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Jürgen Holtkamp

Flüchtlinge und Asyl

topos premium

Eine Produktion des Lahn-Verlags

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Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

ISBN: 978-3-8367-0008-5
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5022-6
E-Pub: ISBN 987-3-8367-6022-5

2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Lahn-Verlag in der Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47632 Kevelaer,
Deutschland, www.lahnverlag.de
Umschlagabbildung: Migrants walk to enter a transit camp after entering the country
by crossing the border with Greece in Gevgelija, Macedonia, November 9, 2015
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Inhalt

Vorwort

I. Flüchtlinge, Migranten und Zuwanderer

II. Christlich betrachtet

III. Auf der Flucht

IV. Ankommen

In der Warteschleife

Erstaufnahmeeinrichtung

Zelt, Turnhalle oder Wohnung

Die Rolle der privaten Wachdienste

Abgelehnt, aber geduldet

Kinder auf der Flucht

Schule und Ausbildung

V. Politisches

Gefährlich: Fremdenhass

Die Uneinigkeit in Europa

Deutsche Flüchtlingspolitik

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Bund?

Heikel: Kirchenasyl

Braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz?

VI. Helfen

Wenn Ehrenamtliche anpacken

Flüchtlingshilfe vor Ort

Zwei Beispiele

Sozialpastorales Zentrum Duisburg-Hochfeld

youngcaritas

VII. Zuwanderung als Chance

VIII. Heute an morgen denken

IX. Epilog

X. Literatur/Links/Abkürzungen

Vorwort

Rund 60 Millionen Menschen waren 2015 weltweit auf der Flucht vor Krieg und Hunger. Das sind die höchsten Zahlen seit dem Zweiten Weltkrieg. 2015 wird Deutschland über eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben. Wenig deutet darauf hin, dass 2016 die Krisen und Konflikte in Syrien, im Irak, im Südsudan, in Zentralafrika oder in den von Ebola betroffenen Ländern abnehmen werden. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine werden allen politischen Willensbekundungen zum Trotz weitergehen. Der Islamische Staat wird auch 2016 Krieg und Terror verbreiten. Schon jetzt kontrolliert er große Gebiete im Irak und in Syrien sowie kleinere Gebiete in Libyen. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, die im Norden Nigerias ihr Unwesen treibt und die Scharia einführen will, wird dieses Ziel 2016 sicher nicht aufgeben.

Von Entspannung und Friedensverhandlungen ist man, so scheint es, weiter entfernt denn je. So werden 2016 nicht weniger Menschen auf der Flucht sein als 2015.

Dass viele Menschen aus den Krisenregionen Europa als Ziel wählen, sollte uns nicht überraschen. Der Wohlstand, die Freiheit und die Aussicht auf Arbeit führen dazu, dass viele nach Europa kommen. Europa bedeutet Sicherheit und Wohlstand. Dabei ist aber auch zu bedenken, dass die unmittelbaren Nachbarländer bzw. die Länder in der näheren Region für Flüchtlinge oftmals keine Alternative darstellen. Sie sind zum Teil hoffnungslos überfordert (etwa der Libanon) und können den Flüchtlingen oft weder Sicherheit noch hinnehmbare Überlebensbedingungen bieten. Das gilt etwa für syrische Flüchtlinge in der Türkei.

Hinter den Flüchtlingszahlen verbergen sich menschliche Einzelschicksale, große Leiderfahrungen, die wir deutsche Normalbürger nicht kennen und hoffentlich auch niemals selbst erleben werden. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, wenn man auf der Flucht ist, all sein Hab und Gut verloren hat und fremden Menschen völlig ausgeliefert ist. Besonders die Kinder leiden darunter. Sie erleben Schreckliches, sind größtenteils verängstigt und verstehen auch nicht, was um sie herum geschieht. Sicherheit, Geborgenheit und Schutz erleben sie auf der Flucht sicher nicht. Etwa 30.000 Kinder und Jugendliche kamen 2015 ganz allein nach Deutschland. Sie haben Furchtbares erlebt, wurden an Leib und Seele verletzt.

