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Paul H. Welte

Erlösung – wie und wovon?

topos taschenbücher, Band 1021
Eine Produktion des Verlags Friedrich Pustet

Paul H. Welte

Erlösung – wie und wovon?

Was Christen unter Heil verstehen

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Verlagsgemeinschaft topos plus

www.Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Lahn-Verlag, Kevelaer

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8367-1021-3
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5015-8
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6015-7

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg.
Umschlagabbildung: © kallejipp / photocase.de
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Inhalt

Vorwort

Vorwort zur Neuausgabe

I. Jesus Christus – Mittler des Heils im Glauben der Christen

1. Jesus Christus – Mittler des Heils in der Heiligen Schrift

Das vielfältige Zeugnis des Neuen Testaments

Die Eigenart der Heilsmittlerschaft Christi

2. Jesus Christus – Mittler des Heils im Bekenntnis der Kirche

Anerkannte Bekenntnisse

Eigentümlichkeiten dieses Glaubens

3. Jesus Christus – Mittler des Heils in der Theologie

„Soteriologie“– was ist das?

Grundfragen der Soteriologie

II. Zugang zum Reichtum des Heiles Christi

1. Das Heilsverlangen des Menschen und das Heilswerk Christi

Die Bitte des Philippus

Die Antwort Jesu

Die Bitte des Philippus und die Heilsfrage

Die johanneische Sicht – Zugang zum Reichtum des Heiles Christi

2. Jesus Christus – Offenbarer des Vaters

Jesus Christus – Offenbarer Gottes

Jesus Christus – Offenbarer der Liebe Gottes zu den ins Böse verstrickten Menschen

Jesus Christus – Offenbarer der Liebe Gottes zu den leidenden und sterblichen Menschen

III. Aspekte des Heiles Christi

1. Versöhnung der Entfremdeten

Die Lehre der Schrift über das Versöhnungswerk Christi

Angelpunkte der Schriftlehre über die Versöhnung
Eigentümlichkeiten des Versöhnungswerkes

Die Frohbotschaft von der Versöhnung der Menschen mit Gott durch Jesus Christus – Ein Deutungsversuch

Der Zustand vor der Versöhnung
Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christi Tod

2. Befreiung der Versklavten

Die Lehre der Heiligen Schrift

Die Rede vom Loskauf
Die Rede vom Sieg Christi

Die Frohbotschaft von der Befreiung der Versklavten durch Jesus Christus – Ein Deutungsversuch

Die Versklavung des Menschen
Christi Befreiungswerk
Der Sinn der biblischen Bilder von „Loskauf“ und „Sieg“

3. Stiftung des Neuen Bundes

„Bund“ im Alten Testament

Herkunft und ursprünglicher Sinn von „Bund“
Die Bedeutung von „Bund“ im Alten Testament

Die Lehre des Neuen Testaments über den Neuen Bund

Die Wirklichkeit des Neuen Bundes
Die Beziehung zwischen Altem und Neuem Bund
Eigenschaften des Neuen Bundes

Die Frohbotschaft von der Stiftung eines Neuen Bundes durch Jesus Christus – Ein Deutungsversuch

Die Stiftung des Neuen Bundes
Stiftung des Neuen Bundes – ein Aspekt des Heilswerkes

IV. Das Pascha des Mittlers des Heils

1. Der Kreuzestod des Mittlers des Heils

Die Wirklichkeit des Kreuzestodes Jesu

Die Tatsächlichkeit des Kreuzestodes
Menschliche Sünde und Jesu Kreuzestod
Jesus und sein Tod

Die Heilsbedeutung des Todes Christi im Neuen Testament

Das vielfältige Zeugnis des Neuen Testaments
Die Eigenart des Schriftzeugnisses

Der Grund der Heilsbedeutung des Kreuzestodes

Stellvertretung – Grund der Heilsbedeutung?
Deutungsversuch des „Für uns“ des Kreuzestodes Christi
Wie kann das „Muss“ des Todes Jesu verstanden werden?
Der Opfercharakter des Todes Christi und seine Heilsbedeutung
Zwischenüberlegung: Welchen Sinn hat „Opfer“?
Der Kreuzestod Jesu als Opfer

Die Heilsbedeutung des Todes Christi in Bildern

Das Opfer Abrahams – Vorbild des Opfers Christi?
Der gekreuzigte Jesus – Sühnemal des Neuen Bundes
Das „Blut des Bundes“

