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G. G. Grandt

HEXENKESSEL UKRAINE

 

 

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In dieser Reihe bisher erschienen:

 

1601  Terrorhölle Kenia

1602  Hexenkessel Ukraine

G. G. Grandt

 

 

Hexenkessel Ukraine

 

 

SNAKE

Band 2

 

 

 

 

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© 2015 by BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Serienkonzept: Guido Grandt

Titelfoto: Paul Matthew Photography by Shutterstock (123228679)

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-352-0

1. Kapitel

 

20. Februar 2014, Kiew, Ukraine.

Es war ein Schlachtfeld. Mitten im Zentrum der Stadt. Hoch loderten die Flammen in einen eisgrauen, gleichgültigen Himmel hinauf, der nicht einmal weinte. Barrikaden aus alten, verrosteten Ladas, Wohnungstüren, Möbelstücken, Einkaufswagen und Autoreifen brannten neben Eisblöcken und rußgeschwärzten Gebäuden. Über den Majdan Nesaleschnosti, den Platz der Unabhängigkeit, zogen dicke, schwarze, in Augen und Lungen beißende und stechende Rauchschwaden wie der Odem der Hölle. Genau da, wo noch vor wenigen Wochen Menschen lachend, singend und tanzend auf provisorischen Bühnen mehr Freiheit gefordert hatten, wo Sprechchöre zum Ruhm der Ukraine und für Frieden aufgeklungen waren, erstickte der Majdan geradezu in Qualm, Schutt und Asche. Doch statt Eintracht und Frieden folgten Zwietracht, Spaltung, Gewalt und Tod. Über Lautsprecher, die auf der zentralen Majdanbühne installiert waren, brüllten die Anführer der Revolution taktische Anweisungen zu den Demonstranten hinunter. Stachelten sie mit pathetischen Sprüchen und politischen Lügen gegen die Staatsmacht auf, die ihrer Meinung nach aus dem Land vertrieben werden musste.

Vermummte Aktivisten in Anoraks und Turnschuhen, einige von ihnen mit Gasmasken, schleuderten den aufmarschierten Polizeikräften Molotowcocktails entgegen. Dabei setzte sich manch einer von ihnen, der den Umgang mit den hochgefährlichen Brandflaschen unterschätzte, selbst in Brand, wälzte sich schreiend auf dem schneebedeckten Boden, bis Hilfe kam. Die Gesichter der Unmaskierten waren mit Asche, Schweiß und Blut verschmiert. Insignien der Revolution.

Es war wie im Krieg. Und tatsächlich war es auch ein solcher.

Ein Bürgerkrieg.

Binnen kürzester Zeit war die ukrainische Hauptstadt zu einem Schauplatz eines nahezu apokalyptischen Weltuntergangsszenarios geworden.

Das alles dachte Michail Petrow, Leutnant der berüchtigten, regierungstreuen Berkut-Sonderpolizei, die direkt dem Innenministerium unterstellt war. Die Berkut wurde für bewaffnete Spezialoperationen eingesetzt, wie jetzt bei der Bekämpfung der Majdan-Aufstände.

Es war noch nicht einmal sechs Uhr an diesem frühen Morgen. Schulter an Schulter stand Petrow in seiner wattierten blaugrauen Tarnfleckuniform mit dem Berkut-Emblem, einem Steinadler, zusammen mit seinen Kollegen hinter dem metallblanken Schutzschild auf dem Majdan. Kiews zentraler Ort wurde durch den Chreschtschatyk, der mehrspurigen Hauptverkehrsstraße, in einen nördlichen und einen südlichen Teil getrennt. Er war verbunden mit einem unterirdischen Einkaufszentrum und der Unterführung einer Metrostation.

Die Nordseite des Majdans, von der fünf große Straßen abgingen, wurde von sieben Gebäuden im Stil des sozialistischen Klassizismus umrahmt. Erzengel Michael, der Schutzpatron der Stadt, der am Ljadski-Tor in Form einer Bronzestatue wachte, schien schon seit geraumer Zeit die Augen vor der ausufernden Gewalt zu verschließen. Im nahen Michaelkloster verarzteten Freiwillige erschöpfte und verwundete Protestler, von denen einige um ihr Leben kämpften. Kiew versank geradezu im Chaos.

Die westliche Seite wurde von der Nationalen Musikakademie flankiert. Östlich war ein ausgeschalteter, überdimensionaler Fernsehbildschirm zu erkennen.

