Jeannot Bürgi

Lochhansi

oder Wie man böse Buben macht

Eine Kindheit aus der Innerschweiz

Limmat Verlag

Zürich

Prolog

Ich liege im Gras. Ich starre in den Himmel. Dort oben ist alles in Bewegung. Während ich daliege, bewegen sich dort Kontinente. Und unter mir rascheln Welten und gehen ihren Geschäften nach.

Du stehst auf der Wiese. Du wetzt die Sense, ein grosser Schatten bist du vor meiner Sonne. Du mähst das Gras mit kräftigem Schwung. Während du mähst, pfeifst du ein Lied. Ich kenne es. Der Text heisst: «So bleib bei mir …» Ich werde aber nicht bleiben.

Ich weiss auch, wie das Lied weitergeht: «… und geh nicht fort, mein Herz ist ja dein Heimatort.» Das tönt kitschig. Es ist gelogen, es ist nicht wahr. Und stimmen tut es auch nicht.

Wenn es wahr wäre, hättest du mir dein Herz geöffnet. Du hättest ihn mir gezeigt, den Heimatort. Das aber hast du nicht getan. Lass gut sein, ich kann damit leben.

Es wird immer etwas zwischen uns stehen. Eine Flasche mit Most auf der Bank vor dem Gaden, ein Stück Käse, das du mir zuschiebst, eine offene Frage, die man nicht anschneiden kann mit dem Sackmesser wie das Brot, das wir uns teilen. Vom gleichen Teller werden wir nie essen, aus dem gleichen Glas nie trinken, und das ist gut so.

Ob du nun mein Vater bist oder nicht, interessiert mich nicht mehr. Das ist mir nicht mehr wichtig. Früher war das anders. Alle Väter haben Kinder, aber nicht alle Kinder haben einen Vater. Ich hatte einen, das muss genügen. Mir genügte es auch.

Für meine Kinder

Kindheitserinnerungen

Das ist wie das Rühren im Bodensatz einer klaren Brühe. Wer weiss, was da alles zum Vorschein kommt, was da aufgewirbelt durch Raum und Zeit saust. Alte Verkrustungen, Vernarbungen, Ablagerungen von Jahrzehnten, die den Panzer eines Menschenalters gebildet haben.

Ich war meinen leiblichen Eltern kein Wunschkind. Mit dieser Feststellung und Erkenntnis bin ich sicher nicht allein, kein Sonderfall. Trotzdem, eine Frage beschäftigte mich ein Leben lang: Warum hat mich meine Mutter ausgesetzt, in einer Kartonschachtel beim Müll am Strassenrand entsorgt? Ich dachte, ich sei schon längst darüber hinweg, es mache mir überhaupt nichts aus, darüber zu sprechen, nachzudenken. Jetzt entdecke ich, nachdem ich siebzig Jahre alt geworden bin und ein ganzes, reiches Leben hinter mir habe, dass es mir noch immer etwas ausmacht, dass da noch immer die Frage im Raum steht, dieses «Warum», auf das ich bis zum heutigen Tag keine Antwort gefunden habe.

Meine Erklärung ist einfach und auf der Hand liegend: Ich war ihr Last und Störung, ich passte nicht in ihr Leben, sie hatte sich das so nicht vorgestellt. Ein Gof, das fehlte gerade noch, damals Ende der dreissiger Jahre, mitten in Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, mit dem Krieg vor der Tür. Das Leben damals war schon allein schwer genug, ein Kind ein Esser mehr, eine Sorge dazu, ein Hindernis, Verantwortung und Kosten. Sie musste über die Runden kommen, Anschaffen hiess das in ihrem Fall, für sich und wahrscheinlich auch für ihren Zuhälter. Sicher war sie jung, leichtsinnig und oberflächlich, schliesslich war es ihr egal, was mit dem geschah, was sie da in die alte Schachtel stopfte. Abfall eben, den man los sein will.

Wahrscheinlich war sie auf einem Bauernhof aufgewachsen, sie war es gewohnt, mit anzusehen, wie man den Wurf neugeborener Kätzchen auf den Mist warf oder in der Jauchegrube ersäufte, das war doch alltäglich, ganz normal. Was solls, ich mag nicht weiter darüber nachdenken. Ich weiss nicht, wie diese Frau war, weiss nicht, wie sie gelebt hat, weiss nur, dass sie einsam und alt geworden im Altersheim verstorben ist. Ich habe mir nie ein Bild von ihr machen können, habe nie ein Foto von ihr gesehen, ich habe nicht einmal ihr namenloses Grab besucht. Es sei ein Ge­mein­schaftsgrab, sagte mir die Leiterin des Altersheims, sie sei auf Gemeindekosten bestattet worden, die Armenpflege sehe in diesem Falle nur ein Gemeinschaftsgrab vor.