2. Die Auferweckung des Mittlers des Heiles

Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit des Osterglaubens

Die Bedeutung des Glaubens an die Auferstehung Jesu
Bezweifelter und umstrittener Glaube
Die Glaubwürdigkeit der Osterbotschaft

Die Heilsbedeutung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus im Neuen Testament

Die Lehre des Neuen Testamentes

Der Grund der Heilsbedeutung der Auferweckung des Gekreuzigten

Die von Jesus gestellte Frage
Die Auferweckung – Gottes Antwort auf die von Jesus gestellte Frage

Die Bedeutung des Glaubens an die Auferstehung Christi

Ermächtigung zu Glaube und Hoffnung
Der Osterglaube – Das unterscheidend Christliche

V. Das Wesen des Heilswerkes

1. Das Grundprinzip der Soteriologie

Inhaltliche Darlegung des vorgeschlagenen Grundprinzips

Antwort auf naheliegende Fragen und Einwände

2. Das Grundprinzip und Fragen der Soteriologie

Heil und Glaube

„Schon“ und „Noch nicht“ des Heils

Die Einheit des Heilswerkes

Das „Für alle“ des Heilswerkes Jesu Christi

3. Das Grundprinzip der Soteriologie und Fragen der Theologie

Gnadenlehre

Ekklesiologie

Abschluss der Offenbarung

Der sich offenbarende Gott und Gott als Geheimnis

VI. Das Heil Christi

1. Der christliche Heilsbegriff

Formen der Rede von Heil

Charakteristische Züge der christlichen Heilsauffassung

2. Christsein – Vom Heil Christi geprägtes Menschsein

Vor-Gott-Sein

Christliches Miteinander-Sein

Christsein in den Grenzen und Widerwärtigkeiten des Menschseins

Christsein und Menschsein

Schlusswort

Abkürzungen

Mit Kurztiteln zitierte Literatur

Anmerkungen

Vorwort

In der Zeit des Studiums der chinesischen Sprache, der dreijährigen Arbeit in einer Missionsstation und dreijähriger Lehrtätigkeit in einem Spätberufenenseminar im Süden Taiwans kam ich zur Überzeugung, dass das Verständnis der Heilsbedürftigkeit des Menschen und der Heilsbedeutung des Werkes Christi entscheidend wichtig ist für die Begründung und die Praxis jeder Evangelisation. Gerade im geistigen Raum Chinas, in dem die Menschen um die Länge ihrer Geschichte und die Höhe ihrer Kultur wissen, fragen nachdenkliche Menschen (meistens zwar nur unausdrücklich) die Missionare: Was bringt ihr? Ist das, was ihr uns bringen wollt, gut für uns, brauchen wir es? Und Missionare, welche die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Heilsmöglichkeit der Nichtchristen und die Bedeutung der nicht-christlichen Religionen kennen und anerkennen, müssen sich fragen: Was wollen wir hier eigentlich? Wenn diese scheinbar einfachen Fragen keine Antwort finden, dann erscheint die Verkündigung des Evangeliums wie ein Angebot ohne Nachfrage, wie Reklame für Kühlschränke bei den Eskimos.

Jedoch ist das Verständnis der Heilsbedeutung der Botschaft und des Werkes Christi entscheidend wichtig auch in unserer Welt, in der ein großes Angebot von Weltanschauungen und Religionen nachdenkliche Christen fragen lässt: Warum bin ich eigentlich Christ? Was bedeutet es mir, Christ zu sein? Brauche ich das überhaupt? Welchen besonderen Wert hat es? Ist es für Leben und Sterben hilfreich? Wenn diese Fragen nicht beantwortet werden, erscheint das Christsein und Christbleiben leicht nur wie eine manchmal liebe, manchmal lästige Gewohnheit. Dann können Christen nicht die Forderung der Heiligen Schrift erfüllen: „Seid stets bereit, jedem [und auch euch selbst] Rede und Antwort zu stehen, der nach [dem Grund] der Hoffnung fragt, die euch beseelt“ (1 Petr 3,15). Kurz: Sowohl für die Evangelisation wie für das Christsein ist das Verständnis der Heilsbedeutung des Werkes Christi von großer Wichtigkeit. Darum handelt theologisches Bemühen um das Verständnis der Heilsbedeutung der Botschaft und des Werkes Christi („Soteriologie“) nicht von einer theologischen Nebenfrage. Dabei geht es vielmehr um die stets geforderte Rechenschaft über den Sinn und Wert des christlichen Glaubens.

