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DIE SCHWARZE FLEDERMAUS

Band 7

 

 

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In dieser Reihe bisher erschienen:

 

6001  Der Anschlag von G. W. Jones

6002  Der Sarg von G. W. Jones

6003  Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004  Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005  Tote schweigen nicht von M. Schwekendiek

6006  Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007  Die Spione von G. W. Jones

6008  Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009  Der Flammenpfad von G. W. Jones

G. W. Jones

 

 

Die Spione

 

 

Die Schwarze Fledermaus

Band 7

 

 

 

 

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© 2016 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies

Illustrationen: Dorothea Mathies

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-007-9

Kapitel 1
Tödliche Höhenluft

 

Im 32. Stockwerk des Falkner Building standen zwei stämmige Türsteher vor einem Büro, auf dessen Schild der Name Americana stand. Sie trugen ihre Waffen offen in Schulterhalftern zur Schau, auch wenn sie darüber noch Jacketts trugen.

Zwei Männer verließen gerade den Privatfahrstuhl. Der erste war groß und hatte weißes Haar. Seine feinen Gesichtszüge passten zur Kleidung, die dezent auf einen teuren Schneider hinwies. Der Aufzug seines Begleiters hob sich davon ab, ein Anzug von der Stange ohne Schnörkel über knochigen Schultern, der nicht einmal richtig passte. Dazu hatte er einen billigen, zerknautschten Filzhut auf, während er unentwegt eine kalte Zigarre zwischen den Zähnen hin- und hergehen ließ.

Die beiden Türsteher standen stramm und fassten sich zum Salut an die Stirn. Einer sprach den zweiten Mann an: „Sie sind alle drinnen, Chef. Wir durchsuchten sie, obwohl sie Einwände hatten. Einen Moment.“ Er zog ein fleckiges Papier heraus. „Fisk, Fouquet und Brooks stellen das Komitee. Collier und Sloane sind gerade hineingegangen, also fehlt nur noch Lockhart.“

Der Mann mit den kantigen Schultern kicherte. „Gute Arbeit, Jungs. Das hier ist Mister Lockhart, der Vorsitzende der Gruppe. Denkt daran, dass wir es nicht mit einem gewöhnlichen Fall zu tun haben: Wir helfen diesen Männern, allerlei Ideologen und Politspitzel im Land aufzustöbern. Dies ist ein großartiges patriotisches Zeugnis, und wir sollten stolz darauf sein, es erbringen zu dürfen.“

Lockhart nickte in völliger Übereinkunft, sperrte die Bürotür mit einem Schlüssel auf und winkte seinen Kollegen hinein. Nachdem sie ihre Hüte und Oberteile im Vorraum ausgezogen hatten, rieb sich Lockhart freudig die Hände. „Allen, Sie haben Spitzenarbeit geleistet. Jeder von uns wurde auf die eine oder andere Weise mit dem Tod bedroht, aber Ihre Detektei verhinderte, dass die Intriganten uns auch nur den geringsten Schaden zufügen konnten. Von nun an aber werden Sie noch mehr Obacht walten lassen, denn Collier und Sloane nehmen an diesem Treffen teil. Wir heuerten die beiden als Agenten an, um gewisse Männer unter die Lupe zu nehmen, deren Interessengruppen im Verdacht stehen, öffentliche Unruhen überall im Land anzuzetteln. Sie haben sich ordentlich ins Zeug gelegt und legen nun Fakten auf den Tisch, die vielleicht die ganze Nation in Aufruhr versetzen werden.“

Joe Allen, der Leiter einer der größten Privatdetekteien der Stadt, nahm die Zigarre aus dem Mund und nickte. „Keine Sorge, Mister Lockhart. Ich weiß dreißig souveräne Männer um mich. Sie tun alles, um das Komitee unter Ihrer Ägide zu beschützen. Wir bewachen Sie zu Hause, am Arbeitsplatz und überhaupt jedem Ort, den Sie aufsuchen; wir schießen, sobald irgendwo auch nur ein Hut fällt. Jeder Besucher dieses Gebäudes wird im Foyer auf Herz und Nieren überprüft, und der Bereich oberhalb der einunddreißigsten Etage ist abgesperrt. Der Privatfahrstuhl untersteht andauernder Aufsicht.“ Lockhart ging vor und drückte die Tür zum Hauptraum auf. Drinnen saßen sechs Mann um eine viereckige Tafel, die sofort gleichzeitig aufstanden. Lockhart trat ans Kopfende und verbeugte sich kurz vor den Anwesenden, während Joe Allen selbige aufmerksam beäugte. Als er sich ihrer Lauterkeit versichert hatte, winkte er seinem Schützling zu und zog sich zurück, wobei er das Büro wieder von außen absperrte.