Ich ging nicht hin zum Friedhof, nicht weil ich ihr grollte, was hatte ich der Frau, die mich geboren hat, schon zu grollen, was zu verzeihen, war ich denn Gott? Ich mochte einfach nicht. Lass gut sein, dachte ich und fuhr nach Hause. Das Leben hat es doch gut mit mir gemeint. Habe ich denn nicht alles bekommen was ich mir gewünscht habe, und sogar noch einiges mehr? Ich kann mich wahrlich nicht beklagen. Und wenn ich das nun so aufschreibe, meine ich das auch so.

Komisch ist nur, dass meine ersten Erinnerungen Erinnerungen an Unfälle sind.

Kindheit ist nicht etwas, woran ich mich als Zeit erinnere. Für mich ist Kindheit Ereignis, eine Folge von Geschichten, einige schön, andere weniger. Hier leicht und luftig, dort schwer und dumpf. Für alles suche ich Wörter, die zur Sache passen, meinem Erlebnis möglichst nahe kommen. Zu meiner Kindheit passt das Wort «Muhheim», es sagt alles aus. In ihm finden sich Gerüche, Töne und Formen. Mein Staunen auch, und wenn man genau hinsieht, findet sich darin sogar meine Angst. Eigentlich finde ich es schade, dass ich diese Kindheit nicht mit meinen ungelenken kindlichen Worten umschreiben kann. Doch die kindlichen Worte habe ich schon lange vergessen, und erzählen kann ich nur das, was mir an Erinnerung geblieben ist.

Vor «Muhheim» gab es noch etwas, für das ich aber kein Wort finde. Es sind hier nur Gerüche, die geblieben sind, Figuren, die aus dem Nebel der Geschichte auftauchen, verschwommene Konturen, Geräusche und Sprachfetzen. Der Duft der würzigen Käseküchlein aus der Küche der Mama Früh oder das Plätschern des Wassers im Brunnen auf dem Bullingerplatz. Ein Drängen, Stossen und Schubsen der Menschen in der Bäckeranlage vor dem Volkshaus. Wars ein Streik, eine 1.-Mai-Feier oder nur ein Volksauflauf, die Sammlung zu einem Demonstrationszug? Überall standen Soldaten herum, Worte schwirrten durch die Luft wie verängstigte Vögel.

Dreikäsehoch der ich war, mein weiches, weisses Körpergeschiebe fortbewegend wie ein vierbeiniges Amphibium, doch schnell und neugierig jeden Winkel, jeden Spalt erforschend, gelangte ich in einen Raum voll Sonnenlicht und süssen Duft. «O Jesses Gott, was machst du da?»

«Mas tu da», sagte ich, mit schwerer Zunge die ungewöhnlichen Vokale formend, indem ich meinen Fleischberg mühsam zu voller Grösse aufrichtete. Ich hielt mich fest am Zipfel des weissleinenen Tischtuchs, derweil die bunte Schnabelkanne mit Kaffee, die Tassen, Tellerchen und Krüglein in irrem Tanz ihr Gleichgewicht verloren und klirrend auf den Boden purzelten. «Mas tu da», gurgelte ich triumphierend und plumpste rücklings in den Scherbenhaufen.

«Was machst du da, Herrjehminee», schalt mich die Stimme, und Verzweiflung klang daraus, derweil die Weibsperson, die solches von sich gab, mit schwerem Leib sich dunkel vor die Sonne schob und zeterte, der Kaffee schwarze Flecken auf den Teppich zeichnete und Scherben knirschten, wo sie Schatten warf. Ich suchte erschrocken Zuflucht unter dem Tisch, hier in dämmriger Höhle zwischen den vier Beinen fühlte ich mich sicher und geborgen. Jetzt, hier, später auch und immer wieder, ein ganzes Leben lang.

Ich stand vor einem grossen Fenster, auf der breiten Fensterbank glänzte eine Glaskugel, darin schwamm ein Goldfisch, draussen schien die Sonne. Ich streckte meine Hand aus, konnte aber den Fisch nicht erreichen, die Fensterbank war zu hoch oben. So schob ich einen Stuhl heran, kletterte hinauf und sass nun auf der Fensterbank neben der Kugel mit dem goldenen Fisch, noch immer schien draussen die Sonne, aus dem Gartenrestaurant von der Strasse her hörte ich Stimmen, Lachen, allerlei Geräusche, und ich roch die Düfte von Essen und Menschen.

Wie ich das Gleichgewicht verlor und hinunterfiel, weiss ich nicht mehr. Ich landete im Laub des wilden Weins, mit dem die Gartenlaube überwuchert war, und irgendwo auf etwas Hartem, einem Gestänge oder Ast. Auf einmal stand die Welt kopfüber, alles drehte sich um mich, mir war schlecht, mein Schädel schmerzte, die Brust auch, ich konnte nicht mehr atmen, Leute standen herum, riesig gross, rannten hin und her und lamentierten. Später dann lag ich in einem weissen Bettchen, ich musste mich übergeben, mir war schlecht, weissgekleidete Gestalten bemühten sich um mich. Ein Mann, auch er in Weiss, sass an meinem Bett und hielt meine Hand, strich mir über das Haar und murmelte etwas, was ich nicht verstand.