Einen weiteren Anstoß, mich eingehender mit Soteriologie zu befassen, gab die Übernahme der Landessprache in die Liturgie. So richtig und wichtig diese Maßnahme war, sie war nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu dem vom Konzil angestrebten Ziel, „das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen“ (SC 1). In der Liturgie wird ja das Gedächtnis des Heilswerkes Christi gefeiert und vergegenwärtigt. Ihre Gebete sprechen mit eindrucksvollen Worten des Neuen Testaments vom Heilswerk Christi. Doch können viele Menschen sie nicht verstehen. Etwas zugespitzt könnte man sagen: Früher waren die Gebete und Lesungen der Liturgie unverständlich wegen der für die meisten Menschen unverständlichen lateinischen Sprache. Jetzt sind sie immer noch unverständlich, weil sie auch in ihrer Muttersprache für viele Menschen unverständlich bleiben. Wenn zum Beispiel eine Präfation der Osterzeit von Jesus Christus sagt: „Durch seinen Tod hat er unseren Tod vernichtet, durch seine Auferstehung das Leben neu geschaffen“, sind die einzelnen Worte verständlich, der Sinn des Ganzen hingegen nicht. Denn man muss doch fragen: Wie wurde durch den Tod Jesu am Kreuz vor 2000 Jahren der uns mit Sicherheit erwartende Tod vernichtet? Wie wurde unser Leben durch die Auferstehung Jesu neu geschaffen? Wir Menschen sind doch wie eh und je vielfältigem Leid unterworfen und treiben dem sicheren Tod entgegen. Manche der nun in der Muttersprache gehörten Worte sind nicht nur in ihrem Sinn schwer verständlich, sondern in gefährlicher Weise missverständlich. Wenn zum Beispiel in jeder Eucharistie von dem Blut gesprochen wird, „das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden“, liegt der Gedanke nahe, dass der Tod Christi ein Opfer sei, das Gott von Zorn zu Gnade und Vergebung bewegte.

Gewiss, zahlreiche gläubige Menschen haben durch das Wirken des Heiligen Geistes in der schlichten Mitfeier der Hochfeste, in der Betrachtung, im Gehen des Kreuzwegs, beim Beten des Rosenkranzes, in Zeiten großer Freude und tiefer Trauer den Sinn ihres Glaubens an den im Stall geborenen, an den die Liebe das Vaters verkündenden, an den von Menschen gekreuzigten und von Gott auferweckten Jesus erfahren. Dennoch ist und bleibt es eine wichtige Aufgabe der Theologie, den Sinn des Glaubens an den Mittler des Heiles zu entfalten, zu klären und gegen naheliegende Missverständnisse zu sichern und den Gläubigen einen verstehenden und fruchtbaren Mitvollzug der Liturgie zu ermöglichen.

Auf Grund dieser Überzeugung habe ich ausdrücklich gewünscht, den Kurs Soteriologie übernehmen zu dürfen, als ich im Jahre 1968 meine Lehrtätigkeit an der theologischen Fakultät der Katholischen Fujen Universität in Taipei (Taiwan) antrat. Eigentlich ist Soteriologie (oder „Erlösungslehre“) ein Teil der Christologie, die an dieser Fakultät von dem bekannten Theologen P. Dr. Aloisius Chang Chun Shen SJ betreut wurde. Im Hinblick auf meinen Wunsch jedoch wurden Christologie und Soteriologie unter uns aufgeteilt. Theoretisch ist eine solche Trennung nicht ideal und entspricht nicht einem gegenwärtigen Trend, welcher die seit dem 13. Jahrhundert übliche Trennung von Christologie und Soteriologie zu überwinden sucht. Praktisch jedoch hat sie sich in Taiwan und China bewährt, insofern der Erlösungslehre mehr Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet werden konnte, als es sonst meistens geschehen kann, weil die Christologie vielfach wenig Zeit findet für Fragen der Soteriologie. So habe ich in den über 35 Jahren meiner Lehrtätigkeit in Taiwan und (seit 1990 gelegentlich) in Priesterseminaren in China (Shanghai, Xi An, Wuhan) mehrfach den Kurs über Soteriologie gegeben. Mit Hilfe von ehemaligen Studentinnen habe ich in Taiwan ein Buch mit dem Titel „Einführung in die Soteriologie“ verfasst, das in zwei Auflagen erschienen ist. Schließlich konnte ich durch ein in Shanghai gedrucktes Buch meine Gedanken zu diesem Thema auch den Christen in China vermitteln.