Alle im Raum waren sich der Tatsache bewusst, dass bald Bewegung ins Spiel kommen würde. Seit vier Monaten schon, also seit in Europa der Krieg tobte, steckte die Gesellschaft Americana Unsummen in einen Kampf gegen ausländische Spione. Die Black-Tom-Explosion 1916 stand allen noch lebhaft in Erinnerung, und jetzt drohten Attentate auf Eisenbahnbrücken oder Horrorszenarien von versenkten Militärschiffen oder vorzeitig offenbarten Truppenbewegungen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wussten sich die Vereinigten Staaten der Masse von Kundschaftern und Saboteuren kaum zu erwehren, doch jetzt wollten vier wohlhabende Männer dafür sorgen, dass sich die Tragödie von damals nicht wiederholte. Man stellte zwei ehemalige Geheimdienstler mit bereinigten Lebensläufen und glaubhaft gutem Ruf ein, zahlte ihnen ein beträchtliches Salär und ließ ihnen freie Hand für eine umfassende Hatz nach subversiven Elementen. Ihr Hauptbefehl war jedoch klar umrissen: Schmalspur-Propagandisten und Revolutionäre ohne Forum sollten links liegen gelassen werden. Sloane und Collier konzentrierten sich darauf, die Eliten auszuheben, die gut betuchten Köpfe hinter den Spionen, die die eigentliche Gefahr darstellten. Ohne Führer sollten die Kleinkaliber prompt den Schwanz einkneifen und das Weite suchen.

Americana ähnelte in vielerlei Hinsicht dem Dies-Komitee, bloß arbeitete man verdeckt und unter der Auflage strengster Geheimhaltung. Zudem musste man nicht den Amtsschimmel reiten und verzeichnete bereits denkwürdige Erfolge. Der Feind wurde dieser Torpedierung seiner Pläne natürlich gewahr, und manches Mitglied von Americana war schon mit deutlichen Worten verwarnt worden, sie sollten aufhören, mit dem Kopf gegen eine Steinmauer zu rennen.

Lockhart setzte sich, faltete die Hände und beugte sich über die Tischplatte. „Durrance“, sprach er. „Sie wohnen uns heute zum ersten Mal bei. Als international hoch angesehener Prokurist erhalten Sie von uns signifikante Beweismittel, über die Sie bitte ein Urteil abgeben möchten. Bewegen wir uns bereits in einer rechtlichen Grauzone, falls wir weiterhin so vorgehen?“

Durrance, ein untersetzter Mann Mitte vierzig, setzte behutsam seinen Zwicker mit Goldrand auf, erhob und räusperte sich. „So ist es, Gentlemen. In Ihrem Tun sind Sie gegen akkreditierte Diplomaten des Auslandes vorgegangen. Diese Männer genießen jedoch Immunität gegen Ermittlungen, wie Sie sie durchgeführt haben. Ich könnte Ihnen nun raten: Hören Sie unverzüglich damit auf und schlagen Sie sich Verdächtigungen bezüglich irgendwelcher Spione aus dem Kopf, oder Sie werden im Nu in eine Zwangslage geraten, aus der auch Ihre Millionen Sie nicht wieder befreien können. Wie gesagt, ich könnte, aber dann würde ich nie wieder mit meinem Gewissen ins Reine kommen. Stattdessen bekommen Sie dies zu hören: Zur Hölle mit den Einschränkungen. Arbeiten Sie so weiter und stellen Sie diese verdammten Schnüffler als das bloß, was sie sind: glitschige und menschenverachtende Schleichhändler, die in den Vereinigten Staaten nichts verloren haben. Vereiteln Sie ihr Vorhaben, wo immer sich die Möglichkeit auftut. Ich stehe treu hinter Ihnen und werde, falls Ärger im Verzug ist, mein Wissen in die Waagschale werfen, um Sie zu decken. Das alles kostet Sie nichts; ich erachte es als meine patriotische Pflicht und werde mich daran erfreuen.“

