Die Lebensuhr

 

 

 

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Band 85

 

Die Lebensuhr

 

von Catherine Parker

 

 

© Zaubermond Verlag 2016

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Und die Umstände wollen es, dass ausgerechnet Coco Zamis die neue Schiedsrichterin wird. Das Dämonenkiller-Team droht zu zerfallen, Dorian stirbt. Die Dämonen scheinen gesiegt zu haben.

Aber mit vereinten Kräften gelingt es Dorians Freunden, ihn ins Leben zurückzuholen. Das Team formiert sich neu. Dummerweise sind einige von ihnen während Dorians Abwesenheit auf Abwege geraten. So hat Coco Zamis den Posten als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie angenommen. Und das Dämonenkiller-Team hat ein neues Mitglied: Die Rabisu Salamanda Setis, der Dorian sein Leben verdankt.

 

 

 

 

Erstes Buch: Die Lebensuhr

 

 

Die Lebensuhr

 

von Catherine Parker

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

Kapitel 1

 

Unschlüssig schob Salamanda das Visier ihres Helms nach oben. Das Londoner Ace Café war an diesem Abend brechend voll, einer der Stammgäste feierte offenbar Geburtstag. Auf dem Parkplatz an der Old North Circular Road drängten sich hochgetunte Autos neben verbeulten Schrottkarren und einzelnen Motorrädern. Wenn die Tür des Clubs aufschwang, dröhnten Metalmusik und Gelächter bis auf die Straße.

Was jetzt? Salamanda stieg von ihrer Maschine und nahm den Helm ab.

Die schwarze Bonneville T120 war ihr neuestes Spielzeug. Wenn die babylonische Vampirin merkte, dass ihr in Dorians Reihenhauswohnung in der Abraham Road bald die Decke auf den Kopf fiel, schnappte sie sich die Schlüssel der Triumph und zog los, kreuz und quer durch die Stadt. Dann interessierte sie nicht einmal die nasskalte Februarluft – das Gefühl von Freiheit war wichtiger.

Manchmal braucht eben auch eine Rabisu ein bisschen Spaß.

Das Ace Café war der kultträchtigste Treffpunkt für Biker, hier hatte Salamanda nicht zum ersten Mal Halt gemacht. Allerdings war sie heute aus einem bestimmten Grund unterwegs: Sie hatte Hunger. Und ein Ace Burger von der Speisekarte lockte sie keineswegs. Sie brauchte frisches Blut. Menschliches Blut.

Trotz ihrer Motorradstiefel bewegte Salamanda sich nahezu lautlos und mit katzenhafter Geschmeidigkeit Richtung Tür. Durch die gläsernen Frontscheiben des Clubs fiel Licht auf den Asphalt. Ein Blick auf die Feiernden ließ Salamanda erneut zögern. Mehrere der Rocker kannte sie – trotz ihres bärbeißigen Habitus eher harmlose Kuttenträger.

Die denken, ich gehöre dazu. Die glauben, ich bin eine von ihnen. Ist es fair, ihre Arglosigkeit auszunutzen, um meinen Blutdurst zu stillen?

Früher hätte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, ob es richtig oder falsch war, einen dieser Trottel als Abendmahlzeit auszuwählen, doch seit sie sich Hunters Team zugehörig fühlte, plagten sie diesbezüglich zunehmend Skrupel. Sie wusste, dass Dorian es hasste, wenn Unschuldige zu Schaden kamen. Was Salamandas Bedürfnisse betraf, so ließ er da keine Ausnahme gelten. Kiwibin, mit dem sie zusammenwohnte, sah das ganz ähnlich. In der Vergangenheit hatte Salamanda sich keinen Deut darum geschert und sich stets nur an ihre eigenen Regeln gehalten. Es missfiel ihr, welchen Einfluss sie Dorian und den anderen zugestand, wenn sie nun ihr Verhalten änderte …

»Hi, Süße!« Ein Betrunkener stolperte aus der Tür und rempelte sie an. »Was stehst du denn hier so alleine draußen?«

»Hau ab, du Idiot«, zischte sie.

Schlagartig verstummte sein Genuschel und er wandte sich ab, als hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen. Dabei hatte sie ihn nicht einmal berührt. Nur drohend angefunkelt. Aber er registrierte wohl die Gefahr, die von ihr ausging. Unsicher torkelte er auf einen alten Ford am Ende des Parkplatzes zu.

»Komm schon, Brian«, jammerte er vor sich hin. »Bring mich nach Hause. Meine Alte reißt mir den Kopf ab, wenn ich zu spät komme.«

Salamanda tauchte unauffällig in den Schatten ab, als ein zweiter Mann aus dem Ace Café trat. Er dünstete weit weniger Alkohol aus als sein schwankender Kumpel, dem er jetzt mit großen Schritten folgte.