Ungeachtet der großen Hilfsbereitschaft in Deutschland und der vielen Flüchtlingsinitiativen gibt es nicht wenige, die die Aufnahme von Flüchtlingen begrenzen wollen. Diese „Kritiker“ pauschal in die rechtsextreme Ecke zu stellen wäre ungerecht und der Situation nicht angemessen.

Ängste lassen sich nicht einfach beiseiteschieben, sondern müssen ernst genommen und besprochen werden. Den Dialog wird es nur dann geben, wenn alle Beteiligten den grundsätzlichen Willen zu einer Lösung bekunden. Dann kann es gelingen, Ressentiments und Vorurteile abzubauen. Nicht nur an den Stammtischen wird gerne pauschal von „den Flüchtlingen“ geredet, die „auf unsere Kosten in Deutschland leben“. Hinter solchen Sprüchen versteckt sich durchaus eine latente Fremdenfeindlichkeit, aber eben auch Sorge, Angst und Hilflosigkeit. Als Reaktion darauf und um sich nicht mit den Einzelschicksalen auseinandersetzen zu müssen, behilft man sich mit pauschalen Zuweisungen und Vorurteilen.

Das Jahr 2015 hat Deutschland und Österreich nachhaltig verändert. Die enorme Hilfsbereitschaft der Deutschen, aber auch das beherzte Eintreten der Bundeskanzlerin für die Aufnahme von Flüchtlingen hätte so wohl niemand ohne Weiteres für möglich gehalten.

Damit die positive Grundeinstellung der Deutschen zu den Flüchtlingen nicht kippt, sollte die Bevölkerung gut und umfassend informiert und, wo möglich, in die Prozesse eingebunden werden. Darüber hinaus sollte man Formen der Begegnung ermöglichen, damit aus Fremden Freunde werden können. Das gelingt nicht, wenn man Flüchtlinge in abgelegenen Flüchtlingsunterkünften separiert.

Es hat bereits vor einigen Jahren Anzeichen dafür gegeben, dass die Flüchtlingszahlen deutlich steigen könnten. Dass die Politik diese Warnungen nicht ernst genommen hat, darf und muss man ihr anlasten dürfen. Eine nachhaltige und strategisch ausgerichtete Flüchtlingspolitik ist (noch) nicht Realität. Es gibt Ansätze, jedoch auch viele politische Meinungsverschiedenheiten quer durch die Parteien.

Um die Flüchtlingskrise nicht nur kurzfristig zu meistern, sondern langfristige Perspektiven zu entwickeln, benötigen wir gesamtgesellschaftliche Anstrengungen aller Parteien, Länder, Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Stiftungen, Kultureinrichtungen, Vereine, der Wirtschaft, Bürgerinitiativen und nicht zuletzt der vielen Bürgerinnen und Bürger (um der besseren Lesbarkeit willen wird im Folgenden die männliche Form gewählt).

Die täglichen Scharmützel in den Medien zwischen den Regierungsparteien, der Regierung und der Opposition, zwischen Kommunen und Ländern sowie zwischen den Ländern und dem Bund zeigen deutlich, dass es bisher (noch) keine gemeinsame politische Linie gibt. Ein wegweisender Aufbruch war sicherlich die Initiative der Bundeskanzlerin, die im August 2015 das Thema zur Chefsache erklärte. Spiegel Online verlieh ihr in diesem Zusammenhang süffisant den Titel „Flüchtlingskanzlerin“.

Für viele Bürger entsteht der Eindruck, dass die Politik Flickschusterei betreibt und durch die Zahl der Flüchtlinge überfordert wirkt, zumal täglich neue Meldungen über die Medienticker gehen und ein Flüchtlingsgipfel nach dem anderen organisiert wird. Die politische Elite spricht über das Thema, es gibt Vereinbarungen, und dennoch wirkt vieles unstrukturiert und konfus. Es ist nicht klar, was die Bundesregierung nun genau will, und eine Strategie fehlt anscheinend.