Leutnant Petrow befand sich mit seiner Berkut-Einheit auf der Südseite des Unabhängigkeitsplatzes, der hier einen Durchmesser von siebzig Metern hatte. In seiner Mitte stand das berühmte Unabhängigkeitsdenkmal. Eine Frauenstatue aus Gussbronze, teilweise vergoldet, die einen Kalynazweig über ihrem Kopf hielt. Das Symbol der Nation. Die Blumenrabatten, die den Platz ansonsten säumten und dekorierten, waren zertreten oder mit Verletzten gefüllt, die notdürftig von Ärzten versorgt wurden. Auf den drei Springbrunnen, die die legendären Gründer Kiews schmückten, lag grauer, vom Rauch verfärbter Schnee. Von den Granitplatten, die den Majdan in Form eines ukrainischen Stickereimusters pflasterten, war nicht mehr viel übrig. Schon längst waren sie von den Aufständischen zerschlagen und als Wurfgeschosse gegen die Regierungsmilizen benutzt worden. Ebenso wie in den umliegenden Straßen hatten Rentner und Jugendliche Steine aus dem Boden gehackt und als Munition für die Protestler gestapelt. Die Fläche zwischen dem McDonald’s-Restaurant, dem Gewerkschaftshaus und der Unabhängigkeitsstatue war geradezu von brennenden Autoreifen eingezäunt.

Die Unruhen, die seit November letzten Jahres nicht nur die Hauptstadt, sondern inzwischen das ganze Land erfassten, waren bei Weitem gewalttätiger als noch 2004 bei der Orangefarbenen Revolution. Auch jene hatte Leutnant Petrow damals miterlebt. Allerdings ging es dieses Mal nicht nur um einen puren Protest gegen Wahlbetrügereien bei den Präsidentschaftswahlen. Nein, dieses Mal ging es um einen regelrechten Putsch, einen Staatsstreich, um den russlandtreuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu stürzen.

Auslöser dafür war, dass die Regierung das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen wollte. Daraufhin begannen die Demonstrationen, bei denen alleine in Kiew über fünfhunderttausend Menschen auf die Straße gingen. Manche Medien sprachen sogar von bis zu einer Million. Um den Ablauf der Proteste zu koordinieren, richteten die Oppositionsparteien Batkiwschtschyna, Vitali Klitschkos UDAR und die rechtsnationale Swoboda eine Zentrale des nationalen Widerstands ein.

Auf dem Majdan wurde eine Zeltstadt aufgebaut und umliegende Gebäude besetzt. Als Demonstranten versuchten, Regierungssitz sowie Administrationsgebäude des Präsidenten mit Baggern, Metallsägen und Pflastersteinen zu stürmen, setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Schlagstöcke, Blendgranaten und Tränengas ein. Anfang Dezember 2013 durchbrachen achthundert Soldaten der Spezialeinheiten Tiger und Leopard die Blockaden, nahmen verschiedene U-Bahn-Stationen ein und begannen mit der Räumung der Protestlager im Regierungsviertel. Unterstützt wurden sie dabei von den Antiterrormilizen Alfa und Omega. Die Berkut gingen ebenfalls zu Gegenangriffen über, bei denen Demonstranten und Journalisten verletzt wurden. Mitte Januar 2014 spitzte sich die Lage immer weiter zu, nachdem die Regierungsgegner versuchten, erneut das Parlament zu stürmen. Das Chaos hielt an. Aktivisten besetzten das Rathaus. Auf beiden Seiten gab es mehrere Hundert Verletzte. Sogar Tote, denn es wurden scharfe Waffen, Katapulte, Molotowcocktails sowie Splittergranaten eingesetzt.

Auch in anderen Städten, wie etwa in Lemberg oder Riwne, kam es zu gewalttätigen Krawallen. Und das, obwohl Präsident Janukowytsch und die parlamentarische Opposition einen Waffenstillstand ausgehandelt hatten. So waren die schweren Ausschreitungen am heutigen Tag ebenfalls außer Kontrolle geraten.

Petrows Berkut-Einheit stand vor dem Oktoberpalast an der Instytutska-Straße in der Nähe des sechzehnstöckigen Hotel Ukrajina. Es thronte auf einem Hang über der Südseite des Majdan. Hier hatten die Regierungsgegner siebenundsechzig Polizisten als Geiseln genommen. Diese sollten nun befreit werden. Und zwar mit allen Mitteln.