Man klatschte gediegen, als Durrance wieder Platz nahm. Dann wandte sich Lockhart an die beiden Männer am anderen Ende der Tafel. Sie hielten sich zurück und ließen nicht den Hauch von Begeisterung für Durrances flammende Rede durchblicken. Ihre Arme ruhten auf dem Tisch, während sie den Vorsitzenden mit starren Augen anschauten. Ihn schauderte davor; ihr Blick mutete unheilvoll an. „Collier und Sloane“, fuhr er letztlich fort, „sind unsere beiden Superagenten. Sie haben ihre Leben aufs Spiel gesetzt, um sachdienliche Informationen zu beschaffen und schicken sich nun an, uns einzuweihen. Mister Fisk betonte uns gegenüber schon, wie aufschlussreich Ihre Untersuchungen bisher waren.“

Henry Fisk, der rechts neben Lockhart saß, nickte. Er war normal groß und schlank, litt allerdings unter einer Zwangsneurose, derentwegen er ständig nervös zwinkerte. Ihm schien unbehaglich zu sein, denn er steckte einen Finger in seinen schlaffen Hemdkragen, obwohl die Klimaanlage die Temperatur im Raum konstant hielt. Für den Schweiß, der auf seiner Stirn glänzte, war es schlichtweg nicht warm genug. „Ich denke“, begann er stockend, „wir hören uns am besten zuerst an, was Sloane und Collier zu berichten haben. Vorab ist mir nur ein Teil davon zugetragen worden, aber es macht mich staunen. Wirklich, mir standen die Haare zu Berge.“

Fouquet, der gegenüber saß und für einen Mann Mitte sechzig ungemein viel Energie versprühte, zeigte sich beeindruckt, wogegen sich Hugh Brooks, ein distinguierter Kapitalgeber im internationalen Geschäft, daneben vergleichsweise träge ausmachte. Er verlor nie die Fassung oder verriet, wie er sich gerade fühlte. Lockhart winkte den beiden seltsam dreinschauenden Agenten. „Sie haben das Wort, Gentlemen“, sprach er, setzte sich wieder und schaute erwartungsvoll hinüber. Die zwei indes bewegten nicht einen Muskel. Fisk, der mit am dichtesten neben ihnen saß, stieß urplötzlich seinen Stuhl zurück und stieß einen erstickten Schrei aus. „Mein Gott, sie sind tot!“

Lockhart sprang auf, mit ihm fassungslos alle übrigen. Er rannte um die Tafel und packte Colliers Schulter, woraufhin der Agent seitwärts umkippte und langsam vom Stuhl rutschte. Sein Partner Sloane sah aus wie eine Sphinx aus Eis, und Lockhart brauchte ihm bloß ins Gesicht zu schauen, um ihn als tot zu deklarieren. Mit seinen Augen stimmte etwas nicht; seine Pupillen waren nicht mehr sichtbar, quasi bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Lockhart sah von Mann zu Mann. Niemand sagte etwas, wohl weil man sich außerstande dazu sah. Dann zog er einen kleinformatigen Umschlag aus der Tasche und öffnete ihn, entnahm eine weiße Karte und las mit zittriger Stimme vor: „Ihre Agenten werden keinen Bericht erstatten. Von nun an sind Sie verdammt. Sie sind auf eine Kobra getreten. Schlangen beißen.“

„Dies fiel mir heute Morgen zu“, fügte er an. „Weil ich glaubte, niemand könne unsere Agenten anfechten, behielt ich es für mich. Großer Gott, Collier und Sloane sind selbst in diesen Raum gekommen. Anscheinend habe ich mich geirrt. Fisk, klopfen Sie an die Tür, damit Privatdetektiv Joe Allen aufmacht. Wir werden die Polizei verständigen müssen, Gentlemen.“

Fisk wollte antworten, doch seine Stimmbänder schienen gelähmt zu sein. Die Hand, mit der er schwach gegen die Tür getippt hatte, schlotterte heftig, aber draußen drehte man den Schlüssel, und herein trat Joe Allen. Nachdem er den Schrecken ob der beiden Toten verwunden hatte, machte er sich ans Werk, sie flugs zu untersuchen, zuerst Collier und dann Sloane, der immer noch saß.