Sonst kann ich mich an nichts erinnern. Ganz undeutlich noch an einen Tag, viel später schon, es kann im selben Jahr gewesen sein oder im nächsten. Ich befand mich auf einem Rummelplatz, um mich lauter Volk und viel Lärm. Ein junger Mann im dunklen Ledermantel hielt mich an der Hand, führte mich zwischen den Buden entlang, ich bekam etwas Süsses, Klebriges zum Schlecken. Im Gedränge roch es intensiv nach Gewürzen, nach Schweiss und müden Menschen.

Der Mann, eher ein Jüngling noch, hatte schmale, weisse Hände, er trug das Haar gescheitelt, mit viel Brillantine an den Kopf geklebt, es sah aus, als trüge er eine schwarze Kappe. Ein dünnes Oberlippenbärtchen klebte wie ein schwarzer Strich unter seiner Nase. Er war freundlich und sanft zu mir, wies hier- und dorthin, er zeigte mir all die bunten Bilder auf den Wagen und Marktständen, einen Papagei und einen Affen, die in einem Käfig hockten und mir leidtaten, weil sie eingeschlossen waren. Beide sahen sie traurig aus, ich begann zu weinen, weil niemand sie befreien wollte. Ich wurde wütend, stampfte mit den Füssen, riss mich los und rannte weg, kam aber nicht weit, wurde aufgehalten, eingefangen.

Der Mann kaufte mir eine kleine Mundharmonika, er hängte sie mir an einer bunten Schnur um den Hals. Das gefiel mir sehr, sie war silberfarben und klang ganz wundervoll. Dann stiegen wir in ein kleines Auto, solche gab es eine Menge, sie fuhren willkürlich auf dem Platz herum, krachten aufeinander, umkreisten sich. Es sassen meistens junge Leute darin, die lachten, die Mädchen kreischten hysterisch. Eines fuhr direkt auf uns zu, am Steuer ein dicker Mann mit Zigarre, neben sich eine stark geschminkte Weibsperson, die ihn umschlungen hielt. Ihr Wagen krachte frontal und mit voller Wucht auf unser Fahrzeug. Der plötzliche Aufprall erwischte mich unversehens, mein Kopf schnellte nach vorn, ich kollidierte heftig auf Augenhöhe mit dem Rand des Gefährts. Ich fühlte kaum Schmerz, blutete aber heftig aus der Nase, auch der Mund war voll Blut, es schmeckte süsslich, fühlte sich klebrig an, troff auf mein dunkelblaues Mäntelchen, auf die graue Sonntagshose. Mein Begleiter versuchte das Rinnsal zu stillen, er gab mir dazu sein Taschentuch, doch es wollte nicht aufhören. Er führte mich zu einem Brunnen, hiess mich den Kopf in den Nacken halten, still stehen. Ich weiss noch, dass ich nicht weinte, das kam erst nachher, zu Hause, als uns Mama Früh wegen der verschmutzten Kleider schalt.

Wir lebten in einer kleinen Gemeinschaft, ein halbes Dutzend Kinder in einer Gruppe, betreut von einer Pflegmutter.

Eines Abends sass ein Soldat in unserer Küche, ein langer Lulatsch in feldgrüner Uniform. Die Fenster waren bereits verdunkelt, es sollten Flieger über die Stadt ziehen, es hatte Alarm gegeben. Der Soldat streckte seine langen Beine unter den Küchentisch, seinen Ceinturon hatte er abgelegt, er lag samt dem Bajonett auf dem Wachstuch der Anrichte. Ich fingerte am Bajonett herum, wollte es aus der Scheide ziehen, was mir nicht gelang. Der Soldat lachte, Mama Früh machte sich am Herd zu schaffen, der Raum war dampferfüllt. Der Fremde zupfte an seinem Schnurrbart herum, fragte mich nach meinem Namen und wie alt ich sei. Er schien den ganzen Raum zu füllen, seine Stimme war laut und kräftig, und unter dem dunklen Schnauz blitzten seine Zähne. Als er ging, reichte er mir seine Pranke, tätschelte meine Wange und meinte grinsend: «Auf Wiedersehen, mein Kleiner.»

«Ich bin nicht dein Kleiner», erwiderte ich vorwitzig und floh unter den Küchentisch. Er war so gross und deckte das Licht der Deckenlampe ab mit seinem Körper.

Eine Woche später sass ich im Zug, er fuhr ab und hielt an vielen Stationen. Ich wurde begleitet von einer jungen Frau, einer engelhaften Gestalt mit blonden Locken. Schon am frühen Morgen hatte sie mein Köfferchen gepackt mit meinem Teddybären, ein paar Kleidern und den wenigen Habseligkeiten. Zusammen mit uns reiste mein Vormund, Herr Muntwiler, er sass uns gegenüber, hatte Hut und Mantel abgelegt und rauchte. Ab und zu schrieb er etwas in sein Notizbuch und studierte eine dicke Akte, die er seiner Mappe entnahm. Gesprochen wurde kaum auf dieser Fahrt.

