Der Kosovokrieg 1999

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Hans-Peter Kriemann, Oberstleutnant, geboren 1977, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projektbereich Einsatzgeschichte der Abteilung Einsatz des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. In seiner Forschung beschäftigt er sich neben der neuesten Militär- und Politikgeschichte seit 1990 auch mit der Militärgeschichte der DDR.

Über dieses Buch

Der Kosovokrieg 1999 war der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr nach der Wiedervereinigung. Als die NATO beschloss, in die Auseinandersetzungen zwischen der paramilitärischen UÇK, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte, und der serbisch­jugoslawischen Armee Slobodan Miloševićs einzugreifen, haderte die soeben angetretene rot-grüne Regierung mit dem Gedanken, die deutschen Streitkräfte in den Krieg zu schicken. Die Zukunft der krisengeschüttelten Balkanregion stand auf dem Spiel. Für die Bundeswehr war der Kosovokrieg letztlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Armee im Einsatz.

Der Militärhistoriker Hans-Peter Kriemann blickt auf die Ereignisse des Jahres 1999 zurück und erläutert die politischen, diplomatischen und gesellschaftlichen Hintergründe des Kampfeinsatzes. Persönliche Erfahrungsberichte einzelner Soldaten geben zudem Einblicke in das Geschehen.

 

Die Reihe Kriege der Moderne, herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, macht die jüngsten Erkenntnisse der Forschung einem breiten Publikum zugänglich. Die wichtigsten kriegerischen Konflikte der vergangenen Jahrhunderte werden sowohl im Hinblick auf den Verlauf der Auseinandersetzungen als auch in Bezug auf politische sowie kulturelle Zusammenhänge anschaulich dargestellt und analysiert.

Alle Bände werden von sachkundigen Historikern verfasst und sind mit zahlreichen farbigen Fotos, Grafiken und Karten ausgestattet.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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1 Jetzt ist Krieg

Turbulente Szene auf der Bundesversammlung von Bündnis 90 / Die Grünen am 13. Mai 1999: Außenminister Joschka FischerFischer, Joschka wird von einem Farbbeutel am Ohr getroffen.

Am 13. Mai 1999 braute sich in der Bielefelder Seidensticker Halle ein innerparteiliches Gewitter zusammen, wie es die maßgeblich aus der Friedensbewegung hervorgegangene Partei Bündnis 90 / Die Grünen noch nicht erlebt hatte. Die Stimmung war aufgeladen. Im Eingangsbereich der Halle spielten sich turbulente Szenen ab. Polizisten mussten den Weg zum Tagungsort freiräumen, den Demonstranten blockiert hatten. Außenminister Joschka FischerFischer, Joschka betrat die Halle durch einen Hintereingang. Er wurde von Sprechchören und Trillerpfeifen empfangen; Transparente hingen von den Geländern der Tribüne herab.

Gegen 10 Uhr begann mit einstündiger Verspätung die Bundesdelegiertenkonferenz, bei der es um die Beteiligung deutscher Truppen am NATO-Einsatz im Kosovokrieg ging. Während sich FischerFischer, Joschka auf dem Podium sitzend auf seine Rede vorbereitete, traf ihn um 10.40 Uhr ein mit roter Farbe gefüllter Beutel am rechten Ohr. Sein Ohr war danach fast taub, doch er blieb auf der Bühne und trat um 12.05 Uhr entschlossen ans Rednerpult. Sprechchöre beschimpften ihn als »Mörder, Kriegshetzer, Verbrecher«. »Bodenkrieg in Bielefeld« titelte die taz hinterher. FischerFischer, Joschka hielt die wohl wichtigste Rede seines Lebens:

Jetzt ist Krieg, ja. Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass Rot-Grün mit im Krieg ist. Aber dieser Krieg geht nicht erst seit 51 Tagen, sondern seit 1992 […]. Er hat mittlerweile Hunderttausenden das Leben gekostet, und das ist der Punkt, wo Bündnis 90 / Die Grünen nicht mehr Protestpartei sind. […] ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg! Nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus! Beides gehört für mich zusammen. […] Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung, eine unbefristete Einstellung der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal. MiloševićMilošević, Slobodan würde dann nur gestärkt und nicht geschwächt. Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt – damit das klar ist.