„Aufpassen“, sprach er mit rauer Stimme. „Niemand verlässt dieses Büro, verstanden? Keiner von Ihnen. Diese beiden Männer wurden ermordet. Jemand hier drin muss ihnen eine Injektionsnadel ins Genick gestochen haben, vermutlich mit einem starken Gift. Ich sah doch, wie sie den Raum betraten; sie waren vollkommen wohlauf.“ Lockhart schaute sich erneut um. „Wo ist Fisk? Was ist mit ihm?“ Joe Allen stand hastig auf, stürzte durch den Vorraum und öffnete die Tür zum Flur. Zwar wussten seine beiden Wächter, dass irgendetwas nicht stimmte, doch sie hielten sich an die Order, auf ihrem Posten zu bleiben. Zumindest ihre Waffen hatten sie aber nun gezückt. „Fisk?“, fragte einer zurück, als Allen ihn schroff anfuhr. „Sicher, er kam heraus, als flöge eine Kugel hinter ihm her, stammelte etwas von wegen Mord und rannte zum Fahrstuhl. Wir kümmerten uns nicht darum, weil Sie uns nur auftrugen, niemanden hineinzulassen. Sowieso, er hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank; man stelle es sich vor: Mord dort drinnen.“

„Doppelmord sogar, ihr Trottel“, erwiderte Allen wütend. „Sagt den anderen unten Bescheid, sie sollen Fisk schnappen. Schießt ihm die Kniescheiben weg, wenn es sein muss.“ Er selbst eilte zurück in den Konferenzraum und blieb an der zweiten Tür stehen, um die fünf Männer zu begutachten, die noch um den Tisch standen. Lockhart wartete ungeduldig darauf, dass jemand etwas unternahm, während Fouquet abgehärmt wirkte und bleich die noch aufrechte Leiche anstarrte, ohne den Blick davon abwenden zu können. Hugh Brooks’ Emotionen hingegen blieben so undurchsichtig wie immer. Er klopfte mit einem Radiergummi auf die Tischplatte und zeigte nicht einmal ansatzweise, was dieser mysteriöse Mord in ihm ausgelöst haben mochte.

„Fisk hat sich verpisst“, raunte Allen. „Ich meine, er ist davongelaufen. Er weiß also wohl etwas. Ich habe alle meine Leute darauf angesetzt, ihn zu fassen.“

Fouquet fragte zaghaft: „Glauben Sie, er hat die zwei Männer auf dem Gewissen?“

Allen ruderte verärgert mit den Armen. „Ach, wie soll ich das jetzt schon sagen können? Das ist die Aufgabe der Polizei und entzieht sich unserer Kontrolle. Mister Lockhart, Sie sollten im Departement anrufen.“ Der Angesprochene nickte bloß, ging in den Vorraum und von dort aus in ein anderes Büro. Drei, vier Minuten vergingen, ehe Fouquet vors Fenster trat und hinaussah. Unten wuselten die Menschen wie winzige Punkte herum. Er öffnete und beugte sich vorsichtig übers Sims.

„Allen“, rief er auf einmal. „Allen, schauen Sie nur. Ich glaube, dort ist jemand verletzt. Er liegt auf dem Bürgersteig, soweit ich es erkenne.“

