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Nr. 73

 

Die drei Deserteure

 

Ein neuer Schachzug im galaktischen Nervenkrieg! 7000 Schlachtraumer in Gefechtsbereitschaft!

 

von KURT MAHR

 

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Auf Gray Beast, dem siebten Planeten des weit abseits aller interstellaren Verkehrswege gelegenen Systems der Myrtha-Sonne, leben 8000 Menschen von der Erde.

Die aus politischen Gründen Verbannten haben unter Horace O. Mullons Leitung nach vielen anfänglichen Schwierigkeiten bewiesen, dass sie als freie Siedler in der Lage sind, sich auch unter den widrigsten Umständen zu behaupten. (Siehe Perry-Rhodan-Bände 57, 62, 66 und 72.)

Als jedoch mathematische Berechnungen ergeben, dass das Myrtha-System in etwa zehn Monaten Terra-Zeit von der Zeitebene der Druuf überlappt werden würde, schlägt für viele Kolonisten, die den Planeten Gray Beast bereits als ihre Heimat und die zukünftige Heimat ihrer Kinder vollauf akzeptiert hatten, die Abschiedsstunde.

Ein Teil der Siedler wird zur Venus, der ersten irdischen Kolonie, evakuiert, während der andere Teil auf dem neu eingerichteten solaren Flottenstützpunkt Gray Beast Dienst zu tun beginnt.

Perry Rhodans Spezialisten scheinen jedoch unter den Dienstwilligen nicht ausreichend gesiebt zu haben, denn andernfalls hätten DIE DREI DESERTEURE wohl kaum eine Chance für ihr Vorhaben gehabt ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – 3000 Schiffe seiner solaren Raumflotte sind kampfbereit.

Oberleutnant Chellish – Er verdient sich den »blauen Kometen«.

Horace O. Mullon – Als er erwacht, ist die Krise bereits vorbei.

Walter Suttney, Ronson Lauer und Oliver Roane – Durch ihre Desertion bringen sie die Galaxis an den Rand des Krieges.

1.

 

Die Terrania Daily News, das vom Ministerium für Information und öffentliche Meinung herausgegebene Blatt, meldet unter dem 3. Oktober 2042:

Auf Myrtha VII, dem jüngst eingerichteten Stützpunkt der terranischen Raumflotte, ist es drei Deserteuren gelungen, an Bord eines Raum-Fernaufklärers vom Typ Gazelle zu entkommen. Die Deserteure haben das Myrtha-System in unbekannter Richtung verlassen. Umfangreiche Suchaktionen sind im Gang.

An Bord des Aufklärers befindet sich außer den Deserteuren wahrscheinlich Oberleutnant Chellish, dessen Name vor kurzer Zeit schon im Zusammenhang mit der Abwehr der Übergriffe einer auf Myrtha XII lebenden humanoiden Rasse genannt worden ist. Oberleutnant Chellish ist vermutlich gezwungen worden, den Aufklärer zu fliegen.

Von der Flottenleitung wird bekannt, dass dem Zwischenfall keine besondere Bedeutung beizumessen ist: Weder die Informationsspeicher der Gazelle, noch Oberleutnant Chellish oder einer der drei Deserteure sind im Besitz verteidigungswichtiger Kenntnisse.

 

*

 

Gunter Chellish hatte einen schlechten Traum. Er wälzte sich hin und her, begann im Schlaf zu schwitzen, fuhr schließlich in die Höhe und riss die Augen weit auf. Dabei sah er genau in die Mündung eines Pistolenlaufs.