»Weichei«, hörte Salamanda ihn verächtlich murmeln.

Ihre Augen weiteten sich unmerklich, als sie seiner Aura nachspürte. Dieser Typ war keiner von den Guten, das stand fest. Trotz der unauffälligen Kleidung nahm sie etwas Finsteres an ihm wahr. Er verströmte eine innere Kälte und Brutalität, die sie wittern konnte. Vielleicht war das die Gelegenheit, endlich ihren Hunger zu stillen, ohne damit gegen Kiwibins Gefühle oder Dorians hehre Grundsätze zu verstoßen?

Salamanda setzte hastig den Helm wieder auf und schwang sich auf die Triumph. Mal sehen, wo die Reise hinging und ob sie den Kerl vielleicht schnappen konnte.

Sie folgte dem Ford mit den beiden Männern bis zu einer schmalen Straße im Londoner Norden, wo Brian den Betrunkenen vor einem schäbigen Mietshaus absetzte. Lauthals zeternd nahm ihn seine Frau in Empfang. Brian musterte die Szene mit unbeweglicher Miene.

Salamanda sah ihm seine Gedanken dennoch an. Trotz des Abstandes, den sie einhielt, um nicht entdeckt zu werden, spürte sie den lodernden Hass, der von ihm ausging. Dieser Typ gierte geradezu nach Gewalt. Und er schien keine Lust zu haben, heimzufahren. Er hielt lediglich kurz an einer Tankstelle, um Zigaretten zu kaufen und – betont beiläufig – den Inhalt seines Kofferraums zu checken.

Salamanda blinzelte ungläubig. Wenn sie das metallische Blitzen richtig deutete, fuhr Brian mit einer Axt spazieren! Jetzt schob er sich außerdem verstohlen mehrere Kabelbinder in die Jackentasche, ehe er den Kofferraumdeckel rasch wieder zuklappte.

Dich werde ich heute Nacht garantiert nicht aus den Augen lassen.

Vorerst musste Salamanda sich allerdings in Geduld üben. Nicht gerade ihre Stärke, zumal mit knurrendem Magen. Brian streifte eine Weile ziellos in Kings Cross umher, anschließend steuerte er Spitalfields an. Als Salamanda das Straßenschild Old Montague Street auffiel, fühlte sie sich unwillkürlich an Jack the Ripper erinnert. Suchte Brian in dieser Gegend ein Opfer? Oder täuschte sie sich und er war doch nur auf billigen Sex aus? Jedenfalls rollte er jetzt in quälender Langsamkeit den Straßenstrich entlang.

Um diese Jahreszeit warteten dort nur wenige Huren auf Freier. Kurz nach Mitternacht war die reguläre Sperrstunde der Pubs überschritten, die meisten schlossen um 23 Uhr. Wer sich weiter vergnügen wollte, zog in eines der schmuddeligen, aber beheizten Etablissements der Gegend um, wo es beides gab: Frauen und Alkohol. Es sei denn, man scheute das Licht und wollte nicht gesehen werden – so wie Brian.

Salamanda fluchte leise. Wenn sie nicht aufpasste, entdeckte der Kerl sie im Rückspiegel. Um seine Aufmerksamkeit nicht zu erregen, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu überholen und in die nächste Querstraße abzubiegen. Dort bremste sie abrupt und beobachtete über die Schulter, wie er vor einer üppigen Rothaarigen hielt, die in silbern glitzernden Hotpants vor sich hin bibberte. Ganz nüchtern wirkte sie nicht. Dennoch schien etwas sie zu warnen, denn einsteigen wollte sie nicht. Heftig schüttelte sie den Kopf und zeigte Brian den Finger.

Gut gemacht, Herzchen.

Am Ende der Straße hatte Brian mehr Glück. Salamanda registrierte, dass auch diese Frau rötliche Haare hatte, anscheinend stand er auf diesen Typ. Die Nutte trug hohe Stiefel und ein Jäckchen mit tiefem Ausschnitt, aus dem ihre Brüste quollen. Der Pelzbesatz am Kragen wirkte ebenso billig und falsch wie das Rot ihrer Locken. Nervös fuchtelte sie mit den Händen durch die Luft, während sie mit Brian verhandelte. Kein Zweifel, sie brauchte dringend Stoff.

Salamanda war klar, dass Brian ihr das Gewünschte garantiert nicht besorgen würde. Er würde die Ahnungslose auch nicht bezahlen für das, was er mit ihr vorhatte. Wenn er mit ihr fertig war, benötigte sie vermutlich niemals wieder Geld oder Drogen.

Du machst das nicht zum ersten Mal, stimmt's, Brian? Was bist du, ein Serienkiller?

Die Nutte hatte sich entschieden. Etwas wacklig stakste sie auf ihren hohen Absätzen um den Ford herum und stieg auf der Beifahrerseite ein. Brian fuhr sofort an.