Mir war nicht klar, wohin die Reise gehen sollte, ich war noch nie so lange weggefahren, noch nie so weit gereist. Mittag war längst vorbei, die Berge rückten immer näher, wir assen belegte Brötchen und stiegen einmal um in einer riesigen, zugigen Bahnhofhalle. Nun fuhren wir zwischen sehr hohem Gebirge durch einen Tunnel, dann einem See entlang, zuletzt langsam steil den Berg hinauf. Der Kondukteur mit seiner schwarzen Tasche kam schon wieder vorbei, schwankend torkelte er im Zwischengang durch den Wagen, meinte zu meiner Begleiterin, wir müssten dann beim nächsten Halt aussteigen. Der nächste Halt war Kaiserstuhl, ein kleines, hölzernes Stationsgebäude in einem tiefen Talkessel.

Nur eine Frau stand da in dunkler Kleidung, das Haar straff zu einem Knoten am Hinterkopf frisiert, was die Strenge der Erscheinung noch unterstrich. Ihr wurde ich von meinem blonden Engel überreicht, sie lachte meckernd, mir war unwohl, ich wollte nicht mit ihr gehen. Doch sie nahm mich kräftig an der Hand, mit der anderen Hand trug sie mein Köfferchen und stapfte fürbass, ohne auch nur im Geringsten auf mein Widerstreben zu achten. Sie plauderte ständig vor sich hin, ich konnte nicht verstehen, was sie sagte.

Ich riss mich los und sah mich um, der blonde Engel war entschwunden, der Zug bereits abgefahren. Sie ergriff mich wieder, wollte mich den Weg hinaufführen zu einem Haus, das gross und stattlich in absehbarer Entfernung stand. Doch wieder entwand ich ihr die Hand und meinte trotzig: «Ich kann allein laufen.» Herr Muntwiler, der mit mir ausgestiegen war und uns begleitete, lachte laut und zwinkerte der Fremden zu.

In ihrem Haus angekommen, gewahrte ich den langen Lulatsch, den Soldaten aus Mama Frühs Küche, man setzte sich nach viel Palaver und Gelache zu Tisch und ass, was aus der Küche aufgetragen wurde, Suppe und Salat, Kartoffelstock und Schweinebraten. Ich hatte keinen Appetit, ich baute mir aus Kartoffelstock einen kleinen Stausee und füllte ihn mit Sauce. Die Frau schnitt mir das Fleisch in mundgerechte Stücke und erklärte mir, ich bleibe nun immer da, bei ihr, sie sei nun meine Mutter. Ich weinte, meine Tränen fielen in den Saucensee, sie vermischten sich mit dem Randensalat, doch niemand schien sich darum zu kümmern. Die Erwachsenen tranken Veltliner, assen, schwatzten und lachten.

Ich weinte zwei Wochen lang, jeden Abend vor dem Einschlafen, bis die Müdigkeit und Erschöpfung meine Tränen versiegen liessen. Natürlich weinte ich nicht den ganzen Tag. Nur abends vor dem Einschlafen, wenn mich niemand sah.

Übrigens gab es zum Weinen gar keinen Grund, mal abgesehen von der Tatsache, dass ich meine Familie verloren hatte, meine Gespielen, dass ich nun auf einmal allein war. Dabei war ich ja gar nicht allein, ich hatte nun einfach eine neue Familie bekommen, doch das war mir damals noch gar nicht so bewusst. War Familie für mich bis anhin doch unsere kleine Lebensgemeinschaft mit Mama Früh und den Kindern, Schlupfchasper, Peterpfupf, Hansdampf und Jolifränzi, dann Meieli, die Freundin meiner ersten Kindertage.

Das alles kam mir dann jeweils am Abend in den Sinn, wenn ich ins Bett gebracht wurde, schlafen sollte, wenn die grosse Ruhe mich umgab in diesem Haus, wo nichts zu hören war als das Gemurmel aus der Küche, wo sie alle sassen und bei Most oder Kaffee Sachen besprachen, die mich nichts angingen.

Nicht, dass es bei Mama Früh in der Bäckerstrasse nun immer so schön, gut und harmonisch gewesen wäre, dem war beileibe nicht so. Hansdampf warf meinen Teddy­bären aus dem Fenster, wo er von einem Welti-Furrer-Lastwagen überfahren wurde und danach nicht mehr brummen konnte. Jolifränzi stahl meine Mundharmonika, die sich aber später in seinem Kopfkissen wiederfand. Ich pisste dem Schlupfchasper in den Süssmost, worauf ich eine Tracht Prügel bezog und drei Tagen lang nur Wasser zum Trinken bekam. Solche Sachen gehörten eben auch zu unserem Alltag, Hänseleien und Eifersucht, Streiche und Plagereien, Streit und Gekeife. Doch war ich stets überzeugt, ich brauchte keinen Vater und keine Mutter, nun hatte ich auf einmal Eltern, und mir war bewusst, irgendwie musste ich damit zurechtkommen.