Natürlich kann man sagen und fragen: Für Christen auf der „Schönen Insel“ (Formosa = Taiwan) und im „Reich der Mitte“ (China) mag eine ausführliche Behandlung soteriologischer Themen hilfreich und vielleicht sogar dringend notwendig sein. Aber brauchen wir eine derartig ausdrückliche Reflexion auf Kernfragen des christlichen Glaubens in Europa und Deutschland, wo Menschen seit über 1000 Jahren den christlichen Glauben kennen, wo große Denker und Heilige darüber nachdachten und weithin anerkannte und vom kirchlichen Lehramt verwendete Deutungen des Heilswerkes („Erlösungstheorien“) entwickelten? Können wir uns nicht mit diesen Anschauungen begnügen?

Bei allem Respekt vor der Bemühung und der Leistung der Theologen, bei voller Würdigung der wertvollen Impulse, welche die herkömmlichen Auffassungen über die Erlösung durch Jesus Christus den Menschen und der Kirche vermittelten, können wir uns doch nicht mit ihnen begnügen, denn wir haben (wenigstens in ihrer Dringlichkeit) neue Fragen, die sogar von aufgeweckten Schulkindern gestellt werden können: Wenn man sagt, Christus ist für alle Menschen am Kreuz gestorben, bedeutet das, dass er für die Neandertaler und Pekingmenschen, für die Feuerlandindianer und Tibeter gestorben ist? Einfache gläubige Menschen, die Leid und Bosheit erfahren und von Katastrophen, Gewalt und Unterdrückung hören, können fragen: Wovon wurden wir erlöst? Menschen, die den fruchtbaren Einfluss anderer Religionen auf das Leben der Menschen und ihre Kultur kennen, müssen fragen: Wie ist Jesus Christus für diese Menschen Mittler des Heils? Wer Menschen anderer Religionen oder ohne Religion kennt, die ihre familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Pflichten gut erfüllen, muss sich fragen: Was bedeutet mein christlicher Glaube für mich und meine Mitmenschen? Wer aber auch nur einer dieser scheinbar einfachen Fragen gründlich nachgeht, wird spüren, dass sie nicht beantwortet werden können, solange wir nicht sagen können, was unser Glaube an Jesus Christus als Mittler des Heils besagt.

Da nach meiner Erfahrung Menschen in Ost und West (wenn auch mit verschiedener Tönung) die im Grunde gleichen Fragen stellen, hege ich die Hoffnung, dass meine in Taiwan und China entwickelten Überlegungen in veränderter Form auch Menschen in unseren Breiten hilfreich sein können. Gewiss ist wohl alles, was ich zu sagen habe, schon von anderen irgendwo gesagt und geschrieben worden. Dennoch denke ich, dass man manche wertvolle Gedanken aufnehmen, weiter entwickeln und neu darstellen kann. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass diese Schrift einigen Christen hilft, allen sie Fragenden und nicht zuletzt sich selbst Rechenschaft zu geben über ihren Glauben (1 Petr 3,15), weil sie selbst Zugang gefunden haben zum Reichtum des Heiles Christi (Eph 3,8).

Dominikanerkonvent Heilig Kreuz  
Augsburg, im November 2011 P. Paul H. Welte

Vorwort zur Neuausgabe

Buchbesprechungen und dankbare Leserbriefe haben mir gezeigt, dass meine für Vorlesungen in Taiwan und China erworbene Sicht von Erlösung und Heil auch europäische Christen ansprechen und offenbar manche Glaubensfragen beantworten konnte. So freue ich mich sehr, dass meine Schrift „Erlösung – wie und wovon?“ nun in einer zweiten Auflage als Taschenbuch erscheinen kann.

Ich danke dem Verlag F. Pustet dafür, dass er es wagte, die Schrift eines hierzulande unbekannten Autors in sein Verlagsprogramm aufzunehmen. Auch sei dem Lektor des Verlags, Dr. Rudolf Zwank, für die Begleitung der ersten Auflage und für manchen guten Rat gedankt.