Länderpolitiker wie Bundespolitiker wissen, dass die Hauptlast der Kosten bei den Kommunen hängt. Diese ächzen über die enorme Schuldenlast, die sie stemmen müssen, und sollen nun auch noch über die arg strapazierten Haushalte die Flüchtlingsunterkünfte finanzieren. Hier wird sich etwas grundlegend ändern müssen. Die Kompetenzschacherei muss aufhören, der Bund muss die Länder entlasten, die wiederum den Kommunen mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. Die Länder fordern zwar immer Geld vom Bund, das sie zum Teil erhalten, das sie jedoch nicht komplett an die Kommunen weitergeben.

Das Kompetenzgerangel führt auf mehreren Ebenen zu fatalen Entwicklungen.

Erstens: Die Flüchtlinge werden in einen Topf geworfen, weil die Verfahren standardisiert sind. Doch Flüchtlinge aus dem Irak brauchen eine andere Unterstützung als jene aus Nigeria oder den Balkanstaaten. Außerdem muss man zwischen Flüchtlingen und Zuwanderern (Migranten) unterscheiden.

Zweitens: Die Bevölkerung wird verunsichert, ist gespalten in der Frage, ob sie nun helfen soll oder nicht. Die einen sagen, Deutschland sei kein Einwanderungsland, andere betonen, dass wir die syrischen Ärzte als Fachkräfte dringend brauchen. Flüchtlinge mit einer speziellen Qualifikation sind als potenzielle Arbeitskräfte willkommen, jene mit niedriger Qualifikation nicht. Flüchtlinge auf ihre beruflichen Qualifikationen zu reduzieren stellt noch keine nachhaltige Flüchtlingspolitik dar.

Drittens: Die Spannungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen einem Land und den Kommunen verstärken sich. Die Kommunikation zwischen den Ebenen funktioniert nicht gut. Schuld sind dabei immer die anderen. Das aber hilft in der gegenwärtigen Situation nicht weiter.

Viertens: Das Image und die Glaubwürdigkeit von Politikern und Parteien leiden. Die Art und Weise, wie sich Politiker zum Teil auf Kosten der Flüchtlinge profilieren, ist empörend, hilft in der Sache nicht und schadet dem Ansehen der gesamten politischen Elite. Damit entsteht der Eindruck, dass die Flüchtlinge wie auf einem Verschiebebahnhof hin- und hergeschoben werden.

Fünftens: Die Bereitschaft, den Flüchtlingen zu helfen, ist in allen gesellschaftlichen Milieus anzutreffen und gilt als vorbildlich. Tausende von Ehrenamtlichen engagieren sich für Flüchtlinge in ganz unterschiedlicher Weise. So beeindruckend diese Zahlen sind: Die Unterstützung braucht eine gute Koordination, und hier gibt es noch Nachholbedarf.

Es gibt bereits Ansätze für eine Neujustierung und sogar eine Vision in der Flüchtlingspolitik, und auch die Politik hat erkannt, dass Deutschland in der Flüchtlingsfrage vor einem Paradigmenwechsel steht.

Es geht nicht mehr nur darum, ob und wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann, sondern viel grundlegender darum, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Diese Erkenntnis mag für manche schmerzhaft sein, führt aber dazu, dass Deutschland eben bunter und heterogener wird.

Die Herausforderung lautet daher nicht nur, wie der Zuzug von Menschen aus Staaten außerhalb der EU gesteuert werden kann, sondern auch, wie es politisch, kulturell, wirtschaftlich und sozial gelingt, diese neuen Mitbürger zu integrieren.

Die Welt um uns herum ist kleiner geworden, und es werden in den kommenden Jahren Millionen Menschen wandern, weil sie in ihren Herkunftsländern keine Lebensgrundlage mehr haben. Viele werden Europa als Ziel auswählen, und viele davon Deutschland.

Warum verlassen Menschen ihre Heimat und machen sich auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa und Deutschland? Und wenn sie es geschafft haben: Wie werden sie im vermeintlichen „Paradies“ aufgenommen? Damit stellt sich auch die Frage, ob das Asylrecht in dieser Form Bestand haben kann. Deutschland kann die Flüchtlingskrise nicht für Europa lösen, vielmehr benötigen wir neben politischen Entscheidungen Strategien beim Zuzug und der Integration.

An der Flüchtlingskrise wird sich zeigen, wie Europas Zukunft aussehen wird und ob es gelingt, Europa weiterzubauen.