Salamanda musste erst das Motorrad wenden, ehe sie die Verfolgung wieder aufnehmen konnte. In der engen Gasse mit dem rutschigen Pflaster war das alles andere als einfach. Beinahe hätte sie einen Obdachlosen übersehen, der neben einem vermüllten Hauseingang auf einem Pappkarton schlief.

»Verdammt!« Sie riss den Lenker gerade noch zur Seite, ehe sie den Mann überrollte.

Die Triumph geriet ins Schlittern. Salamanda gelang es in letzter Sekunde, die Maschine abzufangen. Der befürchtete Sturz blieb aus. Doch als sie endlich um die Ecke bog, sah sie von Brians Ford nicht einmal mehr die Rücklichter.

Wo ist der Scheißkerl hin?

Sie gab Gas und jagte durch die Nacht. Weit konnte er nicht sein. Sie verließ sich auf ihren Instinkt, der sie Richtung Themseufer lotste, weil die Gegend dort noch düsterer wirkte. Hier waren kaum noch Nachtschwärmer unterwegs, auch in den Häusern brannte kein Licht. Die Menschen, die hier wohnten, schotteten sich nachts ab. Wenn hier jemand um Hilfe schrie, hörte gewiss keiner hin oder alarmierte gar die Polizei.

Aus den nur spärlichen vorhandenen Laternen sickerte trübes Licht. Nebelfetzen sammelten sich in den Ecken. Der Straßenbelag glänzte feucht.

Salamanda stoppte und lauschte. Ihr außergewöhnlich feines Gehör nahm außer dem sanften Brummen der Triumph kein Motorengeräusch mehr wahr. Hatte sie Brian verloren?

Da zerriss ein panischer Aufschrei die Stille. Rasch wurde er erstickt, doch Salamanda hatte genug gehört. Sie wusste jetzt, wo sie ihn finden würde. Irgendwo dort vorne, bei den alten Werftanlagen musste er abgebogen sein.

Sie ließ das Motorrad neben einem verrosteten Zaun zurück, an dem ein großes »Betreten verboten«-Schild hing. Weit und breit war niemand zu sehen. Selbst in einer Metropole wie London gab es Ecken, an denen man sich einsamer fühlen konnte als auf dem Mond.

Salamanda pirschte sich näher heran. Der Ford stand mit offenem Kofferraumdeckel und ausgeschalteten Scheinwerfern im Hinterhof einer verlassenen Industriebrache. Im Sommer wucherte das Unkraut ringsum bestimmt meterhoch. Heute hatte man freie Sicht auf Stapel von Öltonnen und zersplitterte Paletten. Salamanda duckte sich.

»Na, du kleines Miststück«, sagte Brian. Seine Stimme klang höchst selbstzufrieden. »Du hast mir doch ein bisschen Spaß versprochen. Wie gefällt dir das?«

Er schlug zu, aber nicht fest genug, um die gefesselte Frau bewusstlos zu prügeln. Offenbar kam es ihm darauf an, dass sie genau mitbekam, was ihr drohte. Sie krümmte sich zusammen und würgte hinter dem Knebel, den er ihr verpasst hatte.

»Tja, mit dieser Art Spaß hast du nicht gerechnet, was?«, höhnte Brian.

Sie wimmerte. Die Jacke war aufgerissen, das Top darunter zerfetzt. Blut tropfte von ihrer Schläfe und verklebte ihre Locken, während sie zu ihrem Peiniger aufsah. In ihren Augen flackerte Todesangst. Die Axt lehnte am Hinterrad des Fords.

Salamanda wartete nicht länger.

»He Arschloch«, schrie sie. »Willst du nicht lieber Spaß mit mir haben?«

Sie schnellte aus der Deckung und knallte ihm mit einem gezielten Tritt ihre Stiefelspitze unters Kinn.

Brian war weder sonderlich groß noch muskulös, aber flink. Sehr flink. Salamanda erkannte, dass er früher geboxt haben musste. Er wich so rasch und geschickt nach hinten aus, dass sie ihn zwar traf, aber die Wucht ihres Tritts verlorenging. Augenblicklich hob er die Fäuste.

»Wo kommst du denn so plötzlich her, Schlampe?«

Dummerweise wusste er nicht, dass ihm keine menschliche Gegnerin gegenüberstand, sondern eine kampferprobte Dämonin. Das hämische Grinsen fiel ihm schneller aus dem Gesicht, als er »Uff« stöhnen konnte, während Salamanda ihm mit beherztem Griff die Eier zerquetschte.

»Ich bin sicher, die brauchst du nicht mehr«, zischte sie.

Mit schmerzverdrehten Augen sank Brian auf die Knie. »Mblll…«

»Gute Nacht, Arschloch.« Blitzartig riss sie seinen Kopf zur Seite. Knirschend brach das Genick. Salamanda lächelte zufrieden. Dann beugte sie sich über seinen Hals.