Längst schon waren die Aktivisten äußerst gewalttätig, bildeten eigene Selbstverteidigungseinheiten, bei denen es sich überwiegend um gut ausgerüstete, zumeist extrem rechtsnationale Gruppierungen handelte. Wie beispielsweise die fünftausend Milizionäre des Rechten Sektors. Ihr Anführer Dmytro Jarosch verkündete vor zwei Wochen, dass seine Männer zum bewaffneten Kampf bereit seien. Das Gros der friedlichen Demonstranten wurde von den Extremisten instrumentalisiert. Ihr Zorn auf die propagierten Ungerechtigkeiten des Janukowytsch-Regimes war in puren Hass umgeschlagen.

Auch andere radikale Oppositionsorganisationen erkannten die Abmachung zum Gewaltverzicht nicht an, warfen Feuerwerkskörper und hochgefährliche Brandsätze auf die Regierungskräfte. Doch dabei blieb es keineswegs. Die Rechtsextremen unter ihnen scheuten nicht davor zurück, mit scharfen Waffen zu schießen, und lösten damit ein Blutbad aus, weil Polizei und Sicherheitskräfte gleichermaßen antworteten. Bislang gab es siebzig Tote und Hunderte Verletzte. Es schien, als ob die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, aus Chaos, Wut und Hilflosigkeit nicht mehr zu stoppen war. Das ukrainische Volk befand sich inmitten eines Feuersturms.

Leutnant Michail Petrow sah Aktivisten auf der Instytutska Ulica Verwundete von der vordersten Linie in die Lobby des Hotel Ukrajina bringen. Von dieser Seite aus rückten auch bewaffnete Demonstranten nach. Die Berkut-Einheit musste sich beeilen, wenn sie ihre festgehaltenen Kollegen befreien wollte.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, erteilte der Kommandeur über Funk den Befehl zum Angriff auf den Oktober-Palast. Von dort krachten nun Schüsse auf, deren Detonationen im Lärm untergingen, der allgemein auf den Straßen herrschte.

Mindestens drei Schützen lagen auf den Dächern der Palastgebäude. Der Beamte neben Petrow schrie auf, als ihn eine Kugel am rechten Oberschenkel erwischte. Noch bevor er zu Boden sackte, stützte ihn der Leutnant mit seiner freien Hand ab. Außer ihren schwarzen Helmen mit den Plastikvisieren und dem Brustschutz besaßen sie nur die metallblanken Schutzschilde, die jedoch keine Kugeln abhielten. Genauso wenig konnten sie sich mit ihren Schlagstöcken gegen Heckenschützen wehren.

Mit Entsetzen stellte Petrow fest, dass die Aufständischen weiter mit scharfen Waffen schossen. Der Kommandeur ordnete nun den sofortigen Rückzug an. Der Gegenangriff war gescheitert. Vielleicht ergab sich noch ein besserer Zeitpunkt, um die Kameraden aus dem Oktoberpalast zu befreien.

In geordneter Reihe lief die Einheit auf die andere Straßenseite zum Kinopalast, um sich vor der Metrostation Arsenalnaja zu sammeln. Petrows Blick fiel zufällig auf ein offenes Fenster des nun seitlich von ihm gelegenen Hotel Ukrajina. Es war das Fünfte von links und das Zweite von oben, wie er später im Einsatzbericht notierte. Ein Scharfschütze lauerte mit angelegter Kalaschnikow an der Fensteröffnung, visierte durch das Zielfernrohr seine Opfer an. Er gehörte ebenfalls zu den Aktivisten, das konnte Petrow an seinem grünen Helm erkennen. In diesem Moment feuerte der Sniper auf die Menschenmenge unter sich. Gleich darauf brach ein Journalist auf dem aufgerissenen Kopfsteinpflaster zusammen. Das große weiße Presseschild auf seiner Brust war blutverschmiert.

Aus mindestens einem Dutzend Gebäude, die fest in der Hand der Oppositionskräfte waren, wurden die Menschen mit Kalaschnikows und Jagdgewehren unter Beschuss genommen. Darunter der Kinopalast, die Philharmonie, die Arkada-Bank, das Gewerkschaftshaus, das Kozatski-Hotel und das Musik-Konservatorium. Ebenso das an Wänden und Decken vom Feuer zerfressene Hauptpostamt. Dort hatte im 5. Stock der Rechte Sektor sein Hauptquartier aufgeschlagen und zahllose Waffen deponiert, wie den Sicherheitskräften bekannt war. Vor zwei Tagen hatte die auf Antiterrorkampf spezialisierte Alfa-Einheit, die dem Inlandsgeheimdienst SBU unterstellt war, versucht, die Post zu stürmen. Doch der Angriff schlug fehl, weil die Verteidiger scharfe Munition verwendeten und Teile des Gebäudes in Brand steckten. Über Funk konnte Petrow hören, dass auch aus einigen Häusern der Museumsgasse und der Gorodetskowo-Straße gefeuert wurde.