Zuerst glaubte er, das Bild gehöre noch zu seinem Traum. Aber dann adaptierten sich die Augen auf das, was im Halbdunkel der Kabine hinter dem Lauf war. Da war eine haarige Hand, die den Kolben der Waffe fest umspannt hielt, die Hand gehörte zu einem Arm, der aus Chellishs Perspektive bis in ganz erstaunliche Höhen hinaufragte und in eine Schulter mündete, die einem Preisringer zu gehören schien. Kaum mehr sichtbar im diffusen Restlicht der Schwarz-Lampe war das Gesicht des Mannes. Aber an der Breite der Schulter maß Chellish ab, dass es nur Roane sein konnte, Oliver Roane, einer von den Siedlern, die vor kurzem in die Flotte übernommen worden waren. Chellish fragte sich, was Roane wohl im Sinne führen könnte. Mitten in der Nacht in eine Gazelle einzudringen und den einzigen Mann an Bord mit vorgehaltener Strahlpistole aus dem Schlaf zu reißen, war nichts, was jemand aus Spaß unternehmen würde. Aber bevor Gunter Chellish noch dazu kam, seine Gedanken zu Ende zu denken, fuhr Roane ihn an: »Stehen Sie auf, los! Wir haben keine Zeit! Und machen Sie keine Dummheiten. Sie glauben mir wohl, dass ich mit einer Pistole umgehen kann?«

Ja, das glaubte ihm Chellish. Ächzend ließ er die Beine über die Kante der niedrigen Liege gleiten und schielte aus den Augenwinkeln nach oben.

Verschlafen setzte er die Füße zu Boden und machte Anstalten aufzustehen. Das alles tat er mit der Langsamkeit und Unbeholfenheit eines Mannes, der sich in der Wirklichkeit noch nicht so gut zurechtfinden kann. Deshalb kam es für den breitschultrigen Roane völlig überraschend, als Chellish plötzlich wie ein Pfeil in die Höhe schnellte. Mit der linken Schulter traf er Roanes rechte Hand. Roane stieß einen überraschten, wütenden Schrei aus und ließ die Pistole los.

Chellish hörte sie klappernd zu Boden fallen und wusste, dass er nun schon halb gewonnen hatte. Er war ein Schwächling im Vergleich zu Roane; aber erstens hatte Roane jetzt erst einmal seine Überraschung zu überwinden und zweitens hatte Chellish die harte Schulung der Flotte genossen. Er schoss eine Faust nach vorne und traf Roane am Hals. Roane taumelte rückwärts und gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Chellish setzte sofort nach. Er hörte, wie Roane mit dem Rücken gegen eine Wand stieß, schnellte sich mit beiden Beinen zugleich vom Boden ab, streckte die Fäuste nach vorne und rammte Roane dicht über dem Magen.

Er hörte Roane ächzen und sah seinen Schatten nach links hin umfallen. Atemlos blieb Chellish stehen, um abzuwarten, ob Roane wirklich erledigt war oder nur einen Trick ausspielte. Aber bevor er dies noch feststellen konnte, explodierte etwas mit hellem Feuerschein und unvorhergesehener Wucht mitten in seinem Gehirn.

Er spürte nicht einmal mehr, wie hart er auf den Boden schlug.

 

*

 

»Dieser Narr«, hörte er jemand ächzen, als er wieder zu sich kam, und obwohl ein bohrender, summender Kopfschmerz sein Denkvermögen beeinträchtigte, verstand er, dass er selbst gemeint war.

Die Stimme, die er hörte, war Roanes Stimme. Eine zweite Stimme antwortete: »Es hätte schlimm ausgehen können, wenn ich nicht so schnell bei der Hand gewesen wäre. – Hoffentlich wacht er bald auf. Wir können nicht bis in den helllichten Morgen hinein hier liegenbleiben. In spätestens anderthalb Stunden geht die Sonne auf.«

Natürlich, dachte Chellish, das ist des Rätsels Lösung. Während ich Roane in der Macht hatte, schlich sich der zweite von hinten heran und schlug zu. Wer ist er überhaupt?