Mit diesen Worten beschwor FischerFischer, Joschka die Delegierten, ihm Rückhalt für eine rot-grüne Außenpolitik zu geben, welche die seit dem 24. März 1999 andauernden Luftschläge der NATO zur Beendigung des Kosovokonflikts auch durch die Entsendung deutscher Kampfflugzeuge mittrug. Damit verantwortete der erste grüne Außenminister eine Politik, die er selbst nur sechs Jahre zuvor als Machtpolitik und Zeichen neuerlicher Militarisierung verurteilt hatte. Sowohl 1993 als auch 1999 hatte FischerFischer, Joschka mit dem Verweis auf Auschwitz Lehren aus der deutschen Geschichte für die Gegenwart abgeleitet und damit seine Haltung begründet.

Wie die anschließende Abstimmung auf dem Parteitag zeigte, gelang es ihm mit seinem leidenschaftlichen Auftritt, die Mehrheit der Delegierten für den Antrag des Bundesvorstandes zu gewinnen. Dieser plädierte für einen befristeten Bombardierungsstopp, um Zeit für die politische Konfliktlösung zu gewinnen. Im Gegensatz dazu hatte die Parteilinke eine unbefristete, sofortige Einstellung der NATO-Luftschläge gefordert. Die Debatte war deshalb so heikel, weil es in ihr um nichts Geringeres als den Fortbestand der rot-grünen Regierungskoalition ging, denn für die SPD-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard SchröderSchröder, Gerhard und Vizekanzler Joschka FischerFischer, Joschka war die deutsche Unterstützung des Luftkriegs unstrittig. Ein Abstimmungserfolg der Parteilinken hätte daher nach kaum sieben Monaten zum Ende der Koalition geführt.

Sowohl die Ereignisse des Parteitags als auch FischersFischer, Joschka Überzeugung, dass die Beendigung einer humanitären Katastrophe und der Schutz der Menschenrechte den Einsatz militärischer Gewalt selbst ohne UN-Mandat notwendig machen können, sind symptomatisch für die innenpolitische Debatte über die zukünftige Rolle der Bundeswehr in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Der Kosovokonflikt ist ein Beispiel dafür, dass die internationale Staatengemeinschaft häufig gezwungen ist, auf massenhafte Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen eines souveränen Staates an seiner eigenen Bevölkerung zu reagieren.

Ununterbrochen strömten im Frühjahr 1999 Flüchtlinge aus dem Kosovo über die Grenzen nach Albanien und Mazedonien. Der Kosovokonflikt führte zu massenhaften Vertreibungen ethnischer Albaner.

Mit der Epochenwende der Jahre 1989 bis 1991 hatte sich zwar die liberale Weltordnung nicht durchgesetzt – entgegen der These des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis FukuyamaFukuyama, Francis (Das Ende der Geschichte) –, doch hofften viele Zeitgenossen auf »ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit«. So zumindest hieß es in der »Charta von Paris für ein neues Europa« vom 21. November 1990, der Erklärung des KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs, die das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas dokumentiert. Dies galt insbesondere für die Deutschen, deren geteiltes Land sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs genau an der Grenze zwischen den widerstreitenden Systemen befunden hatte. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Abgrenzung vom NS-Regime und seinen Verbrechen war dabei identitätsstiftend für die bundesdeutsche Gesellschaft. Von deutschem Boden sollte kein Krieg mehr ausgehen, lautete das Paradigma. Beflügelt durch die deutsche Wiedervereinigung erhoffte man sich eine sogenannte Friedensdividende. Demnach sollte der Staatshaushalt durch geringere Ausgaben für die Verteidigung entlastet werden. So mancher fragte sich, wozu es eigentlich noch Streitkräfte brauche, wenn Deutschland nur noch »von Freunden umzingelt ist« (Volker RüheRühe, Volker). Doch kaum waren acht Jahre vergangen, beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland mit Kampfflugzeugen an der NATO-Operation Allied Force, einem Luftkrieg des Bündnisses gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Dabei handelte es sich um den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und er fand statt, ohne dass ein UN-Mandat vorgelegen hätte.