Das war am Anfang gar nicht so einfach, nicht nur wegen der ungewohnten Umgebung, Muhheim halt, Bauernland, so weit das Auge reichte, und Kühe, die mich schon in aller Frühe mit dem Gebimmel ihrer Treicheln und Schellen weckten. Dabei waren meine Tage voll von Überraschungen, überall gab es Neues und Unbekanntes zu entdecken.

Als ich die Rinder und Kühe zum ersten Mal vor unserem Stubenfenster grasen sah, packte mich der Schrecken, so dass ich schnurstracks in die Küche floh und mich unter der Eckbank verkroch. Natürlich hatte ich schon vorher Kühe gesehen, von der Eisenbahn aus auf der Fahrt hierher, doch da waren sie nie so nahe, standen weit weg und grasten friedlich auf der Wiese. Doch hier schienen sie mir riesengross und furchterregend, die geblähten Leiber braun und massig. Die hornbewehrten Häupter drängten sich um einen Bottich, der voll Wasser direkt vor unserer Hauswand stand.

In der Küche sass ein Waldschrat, den sie alle Bini nannten, eigentlich hiess er Albin, von Zeit zu Zeit versorgte er das Vieh und half aus, wo er gerade gebraucht wurde. Er blies in den Milchkrug, wo sich ein dicker Nidelpelz gebildet hatte, schenkte sich dann Milch und Kaffee ein und lachte schallend. Meine Mutter röstete Kaffeebohnen, das ganze Haus stank danach, sie schalt mich und fand, ich solle mich doch nicht so anstellen, ich solle das Theater lassen. Scheinbar hatte niemand begriffen, warum ich mich unter dem Tisch verkroch. Joggeli, der Dackel, leistete mir Gesellschaft. Er stupste mich mit seiner feuchten Nase an, ich kraulte ihn hinter den schlappen Ohren und dachte nach.

«Der wird nie ein Bauer, da kannst du sicher sein», hörte ich den Bini zu Mutter sagen, die unablässig in ihren Kaffeebohnen rührte. Der Bini redete munter weiter, derweil er Brot und Käse futterte, über Galtigs, Rindli, Kälber und Kühe, über eine, die stierig wäre und zum Muni müsse, und über den Klauenschneider, der morgen komme.

Ich solle nun hervorkommen und nicht länger Maulaffen feilhalten, befand meine Mutter, ich könne mit dem Bini mit, der gehe nun zum Stall. Das Stallgebäude lag versteckt und vom Haus aus kaum sichtbar hinter einem buckligen Hügel. An der Hand von Bini stapfte ich eben später den Weg entlang und dachte über die Maulaffen nach, die ich nirgends sehen konnte, und über allerlei andere rätselhafte Dinge, die ich hier erlebte, das Leben mit den Tieren, die täglichen Rituale und Gebräuche, die fortan meinen Tag bestimmen sollten. Eines war mir klar, mit dem Herumhängen, Träumen und Spielen war es vorläufig wohl vorbei. Es gab immer etwas zu tun, man durfte nicht untätig sein.

Im Wechsel der Jahreszeiten, das lernte ich schnell, veränderten sich die Arbeiten. Die Menschen versorgten die Tiere, und die Tiere gaben den Menschen alles, was diese zum Leben nötig hatten. Jedes Lebewesen hatte hier seine Aufgabe: Der Hund bewachte das Haus, die Katze fing Mäuse, die Kühe gaben Milch, die Schweine Fleisch und Fett, die Hühner versorgten uns mit Eiern und die Bienen mit Honig. Kartoffeln wuchsen auf dem Acker und Früchte an den Bäumen, der Garten lieferte Gemüse und Beeren und der Wald Brennholz. Meine Mutter besorgte die Landwirtschaft und den Haushalt, der Vater war Zimmermann, er baute Häuser, Scheunen und Alphütten, war selten zu Hause, oft wochenlang im Militär. Ich konnte noch kaum mithelfen, doch einfach herumhängen und gar nichts tun durfte ich auch nicht. Es fanden sich immer kleine Arbeiten, die mir zufielen, wenn nicht, dann tat ich gut daran, mich aus dem Staub zu machen, ich durfte keinesfalls stören. Das «aus dem Staub machen» wurde mir zur zweiten Natur. Staub war für mich fürderhin überall da, wo sich Leute herumtrieben, die etwas von mir wollten.