Die Sniper hatten es jedoch nicht ausschließlich auf die Sonderpolizei abgesehen, sondern schossen gezielt mitten in die Menge der Demonstranten, Unbeteiligten und Helfer. Eine Sanitäterin wurde am Hals getroffen, ein Mann, der auf dem Majdan Essen verteilte, mit Schrotkugeln durchsiebt.

Das kann doch nicht wahr sein! Die Oppositionellen schießen auf ihre eigenen Leute!

Michail Petrow hatte Mühe, seiner Einheit hinterherzukommen, weil er weiter seinen verletzten Kollegen stützte, der neben ihm her humpelte.

Panik brach aus. Frauen und Männer zerrten Verwundete an Schultern, Armen und Beinen hinter Autos, Bäume, Mauern und Plakatwände in Deckung. Alle dachten, dass die Sonderpolizei das Feuer eröffnet hätte, dabei floh diese selbst vor dem Kugelhagel. Und das, obwohl sie noch zwei Tage zuvor große Teile der besetzten Innenstadt zurückerobern konnten. Nun mussten sie so schnell wie möglich aus dem unmittelbaren Schussfeld der Sniper gelangen.

Aus Petrows Funkgerät tönten hektische Befehle. Das Berkut-Kommando zog sich fast panikartig die Instytutska Ulica in Richtung der Präsidialadministration zurück und nicht mehr, wie vorgesehen, zur Metrostation Arsenalnaja. Die Hundertschaften von Demonstranten, die nachrückten, wurden nicht nur zu Opfern der eigenen Scharfschützen, sondern auch der Einheiten, die sich im Regierungsviertel verschanzt hatten und ihren Kollegen Feuerschutz gaben. Männer mit Bauarbeiterhelmen wagten sich später aus ihrer Deckung, legten den Toten verdreckte Jacken auf die Gesichter und trugen sie auf Spanplatten-Tragen weg.

Als die Berkut-Miliz sich hinter den Polizeibarrikaden vor der Präsidialadministration, dem Ministerkabinett und der Nationalbank sammelte, übergab Leutnant Petrow den angeschossenen Kollegen in die Obhut eines Arztes. Von ihm erfuhr er, dass es drei tote und einundzwanzig durch Schussverletzungen verwundete Beamte zu beklagen gab. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass es am Ende des Tages insgesamt siebzehn Tote und fast zweihundert von Kugeln Getroffene sein würden.

Inzwischen erwiderten die Scharfschützen der Polizei von den Regierungsgebäuden das Feuer auf die gegnerischen Heckenschützen. Ebenso auf ihre Spotter, ihre Assistenten. Aber auch auf die Hundertschaften von gewaltbereiten Demonstranten, die überwiegend aus rechtsextremen Milizionären bestanden. Der Einsatzbefehl lautete jedoch, gezielte Schüsse auf die Beine abzugeben. Nicht jeder hielt sich daran.

„Hast du das gesehen?“, fragte Unterleutnant Alexei Grigorjew seinen Freund Michail Petrow, der mit ihm hinter den Barrikaden stand, um sich kurz auszuruhen. „Die Sniper gehören zu den Majdan-Verteidigern. Sie schießen sogar auf ihre eigenen Leute!“ Grigorjew war außer sich.

Petrow nickte traurig, als er an die getroffene Sanitäterin, den Essensverteiler und die vielen anderen Unschuldigen dachte.

„Hundert Tote auf dem Majdan!“, brüllte der Kommandeur ins Funkgerät. Seine Stimme klang belegt. Dieser Tag ging in die Geschichte des Landes als der Tag des Massakers von Kiew ein.

„Ich habe alles mit meiner Kamera gefilmt!“, erklärte Alexei Grigorjew aufgeregt, der dafür zuständig war, den Einsatz seiner Berkut-Einheit zu dokumentieren. „Später wird niemand etwas davon wissen wollen, dass die Aktivisten ihre eigenen Leute abknallen!“

Zu diesem Zeitpunkt konnte der Unterleutnant nicht wissen, welche Tragweite seine Aufnahmen tatsächlich hatten.