Der Weg in diesen ersten Kampfeinsatz war verschlungen und äußerst umstritten. Er begann bei den massiven Veränderungen des internationalen Mächtesystems seit dem Ende des Kalten Krieges. Deutschland und andere Staaten standen vor einer grundlegend veränderten außen- und sicherheitspolitischen Lage, die durch Staatszerfall und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen geprägt war. Die Entwicklung in Jugoslawien war hierfür ein klassisches Beispiel. Die deutsche Bundesregierung sah sich daher zunehmend zur Beteiligung an multinationalen militärischen Missionen in internationalen bewaffneten Konflikten gezwungen. Dies führte allerdings zu heftigen innenpolitischen Kontroversen. In den Augen der breiten Öffentlichkeit diente die Bundeswehr damals in erster Linie der Landes- und Bündnisverteidigung. Nun ging es aber um die Frage, ob das Grundgesetz Auslandseinsätze außerhalb des NATO-Gebiets (out-of-area) überhaupt zulasse und welche Rolle der Bundestag dabei spielen sollte.

Der Zweite Golfkrieg einer internationalen Koalition gegen den irakischen Diktator Saddam HusseinHussein, Saddam hatte die Bundesregierung zum Jahresbeginn 1991 damit konfrontiert, dass ihre Partner eine militärische Beteiligung Deutschlands wünschten. Damit begann eine intensive innenpolitische Debatte über die zukünftigen Aufgaben deutscher Streitkräfte. Die Bandbreite der Positionen reichte dabei von der Abschaffung der Bundeswehr über ihre Entsendung im Rahmen humanitärer Hilfe bis hin zur Auffassung, dass ihr bewaffneter Einsatz auch außerhalb der Bündnisverteidigung durch das Grundgesetz bereits gedeckt sei.

Angesichts dieser Uneinigkeit sah sich die Bundesregierung zunächst nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, ihre Bündnispartner militärisch zu unterstützen. Da ihre »Scheckbuchdiplomatie«, also eine hauptsächlich finanzielle Hilfe, auf Kritik stieß, geriet sie zunehmend unter außenpolitischen Druck. Das betraf seit 1992 auch die internationalen Einsätze auf dem Balkan. Aufgrund des innenpolitischen Streits über den Einsatz der Bundeswehr beschränkte sich die Bundesrepublik im Frühjahr 1992 zunächst auf die Entsendung des Sanitätsdienstes nach Kambodscha und beteiligte sich an der internationalen Luftbrücke zur Versorgung der in Sarajevo eingeschlossenen Bevölkerung.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, v. l. n. r. Paul KirchhofKirchhof, Paul, Jutta LimbachLimbach, Jutta, Hans Hugo KleinKlein, Hans Hugo, Konrad KruisKruis, Konrad und Berthold SommerSommer, Berthold, entschied am 12. Juli 1994, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr verfassungsrechtlich zulässig seien. Jeder Einsatz der Bundeswehr benötigt allerdings die vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestags.

Eine logistische Unterstützung in Somalia (UNOSOM II) 1993/94 schien der Regierung zunächst ebenfalls gut vermittelbar. Doch gerade bei diesem Einsatz versuchten der damalige Bundeskanzler Helmut KohlKohl, Helmut und Verteidigungsminister Volker RüheRühe, Volker den deutschen militärischen Beitrag schrittweise zu erhöhen – in ihren Augen eine Normalisierung der sicherheitspolitischen Rolle Deutschlands. Für die SPD war das ein Versuch, die Verfassung mittels Regierungspraxis durch die Hintertür zu ändern. Also rief die SPD-Bundestagsfraktion im Frühjahr 1993 das Bundesverfassungsgericht an. Wenige Wochen zuvor hatte sie bereits gemeinsam mit der FDP gegen die deutsche Beteiligung an den AWACS-Aufklärungsflügen über der Adria geklagt, denn der multinationalen NATO-Besatzung der in Geilenkirchen bei Aachen stationierten Flugzeuge gehörten auch deutsche Soldaten an. Ihr Hauptargument war, dass die Bundesregierung das Mitwirkungsrecht des Bundestags verletzt habe, indem sie eigenmächtig über den Auslandseinsatz deutscher Soldaten entschieden habe. Erst das Urteil vom 12. Juli 1994 schuf rechtliche Klarheit. Damit war der bewaffnete Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland möglich, bedurfte aber einer vorherigen konstitutiven Zustimmung. Von einem fraktionsübergreifenden Einvernehmen im Deutschen Bundestag konnte jedoch immer noch keine Rede sein. In den folgenden Jahren lotete die schwarz-gelbe Koalition (CDU/CSU und FDP) die Einsatzmöglichkeiten deutscher Streitkräfte vor allem über die Beteiligung an den internationalen Missionen zur Bewältigung der Kriege und Konflikte auf dem Balkan sukzessive aus. Sowohl die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Luftoperation Deliberate Force zur Beendigung des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina im Spätsommer 1995 als auch die Unterstützung der folgenden IFOR- und SFOR-Missionen (zunächst Implementation Force IFOR, seit Ende 1996 Stabilization Force SFOR) mit Landstreitkräften in Stärke von 2200 Mann zeigten, in welchem Ausmaß sich der Auftrag der Bundeswehr zu wandeln begonnen hatte. Einsätze schienen nunmehr unter der Prämisse eines Mandats der Vereinten Nationen (UN) sowie der Vermeidung von Kampfeinsätzen, insbesondere von Landstreitkräften, möglich.