Viele Menschen helfen und tun dies in Initiativen und Vereinen vor Ort. Fast überall gibt es eine hohe Hilfsbereitschaft, Menschen spenden Sachleistungen, organisieren Wohnungen und helfen den Flüchtlingen bei Behördengängen und vielem mehr.

Mögen einige Beispiele idealerweise dazu beitragen, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich weiterhin engagieren oder vielleicht darüber nachdenken, es künftig zu tun.

Das Buch informiert über den aktuellen Sachstand zum Thema Flucht und Asyl.

Ich hoffe, dass Sie, lieber Leser, liebe Leserin, die Sie bereits in der Flüchtlingsarbeit engagiert sind, einige Anregungen entdecken, die Ihnen bei Ihrer so wichtigen Tätigkeit helfen. Sollte die Lektüre dazu führen, dass Sie sich entschließen, sich für Flüchtlinge und Zuwanderer aktiv einzusetzen, wäre das Ziel des Buches mehr als erreicht.

Dülmen, November 2015
Jürgen Holtkamp

I.

Flüchtlinge, Migranten und Zuwanderer

Der Grundstein für die Asylregelungen in Europa wurde mit der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 und dem dazugehörigen Protokoll aus dem Jahr 1967 gelegt. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein spezieller Vertrag über die Rechte von Flüchtlingen. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-refoulement-Prinzip) aus dem Jahr 1951 sieht Folgendes vor: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht wäre.“ (https://www.jurion.de/Gesetze/GFK/33)

Das Non-refoulement-Prinzip gilt sowohl für Rückführungen ins Herkunftsland als auch für Rückführungen in ein anderes Land, in dem der Flüchtling von Verfolgung bedroht wäre.

Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt bis heute als eines der wichtigsten Dokumente zum Schutz von Flüchtlingen und wurde am 28. Juli 1951 verabschiedet. Sie definiert die Pflichten der Staaten und klärt die Rechte der Flüchtlinge, bestimmt aber auch, wer einen Anspruch auf Schutz und Hilfe hat. So können sich Kriegsverbrecher nicht auf die Genfer Flüchtlingskonvention berufen. 147 Staaten sind der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten. In der Flüchtlingskonvention werden die Rechte der Flüchtlinge eindeutig definiert: Personen, die sich auf der Flucht befinden wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, Nationalität, weil sie einer bestimmten sozialen Gruppe zugehören oder weil sie wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, sind Flüchtlinge.

Die Konvention geht noch einen Schritt weiter, denn Flüchtlinge bekommen nun grundlegende Bürgerrechte (Zugang zu den Gerichten, Bewegungsfreiheit …). Sie haben Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Damit sollen Flüchtlinge die gleichen Hilfsleistungen erhalten wie andere Ausländer, die über einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus verfügen.

Auf Menschen, die vor Bürgerkriegen wie in Syrien fliehen, bezieht sich die Flüchtlingskonvention nicht ausdrücklich. In der Praxis werden sie jedoch als Flüchtlinge, zumindest nach der Auffassung des UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, engl. United Nations High Commissioner for Refugees), angesehen. Allerdings gibt es auch einige Länder, die die Ansicht vertreten, dass Menschen, die vor nichtstaatlichen Akteuren, z. B. Rebellen, fliehen, nicht den Flüchtlingsstatus erhalten sollten. Der UNHCR führt dagegen an, dass es für den Flüchtlingsstatus unerheblich ist, wer der Urheber für die Verfolgung ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Sicherheit des Flüchtlings im eigenen Land nicht gegeben ist.

Damit unterscheidet sich ein Flüchtling vom „Wirtschaftsflüchtling“ oder Arbeitsmigranten: Dieser verlässt sein Herkunftsland in der Regel freiwillig, weil er sich im Zielland bessere Lebensbedingungen verspricht. Auch kann er jederzeit in sein Herkunftsland zurückkehren und genießt dort weiterhin seine Bürgerrechte. Menschen aus Albanien, Rumänien oder Mazedonien werden in Deutschland zu über 90 Prozent nicht als Flüchtlinge anerkannt, weil sie dort zwar unter schwierigen und ungünstigen Bedingungen leben, aber nicht im Sinne der Genfer Konvention verfolgt werden. (Zumindest für die Situation der Roma in diesen Ländern kann dies allerdings mit guten Gründen angezweifelt werden.) Flüchtlinge dagegen können nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren. Menschen, die aus Osteuropa oder über das Mittelmeer von Afrika nach Europa fliehen, sind überwiegend Migranten.

