürgermeister.

Meine Nummer sieben hat mich verlassen – eine Aussage, die nur teilweise stimmt, weil wer wen verlässt, ist immer so eine Sache, weniger des verletzten Stolzes oder der hohen Rösser als vielmehr der Wahrnehmungsperspektive. Mein Freund hat mich verlassen, zum dritten Mal erwähne ich das jetzt, aber in so einer Situation kann man sich das gar nicht oft genug sagen, am besten laut, vor einem Spiegel stehend, damit man es auch kapiert.

Es geht mir gut, liebe Softdrinkerzeuger, obwohl sich die Dinge ehrlich gesagt momentan nicht gerade einfach gestalten, alleine am Flughafen, in der Damenumkleide und beim Geschäfteverlassen beispielsweise, wo immer gleich alles piepst, und ich spreche hier nicht einmal von entwendeten Suppennudeln oder mitgebrachten Intimpiercings und Äxten, sogar die BH-Bügel, Schuhabsätze und Haarklammern machen sich bemerkbar, wie sich früher oder später alles bemerkbar macht, und zwar in sämtlicher Hinsicht.

Und doch, es ist alles in Ordnung, liebe Leser, bitte glauben Sie mir das, ich glaube mir das nämlich nicht, weil es keinen Ausschaltknopf gibt für die Bildung endloser Gedankenschnüre im Kopf, für schlaflose Nächte, weil sich Verlangen nach mehr einstellt, wenn man erst einmal angefangen hat, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, wenn man erst einmal auf den Geschmack gekommen ist und in Haubenlokalen speist, interessante Menschen kennenlernt – Sekten­mitglieder, Prominente, Obdachlose zum Beispiel – oder andere Zustände, die das Leben so spielt, wie Verlust und Trauer. Oder eben eine Liebe, die so groß ist, dass man darin seinen Platz nicht findet.

Ich arbeite seit Jahren und arbeite seit Jahren an der Frage, ob ein Handwerksberuf auf Dauer nicht einem Hirnwichsberuf vorzuziehen ist, der Zufriedenheit wegen, damit man sich zur Abwechslung wieder einmal selber spürt und weniger Zeit hat, sich Probleme zu machen, die eigentlich gar keine sind, einfach, weil man sich gar nicht mehr vorstellen kann, ohne Probleme zu leben, blödes Generationsphänomen, oder war die Gesellschaft auch früher schon depressiv, nisteten sich neben Läusen und Wanzen auch damals schon Kopfgeburten und Nebelschwaden und schwarze Löcher in den gepuderten Perücken ein, hat nicht jede Zeit ihre Krankheiten, krankt nicht jede Zeit auf ihre Art und Weise.

Ich will jedenfalls schnellstmöglich wieder in eine Form, eine Farbe, in einen Gefühlszustand und einen Namen, will am Morgen aufwachen und mich auf den Tag freuen und das Gras wachsen hören und die selbst gezogenen Tomaten und Salatgurken ernten – mehr noch als Erfolge und Einsichten –, und wenn das bedeutet, dass einer nicht mehr dazugehört, dass es für einen, der auch ich war, in diesem neuen Leben keinen Platz mehr gibt, dann ist das ein Verlust, der nicht zu ändern ist, der akzeptiert werden muss.

Was wissen wir schon, ich meine, was wissen Sie schon von mir und meinen Wertvorstellungen und Weltanschauungen? Was wissen Sie von einem Leben, das nicht Ihres ist, konzentrieren Sie sich doch bitte auf Ihr eigenes, kehren Sie Ihren Dreck zusammen und Sie werden Dinge entdecken, die dem, was in der Nachbarschaft, hinter fremden Zäunen, Hecken und Fenstern, in Zeitungen und Seifenopern vor sich geht, in nichts an Schrecken und Handlungsbedarf nachstehen. Jeder Mensch steckt im Dreck. Jeder Mensch hat Dreck am Stecken. Jeder Mensch verfügt über weniger attraktive Seiten. Jeder Mensch sollte sich um seine eigenen Defizite und Bösartigkeiten kümmern und nicht defizitär, bösartig, generalisierend in alle Richtungen spritzen, wie auch ich gerade eine Giftspritze bin oder wieder ein anderer auf das zellophanierte Foto eines Supermodels spritzt, das nicht Anja heißt, oder vielleicht doch.

Der Wald lichtet sich nicht. Ich hacke seit Jahren Holz und würde lieber Blutwürste füllen. Ich sitze tagein, tagaus telefon- und computer(fern)gesteuert in einem Büro und würde mich viel lieber in einer Eremitenhöhle in China verkriechen. Ich höre tagtäglich die Alarmglocken läuten und stelle mich taub. Und genau das macht einen auf Dauer wahnsinnig, wahnsinnig und unberechenbar. Da sagen wir doch in der Sekunde ganz laut stopp!, was einem auch Ärzte bei einer Panikattacke empfehlen. Da erlauben wir uns doch auf der Stelle, ganz neu anzufangen, von vorne zu beginnen, warum auch nicht, es reicht doch, einen Fehler einmal zu machen, es muss doch nicht sein, einen Fehler ein zweites Mal zu begehen, wir können doch bis drei zählen.