An diesem Morgen, den ich mit Bini in der Scheune verbrachte, zeigte er mir alle Tiere, die ich bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Die Rinder, Kälber und Kühe grasten auf der Weide, waren also nicht im Stall, darüber war ich ganz froh. In einem abgegrenzten Teil des Stalles lebten die Schweine, es waren zwei Stück, auch sie suhlten sich zur Zeit draussen im Dreck in einem umzäunten Pferch. Vor denen hatte ich überhaupt keine Angst, man konnte ihnen den Rücken kraulen, sie grunzten zufrieden. Auch mit den Geissen freundete ich mich an, die alle hinter der Scheune grasten. Sie benahmen sich zutraulich, ich wurde neugierig beäugt und beschnuppert. Abgesondert vom Vieh, hatten auch sie einen eigenen Stallteil. Über der Tenne liess mich Bini dann seine Kammer sehen, mit Wänden aus Strohballen, mit einem Strohsack als Matratze, einer Pferdedecke aus Armeebeständen und einem Rosshaarkissen, das war sein ganzer Komfort.

In einem Stapel alter Zeitungen fand ich ein Leidzirkular, auf dessen blanker Hinterseite ich herrlich zeichnen konnte. Die Zeichnung brachte ich dann meiner Mutter heim, darauf war ein Tisch zu sehen, darunter lauter Maulaffen. Diese hatten grosse Mäuler, sie lachten mit gebleckten Zähnen, während sich ihre langen Schwänze unter dem Tisch hervorringelten.

Sie fand das aber gar nicht lustig, wenigstens mir gegenüber tat sie so. Später aber hörte ich, wie sie alle über meine Zeichnung lachten, als sie zusammen in der Küche beim Kaffee sassen. Ja, ja, ich weiss, es war das alles sicher nicht einfach, für mich nicht und für die Erwachsenen nicht, die sich um mich zu kümmern hatten. Mit Blicken des Unverstands wurde mir gar oft bedeutet, dass ich etwas falsch verstanden hatte, dass ich Verbotenes oder Verkehrtes tat.

Ich war kein lustiges oder fröhliches Kind. Doch niemand tat mir offensichtlich etwas zuleide, alle wollten, dass ich fröhlich war und lachte. Sogar mein Vater, der meistens eine ernste Miene zur Schau trug, versuchte mich mit Faxen und Kapriolen aufzuheitern, doch eigentlich war mir nicht zum Lachen zumute. Ich verzog zwar meinen Mund, bleckte die Zähne und kniff die Augen zusammen, doch lachen tat ich nicht. «Siehst du eigentlich nicht, wie er dich auslacht», frotzelte der alte Ätti, der Grossvater, und grinste, während er seinen Priem von einer Backentasche in die andere verschob. Nun ja, ich muss halt wohl immer eine harte Nuss für meine Mitmenschen gewesen sein.

Mit uns am Tisch sass zu dieser Zeit auch die jüngere Schwester meiner Mutter. Sie war schwanger, und ihr Mann war nur am Wochenende da. Beide bewohnten sie die obere Wohnung, er arbeitete als Holzer bei den Förstern, sie half so viel wie möglich meiner Mutter aus, vor allem in der Hauswirtschaft. Sie hatten noch keine Kinder, das muss also im Jahre ᾽44 gewesen sein, denn in diesem Jahr wurde ihnen ein Töchterchen geboren. Das war auch das Jahr, als die beiden Bacherbuben im See ertranken, zwei Cousins, die beide gleich alt waren und den gleichen Namen trugen. Das Wasser war keinen Meter tief, wie sie das gemeinschaftliche Ertrinken angestellt haben, habe ich mich oft gefragt, beide waren damals in der Rekrutenschule und im ersten Urlaub zu Hause. Aber da geschah so vieles um mich her, das ich nicht erklären konnte. Das Unverständlichste war wohl die Sache mit der Religion.

Religiöses war mir bis anhin unbekannt. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich unbeschadet und unbeschwert von Begriffen wie Schuld und Sünde, Gott und Teufel, Himmel, Hölle und Fegefeuer meine ersten Lebensjahre verbracht habe. Das alles änderte sich hier nun schlagartig, alles war hier mit Religion und frommen Ritualen erfüllt, in jedem Zimmer hing ein Weihwassergefäss, ein Rosenkranz lag in der Tischschublade, ein Stechpalmenzweig stak auf jedem Türsturz. Natürlich gab es den Herrgottswinkel in der Stube, an der Wand das Bild der Heiligen Familie und des guten Hirten hing in bunten Farben über dem elterlichen Ehebett. Über meinem Schlafplatz schwebte die Madonna von Raffael, die vatikanische mit den zwei schmierigen Puttos am unteren Bildrand, dazu das Bild des gütigen Schutzengels, der das Kinderpaar über die gefährliche Brücke geleitet, während in der Tiefe der Schlucht der Wildbach tost. So gab es nun auf einmal einen Liebgott, der im Himmel sass, und einen Teufel in der Hölle. Dazu Dämonen, Geister, Engel und Heilige, alles war erfüllt von Wesen, von denen ich bis anhin keine Ahnung hatte.