AWACS-Aufklärungsflugzeug E-3A. Ein Airborne Early Warning and Control System ist ein fliegendes Radarsystem, dessen Zweck die luftgestützte Luftraumaufklärung und -überwachung ist. Es dient zudem als Einsatzleitzentrale, um Verbände oder Einheiten dirigieren zu können.

Die deutsche Beteiligung am Kosovokonflikt stellte jedoch genau diesen Konsens infrage, denn im Endeffekt nahmen deutsche Kampfflugzeuge an der Luftkriegsoperation Allied Force ohne UN-Mandat teil. Sogar die Mitwirkung deutscher Landstreitkräfte an einer Angriffsoperation auf das Kosovo wurde in politischen und militärischen Führungskreisen diskutiert. Das deutsche KFOR-Kontingent (Kosovo Force), das mit einer Mandatsobergrenze von bis zu 8500 Soldaten bis heute das größte in der Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr ist, marschierte nach Kriegsende schließlich mit einem Stabilisierungsauftrag in das Kosovo ein. Somit stellt dieser Einsatz eine wichtige Zäsur in der Entwicklung der Bundeswehr dar. Er markiert einen neuen Abschnitt in der Geschichte deutscher Streitkräfte, der in stärkerem Maße einen Wandel der Bundeswehr auf allen Ebenen nach sich zog. Damit wurde ein Prozess eingeleitet, der die Bundeswehr schließlich zu einer Armee im Einsatz werden ließ, wie wir sie heute kennen.

Diese Entwicklung konnte zu Beginn des Jahres 1998 niemand vorhersehen. Die grauenvollen Ereignisse im Kosovo, die sich seit dem Frühjahr 1998 quasi vor der eigenen Haustür abspielten, übten vor allem auf die europäischen Regierungen einen enormen Handlungsdruck aus. Angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen stellte sich die berechtigte Frage, ob das Bekenntnis der Charta von Paris am Ende ein Lippenbekenntnis blieb. Wie sah die Zukunft Europas aus, wenn es der planmäßigen Vertreibung und der Ermordung von Mit-Europäern tatenlos zusah?

2 Jugoslawien als Bewährungsprobe für internationalen Frieden und Sicherheit

Mit Schlagstöcken gehen serbische Polizisten am 2. März 1998 gegen Kosovo-Albaner in Priština vor, die friedlich für mehr Autonomie demonstrieren.

Der Zerfall Jugoslawiens

Die Wurzeln jener Ereignisse, die schließlich zur Gewalteskalation im Kosovo im Frühjahr 1998 und dann zum Krieg geführt haben, reichen tief. Spätestens mit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo durch den serbischen Präsidenten Slobodan MiloševićMilošević, Slobodan 1989/90 begann die unmittelbare Vorgeschichte dieser fatalen Entwicklungen. Die Kosovo-Albaner fühlten sich durch diesen Akt tief gedemütigt. Ihre Bestrebungen waren nun darauf gerichtet, die unter Staatspräsident Josip Broz TitoTito, Josip Broz in den 1960er Jahren errungene Autonomie zurückzuerlangen.