In einem Anfang liegen, trotz der zwangsläufigen Anstrengungen, die damit verbunden sind, trotz der alten Hosen, die man voll hat, die man vollgeschissen hat, die es abzulegen gilt, auszuwaschen, auch ein Zauber und eine Kraft, die die Welt am Laufen halten. Denn Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie in sich.

Wir schreiben den 1. Juli, es ist kurz nach sechs Uhr morgens, die Sonne ist hinten links gerade aufgegangen, meine Finger sind klamm vor Kälte und Sie könnten, würden Sie mir vis-à-vis auf der Gartenbank sitzen, beim Ausatmen meine Luftzigarettenkringel sehen und die Ihren wahrscheinlich auch. Vom Raumschiff Enterprise weit und breit keine Spur. Von willigen Außerirdischen, die ein Mädchen entführen möchten, leider auch nicht. Das wäre auch zu einfach gewesen.

Präzise gesagt ist es bereits fünfzehn Minuten vor sieben, auch eine Kaffeemaschine braucht ihre Zeit zum Warmwerden, genau wie die Bank ihre Sitzauflage oder der Tisch seine Decke. Jeder Mensch braucht jemanden, etwas. Jeder Mensch braucht es, gebraucht zu werden. Alles braucht, alles braucht seine Zeit. Vor allem das Vergessen und Vergeben. »Klar, vergebe ich dir« – ein Satz, der zum Totlachen ist, der geradezu danach schreit, den Mund mit Seife ausgewaschen zu bekommen. Und zu vergessen hätte ich auch einiges. Ein paar Kapitel aus dem Nummer-sieben-Märchen zum Beispiel, das einen schnellen Anfang, dafür ein zähes Ende nahm, zweieinhalb Jahre, in denen sich ein Gemischter Satz aus Gramstauden, Eitelkeiten, Knickreben, Unwissen, Wunschdenken, schwachem Boden und mangelndem Niederschlag zusammengebraut und dazu geführt hatte, dass ich stärker sein wollte, als ich konnte, mich zu einer Märtyrerin machte, die ich nicht war.

Die Vögel zwitschern im Garten meiner Eltern, selbst im Garten meiner Eltern zwitschern die Vögel. Die Kirschenzeit ist vorbei, der Kirschbaum wurde bereits zurückgestutzt, zurechtgeschnitten, sieht aber leider immer noch nicht aus wie die Buchsbäume im Schloss Schönbrunn, aber das will er vielleicht auch gar nicht. Die Einzigen, die sich im Dorf schon bewegen, sind der Bäcker, die Jugend und ein paar Gedanken. Nicht jeder Mensch weiß, wo er tagtäglich hinfährt. Nicht jeder Mensch weiß, wie er tagtäglich sein Brot verdient. Nicht jeder Mensch denkt sich was. Es ist unsinnig, über ein fremdes Leben zu sprechen, weswegen ich mich auf das eigene beschränken möchte, das vielleicht nicht immer schön ist, aber mitunter doch erträglich. Mein Leben ist eine Hausnummer, die an kriegerische Zeiten erinnert, mein Leben ist eine kleine Raupe Nimmersatt, die immerfort den Kriechgang übt, die sich wandelt und mit Rücksicht auf Verluste über Schutthalden gleitet, um am Ende vielleicht als Phönix aus der Asche aufzuerstehen, schmetterlingsverbrannt. Doch Kriechen macht durstig, und wer Durst hat, muss trinken. Aber Trinken ist auch keine Lösung, außer man möchte vergessen, wie ich.

Und so trinke ich seit Wochen Prosecco alias Nuttensprudel, womit sich die Frage stellt, ob diese Bezeichnung jetzt eine Beleidigung ist oder ein Kompliment, für das Getränk und die Hure. Hure bin ich, wie gesagt, keine, alleine schon weil ich meinen Mund nicht halten kann und das Herz schon gar nicht, was an jedem Ort der Welt selbstmörderisch und dramatisch ist, in der Heimat aber ganz besonders. Wer sich traut auf einem Dorfplatz zwischen dem Pfarrer, dem Bürgermeister, dem Wirt und dem Eltern- oder Narrenhaus laut die Wahrheit zu sagen, freilich nur die eigene, der kümmert sich am besten gleich um einen neuen Namen, eine neue Existenz, ein neues Gesicht – Sie wissen ja, wie das läuft in den FBI-Filmen mit dem Zeugenschutzprogramm – und um neue Erzeuger natürlich auch, weil schnell heißt es da: Elterngeisterhochschaubahn und jede Fahrt ist gratis. Wer sich traut vor einem Misthaufen laut die Wahrheit zu sagen, der heißt entweder Jelinek oder aber der ist verrückt oder lebensmüde oder beides. Aber genau deshalb bin ich ja hier, um mir ein neues Dasein auszumalen, hinzuschreiben und es dann zu glauben.