Chellish glaubte, die Stimme schon gehört zu haben. Aber er konnte sie nicht mit dem Bild des Gesichtes zusammenbringen, das dazugehörte. Er öffnete also die Augen und sah als ersten Oliver Roane, der mit dem Rücken zu ihm stand. Er selbst lag wieder auf dem Bett, in dem er geschlafen hatte, als Roane ihn überfiel. Den zweiten Mann konnte er nicht sehen. Roanes breite Figur verdeckte ihn vollständig. Jemand hatte inzwischen das Licht voll eingeschaltet. Chellish riskierte einen kurzen Blick zur Seite und sah, dass in der Kabine noch alles in Ordnung war. Roane und sein Kumpan waren also nicht hierhergekommen, um irgend etwas zu stehlen.

Weswegen aber sonst?

Gunter Chellish erinnerte sich zurück. Vor ein paar Wochen, als das Peep-Abenteuer überstanden war, war Oberstleutnant Sikerman mit drei Kreuzern der Raumflotte auf Gray Beast, alias Myrtha VII, gelandet. Den achttausend Siedlern, die auf Gray Beast lebten, seitdem sie mit ihrem Deportationsschiff von der Erde kommend hier gelandet waren, wurde klargemacht, dass aus bestimmten und schwerwiegenden Gründen Myrtha VII von nun an ein Flottenstützpunkt der terranischen Raumflotte sei. Den Siedlern, die von einem ordentlichen irdischen Gericht wegen revolutionärer Betätigung zur Verbannung verurteilt worden waren, wurde freigestellt, sich auf Venus, also in direkter Nähe der Erde, neu zu etablieren. Die meisten hatten angenommen und waren mehr als sechstausend Lichtjahre weit nach Venus gebracht worden. Nur knapp tausend waren zurückgeblieben, ausgewählte Leute, von denen man glauben durfte, dass sie ihre frühere Unzufriedenheit mit dem Regime des Administrators längst verloren hatten. Diese tausend waren in den Dienst der Raumflotte übernommen worden. Die Vereidigung hatte erst vor ein paar Tagen stattgefunden.

Er selbst, Oberleutnant Chellish, hatte das Kommando über die Gazelle übernommen, mit der er Monate zuvor, unter Befehl von Captain Blailey, auf Gray Beast gelandet war, um die Entwicklung der Siedlerkolonie zu überwachen. Blailey befehligte jetzt ein Halbgeschwader von Raumaufklärern, die alle auf Gray Beast stationiert waren.

Die Besatzungen der Schiffe pflegten die Nacht in neu errichteten Mannschaftsunterkünften zu verbringen. An Bord eines jeden Fahrzeugs, solange es nicht größer war als eine Gazelle, blieb jeweils nur ein Mann zurück. Daran dachte Chellish mit Bitterkeit, als er herauszufinden versuchte, von wem er Hilfe erwarten könne. Natürlich lagen die Unterkünfte nicht weiter entfernt, als dass die Mannschaften ihre Fahrzeuge innerhalb weniger Augenblicke erreichen konnten. Wenn es ihm also gelang, Alarm zu geben, dann war er gerettet. Die Schwierigkeit war nur, dass Roane und sein Begleiter, wer auch immer es war, ihm keine Gelegenheit geben würden, Alarm zu schlagen.

Er wälzte sich auf die Seite, und an dem Geräusch merkte Roane, dass sein Opfer wieder zu sich gekommen war. Er drehte sich um, und Chellish erhaschte einen kurzen Blick auf seinen Begleiter. Es war Suttney. Chellish wusste, dass Suttney zu den Leuten gehörte, die vor Monaten unter einem Anführer namens Hollander Unfrieden unter den Siedlern zu stiften versucht hatten. Hollander war zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Die Mitglieder seiner Bande hatten sich, ihres Führers beraubt, der Siedlergemeinschaft wieder eingegliedert.

Suttneys Anwesenheit gab der Sache einen neuen Aspekt. Chellish wusste, dass er von einem ehemaligen Anhänger Hollanders nichts Gutes zu erwarten hatte; denn er war an der Jagd nach Hollander und seinen Leuten selbst maßgeblich beteiligt gewesen.