Mit der Aufnahme meines Buchs in die renommierte Reihe der Topos-Taschenbücher verbinde ich die Hoffnung, dass die Lektüre möglichst vielen Lesern zu einer Glaubensvertiefung verhelfen möge und besonders Predigern, Katecheten und Religionslehrern hilft, vom Kernstück des christlichen Glaubens überzeugend und verständlich zu sprechen.

Dominikanerkonvent Hl. Kreuz,  
Augsburg, Pfingsten 2015 P. Paul H. Welte

I.
Jesus Christus – Mittler des Heils im Glauben der Christen

1. Jesus Christus – Mittler des Heils in der Heiligen Schrift

Er ist wirklich der Retter der Welt
(Joh 4,42)

Das vielfältige Zeugnis des Neuen Testaments

Den nach Verfasserschaft und Zielsetzung verschiedenen Schriften des Neuen Testaments liegt eine gemeinsame Überzeugung zu Grunde: Jesu Wirken und Lehren, sein Tod und seine Auferweckung, seine Gegenwart in der Gemeinde und der Glaube an ihn vermitteln Leidenden Trost, geben den dem Tod entgegen eilenden Menschen unzerstörbare Hoffnung, versöhnen die von Schuld Bedrückten mit Gott. Mit anderen Worten: Jesus schenkt den Menschen Hilfe, Heilung, Heil. Die Schriften des Neuen Testamentes bringen diese Überzeugung auf verschiedene Weise zum Ausdruck.

Worte und Taten Jesu in den Evangelien

Nach dem Lukasevangelium zitiert Jesus in seiner ersten Predigt ein Wort des Propheten Jesaja: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Indem er mit dem Wort „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,18–21) das Wort des Propheten auf sich anwendet, deutet er in programmatischer Weise seinen Auftrag als eine den Menschen Freiheit und Hoffnung vermittelnde Sendung.

Mit besonderer Deutlichkeit sprechen die Worte Jesu in Mk 10,45 (= Mt 20,28) von seiner Heilssendung: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“. Mit diesem Wort wird das ganze Dasein und Wirken Jesu als ein Dienst für die Menschen und als Werk der Befreiung beschrieben. Im Abendmahlsbericht des Lukasevangeliums heißt es: Er nahm das Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (22,19; vgl. 1 Kor 11,24). Auch dieses Wort spricht von Jesu Dasein und Tun zum Wohl von Menschen. In der vom Markusevangelium und dem Matthäusevangelium überlieferten Tradition spricht das Becherwort von der Heilsbedeutung des Lebens und des Todes Jesu: „Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,27–28; vgl. Mk 14,24).

Auch in seinen Taten und Worten äußert Jesus das Bewusstsein, den Menschen Heil vermitteln zu können und zu sollen: Einem Gelähmten, der vor ihn gebracht wurde, sagt Jesus: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mk 2,5). Und er begegnet dem Zweifel an seiner Vollmacht mit den Worten: „Ihr sollt erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben“ (Mk 2,10).

Dasselbe Bewusstsein liegt der für Jesus typischen, für viele Menschen aber anstößigen Mahlpraxis zugrunde. „Im Orient bedeutet die Aufnahme in die Tischgemeinschaft bis heute die Gewährung von Frieden, Vertrauen, Bruderschaft und Vergebung; Tischgemeinschaft ist Lebensgemeinschaft. Im Judentum bedeutet die Tischgemeinschaft speziell Gemeinschaft vor Gottes Angesicht.“1 In dieser Umwelt bedeutete Jesu Mahlgemeinschaft mit Sündern: „Es ist Jesus, der die Sünder, indem er sie in seine Gemeinschaft mit sich aufnimmt, in die Gemeinschaft mit Gott aufnimmt. Das heißt nichts anderes, als dass er Sünden vergibt.“2 Da für die damaligen Menschen das Kommen des Gottesreiches der Inbegriff der Heilserwartung bedeutete, deutet Jesu seine Austreibungen von Dämonen als Anbruch des Heils und sich als Heilsvermittler mit dem Wort: „Wenn ich die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Mt 12,28).