Sein Blut schmeckte kaum nach Alkohol, genau wie sie es vermutet hatte. Männer wie Brian berauschten sich lieber an anderen Dingen. Aber damit war es nun vorbei.

Salamanda trank sich satt mit dem sicheren Gefühl, der Welt einen Gefallen getan zu haben. Dieser üble Möchtegern-Killer hatte den Tod verdient. Dorian wäre im Zweifelsfall sogar stolz auf sie gewesen. Sie wusste nicht, ob sie das gut finden sollte.

Voller Genugtuung beendete sie schließlich ihre Mahlzeit und schubste den Leichnam von sich. Höchste Zeit, sich um Brians Opfer zu kümmern. Sie wischte sich einen Rest Blut aus dem Mundwinkel und wandte sich um.

Die gefesselte Hure starrte sie mit schreckgeweiteten Augen an. Ihr Gesicht war kreidebleich. Im fahlen Licht des Mondes wirkte die Haut fast durchscheinend.

»Keine Angst.« Salamanda ging auf sie zu. »Dieser Dreckskerl kann dir nichts mehr antun.«

Mühelos durchtrennte sie mit ihren dämonenscharfen Fingernägeln die Kabelbinder, mit denen Brian die Rothaarige gefesselt hatte. Dann löste sie den Knebel.

Im selben Moment, da der eklige Lappen zu Boden fiel, begann die Gerettete wild um sich zu schlagen. »Nein! Geh weg!«

Kreischend wehrte sie Salamandas Hand ab, mit der die Dämonin ihr aufhelfen wollte. »Fass mich nicht an! Bleib bloß weg von mir, du … du … Monster!«

Wie bitte? Ich hör wohl nicht richtig?

Verblüfft blickte Salamanda auf die zerschundene Gestalt, die jetzt auf allen Vieren aus ihrer Reichweite krabbelte. »Oh mein Gott, oh mein Gott …«, wimmerte die Frau.

Also der war's nicht, der dich gerade gerettet hat.

Ein gereiztes Fauchen drang aus Salamandas Kehle. Warum ärgerte sie sich über die alberne Reaktion? Was hatte sie denn erwartet – ein freundliches Dankeschön? Dass dieses dämliche Flittchen kapierte, wer hier in Wahrheit das Monster war?

Zornig sah sie zu, wie die Frau hysterisch schluchzend floh. Sie verlor einen Stiefel und schürfte sich den Knöchel auf, ehe sie endlich auf die Beine kam und davonstolperte. Das Dunkel der Nacht verschluckte sie und Salamanda konnte nur hoffen, dass sie bei ihrer blinden Flucht nicht kopfüber in die Themse stürzte. Oder so bescheuert war, auf einen zweiten Brian hereinzufallen, der ihr Hilfe anbot …

Denk nicht darüber nach. Sie ist es nicht wert.

Allerdings. Menschen waren es nicht wert. Das hatte die blöde Kuh gerade wieder einmal eindrücklich bewiesen. Salamanda hob den Stiefel auf und schleuderte ihn fort. Klatschend landete er irgendwo zwischen den kaputten Holzpaletten.

Sie machte sich daran, die übrigen Spuren zu beseitigen. Ächzend wuchtete sie den toten Brian in den Kofferraum seines Fords. Falls tagsüber Leute hier vorbeikamen, mussten sie ja nicht gleich über eine blutlose Leiche stolpern. Je mehr Zeit verging, bis man ihn fand, umso besser. Vielleicht hatte er auch nicht zum ersten Mal eine Frau hier gequält. Vielleicht waren zwischen all dem Gerümpel auf dem Gelände Reste seiner früheren Opfer versteckt.

Achtung!

Abrupt hielt Salamanda inne. Etwas stimmte nicht. Was?

Die Atmosphäre hat sich verändert.

Lauernd hob die Dämonin den Kopf. Sie vernahm nirgendwo ringsum ein Geräusch, aber ihre geschärften Sinne spürten etwas. Eine Präsenz, die nicht an diesen Ort gehörte. Die sich in der tödlichen Stille hinter ihrem Rücken verbarg.

Jemand hatte ihr Tun beobachtet.

Und dieser Jemand beobachtete sie immer noch.

Wer?

Salamanda spannte alle Muskeln an. Wenn sie jetzt herumwirbelte, ohne ihren Gegner zu kennen, verspielte sie vielleicht eine Chance. Andererseits wollte sie nicht riskieren, plötzlich angegriffen zu werden. Sie musste wissen, mit wem sie es zu tun hatte.

Also los!

Kampfbereit fuhr sie herum – und erstarrte mitten in der Bewegung, als sie die Katzen sah. Nicht eine Katze, viele Katzen. Sehr viele Katzen. Sie saßen überall. Der ganze verfluchte Hinterhof war voll mit Katzen und Salamanda hatte nicht eine von ihnen zuvor bemerkt.