Die Staaten können bei der Aufnahme von Migranten relativ frei entscheiden, welchen Aufenthaltsstatus sie ihnen zuerkennen. Anders ist das bei Flüchtlingen, da hier internationale Abkommen bindend sind. Migranten erhalten deshalb nicht die gleichen Rechtsansprüche wie Flüchtlinge. Um einen Rechtsanspruch geltend machen zu können, zählt der Aufenthaltsstatus.

Hinsichtlich ihrer Bereitschaft zu helfen unterscheiden viele Menschen zwischen Flüchtlingen, die vor Krieg und Unterdrückung geflohen sind, und jenen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Letztere werden gerne abfällig als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie deutschen Arbeitnehmern den Arbeitsplatz wegnehmen. Würde man sich die Mühe machen und dieses Vorurteil genauer prüfen, wäre es schnell entkräftet; doch Vorurteile halten sich ja bekanntlich sehr lange.

Viele, die den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich nehmen, kommen nach Europa, um der Armut zu entkommen; ihnen fehlen die Lebensperspektiven in ihrem eigenen Land. Auch Politiker teilen die Flüchtlinge in zwei Kategorien ein: Willkommen sind die politisch verfolgten und von Bürgerkrieg bedrohten Flüchtlinge, beispielsweise die Familie aus dem zerbombten Aleppo in Syrien oder der Regimekritiker aus dem Iran. Menschen, die als Fluchtmotiv Armut angeben, sind dagegen nicht willkommen. Hierzu zählen der arbeitslose Handwerker aus dem Kosovo oder der Bauer aus dem Senegal. Diese Menschen sollen, so heißt es, doch bitte schön in ihr Heimatland zurückkehren, und wenn sie nicht freiwillig gehen, sollen sie abgeschoben werden.

So geht ein Riss quer durch die Bevölkerung und die Parteien. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer spricht es offen aus: „Wer aus rein wirtschaftlichen Gründen das Recht auf Asyl als Einwanderungsrecht missbraucht, muss Deutschland zügig wieder verlassen.“

Das passt nur bedingt in das Bild einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft und eines Industrielandes, das auswärtige Arbeitskräfte benötigt. Zuwanderung aus wirtschaftlichen Motiven hat es nämlich immer schon gegeben. Neu ist wohl eher, dass der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ negativ gedeutet wird und Menschen stigmatisiert. Im Kontext einer globalisierten Welt sollte dieses Motiv eigentlich keinen Nachteil darstellen. Es sind Menschen, die wandern, um ihre Lebensperspektiven zu verbessen. Rational betrachtet ist das nicht falsch, und beim Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt sich, dass es immer Wanderungsbewegungen gegeben hat. Das Ruhrgebiet hätte im 19. Jahrhundert niemals seine Innovationskraft entwickelt, wären nicht viele Menschen aus Polen nach Deutschland gekommen. Millionen Menschen sind vor dem Ersten Weltkrieg von Deutschland nach Amerika ausgewandert. Und in den 1960er-Jahren wurden die „Gastarbeiter“ aus Italien begrüßt, weil sie so wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland waren. Alle diese Menschen hatten ein gemeinsames Motiv: Sie kamen nach Deutschland, um zu arbeiten und sich ein neues und besseres Leben aufzubauen.

Warum also werden heute die Menschen aus Albanien, dem Kosovo, aus Bulgarien oder Eritrea bzw. dem Senegal als „Schmarotzer“ abgestempelt? Wenn Deutschland seine Wirtschafts- und Innovationskraft halten und ausbauen will, braucht es den Zuzug aus dem Ausland. Was ist also das Problem?