Roane hatte seine Pistole längst wieder in der Hand. Als er sah, dass Chellish die Augen offen hatte, trat er zwei Schritte zurück und hielt den Lauf auf Chellishs Brust gerichtet.

»Das werde ich Ihnen heimzahlen!«, zischte er seinen Gefangenen an. »Aber nicht jetzt. Wir haben noch eine Menge Zeit.«

Chellish richtete sich auf und stützte sich dabei auf seine Ellbogen.

»Haben Sie nicht vor ein paar Tagen einen Eid geleistet?«, fragte er und wunderte sich darüber, dass sein dröhnender Schädel das Donnern seiner Stimme überhaupt aushielt. »Sie stehen also unter Kriegsrecht. Wenn man Sie erwischt, werden Sie wahrscheinlich erschossen.«

Oliver Roane war nicht der Mann, der schnell dachte und zu jedem Augenblick einen passenden Ausspruch bereithielt. Oliver Roane war ein Kraftmensch, und als Chellish Suttney erkannte, hatte er sich schon gewundert, warum es Roane überlassen worden war, mit ihm fertig zu werden. Jetzt trat Suttney zur Seite, so dass Chellish ihn sehen konnte, und sagte: »Wir haben nicht die Absicht, uns erwischen zu lassen. Und dabei werden Sie uns helfen!«

»Was haben Sie dann vor?«, fragte Chellish verwundert.

»Ich glaube nicht, dass wir Ihnen das auf die Nase binden müssen«, antwortete Suttney kalt. »Für Sie ist die Hauptsache, Sie tun, was man Ihnen sagt. Alles andere bringt Ihnen Unannehmlichkeiten.«

Er musterte Chellish eine Weile, als wolle er die Wirkung seiner Worte untersuchen. Dann machte er eine herrische Handbewegung.

»Stehen Sie auf, und kommen Sie mit!«

Chellish sah nicht ein, warum er das nicht hätte tun sollen. Er stand auf und verfluchte seinen Kopfschmerz. Suttney hatte inzwischen das Schott geöffnet und war auf den Gang hinausgetreten. Chellish folgte ihm, und ihm wiederum folgte Roane mit angeschlagener Pistole.

Suttney ging zum Kommandoraum. Chellish sah auf den ersten Blick, dass die Hauptaggregate der Gazelle ohne Ausnahme eingeschaltet waren. Es dämmerte ihm, was Roane und Suttney von ihm erwarteten; aber er konnte sich auch jetzt noch keinen Reim darauf machen, welches Ziel sie verfolgten.

Suttney blieb neben dem Sessel des Piloten stehen.

»Sie werden inzwischen erraten haben, was wir von Ihnen verlangen«, erklärte er, als könne er Chellishs Gedanken lesen. »Sie sollen dieses Boot von Gray Beast in den freien Raum bringen. Das ist zunächst alles.«

»Was Sie nicht sagen!«, spottete Chellish. »Ist das alles?«

Suttney nickte ernst.

»Vorerst, wie gesagt.«

»Ich denke nicht daran!«, sagte Chellish zornig.

Im selben Augenblick bekam er von hinten einen Schlag. Er traf die empfindlichste Stelle seines Körpers, den Hinterkopf, in dem es ohnehin schon dröhnte und summte. Ein paar Sekunden lang war ihm schwarz vor den Augen, und als er wieder zu sich kam, lag er neben dem Pilotensessel auf dem Boden.

Roane feixte.

»Sie können noch mehr davon haben«, sagte er.

Chellish unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und sich auf Roane zu stürzen. Es hatte keinen Sinn, auf eine entsicherte Strahlpistole zuzulaufen.

»Also ...?«, machte Suttney.