Weil da vorher keine Katze gewesen ist.

Sie bewegten sich nicht. Regungslos hockten sie da, hoch aufgerichtet, und taten nichts von all dem, was nette Miezekätzchen sonst so tun – maunzen, einem um die Beine streichen und Bettelblicke aufsetzen. Es grenzte an Majestätsbeleidigung, diese gefährlichen Wächter mit normalen Katzen vergleichen zu wollen.

Schlagartig begriff Salamanda.

Diese Katzen gehörten zu Bastet. Sie begleiteten die Tochter des ägyptischen Sonnengottes Ra und tauchten häufig dort auf, wo Bastet anzutreffen war.

Demütig senkte Salamanda den Kopf, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.

»Hat Bastet euch gesandt? Bringt ihr mir eine Botschaft von ihr?«

Die Katzen rührten sich nicht. Bis auf eine, in deren tiefschwarzen Augen ein goldenes Feuer glomm. Das musste die Anführerin sein. Salamanda fühlte sich von ihrem unbestechlichen Blick beinahe durchbohrt. Es war, als würde die dämonische Göttin selbst sie ansehen.

Salamanda hatte nicht vergessen, dass sie Bastet noch etwas schuldig war. Allein ihr war es zu verdanken, dass sie Dorian von den Toten hatte zurückholen können. Nun war wohl die Zeit gekommen, dass sie sich für diese Gefälligkeit erkenntlich zeigen musste.

»Ich stehe zu deiner Verfügung, Hoheit.«

Gespannt wartete Salamanda auf Anweisungen. Doch die Katzen waren nicht gekommen, um ihr einen Auftrag zu überbringen. Die Botschaft, die Bastet ihr übermittelte, war eine völlig andere. Es war eine Warnung. Wie immer sprach Bastet nicht direkt zu ihr. Ihre Botschaft erschien einfach plötzlich in Salamandas Geist.

HÜTE DICH VOR DER UHRMACHERIN.

»Was?«, fragte Salamanda verwirrt.

Die versammelten Katzen starrten sie nur regungslos an. Ihre Anführerin zuckte hochmütig mit den Schnurrbarthaaren, als wolle sie Salamanda darauf hinweisen, dass diese Bastets Worte sehr wohl vernommen hatte.

»Ja, schon«, flüsterte sie. »Aber …?«

Die Katzen zogen sich zurück. Lautlos entschwanden sie in die Nacht, eine nach der anderen, bis keine Schwanzspitze mehr zu sehen war.

Als wären sie niemals da gewesen.

Aber Salamanda wusste, dass sie keiner Täuschung erlegen war. Bastet kommunizierte immer auf diese unerklärliche, subtile Art. Nur dass Salamanda ihre früheren Botschaften jeweils klar verstanden hatte.

Dieses Mal hatte sie nicht die geringste Ahnung, was Bastet ihr mitteilen wollte.

Hüte dich vor der Uhrmacherin – was bitte soll das bedeuten?

Kopfschüttelnd kehrte sie zu ihrem Motorrad zurück.

Die schwarze Bonneville erwachte schnurrend zum Leben, als Salamanda den Schlüssel drehte. Das war eindeutig mehr nach ihrem Geschmack als ein ungelöstes Rätsel. Aber früher oder später würde sie schon herauskriegen, was es damit auf sich hatte.

Sie setzte den Helm auf. Leckte sich genießerisch über die Lippen. Schmeckte die Reste von Brians Blut. Sie war satt. Es war Nacht. Die Straßen waren frei und gehörten ihr.

Gab es etwas Besseres?

Bis in die Tiefgarage nahe der Abraham Road verdrängte sie jeden weiteren Gedanken an Bastets Warnung. Mit offenem Visier raste sie durch die Stadt, schnitt elegant sämtliche Kurven und reizte die Beschleunigungskräfte der Triumph voll aus.

Der kalte Nachtwind biss ihr ins Gesicht. Die Haut auf ihren Wangen brannte. Salamanda nahm die linke Hand vom Lenker, ballte die Faust und hieb sie in die Luft.

Das Leben fühlte sich unglaublich gut an.

Zumindest in diesem Moment.

 

 

Kapitel 2

 

Salamanda war nicht davon ausgegangen, dass Kiwibin so spät noch wach war. Aber in der Küche schimmerte Licht und es roch nach … Borschtsch.

»Bah.« Die Rabisu rümpfte die Nase.

Sie wusste nicht, was schlimmer stank – Kohl oder Rote Bete. Mit den Essgewohnheiten ihres Mitbewohners würde sie sich nie anfreunden. Es kostete Unmengen von Duftkerzen, den Alltag mit ihm erträglich zu halten. Eigentlich war es erstaunlich, dass sie das WG-Leben mit Kiwibin trotzdem schätzte.