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll mit dem Erzählen und dem Hinschreiben, von hinten?, weil einem das Hinterteil eines jeden Lebens näher liegt, von vorne?, damit Sie mir besser folgen können?, aber zu leicht will ich es Ihnen auch nicht machen, strengen Sie sich ruhig ein bisschen an. Oder soll ich mich einfach noch ein wenig selber bemitleiden, mir die frischen Wunden lecken, das kann ich gut, denn an vielen Stellen klafft sie noch auf, die Vergangenheit, blitzen sie noch hervor, die Überbleibsel und Nachwehen einer Liebestragödie, die ja von Natur aus kein Happy End haben kann. Das hat man davon, wenn man sich im Leben etwas vormacht, sich selber im Weg steht und dann im Moment des Scheiterns, der wiedergewonnenen Klarheit just keine Wund- und Heilsalbe zur Hand hat, was praktisch wäre. Vielleicht beginne ich einfach da, wo das mit dem Verlieben und der Stendhal’schen Kristallisation und der Agatha-Werdung anfing, in einer Nacht im Dezember oder auch der Nacht vom 4. auf den 5. Februar, weil das so ist mit Metamorphosen – es dauert, bis man sie realisiert, bis man realisiert, was da mit einem im Gange ist, weil sie kommen ja, ohne anzuklopfen, zur Tür herein, diebisch angeschlichen, wenn es finster ist und sicher nicht hell. Und so nahm es auch im Fall der Agatha-Werdung einige Zeit in Anspruch – was sind schon ein paar Wochen –, bis die Verwandlung sicht- und greifbar wurde, spruchreif ward, wenn auch um eines fernen Tages wieder rückgängig gemacht zu werden, wer weiß schon vorher, dass er nachher nicht immer klüger ist, ich weiß es erst jetzt, aber das ist ja das Schöne am freien und unfreien Willen, sofern denn überhaupt einer vorhanden ist, dass man sich immer wieder aufs Neue entscheiden kann, umentscheiden, rückentscheiden, links-rechts-links-entscheiden, da wird einem gleich ganz schwindelig. Und während anderen über Nacht vor lauter Liebe die Haare ausfielen, während anderen vor lauter Sorgen untertags die Haare ergrauten, schnitt ich mir damals in der Februarnacht die Brüste ab, metaphorisch versteht sich, verwandelte mich in eine andere, weil der ungewohnte Zustand geradezu nach einer neuen Bezeichnung schrie, weil das Verliebtsein und Sich-in-Luft-Auflösen nur schwer auszuhalten waren, weil in so einem Metamorphosensturm jeder Mensch ein paar Dinge zum Festhalten brauchte, einen Namen, eine Identität, einen Ort, eine Berufsbezeichnung, eine Sozialversicherungsnummer und eine Bankomatkarte zum Beispiel, sonst war ja schon alles aus, bevor es überhaupt angefangen hatte. Mein Name passte nicht mehr, ich hatte keinen Namen, der passte, und so suchte und fand ich einen neuen, nannte mich – im Gedenken an die Brustlose von Catania – Agatha, warum auch nicht, warum auch nicht sich mutiger, stärker und heldenhafter machen, als man war, und sagte Amen zum lieben Gott.

Geholfen hat mir die ganze Sache nicht. Und so sitze ich zweieinhalb Jahre später also hier und habe genug mit mir selber zu tun, muss nicht über Gartenzäune blicken und mit dem Fernglas in fremde Schlafzimmer schauen, reiche mir mit meinen posttraumatischen, postpubertären, phantombeschmerzten Agatha-Gefühlen und Agatha-Gedanken, die nicht Danke sagen und Bitte schon gar nicht. Ein Ungehorsam ist das, der sich gewaschen hat. Eine Kraft hat der, dass es kaum auszuhalten ist, weil er bolzt und schmettert, bis man daliegt wie ein ausgeschlachtetes Autowrack, bis man dahängt wie ein totes Schwein, das ausgeblutet ist und nicht mehr auf des Schlächters zärtliche Liebkosung wartet.

Doch damit ist jetzt Schluss. Nach zweieinhalb Jahren Agathatum, nach so einem Leben und so vielen Lach- und Sachgeschichten, die es schrieb, und Eindrücken, die drückten, und Menschen, die durch einen hindurchwanderten, weil man offen ist, wenn man offen ist, weiß ich endlich, ich kann nicht mehr: Agatha heißen und Agatha sein. Und doch bin ich wider Erwarten immer noch hier, bin hier und lerne, wie nach einem dramatischen Unfall oder einer schweren Operation, wieder gehen. Meine Organe arbeiten, und das gar nicht schlecht, wie mir die aktuellen Laborergebnisse der Gesundenuntersuchung bestätigen, weil für Brustabtasten und Plombenfüllen ist immer Zeit. Was gibt es für einen besseren Weg, als sich die Gesundheit von einem Arzt, der auch nur ein Mensch ist, bestätigen zu lassen, schwarz auf weiß, wenn man selber nicht mehr weiß, ob man ganz gesund ist oder krank, weil man den Kopf und also den Überblick verloren hat, innen wie außen.