»Sind Sie übergeschnappt?«, schrie Chellish. »Wissen Sie nicht, was passieren würde, wenn ich jetzt startete? Innerhalb von zwei oder drei Minuten hätten wir die ganze Gray-Beast-Flotte auf dem Hals. Oder hatten Sie etwa vor, ordnungsgemäß um Starterlaubnis zu bitten?«

Er stand auf und sah, wie Suttneys Miene sich verhärtete.

»Das ist keine Sache, über die man Witze machen kann«, sagte er leise und drohend. »Sie wissen genau, welche, Möglichkeiten diesem Fahrzeug zur Verfügung stehen. Sie können einen Blitzstart machen und nach spätestens einer Minute zur Transition ansetzen. Versuchen Sie nicht, mir Märchen zu erzählen. Ich weiß, was die Gazelle kann.«

Schön, dachte Chellish grimmig. Du weißt, was sie kann, und ich soll es für dich aus ihr herausholen. Weiß der Himmel, ich bin mein Leben lang kein Mustersoldat gewesen, sonst wäre ich jetzt schon Captain oder noch mehr. Aber das, Suttney, kannst du nicht mit mir machen.

Er ging um den Pilotensessel herum und setzte sich. Er fühlte sich elend, aber noch nicht so elend, dass er sich gegen Suttneys Unverschämtheiten nicht mehr hätte auflehnen können.

»Wohin soll's also gehen?«, fragte er mürrisch. »Wenn ich eine Transition machen soll, muss ich wissen wohin.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Suttney sofort. »Wir können unseren Plan von jeder Stelle der Galaxis aus verwirklichen. Fliegen Sie also los und sehen Sie zu, dass Sie nicht erst in Andromeda wieder herauskommen. Das ist alles!«

Gunter Chellish überlegte sich das. Dann nickte er.

»Wie Sie wollen. Die Verantwortung liegt bei Ihnen!«

»Die kann ich tragen«, versicherte Suttney höhnisch.

Chellish begann, sich langsam zu bewegen. Er streckte die Hand aus, um einen Knopf zu drücken; aber unterwegs hielt er inne, zog die Hand zurück und fasste sich stöhnend an den Kopf. Er würgte ein paar Mal, als wäre ihm übel, und gewann Zeit. Er brauchte anderthalb Minuten, um allein den Check durchzuführen, und in dieser Zeit hatte er tausend Ideen, verwarf tausend und sammelte fünfhundert neue. Sie taugten alle nichts, wie er schnell erkannte. Es gab keinen Trick, den er anwenden konnte. Er konnte nichts tun, was nicht ein großes Risiko für ihn selbst einschloss. Und nachdem er das klar erkannt hatte, zögerte er nicht, dieses Risiko einzugehen.

Alles kam nun darauf an, ob Suttney die Bedeutung eines ganz bestimmten Knopfes auf der großen Schalttafel kannte. Der Knopf war nicht beschriftet. Dafür war er groß und grellrot, und jedermann, der nur ein einziges Mal am Schaltpult einer Gazelle gesessen hatte, kannte seine Funktion. Es war der Knopf, der den Bordalarm auslöste. Der Bordalarm war, solange das Fahrzeug sich auf dem Landefeld befand, mit den Anlagen des Landefeldes gekoppelt. Von dem Augenblick an, in dem Chellish auf den roten Knopf drückte, bis zu dem Augenblick, in dem das Feld von Truppen zu wimmeln begann, würden höchstens zwanzig Sekunden vergehen. Es würde dann nicht mehr möglich sein zu starten, und Suttney und Roane waren in ihrer eigenen Falle gefangen.

Gunter Chellish hatte Bedenken, dass sie in einem solchen Fall vorziehen würden, ihn und sich selbst umzubringen, anstatt sich zu ergeben. Das war das Risiko, das er eingehen musste.