Noch ein Rätsel, das sie bisher nicht ergründet hatte. Oder ergründen wollte.

»Hallo?«, rief sie, schlüpfte aus den Stiefeln und ließ die schwere Lederjacke einfach auf den Boden fallen. Misstrauisch spähte sie in die Küche.

»Hallo.« Kiwibin stand am Herd und rührte in einem Topf. Einem riesigen Topf. Ein halbes Pferd hätte darin Platz gefunden.

»Ähm, erwarten wir Besuch?« Salamanda hob die Brauen. »Um diese Zeit?«

»Nein, ich habe mich nur mit den Zutaten verschätzt.« Er grinste. »Der KGB legt bei der Ausbildung seiner Agenten keinen großen Wert aufs Kochen.«

»Warum auch?« Sie grinste zurück. »Ich wette, du bist seit Langem der Erste, der diese Küche benutzt. Dorian weiß vermutlich nicht mal, wie man den Herd anstellt.«

»Da könntest du recht haben.«

Sie umrundete achtsam das hohe Gewürzregal, auf dem das Salz stand. Eine Rabisu fürchtete wenig mehr als die tückischen Körnchen, die ihren Körper schneller verbrennen konnten als lodernde Flammen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie das Salz strikt aus dem Haus verbannt, aber Kiwibin zuliebe duldete sie es. Sie hielt sich ohnehin nur selten in der Küche auf. Und er wusste Bescheid und hielt das Salz sorgfältig von ihr fern.

»Warum kochst du überhaupt so spät?«

»Ich bin nicht eher dazu gekommen. Ich hab das Wohnzimmer gestrichen. Die Spuren deines letzten Kampfes von den Wänden entfernt.«

»Oh. Hm.«

»Wie wäre es mit Danke? Ich hab auch alles wieder aufgeräumt. Wo warst du?«

»Unterwegs«, erwiderte sie einsilbig.

Er probierte, nickte stolz, legte dann den Kochlöffel weg und musterte sie prüfend. »Alles klar? Was ist passiert?«

Aber hallo, dachte Salamanda. Der Russe schien sie ja mittlerweile verflixt gut zu kennen. Bastets mysteriöse Warnung hatte sie verwirrt, sicher, aber merkte man ihr das so deutlich an? Das gefiel ihr nicht. Sie ließ sich äußerst ungern in die Karten schauen. Unwillkürlich runzelte sie die Stirn.

»Du musst es mir nicht erzählen«, sagte er sofort. »Ich meine, es geht mich ja nichts an, was du …«

»Schon gut«, unterbrach sie ihn. »Es ist tatsächlich etwas passiert.«

Er ließ seine Mannschaftsration auf kleiner Flamme weiterköcheln und zog mit Salamanda ins Wohnzimmer um, wo es intensiv nach frischer Farbe roch statt nach Essen.

»Mach nur so weiter«, grummelte sie. »Bald ist mein Vorrat an Duftkerzen erschöpft.«

Sie ließ sich in einer Couchecke nieder und massierte sich die Schläfen, um einen klareren Kopf zu bekommen. Kiwibin goss sich in der Zwischenzeit ein Glas Wodka ein.

»Willst du auch einen?«

»Nein, danke.« Sie schüttelte sich.

»Du siehst aber aus, als hättest du ihn nötiger als ich.«

»Dann trink einen für mich mit.«

»Von mir aus.« Achselzuckend stellte er die Flasche vor sich ab. Der Couchtisch war aus massivem, dunkel getöntem Holz und nicht aus Glas wie der vorherige. Überhaupt waren etliche Möbel in der Abraham Road neu.

Beim Angriff des Ordens von Delphi war einiges zu Bruch gegangen. Der heftige Kampf, den Salamanda sich mit den Ordensbrüdern geliefert hatte, hatte die Einrichtung mächtig verwüstet. Inzwischen sah es wieder weitgehend wohnlich aus. Kiwibin hatte sich beim Renovieren ziemlich geschickt angestellt und Salamanda hatte den Eindruck, als hätte ihm die Arbeit gut getan. Nach der Sache mit Mainica, der Eisdämonin, war er eine Weile völlig verstört gewesen. In letzter Zeit schien er sich wieder gefangen zu haben.

Salamanda sagte es ihm zwar nicht, aber sie war froh, dass er noch hier war. Eigentlich hätte sie erwartet, dass er ins Hauptquartier umsiedeln würde. Alle Mitglieder von Dorians Team zogen die Jugendstilvilla in der Baring Road vor, nicht zuletzt deshalb, weil sie besser gegen Dämonen geschützt war. Genau aus diesem Grund konnte Salamanda sie nicht betreten.