Das war dann eben katholische Religion, das alles erklärte mir meine Mutter. Das hatte auch mit der ewigen Beterei zu tun, beten konnte man nie genug, der ganze Tag war von Gebeten eingeteilt. Da gab es das Morgen­gebet nach dem Aufstehen, dann die Tischgebete vor und nach dem Essen, den Englischen Gruss am Mittag beim Läuten der Glocke, am Freitag um drei, wieder beim Läuten, das Dankgebet: «Wir danken dir, Herr Jesus Christ, dass du für uns gestorben bist, oh lass dein Blut und deine Pein an uns doch nicht verloren sein, Amen.» Vor dem Schlafengehen das Abendgebet, manchmal sogar ein Rosenkranz als Abschluss des Tagwerks, wobei man aber nicht einschlafen durfte. Mein häufigstes Kinderabendgebet ist mir sogar heute noch geläufig, es hatte folgenden Wortlaut: «Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein. Tag und Nacht, ich bitte dich, schütz, regier und leite mich. Hilf mir leben, gut und fromm, dass ich zu dir in den Himmel komm.»

Um in den Himmel zu kommen, musste man katholisch sein, scheinbar war das ein Ort, der nur Katholiken vorbehalten war. Dort war alles wunderschön, da wohnte der liebe Gott, umgeben von seinen Engeln, die den ganzen Tag Halleluja sangen und ihn lobpreisten, flankiert von den Heiligen. Was die den ganzen Tag taten, wusste niemand. Gewöhnliche Menschen hatten keinen Draht zum lieben Gott, nur ein Priester hatte da eine direkte Verbindung. Gott sprach nämlich Lateinisch, das konnte unser Kaplan auch. Ich bewunderte ihn dafür, und ich teilte meiner Mutter mit, ich wolle diese Sprache auch lernen.

«Zuerst musst du mal getauft werden», meinte sie, «du bist ja noch ein Heide.» Das erklärte natürlich vieles, vor allem erklärte es den unseligen Zustand, in dem ich mich befand. Ein Heide sei kein Christ, doppelte mein Vater nach und lachte, so einer komme direkt in die Hölle, wenn er sterbe.

Das sagte er nur, um Mutter zu provozieren. Selbst war er, zum Leidwesen seiner Frau, nicht sehr katholisch, da er während seiner Kindheit unter der Bigotterie seiner eigenen Mutter gelitten hatte.

Also wurde ich eines Tages getauft. Meine Tante Marie, die ältere Schwester meiner Mutter, war dafür extra aus dem Melchtal angereist, sie sollte meine Patin sein. Als Taufpate fungierte mein Vater, wie er Johannes hiess, sollte auch ich fortan so heissen, das entsprach der Familientradition. Von der ganzen Zeremonie ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben, nur dass ich mit Wasser begossen wurde und dass dabei viel vom Teufel die Rede war, dem man abzuschwören hatte, libera nos Domine, bewahre uns oh Herr. Vom Satan und allen seinen Werken, libera nos Domine, dann gingen wir alle zum «Göttiwii» ins nächste Restaurant, der Pfarrer war dabei und auch unser Herr Kaplan, dazu zwei, drei «Schlottergötti» und im Zentrum des Ereignisses natürlich ich selbst, der ich nun ein richtiger katholischer Christ war. Ein währschaftes Essen wurde aufgetischt, viel Wein wurde getrunken, und zuletzt strebten wir alle in recht heiterer Stimmung dem «Alpenblick», unserem Wohnhaus, zu.

Zum Abschluss der Feier galt es noch eine Torte zu verzehren, die meine Mutter zu diesem festlichen Anlass gebacken hatte, und dazu viele Kaffees mit Schnaps, bei uns «Cheli» genannt. Der Ätti war an diesem Abend voll in seinem Element, er sass auf der Ofenbank und spielte zwischendurch auf seinem Schwyzerörgeli, während mein Vater ihn mit «Chlefelen», das ist mit zwei Löffeln den Takt schlagen, begleitete. Nun war ich also Christ.

Während die Erwachsenen tranken, lachten und plagierten, sah ich zum Stubenfenster hinaus und bemerkte eine Gruppe Kinder, die unserem Haus gegenüber auf einem Hügel stand und zu uns herüberschaute. Es waren die Bambini der Beffas, einer Italienerfamilie, vier an der Zahl, alle braun und schwarzhaarig und in viel zu grosse Kleider gehüllt, die im Herbstwind um die mageren Körper schlotterten. Sie wohnten im alten Vaterhaus, das dem Ätti gehörte, kaum einen Steinwurf von unserem Haus entfernt, doch ich durfte nicht dorthin und schon gar nicht mit den Kindern spielen. Es waren «Tschinggen», sie sprachen Italienisch, und die Nonna, die bei ihnen wohnte, sei eine Hexe, so sagte man im Dorf. Ich fürchtete mich auch vor ihr, sie sah nämlich genauso aus wie die Hexe von Hänsel und Gretel in meinem Märchenbuch. Man hörte sie oft bis zu uns hinüber kreischen, wenn sie die Kinder schalt.