Allen grummelte etwas von wegen unpässlicher Störung, warf aber dennoch einen Blick hinunter. Als er den Kopf wieder einzog, sah auch er aus, als hätte er ein Monster gesehen. „Bleiben Sie alle hier“, gebot er. „Falls Sie so leichtsinnig sind und sich zeigen, wird der Killer vielleicht wieder zuschlagen. Ich gehe nach unten. Mir schwant Übles; der Tote dort ist wahrscheinlich Lockhart.“ Damit rannte Allen aus dem Raum. Bevor er den Privatfahrstuhl nahm, schaute er sich noch im gleichen Stockwerk nach Lockhart um, wurde aber nicht fündig. Im Erdgeschoss flog er durchs Foyer, drängte sich durch den Menschenauflauf und blieb schlagartig stehen. Der Mann auf dem Pflaster war von oben heruntergefallen. Dass es sich um Lockhart handelte, stand eindeutig fest, weil er exakt die gleiche Statur hatte und seine Kleider trug. Nichtsdestoweniger war es unmöglich, ihn mit Gewissheit zu identifizieren, weil er an und für sich kein Gesicht mehr hatte. Der Kopf war nunmehr ein einziger blutiger Klumpen aus wie durch den Wolf gedrehtem Fleisch.

Ein Einsatzwagen der Polizei fuhr vor. Nachdem das Heulen der Sirene verstummt war, stieg Detective Lieutenant McGrath vom Morddezernat aus, ein vierschrötiger Mann in den Vierzigern mit aufgedunsenen Zügen, der jedoch unheimlich flink sein konnte, wenn es darauf ankam. Er strahlte permanente Bereitschaft aus, zudem galt er als einer der fähigsten Männer in seinem Metier. Ein einziger Fluch lastete auf McGrath – die Schwarze Fledermaus. Man musste bloß den Namen erwähnen, und sein Blutdruck schnellte in die Höhe. Als Joe Allen ihn sah, schob er sich hinüber und zupfte an seinem Ärmel. McGrath fiel gleich mit der Tür ins Haus: „So, so. Sie schnuppern also auch an dieser Schweinerei mit Ihrem langen Riechkolben?“

„Würde sagen, ich stehe bis zu den Knöcheln mittendrin“, erwiderte Allen, „wenn nicht noch tiefer. Dieser Mann ist nicht der einzige Tote. Im zweiunddreißigsten Stockwerk sind zwei FBI-Agenten, ehemalige im wahrsten Sinn des Wortes. Jemand hat ihnen vergiftete Nadeln ins Genick gestochen. McGrath, falls Sie noch nie mit dem Unmöglichen konfrontiert worden sind, feiern Sie jetzt Premiere. Die beiden wurden vor den Augen von fünf Zeugen kaltgemacht, die allesamt nicht dicht genug dran waren, um es getan zu haben. Da sind Sie baff, was?“

McGrath zeigte auf die grausam zugerichtete Leiche. „Und der Kerl hat wohl versucht, auf dem Fensterbrett zu spazieren. Seien Sie nicht albern, Allen. Wenn dort oben also zwei Morde geschehen sind, war er der Täter und hat sich zum Trockenschwimmen angeschickt, statt auf den elektrischen Stuhl zu warten. So einfach ist das.“

„Ach ja“, fragte Allen höhnisch. „Dann wissen Sie aber nicht, wer dort liegt: Es ist Lockhart, der dicke Fisch persönlich. Er heuerte die beiden Ermordeten an und bezahlte sie zur Informationsbeschaffung. Wieso sollte er sie dann aus dem Weg schaffen?“

McGrath stieß einen leisen Pfiff aus und verzog das Gesicht. „Lockhart also. Sie verlassen die Stadt nicht, Allen; wenn Sie ihre Lizenz zum Herumstochern behalten wollen, bleiben Sie hier, verstanden?“

 

 

Kapitel 2
Unfall oder Mord?

 

Nahezu direkt am anderen Rand der Stadt saß ein Mann vor seinem häuslichen Kamin. Tony Quinn hatte einst große Hoffnungen als Bezirksstaatsanwalt gehegt und trotz seiner Jugend bereits ein Attentat hinter sich. Im Zuge einer Auseinandersetzung mit Ganoven war er erblindet, als diese versucht hatten, ein wichtiges Beweisstück mit Säure zu vernichten.