Aber Kiwibin war bei ihr geblieben, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, die Gesellschaft einer Vampirin zu bevorzugen. Sie wusste manchmal nicht, was sie davon halten sollte. Ja, anfangs hatte er sich in ihrer Nähe am sichersten gefühlt, aber nachdem Mainica besiegt war, gab es für ihn keinen Grund mehr, sich zu fürchten. Außerdem hatte Salamanda selbst ihm in der Vergangenheit mehr als einmal übel mitgespielt, ihr dämonischer Charakter ließ gar nichts anderes zu. Warum also blieb er weiterhin an ihrer Seite?

Sie blickte ihn forschend an. »Anatolij?«

»Ja?«

»Warum …?« Sie presste die Lippen zusammen. »Ach, nichts.«

Manche Dinge blieben besser ungefragt.

Ihr fiel auf, dass sie nicht einmal wusste, wie sein wahrer Vorname lautete. Anatolij hieß er höchstwahrscheinlich nicht. Kiwibin besaß lediglich die Erinnerungen von Anatolij Sokolow, mit dem Salamanda vor langer Zeit durch die halbe Welt gereist war und dem sie sich auf besondere Weise verbunden fühlte. Er hatte damals viel für sie getan und am Ende klaglos sein Leben geopfert. Wenn sie heute Kiwibin ansah, glaubte sie oft, den Anatolij aus ihrer Vergangenheit vor sich zu haben. Auch wenn er es natürlich nicht war.

»Hast du was von Dorian und dem Team gehört?«, fragte sie.

Falls Kiwibin durchschaute, dass sie damit nur von einem anderen Thema ablenken wollte, so zeigte er es nicht.

»Sie sind noch in Südafrika, soweit ich weiß«, sagte er ruhig. »Fred Archer hält allein in der Villa die Stellung. Die anderen wollen sich vor Ort überzeugen, dass keines der Fischwesen entkommen konnte und der Orden von Delphi endgültig besiegt ist. Nicht dass der Spuk eines Tages von neuem beginnt.«

»Ja, darauf kann ich gut verzichten.« Salamanda scheuchte die Erinnerung an ihre kürzliche Niederlage eilig davon.

»Was macht dir Sorgen?«, fragte er.

Sie seufzte. »Wenn ich das wüsste, wäre ich schlauer.«

Sie berichtete ihm von Bastets Botschaft, mit der sie nichts anfangen konnte. Leider hatte auch Kiwibin keine Idee, worauf sich die seltsame Warnung beziehen mochte. Von einer Uhrmacherin, von der irgendeine Gefahr drohte, hatte er keine Kenntnis.

»Wir können uns ja morgen mal umhören«, schlug er vor.

»Hm, ja, das sollten wir wohl.« Salamanda erhob sich müde von der Couch. »Aber jetzt ziehe ich es vor, schlafen zu gehen.«

Wortlos kippte er den letzten Schluck Wodka hinunter und stand ebenfalls auf, um in der Küche den Herd auszuschalten.

»Lass bitte die Duftkerzen über Nacht brennen«, rief sie ihm hinterher.

»Klar. Das musst du mir nicht jedes Mal extra sagen.«

Inzwischen waren sie wirklich ein eingespieltes Team.

 

Gleich darauf lag Salamanda im Bett, doch sie fand keine Ruhe. Störrisch verbissen sich ihre Gedanken in das ungelöste Rätsel, wie ein Hund, der seinen Knochen nicht loslassen wollte. Immer neue, drängende Fragen tauchten auf.

Vor wem auch immer Bastet sie warnen wollte, die Göttin tat es bestimmt nicht aus Güte. Eher aus Eigennutz. Salamanda war ihr noch etwas schuldig.

Aber war das wirklich die ganze Wahrheit?

Oder verfolgte Bastet noch andere, geheime Ziele, die sie nur erreichen konnte, indem sie ihr diese mysteriöse Botschaft übermittelte? Die Warnung verschaffte Salamanda keinen Vorteil, solange sie nicht wusste, wer diese Uhrmacherin überhaupt war.

Schlaflos wälzte sie sich hin und her. So unbequem wie heute hatte sie das Bett noch nie gefunden. Sie boxte mehrmals in ihr Kissen und warf es schließlich gegen die Wand.

Da fiel ihr das Ticken auf. Vielleicht konnte sie ja bloß deshalb nicht einschlafen, weil diese blöde Uhr so laut tickte.

Welche Uhr?

Salamanda erstarrte.

Das Geräusch war eindeutig und nicht zu überhören.

Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack …

Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett. Drehte sie langsam durch? Oder hatte es im Hintergrund schon die ganze Zeit getickt, seit sie die Wohnung betreten hatte? So laut? Warum hatte sie nicht darauf geachtet?