Mutter Beffa war selten zu sehen, sie arbeitete in der «Hüetlifabrik» im Kantonshauptort, wo von den Frauen Strohhüte hergestellt wurden. Der Vater zog als Maurer von Baustelle zu Baustelle, auch ihn bemerkte man nur am Wochenende, wenn er bei schönem Wetter mit seiner Familie vor dem Haus unter dem Kirschbaum sass und ihre Gesänge auf seiner Okarina begleitete.

Gesungen wurde viel dort drüben, meistens war dann auch Besuch da. Ich fand die Lieder wunderschön, so schön wurde nicht einmal in der Kirche gesungen. Mein Vater, der etwas Italienisch sprach, sagte dann, es seien Sozialisten- oder Kommunistenlieder, also mit Kirche hätten die auf alle Fälle nichts zu tun. Meine Mutter spuckte dann hinter sich aus und machte das Zeichen, das vor dem bösen Blick beschützen sollte. Oft hörte ich sie den Ätti schelten, weil er das Haus den Beffas vermietet hatte. Der aber pfiff durch seine Zahnlücken und hatte auf diesem Ohr überhaupt kein Musikgehör. Zu mir sagte er dann, das sei doch alles dummes Weibergeschwätz, was da über die Nonna Beffa umging. Dabei spuckte er seinen Tabakpriem zielgenau in den Katzenteller, eine Angewohnheit, die meine Mutter schrecklich ärgerte.

Zum Ätti, dem Grossvater, hatte ich einen ganz besonderen Draht. Zwischen uns entwickelte sich im Lauf der Zeit eine Art Verschwörung, eine seltsame Zutraulichkeit, wie ich sie bis anhin nicht gekannt hatte, war ich doch den meisten Menschen gegenüber recht misstrauisch und zurückhaltend. Beim Ätti war das anders. Ihn hatte das Leben nicht sauer gemacht, er gehörte nicht zu denen, die sich mit Fluchen, Chnorzen und Bitterkeit bis zum Grabesrand vorarbeiten, um dann wütend den letzten Schnauf zu tun. Er lebte in einer Wolke kindlicher Sorglosigkeit und lässig zelebrierter Gleichgültigkeit.

So konnte nur er, als Einziger im ganzen Haus, es sich erlauben, meiner Mutter Paroli zu bieten, wofür ich ihn bewunderte und ihm eine Macht zuschrieb, die er bestimmt nicht besass. Doch vor mir konnte er seine Position glaubhaft inszenieren, wofür er auch jede Gelegenheit nutzte. Dabei konnte er ein richtiger alter Stinker sein, das lag jeweils an seiner Laune oder seinem Wohlbefinden und nicht zuletzt am Alkoholpegel, er sprach nur allzugern dem Geist in gebrannten Wassern zu.

Er wohnte noch immer in seinem eigenen Haus, dem «Vaterhaus», das vertikal zweigeteilt war. Es war dies ein gewandetes Langhaus, das auf dicken Mauern stand, mit Lauben, Vordächern und Kellern, sicher schon fünfhundert Jahre alt, die Schindeln schwarz von Sonne, Wind und Regen.

Dort bewohnte er das hintere Stübli, verfügte auch über eine eigene Küche und eine Schlafkammer im oberen Stock. Doch hatte sich im Lauf der Zeit die Gewohnheit ergeben, dass er mit uns zu Tisch sass, auch seine Wäsche wurde von meiner Mutter besorgt wie das Reinemachen in seiner Behausung.

Unweit vom Vaterhaus stand sein Bienenhaus, wo er der Imkerei oblag, zwar nicht so, wie es sich gehörte, befand sein Sohn, mein Vater, der selbst auch Bienen hielt. Er befand, der Alte halte seine Völker schlecht und recht gerade so am Leben, dass sie nicht verhungern konnten, er habe keine Ordnung in seiner Imkerei und ihm fehle jegliches System. Wobei der Umstand, dass der Alte im Allgemeinen einen besseren Ertrag erwirtschaftete als der Junge mit all seiner Systematik, stets Anlass zu heftigen Diskussionen gab, da einfach nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

Hinter dem Vaterhaus stand auch noch die alte Scheune. Ein bisschen abseits in der Wiese, und vom Haus nur durch eine schmale, steinbepflasterte Gasse getrennt, lag die Waschhütte mit dem Brunnen im Schatten einer mächtigen alten Linde. In dieser Waschhütte ging der Grossvater mit grossem Können und Geschick seiner liebsten und ertragreichsten Tätigkeit nach, er brannte «Bätziwasser». Das tat er «schwarz», das heisst klandestin, weshalb dieser Vorgang stets mit viel Heimlichtuerei verbunden war. Doch gab es auch von Seiten meiner Eltern keine Kritik, profitierten doch auch sie von den verbotenen Früchten und hatten dabei auch noch nichts zu befürchten, da der Alte alles Risiko auf sich nahm. Diese Brennerei im Waschhaus hatte immer bei schlechtem Wetter zu geschehen, wenn der Wind vom Brünig her etwaigen Schnapsdunst schnurstracks über den Kaiserstuhl hinab in die Tiefe fegte.