Der Knopf lag weit oben auf der Schalttafel. Er war so angebracht, dass niemand ihn aus Versehen drücken konnte, um ihn zu erreichen, musste Chellish sich weit nach vorne beugen. Das tat er nicht auf einmal, denn, ohne sich umzusehen, war er sicher, dass Roane hinter ihm stand und ihm den Lauf der Pistole auf den Rücken geheftet hielt. Er drückte eine Reihe von Schaltern, die unterhalb des Alarmknopfes lagen und vorerst noch keine Funktion ausübten, weil die Geräte, zu denen sie gehörten, noch nicht in Betrieb waren. Dabei kroch seine Hand immer höher, und er selbst musste sich immer weiter nach vorne beugen.

Er wagte nicht, sich umzusehen. Wenn er sich umdrehte, würden sie seine Unsicherheit erkennen können. Er machte aber eine Pause, als sei der Kopfschmerz wieder stärker geworden und horchte. Hinter ihm rührte sich nichts. Alles, was er hören konnte, waren Roanes keuchende Atemzüge.

Er ließ sich in den Sessel zurückfallen, um noch einmal Zeit zu gewinnen. Da er zuletzt oben an der Schalttafel gearbeitet hatte, würde es nicht auffallen, wenn er sich jetzt wieder weit nach vorne beugte. Er tat es, nachdem er tief Luft geholt hatte, betätigte noch ein paar Schalter und ließ die Hand dann plötzlich nach vorne schnellen.

Was dann kam, ging so schnell, dass er später die Reihenfolge der Ereignisse nicht mehr unterscheiden konnte. Ein siedendheißer Schmerz zuckte ihm durch die ausgestreckte Hand, noch bevor sie den Knopf erreichte. Dann hörte er das Zischen auf dem Wandstück neben dem Bildschirm und sah, wie die Wand Blasen zu werfen begann. Ein paar Tropfen geschmolzener Metallplastik rannen herunter und erstarrten, bevor sie das Schaltpult erreichten.

Das alles sah Chellish mit visionärer Deutlichkeit, obwohl der mörderische Schmerz in seiner Hand ihm das Bewusstem schon zu verdunkeln begann. Er verstand, dass Suttney seine Absicht durchschaut und Roane ihm auf die Finger geschossen hatte, als er den Alarmknopf drücken wollte. Die Niedergeschlagenheit und der Zorn über seinen fehlgeschlagenen Plan waren fast noch unerträglicher als der Schmerz, der von der verletzten Hand ausging. Ein paar Augenblicke versank Chellish in eine Art Dämmerzustand, aus dem ihn schließlich Suttneys schneidende Stimme wieder in die Höhe riss.

»Sie sehen, wir machen keinen Spaß, Chellish! Gehen Sie also jetzt an die Arbeit, und tun Sie, was man von Ihnen verlangt!«

Chellish war zu zermürbt, um noch Widerstand zu leisten.

Er hatte die Startvorbereitungen einer Gazelle schon so oft durchgeführt, dass er die Handgriffe wie im Traum beherrschte. Er brauchte über nichts nachzudenken, und das war ihm recht so. Denn sein Gehirn war mit der Scham über seine Niederlage und dem Zorn gegen Suttney und Roane so angefüllt, dass Gedanken keinen Platz mehr darin hatten.

Er brachte die Aggregate auf volle Leistung und lehnte sich dann seufzend zurück. Er gestand sich ein, dass er das Spiel nun wirklich verloren habe. Denn eine Gazelle war ohne weiteres in der Lage, ihren Startplatz so zu verlassen, dass niemand ihr folgen und niemand sie mehr abschießen konnte. Suttney hatte recht: Nach mehr als vierzig Sekunden Höchstbeschleunigung konnte der Hypersprung schon gewagt werden. Und da das Fahrzeug nicht nur mit Strukturkompensatoren, sondern auch mit den neuen Eigenfrequenz-Absorbern ausgerüstet war, konnte es auch während der Transition nicht angemessen werden.

Das Spiel war also verloren. Oder nicht?

Gunter Chellish hatte plötzlich eine neue Idee. Suttney und vielleicht auch Roane mochten einiges über die technische Einrichtung einer Gazelle wissen –