Im Johannesevangelium spricht Jesus auf vielfältige Weise von seiner Sendung, den Menschen Erfüllung ihres Verlangens zu vermitteln. In der Bildrede vom Hirten und von den Schafen sagt er von sich: „Ich bin die Tür; wer durch mich eingeht, wird gerettet werden … Der Dieb kommt nur um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,9–10). In einem Abschnitt, welcher auf das öffentliche Reden und Wirken Jesu zurückblickt und es zusammenfasst, sagt Jesus: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47). Da alle Menschen nach Nahrung, Licht, Führung, Leben und Auferstehung verlangen, enthalten die für das Johannesevangelium typischen Ich-bin-Worte3 Jesu auf eindrucksvolle Weise den Anspruch Jesu, das von den Menschen Gesuchte zu vermitteln, ja in seiner Person zu sein.

Die Sendung Christi als Heilssendung

In der Kindheitserzählung des Matthäusevangeliums befiehlt der Engel Josef, dem Kind der Maria den Namen Jesus zu geben, „denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“. Der Verfasser dieses Evangeliums deutet also den Namen Jesu als Bezeichnung seiner Sendung, dem Volk Erlösung von Sünde zu vermitteln.

Nach der Apostelgeschichte (3,1–4,7) hält Petrus nach der Heilung eines Gelähmten eine Rede auf dem Tempelplatz und wird deshalb zusammen mit Johannes vor dem Hohen Rat zu Gericht gezogen. In seiner Verteidigung spricht Petrus von der Heilssendung Jesu: „In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg. 4,12).

Der Erste Timotheusbrief (1,15) betont den Heilssinn des Kommens Jesu, wenn er sagt: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten.“

Die Schriften des Neuen Testaments beschreiben Jesu Wirken als Heilssendung, wenn sie in verschiedener Weise vom Für (uns, euch, alle, die Sünder …) des Lebens und Wirkens, des Todes und der Auferweckung Jesu sprechen. Da diese Formeln von der Liturgie übernommen wurden und die Frömmigkeit tief greifend geprägt haben, verdienen sie besondere Aufmerksamkeit. Wie immer man dieses Für (vor allem des Todes) deutet, mit diesen Formeln wird Jesu Dasein, sein Wirken und sogar sein Tod als Wohltat für die Menschen beschrieben.

Die Bezeichnung Jesu Christi als „Retter“

Einige neutestamentliche Texte4 nennen Jesus „Retter“ (Soter). Dieser die Heilsmittlerrolle Christi prägnant zum Ausdruck bringende Hoheitstitel wird zwar vor allem in späteren Schriften des Neuen Testaments gebraucht. Doch Elemente dieses Titels finden sich schon in der frühesten Schrift des Neuen Testaments: Im Ersten Brief an die Thessalonicher (1,10) spricht Paulus von „Jesus, den er [Gott] von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt.“ Auch im Brief an die Gemeinde in Philippi (3,20) wird dieser Titel verwendet: „Unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter.“ Überdies: Für die aramäisch sprechenden Gläubigen enthält schon der Name „Jesus“ den Gedanken der Rettung. Und „Christus“ ist eigentlich nur eine Übersetzung von „Messias“, womit ein erwarteter Retter bezeichnet wurde. Die frühen Christen waren also nicht auf den Titel „Retter“ angewiesen, um vom Heilssinn des Werkes Christi zu sprechen.

Umso bedeutsamer ist es, dass und wie dieser Begriff im Neuen Testament verwendet wurde.

An einigen Stellen zeigt sich die Wichtigkeit dieses Begriffs: Jesu Sendung und Werk vorwegnehmend verkündet im Lukasevangelium (2,11) ein Engel die Geburt Jesu mit den Worten: „ Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“ Nachdem er zwei Tage bei ihnen verweilte, bekennen in chorartiger Weise die Samariter im Johannesevangelium (4,42) von Jesus: „Er ist wirklich der Retter der Welt“. Auf ähnlich feierliche Weise sagt der Erste Johannesbrief (4,14): „Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.“

Als die biblischen Autoren diesen Titel für Jesus Christus verwendeten, wurden „Retter“ genannt: (1) heilende und rettende Gottheiten wie der Gott der Heilkunst Asklepios, dem zahlreiche Heilungen zugeschrieben wurden, (2) der die Sicherheit des Imperiums sichernde römische Kaiser, (3) der Gott des Alten Testaments (Jes 12,2; Jer 14,8), der sein Volk aus der Sklaverei Ägyptens befreit hatte und zu dem die Gläubigen in ihren Nöten Zuflucht nahmen. Wenn also die frühen Christen Jesus „Retter“ nannten, verglichen sie den hilflos am Kreuz dem Tod Erlegenen mit einer rettenden und heilenden Gottheit; den als Rebell Verdächtigten und Verurteilten stellten sie an die Seite des den Frieden und die Sicherheit des Imperiums garantierenden Kaisers; dem als Gotteslästerer von den religiösen Führern Israels Verworfenen gaben sie den Namen des heiligen Gottes.