Die Antwort ist eigentlich einfach: Menschen aus Nicht-EU-Ländern (Ländern außerhalb der Europäischen Union) bekommen in der Regel keine Arbeitserlaubnis und müssen daher Asyl beantragen. Vor ihrer Einreise nach Deutschland müssen sie einen Arbeitsvertrag vorlegen und ein Jahreseinkommen von mindestens 48.000 Euro brutto nachweisen. Erst dann erhalten sie ein Arbeitsvisum.

Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass diese Hürde für fast alle viel zu hoch ist. Weil es kaum legale Wege auf den deutschen Arbeitsmarkt gibt, suchen sich die Menschen andere Wege: Entweder sie leben illegal in Deutschland oder sie beantragen Asyl.

Spanier, Portugiesen oder auch Menschen vom Balkan (Mazedonien, Bosnien, Rumänien) können als EU-Bürger nach Deutschland einreisen. Sie haben sogar ein Recht dazu. Allerdings müssen sie für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen. Weil kein Asylgrund (z. B. Bürgerkrieg, politische Verfolgung …) vorliegt, haben Arbeitsmigranten aus Ghana, Senegal, Serbien, Mazedonien oder Bosnien keine Chance auf Anerkennung. Sie kommen aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“. Wer dann trotzdem in Deutschland bleibt, gilt als „Illegaler“ und hat keine Perspektiven – weder auf staatliche Unterstützung noch auf Arbeit.

Dieses System hat aber für Deutschland gravierende Nachteile, denn es kommen vorwiegend junge Arbeitskräfte, und diese könnten bei entsprechender Förderung und Ausbildung einen Gegenpol zur alternden Bevölkerung darstellen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, dass Deutschland bis 2050 jährlich 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte benötigt. Noch sind es vorwiegend Menschen aus der EU, die diesen Mangel zu großen Teilen ausgleichen. Es sind Menschen aus Polen, Bulgarien, Spanien und Griechenland, die in der Krankenpflege, in der Gastronomie oder in Altenheimen arbeiten.

Dieser Zuzug wird in Kürze nachlassen, denn die Wirtschaftskraft dieser Länder steigt wieder an. Woher sollen dann die Zuwanderer kommen?

Im Jahr 2014 blieben Tausende von Ausbildungsstellen unbesetzt. Die Münchener Handwerkskammer vermittelt seit 2014 junge Asylbewerber in Ausbildungsbetriebe. Hierbei spielt es zunächst keine Rolle, ob jemand Kriegsflüchtling oder sogenannter „Wirtschaftsflüchtling“ ist. Die ausbildenden Betriebe stellen sich eher die Frage, ob sich eine Ausbildung für sie lohnt, wenn die jungen Menschen jederzeit abgeschoben werden können. Die Betriebe fordern, dass die Asylbewerber für die Zeit der Ausbildung und mindestens zwei weitere Berufsjahre nicht abgeschoben werden dürften.

Das klingt plausibel und bietet für alle Vorteile: Der Zuwanderer erhält eine Chance, sich zu qualifizieren, lernt Deutsch, lernt unsere Kultur kennen und kann Kontakte knüpfen. Die Betriebe können ihre frei werdenden Stellen mit den benötigten Fachkräften besetzen. Und der Staat nimmt Steuern von den zahlenden Zuwanderern ein. Das funktioniert aber nur, wenn der Zuzug anders als bisher über das Asylrecht geregelt wird.

II.

Christlich betrachtet

In der Bibel gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass Menschen auf der Flucht sind. Abraham wäre nach heutiger Sichtweise ein Wirtschaftsflüchtling (Genesis 12,10: „Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben; denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Land.“).

Im Buch Genesis 27,43 steht, dass Jakob vor seinem eigenen Bruder flüchtet („Nun aber, mein Sohn, hör auf mich! Mach dich auf und flieh zu meinem Bruder Laban nach Haran! Bleib einige Zeit bei ihm, bis sich der Groll deines Bruders gelegt hat.“).

Auch Mose war ein Flüchtling, denn er wurde politisch verfolgt: „Der Pharao hörte von diesem Vorfall und wollte Mose töten. Mose aber entkam ihm. Er wollte in Midian bleiben …“ (Exodus 2,15) Ein ähnliches Schicksal teilte auch David, der von seinem eigenen Schwiegervater verfolgt wurde: „David brach noch am gleichen Tag auf und floh vor Saul. Er kam zu Achisch, dem König von Gat.“ (1 Samuel 21,11)

Jesus würde man nach heutigen Maßstäben als politischen Flüchtling einstufen.