Sie ermahnte sich selbst, ruhig zu bleiben. Versuchte sich zu erinnern, in welchem Zimmer es eine Uhr gab, deren Ticken solch einen Lärm veranstaltete. Ihr fiel nichts ein. Hatte Kiwibin bei der Renovierung irgendwo eine neue Uhr aufgehängt?

Auf nackten Füßen tappte Salamanda durch die Räume. Aus Kiwibins Zimmer erklang leises Schnarchen. Ihn schien das Ticken nicht zu stören.

Sie versuchte, die Herkunft des Geräusches zu orten, aber ihre Sinne waren mittlerweile so überreizt, dass das Ticken von überallher zu kommen schien. Unablässig erklang es weiter – Tick-Tack, Tick-Tack – als wolle es die Rabisu verhöhnen.

»Ich finde dich«, schwor sie.

Doch nirgendwo hing eine Uhr mit tickenden Zeigern an der Wand. Es gab überhaupt keine sichtbaren Uhren, Salamandas erste Überlegungen waren durchaus richtig gewesen. Lediglich in der Küche stand ein Radiowecker mit rotschimmernder Digitalanzeige, den hatte Kiwibin vermutlich beim Kochen benutzt. Der verursachte das unsägliche Ticken nicht.

Schritt für Schritt suchte sie die Wohnung ab. Am Ende lokalisierte sie das störende Ticken in unmittelbarer Nähe ihres Zimmers. Jemand musste in dem großen Bücherregal neben ihrer Tür eine Uhr deponiert haben – zu welchem Zweck auch immer. Das Ticken schien im ganzen Flur widerzuhallen.

TICK-TACK. TICK-TACK. TICK …

»Na warte, gleich hat sich's ausgetickt.«

Genervt räumte sie die Bücher beiseite: Dicke ledergebundene Wälzer aus Dorians Sammlung, die nicht so wertvoll waren, dass er sie in der Baring Road aufbewahren wollte; einige Klassiker, darunter auch ein paar russische Literaten, die Kiwibin schätzte, und einige englische Krimis, die Salamanda aus Langeweile gekauft, aber nie gelesen hatte. Dahinter verbarg sich der Störenfried.

»Soll das ein Witz sein?«

Sie griff danach und betrachtete die altertümliche Miniatur ratlos. Die Pendeluhr war kaum größer als ihre Hand, sodass man sie leicht übersehen konnte. Außerdem war sie tatsächlich hinter den Büchern versteckt gewesen. Wer hatte sie bloß dort hingestellt?

Im schwachen Lichtschein einer Duftkerze ließ sich auf dem Ziffernblatt ein handgemaltes Bild erkennen. Es zeigte eine Art Katzenkönigin, vor der eine kleine Gestalt kniete, die Salamanda an sich selbst erinnerte.

Bin ich das? Hat Bastet mir diese Uhr geschickt?

Dass Kiwibin ihr damit einen Streich spielen wollte, schloss Salamanda aus. Bis zu ihrem Gespräch vorhin waren Uhren kein Thema zwischen ihnen gewesen. Außerdem war er gar nicht der Typ für solche kindischen Scherze.

Sie musterte erneut die gemalte Szene, aber falls darin ein Hinweis lag, so fand sie ihn nicht. Diese Uhr hatte sie jedenfalls nie zuvor gesehen und ohne Schlaf würde sie das Rätsel wohl auch nicht lösen.

Mehrmals drehte Salamanda die Uhr hin und her, um ihren Mechanismus zu entschlüsseln oder eine Möglichkeit zu finden, wie man sie öffnen konnte. Vergeblich.

»Dann eben nicht.«

Sie bückte sich und schob die ausgeräumten Bücher kreuz und quer ins Regal zurück. Dann blickte sie sich nach einem geeigneten Platz für die Uhr um. Keinesfalls wollte sie sich das nervtötende Ticken heute Nacht noch länger anhören. Aber seltsamerweise widerstrebte es ihr, die Zeiger einfach zu blockieren, um das Geräusch abzustellen.

Es erschien ihr irgendwie … falsch. Nein, nicht falsch.

Gefährlich.

Schließlich schob sie das Ding in den Wäscheschrank im Flur, weit nach hinten zwischen die Bettwäsche, und stapelte mehrere Wolldecken darauf. Als sie den massiven Eichenschrank abschloss, drang nur noch ganz gedämpft ein leises Tick-Tack daraus hervor.

»Na also.« Mit triumphierendem Lächeln kehrte Salamanda in ihr Zimmer zurück und warf den Schrankschlüssel auf ihren Nachttisch. »Erledigt.«

Hoffentlich konnte sie jetzt endlich einschlafen.

 

Was genau sie wenig später weckte, hätte sie nicht sagen können. Die schlurfenden Schritte im Flur? Das Geräusch, als ob jemand an dem verschlossenen Schrank rüttelte? Oder der widerliche Geruch, der unter der Türkante durch drang und ihre empfindliche Nase sogar im Traum reizte?