Ein Mann mit schmalem Gesicht und fast vollkommener Glatze trat ein und stellte behutsam ein Tablett auf einem Tischchen ab. Nachdem er Kaffee eingeschenkt hatte, reichte er Quinn die Tasse. Norton Kirby, besser bekannt als Silk, war Quinns engster Vertrauter und Diener in allen Lebenslagen. Nur im Beisein Fremder übernahm er das Sehen für seinen Freund, denn Tony Quinn war nicht mehr wirklich blind. „Wunderbarer Tag“, bemerkte er lächelnd. „Ich habe Lust, mir die Beine zu vertreten und draußen eine Weile den Mann am Stock zu mimen. Man muss zusehen, dass man in Form bleibt.“

Silk goss einen Schwall Sahne ein und ließ ein Zuckerstück in die Tasse plumpsen. „Manchmal“, seufzte er, „wünsche ich mir, Sie würden diese Maskerade aufgeben und bekannt geben, dass Sie nicht blind sind, Sir. Ewig kommen Sie damit nicht durch, denn früher oder später wird ein gewiefter Verbrecher dahinterkommen, dass Tony Quinn die Schwarze Fledermaus ist, falls Lieutenant McGrath Sie nicht bereits vorher entlarvt.“

Da wuchs sich Quinns Lächeln zu einem Freudenstrahlen aus. Er hatte markige Züge, die auf einen gutherzigen Menschen schließen ließen, obschon sich mancher vor Ekel abgewandt hätte. Die Säure, die in seine Augen gelaufen war, hatte sein Fleisch schwer verätzt. Er nahm sich immer wieder vor, nicht an die Narben zu denken, während sie andere darauf stießen, dass er seine Sehkraft verloren haben musste. Wiedererlangt hatte er sie folgendermaßen: Eines Nachts, Monate nach dem Kampf gegen die Halunken mit der Säure, als er einen seelischen Tiefpunkt erreicht hatte, war eine junge und äußerst hübsche Frau aus dem Nichts erschienen. Sie hieß Carol Baldwin und hatte Quinn aufgetragen, insgeheim einen Chirurgen zu konsultieren, der in einer Kleinstadt im tiefsten Süden von Illinois praktizierte. Dort ward ihm in einer Operation das Augenlicht zurückgegeben, nachdem ein Fremder seine gesunden Hornhäute gespendet hatte. Erst später war Quinn klar geworden, dass er es Carols Vater zu verdanken hatte, einem Ex-Polizisten. Der war von einer Kugel in den Hinterkopf getroffen worden, die mehrere Nerven durchtrennt und ihn blind gemacht hatte. Fern jeglicher Hoffnung und im Sterben hatte er seine Tochter darum gebeten, Quinn an jenen Arzt zu vermitteln. Unterdessen geschickten Händen hatte er das Sehen wieder gelernt, sozusagen durch die Augen des siechen Beamten, der kurz darauf verstorben war. Sein Tod bedeutete den Beginn eines neuen Lebens für Tony Quinn.

So war die Schwarze Fledermaus geboren worden. Seine Genesung hatte er strikt geheim gehalten, denn er wollte die Kriminalität mit ihren eigenen abwegigen Waffen besiegen. Den blinden Bezirksstaatsanwalt im Pflegeruhestand verdächtigte niemand. Nachts aber verwandelte sich Tony Quinn mit schwarzer Kleidung sowie einer Kapuze, die seinen Kopf ganz verhüllte, und nicht zuletzt einem Flugmembranen gleichenden Umhang mit Rippen in die Fledermaus. Die Unterwelt hatte diese Gestalt kennen und fürchten gelernt. Legenden rankten sich um seine sagenhaften Kräfte, aber die ganze Wahrheit kannten nur drei Menschen. Wie zur Wiedergutmachung nach monatelanger Blindheit durfte Quinn feststellen, dass er im Dunkeln so gut sah wie bei hellstem Sonnenlicht, und dies selbst in leuchtenden Farben. Hör- und Tastsinn hatten sich während der lichtlosen Zeit gleichermaßen weiterentwickelt; die Schwarze Fledermaus war mit allen Sinnen bestens gewappnet.