 

*

 

Nach Gesprächen mit den Außenministern Deutschlands, Polens und Frankreichs am Abend dieses denkwürdigen und blutigen 20. Februars verkündete der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch ein Einlenken hinsichtlich der wichtigsten Forderungen der Opposition. Auch die Präsidentschaftswahlen sollten vorgezogen werden und noch in diesem Jahr stattfinden, die Verfassung abgeändert und binnen zehn Tagen eine Übergangsregierung gebildet werden. Gleich darauf wurde ein dementsprechender Vertrag mit den Oppositionsführern Arsenij Jazenjuk von der Partei Allukrainische Vereinigung Vaterland, Vitali Klitschko von der Ukrainischen demokratischen Allianz für Reformen und Oleh Tjahnybok von der radikal nationalistischen Swoboda unterschrieben.

Doch andere oppositionelle Gruppen erkannten die getroffenen Vereinbarungen nicht an, die schließlich die Macht in Kiew übernahmen und den Rücktritt des Präsidenten forderten. Janukowytsch wurde mit einem Amtsenthebungsverfahren abgesetzt. Er floh ins benachbarte Russland, weil er um sein Leben und das seiner Familie fürchtete. Die Majdan-Aktivisten einigten sich auf eine Übergangsregierung mit Arsenij Jazenjuk als Ministerpräsident an der Spitze.

In der Folge annektierte die Russische Föderation die Halbinsel Krim. Im Osten der Ukraine kam es zu sezessionistischen Bewegungen, die in einem bewaffneten Konflikt eskalierten. Im Mai 2014 wurde der milliardenschwere Oligarch Petro Poroschenko zum neuen Staatspräsidenten der Ukraine gewählt.

 

*

 

17. Juli 2014, Amsterdam, Niederlande.

Nähe Donezk, Ostukraine.

Er würde in wenigen Stunden sterben. Genauso wie die übrigen zweihundertsiebenundneunzig Insassen, die sich an diesem Morgen in einer der drei Abfertigungshallen des Flughafens Schiphol befanden, der südwestlich von Amsterdam in der Gemeinde Haarlemmermeer lag. Die fünfzehn Besatzungsmitglieder waren bereits an Bord der Todesmaschine.

Als Thijs de Jong zum wiederholten Male auf die Anzeigetafel blickte, wurde endlich Flug MH17 nach Kuala Lumpur aufgerufen. Der hagere, dunkelhaarige Mann im mittleren Alter bestieg wenig später mit den anderen Reisenden die Boeing 777-200ER der Malaysia Airlines. Er hatte einen Fensterplatz in der Economy Class. Aus Prinzip buchte er niemals Flüge in der First oder Business Class. Schon als Student war er in der Holzklasse rund um die Welt geflogen, warum sollte er jetzt einen astronomischen Preis für ein paar Annehmlichkeiten bezahlen? Das sah er nicht ein. Neben ihm saß eine junge, asiatisch aussehende Frau, die ihn schüchtern musterte und dann schnell die Augen schloss.

Unter den Passagieren hatte de Jong den AIDS-Forscher Joep Lange erkannt, der mit Sicherheit auf dem Weg zur Welt-AIDS-Konferenz in Melbourne war. Ebenso den sozialdemokratischen Abgeordneten Willem Witteveen, mit dem er einmal in einem TV-Talk debattiert hatte.

Als die beiden mächtigen Triebwerke der Boeing 777 vom Typ Rolls-Royce Trent 892 zündeten, verspürte auch de Jong plötzlich eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. Er hätte die letzten Tage mit seiner Arbeit etwas kürzer treten sollen. Doch das war leichter gesagt, als getan. Schließlich zählte er zu den genialsten Geostrategen in den Niederlanden, wie man über ihn sagte. Akribisch hatte er sich auf die Geopolitics Conference in der malaysischen Hauptstadt vorbereitet, in der es um die weltweiten Krisen ging. Ein Hauptthema war der Konflikt in der Ukraine, der sich zu einem offenen Krieg zwischen den Regierungstruppen und den Separatisten ausgeweitet hatte. De Jong folgte jedoch keineswegs dem Mainstream oder der Politik des Westens mit ihrer Ansicht darüber. Für ihn war klar, dass bei der sogenannten Majdan-Revolution, bei der das russischfreundliche Regime von Wiktor Janukowytsch gestürzt wurde, westliche Politiker und Geheimdienste ihre Hände mit im Spiel hatten. Allen voran die amerikanischen und europäischen. Es war keine Revolution, sondern ein Staatsstreich, um eine USA/EU-orientierte Marionetten-Regierung gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu installieren. Als Janukowytsch floh, geschah noch etwas ganz anderes. Die alten ethnischen Ressentiments, die er zu verhindern wusste, brachen offen aus und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Geschürt von rechtsnationalen Politikern und Milizen in Kiew, die alles RussischstämmigeAnnexion