Der Evangelist Matthäus schreibt in 2,13f.: „Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes.“

Es gibt in der Bibel viele Fluchtgeschichten, und auf die Frage, wie wir uns zu den Flüchtlingen verhalten sollen, gibt Jesus eine Antwort. In der Rede vom Weltgericht bei Matthäus (25,31ff.) heißt es: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen …“

Deutliche Worte, die der Evangelist Matthäus Jesus sprechen lässt.

Von den Anfängen des Christentums an bis heute erlebten Christen Flucht und Vertreibung. Zu Zeiten Jesu wurden Christen von den römischen Besatzern tyrannisiert, verfolgt und getötet. Trotzdem ließen sie sich nicht einschüchtern und versuchten unter lebensgefährlichen Umständen ihren Glauben zu leben. Auch heute werden Christen in der Welt verfolgt. Im Norden des Irak verbreiten seit 2014 radikalislamische Kämpfer des Islamischen Staats (IS) Gewalt und Terror. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden vertrieben, insbesondere Christen und Jesiden, aber auch Schiiten. Wer sich öffentlich als Christ bekennt, wird unter anderem in Somalia, Irak, Syrien, Sudan, Iran, Pakistan oder Eritrea und Nigeria verfolgt: Terror im Namen Gottes, der äußerst brutal inszeniert wird und auf YouTube zu sehen ist. Die Horrorvideos sollen offensichtlich Angst und Schrecken verbreiten und damit junge Männer radikalisieren. Die Botschaft „Kommt und kämpft für die heilige Sache, und ein Platz im Paradies ist euch sicher“ zeitigt seine Wirkung.

Dass dabei Hunderttausende Menschen aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben werden, nehmen die Terroristen bewusst in Kauf.

Gefoltert und gemordet wurde im Namen Gottes schon immer. Ob Kreuzzüge oder Hexenverfolgung: Auch die katholische Kirche hat sehr dunkle Flecken in ihrer Geschichte. Nicht nur im Islam gibt es fundamentalistische und radikale Strömungen, auch in der katholischen und evangelischen Kirche lassen sie sich nachweisen. Neu ist wohl eher, dass sich die Medien mit großer Verve auf Islamisten stürzen, während rechte Gruppierungen in der katholischen Kirche weniger beachtet werden.

Andererseits gibt es viele Tausende Christen, die sich haupt- und ehrenamtlich für die Integration einsetzen und weder nach der Hautfarbe noch nach dem Aufenthaltsstatus schauen. Viele Gemeinden unterstützen aktiv die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen und stellen sich mitunter sogar außerhalb des geltenden Rechts, wie beim Kirchenasyl.

In den Beratungsstellen und Integrationsagenturen helfen die Mitarbeiter der Caritas Menschen in Not. Sie fragen nicht nach der Konfession, sondern helfen nach dem Leitwort der Caritas „Not sehen und handeln“.

2005 hat Papst Benedikt XVI. die Enzyklika Deus Caritas est veröffentlicht. Dort heißt es in Nr. 20: „Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all ihren Ebenen: von der Ortsgemeinde über die Teilkirche bis zur Universalkirche als ganzer.“ (http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/verlautbarungen/VE_171.pdf)

Auf den folgenden Seiten beschreibt Papst Benedikt, wie sich das „Liebestun“ als Grundauftrag entfaltet. „Im Laufe der Zeit und mit der fortschreitenden Ausbreitung der Kirche wurde ihr Liebesdienst, die Caritas, als ein ihr wesentlicher Sektor zusammen mit der Verwaltung der Sakramente und der Verkündigung des Wortes festgelegt: Liebe zu üben für die Witwen und Waisen, für die Gefangenen, für die Kranken und Notleidenden welcher Art auch immer gehört genauso zu ihrem Wesen wie der Dienst der Sakramente und die Verkündigung des Evangeliums. Die Kirche kann den Liebesdienst so wenig ausfallen lassen wie Sakrament und Wort.“ (Nr. 22)