Zu seinen drei Mitwissern gehörte natürlich Silk, ein einstiger Trickbetrüger und wenn nötig so glatt wie die Seide, auf die sein Spitzname von dereinst noch hindeutete. Der zweite Mann hieß Jack O’Leary oder Butch. Er hatte einen stämmigen Körperbau und neigte zur Übermäßigkeit, womit er trotz seiner im Vergleich zu Silk langsamen Auffassungsgabe ein ernst zu nehmender Gegner für jeden Aufwiegler wurde. Er sah sich eng mit der Fledermaus verbunden, weshalb ihm keine Folter der Welt die wahre Identität des Rächers abgetrotzt hätte. Dritte im Bunde war Carol Baldwin. Auch die blonde und sehr attraktive Tochter seines Wohltäters nahm aktiv am Feldzug gegen all diejenigen teil, die meinten, über Gesetze erhaben zu sein. Quinn und sie einte mehr als lose Freundschaft, und wie Butch wohnte Carol nicht weit vom Anwesen des Bezirksstaatsanwaltes entfernt. Zu ihm gelangten sie in der Regel durch einen versteckten Tunnel, denn die Fledermaus ging kein Risiko ein und wollte sie nicht gefährden.

Nachdem Quinn seinen Kaffee getrunken hatte, tastete er mit der linken Hand nach dem Tisch und stellte die Tasse ab. Zu keiner Zeit vergaß er, dass man ihn für völlig blind halten musste. Selbst wenn er sicher war, dass niemand ihn beobachtete, spielte er seine Rolle perfekt. Einzig bei seiner Verwandlung in die Fledermaus änderte sich dies.

An der Haustür schellte es, woraufhin Silk schreckhaft in die Höhe fuhr und die Augen ahnungsvoll rundgehen ließ. Quinn indes lehnte sich entspannt im Sessel zurück. Seine Augen glichen denen eines Toten, wie sie knapp über die Glut im Kamin starrten. Selbst ein erfahrener Arzt wäre nicht darauf gekommen, dass dieser Mensch sehen konnte.

Silk geleitete einen elegant gekleideten Mann herein, der in heller Aufregung zu sein schien. Nachdem er sich auf Silks Angebot hin in einen Sessel bequemt hatte, beugte er sich zu Quinn nach vorn. „Mein Name ist Rigby“, stellte er sich vor. „Erinnern Sie sich an mich?“

Quinn schüttelte langsam den Kopf und runzelte gedankenvoll die Stirn. „Sähe ich Ihr Gesicht, fiele es mir vielleicht wieder ein, aber Ihre Stimme zumindest glaube ich zu kennen.“

„Ich arbeitete fürs FBI“, entgegnete Rigby. „Das war etwa acht Monate vor dem Tag, als Sie, nun ja … blind wurden. Wir unterhielten uns damals recht lange über einen eher vernachlässigbaren Spionageversuch. Als Bezirksstaatsanwalt halfen Sie uns, die Organisation rasch zu zerschlagen.“

Quinns Miene klarte auf. „Natürlich“, antwortete er. „Wie geht es Ihnen, Mister Rigby? Was kann ich für Sie tun?“

Rigby senkte die Stimme, bis man ihn fast nicht mehr verstand. „Es geht wahrhaftig mit dem Teufel zu, Mister Quinn. Eine Gruppe Millionäre, die sich Americana nennt, hat mich sowie zwei andere Ex-Agenten eingespannt. Diese Leute stecken eine Menge Zeit und Geld in eine der weitläufigsten Jagden auf Spitzel, von denen ich je gehört habe. Hehre Arbeit, sicher, aber auch gefährlich. Ich vermute, dass der Feind von meinem Tun weiß; vor ungefähr zwei Stunden wurde ich um ein Haar vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen. Dass ich nicht gestürzt bin, war schieres Glück.“

„Aber was wollen Sie von mir?“, fragte Quinn hör- und sichtbar verwirrt.

Rigby rückte dichter heran. „Ich glaube, jener Spionagering damals, der durch Schmuggelhandel auf sich aufmerksam gemacht hat, wie Sie vielleicht noch wissen, bildet den Kern der weitverzweigten Vereinigung, mit der wir es jetzt zu tun haben. Das FBI betraute Sie mit der Strafverfolgung, nachdem auch ein Mord geschehen war. Sie unterhielten sich mit Schlüsselfiguren in der Affäre; erzählten die irgendetwas Erhebliches? Ich denke an die Namen ihrer Geldgeber und Befehlshaber.“