Unter dem kommunistischen Staatschef Jugoslawiens Josip Broz TitoTito, Josip Broz (18921980) wurde das Kosovo eine autonome Provinz. Diese formelle Besserstellung erhöhte jedoch seine Abhängigkeit von der Republik Serbien.

Die internationale Gemeinschaft hatte zu dieser Zeit jedoch andere Sorgen. Einerseits beanspruchte der zu Ende gehende Kalte Krieg ihre volle Aufmerksamkeit. Andererseits wollte sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einmischen. Erst die Krisen und Konflikte des zerfallenden Jugoslawiens sollten dazu führen, dass sich im folgenden Jahrzehnt ein Interventionismus entwickelte und sich das Gewaltmonopol von der UN zu regionalen Bündnissen verschob.

Der Weg in den Krieg begann bereits nach dem Tod TitosTito, Josip Broz 1980. Jugoslawien geriet immer tiefer in eine Systemkrise, für die eine Vielfalt politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialpsychologischer Gründe verantwortlich waren. Die Versuche TitosTito, Josip Broz, die nationalen Gegensätze zu überwinden, täuschten darüber hinweg, dass ethnische Vorurteile und Misstrauen in Jugoslawien weit verbreitet und tief verwurzelt waren. Die daraus resultierenden Selbständigkeitsbestrebungen führten schließlich zum Zerfall des Vielvölkerstaates.

Den Anfang machten Slowenien und Kroatien. Als die beiden Teilrepubliken am 25. Juni 1991 ihre Unabhängigkeit erklärten, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Posten slowenischer Grenzkontrollstationen und der Jugoslawischen Volksarmee. Diese endeten bereits nach zehn Tagen. Zeitgleich war es auch zu Kämpfen zwischen bewaffneten Serben und kroatischen Sicherheitskräften gekommen. Seit dem Spätsommer 1991 herrschte in Kroatien trotz internationaler Vermittlungsbemühungen ein blutiger Bürgerkrieg.

Im Kern ging es bei den Auseinandersetzungen um die Frage nach den Grenzen der Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, die sich 1992 endgültig auflöste. Mehr als zwanzig südslawische Volksgruppen lebten in geografisch eng miteinander verschränkten Gebieten. Die Bildung ethnisch definierter Nationalstaaten musste zwangsläufig unlösbare Grenzkonflikte aufwerfen.

Trotz vereinzelter internationaler Bemühungen, den Vielvölkerstaat zu erhalten, schritt der Staatszerfall Jugoslawiens voran. Der deutschen Bundesregierung erschien dabei von Anfang an eine Internationalisierung des Konflikts als die einzig erfolgversprechende Lösung zur Beendigung des Bürgerkriegs. Gleichzeitig war Deutschland aber überzeugt davon, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker Grundlage des Miteinanders in Europa und unabdingbar für eine erfolgreiche Vertiefung der europäischen Integration war. Mit der vorgezogenen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens am 23. Dezember 1991 setzte die deutsche Bundesregierung daher die anderen EG-Mitgliedstaaten unter Zugzwang. Die schließlich zum vereinbarten Termin am 15. Januar 1992 erfolgte Anerkennung Sloweniens und Kroatiens schuf der internationalen Gemeinschaft zwar neue Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung und zum Schutz der nun souveränen Staaten, mit ihr war aber auch die Büchse der Pandora geöffnet worden. Der »Spaltpilz«, wie der Historiker Holm SundhaussenSundhaussen, Holm die Entwicklung charakterisierte, begann sich von Norden nach Süden über das gesamte ehemalige Jugoslawien auszubreiten. Mazedonien etwa, welches trotz seines Unabhängigkeitsantrags vom 23. Dezember 1991 aufgrund einer Intervention Griechenlands erst später mit der Bezeichnung Former Yugoslav Republic of Macedonia (›Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien‹) anerkannt worden war, sollte noch im Jahr 2000 von ethnischen Unruhen erschüttert werden.

Von Kroatien griff der Krieg jedoch zunächst auf Bosnien-Herzegowina über. Die Europäer wurden Zeugen von Kriegsgräueln, die viele für Phänomene einer längst überwundenen Epoche gehalten hatten. In 19921995201984