Quinn schüttelte nur wieder langsam den Kopf. „Zwei Männer waren es, die des Mordes an einem Polizisten angeklagt und letztlich auch verurteilt wurden. Sie starben auf dem elektrischen Stuhl, ohne etwas preisgegeben zu haben. Spione werden wohl ausradiert, bevor sie sich zu tief verstricken. Erzählen Sie mir mehr von diesem Bund. Wie hieß er, Americana? Wer sind die Mitglieder? Ich würde mich gern finanziell beteiligen; jemand wie ich muss sich irgendwie nützlich machen.“

Rigby seufzte und erhob sich. „Tut mir leid, Sir. Ich habe versprochen, keine Informationen weiterzureichen, selbst nicht an vertrauenswürdige Personen, zu denen Sie gehören, wie ich weiß. Ich hoffte bloß, Sie seien ein wenig schlauer als ich. Sloane und Collier, meine beiden Kollegen, müssen etwas Entscheidendes aufgedeckt haben. Ich für meinen Teil habe nichts weiter herausgefunden, als dass Taschenuhren fliegen können?“

Quinn legte einmal mehr die Stirn in Falten. „Taschenuhren fliegen? Was für ein Nonsens ist das?“

„Ich bin mir nicht sicher, ob man es gleich abtun sollte“, entgegnete Rigby. „Genau darin liegt auch das Problem bei dieser Sache: Ich bin mir in keinerlei Belangen sicher, ganz im Gegensatz zu Sloane und Collier. Sie wissen, was es mit dieser Uhr auf sich hat, weshalb ich einen anderen Blickwinkel auf den Fall einnehme und dies ihnen überlasse.“

„Wirklich rätselhaft“, sann Quinn. „Ich würde gern mehr darüber erfahren. Blinde brauchen immer Stoff, an dem sie sich gedanklich abarbeiten können.“

Rigby reichte ihm die Hand. „Verzeihung, aber selbst wenn ich mehr wüsste, dürfte ich es Ihnen an diesem Punkt nicht sagen. Machen Sie sich nicht die Mühe, mich zur Tür zu begleiten, Mister Quinn. Ich finde allein nach draußen.“

Der Hausherr grinste. „Ich wollte gerade einen Spaziergang machen, als Sie kamen, also komme ich jetzt mit nach vorn.“ Dort verabschiedete sich Rigby, ehe er zügig durch den Vorgarten zur Straße ging. Gerade erreichte er den Bürgersteig, und Quinn drehte sich um, als er brüllend lautes Motorengeräusch hörte. Da fuhr er wieder herum, wobei der ausdruckslose Glast in seinen Augen verschwand. Eine breite Limousine raste heran und lenkte ein Richtung Straßenrand. Rigby sah sie, stieß einen aufgeregten Schrei aus und versuchte, aus dem Weg zu springen, doch das Auto fuhr über den Bordstein und rammte den Ermittler so, dass er zurück gegen eine hohe Steinmauer geschleudert wurde.

„Silk“, rief Quinn. „Silk, schnell!“

Der Butler kam durch den Flur gelaufen, schaute durch die Tür und brauchte nicht lange, um die Situation zu erfassen. Er rannte auf den stehen gebliebenen Wagen zu, während Quinn ungeduldig mit seinem Stock auf die Bohlen der Veranda klopfte. Gern wäre er nachgegangen, um herauszufinden, was vorgefallen war, doch andere Menschen nahten bereits, und er galt eben als blind. Streifen- und Krankenwagen folgten. Als Silk zurückkehrte, war er leicht blass geworden. „Tot, Sir. Weiß Gott, wie viele Knochen er sich bei dem Aufprall gebrochen hat. Der Täter ist über die Mauer geflohen und ward nicht mehr gesehen. Die Beamten meinen, das Auto sei vor einer Stunde gestohlen worden.“

Ganz unerwartet packte Quinn seinen Diener fest mit einer Hand. Ein zweiter Einsatzwagen war vorgefahren, und Lieutenant McGrath stieg aus. „Er wird erfahren, dass Rigby meinetwegen in der Gegend war, ehe er getötet wurde. Man hat gesehen, wie er aus dem Haus ging.“

„Na und?“, fragte Silk. „Ist es unlauter, dass ein Mann Sie besucht und wenige Minuten später Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht wird?“

Quinn verneinte. „“