Die Eigenart der Heilsmittlerschaft Christi

Einen geradezu ungeheuerlichen Anspruch erheben die biblischen Autoren, wenn sie von der Eigenart der Heilsmittlerschaft Christi sprechen. Auch im Alten Testament und in anderen Religionen spielen Menschen eine wichtige Rolle in der Heilsvermittlung.5 Nach dem Neuen Testament jedoch kommt Jesus eine einzigartige Rolle in der Heilsgeschichte zu.

Neuheit und Überlegenheit

Die Schriften des Neuen Testaments lassen erkennen, dass die ersten Gläubigen überzeugt waren, dass mit Jesus ein neuer Abschnitt der Heilsgeschichte eröffnet wurde. Die Hörer Jesu und die Augenzeugen seines Wirkens verspürten etwas Neues, das Erstaunen erregte und sie fragen ließ: „Was hat das zu bedeuten? Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet“ (Mk 1,27). Jesus selbst betrachtet sein Tun und Lehren als etwas Neues und warnt die Menschen: „Niemand näht ein Stück neuen Stoffs auf ein altes Kleid; denn der neue Stoff reißt doch vom alten Kleid ab, und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren, und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche“ (Mk 2,21–22). Jesus verkündet ein neues Gebot (Joh 13,34). Durch ihn ergeht eine neue Offenbarung (Hebr 1,1–2). Durch ihn wurde ein neuer Bund errichtet (Hebr 8,6).

Jesu Werk bedeutet einen Wendepunkt in der Heilsgeschichte: Die vom Gesetz beherrschte Periode wurde abgelöst durch die Zeit der Gnade und Wahrheit, des Glaubens und der Gerechtigkeit (Lk 16,16; Joh 1,17; Röm 6,14–15; Gal 3,23–25). Mit Jesu Werk trat die Heilsgeschichte in eine neue Phase, weil Jesus als ein andere Heilsmittler übertreffender Heilbringer erkannt wurde. In ihm war mehr als Jona, mehr als Salomon (Mt 12,41–42). Er war ein Größerer als David (Mk 12,35–37). In der Bergpredigt überbietet Jesus „das Gesetz (wenigstens in der ersten, zweiten und vierten Antithese der Bergpredigt, die als ursprünglich gelten) und überschreitet damit den Boden des Judentums. Er stellt sein Wort zwar nicht gegen, aber doch über die höchste Autorität des Judentums, über das Wort des Mose.“6 Das Johannesevangelium betont, dass Jesus Johannes den Täufer (1,6–8), Abraham (8,52–59), Jakob (4,12) und Mose (1,17; 6,31–53) übertrifft. Auch der Hebräerbrief lehrt (3,5–6), dass Jesus Mose, den Größten des Alten Bundes, wie der Sohn den Diener überragt.

Jesus überragt die Großen des Alten Bundes, weil die durch ihn vermittelten Gaben die früher geschenkten Gnadenerweise Gottes übertreffen: Die durch ihn ergangene Offenbarung übertrifft alle Offenbarungen Gottes im Alten Bund (Hebr 1,1). Obwohl der von Gott dem Volke Israel gewährte Bund den Gläubigen des Alten Bundes als die größte Gabe Gottes gilt, ist Jesus Mittler eines besseren Bundes (Hebr 7,22; 8,6). Den Gläubigen des Alten Bundes galt das Gesetz als große Gabe Gottes, doch nach dem Prolog des Johannesevangeliums (1,17) ist das Gesetz mit der durch Christus vermittelten Gnade nicht zu vergleichen.

Jesus Christus – einziger Mittler des Heils

Nach der Überzeugung der Autoren des Neuen Testaments spielt Jesus Christus in der Heilsgeschichte nicht nur eine alle Früheren überragende Rolle, sondern ist – in einem gewissen Sinn – der einzige Mittler des Heils. Diese – heute von vielen Menschen als besonders anstößig empfundene – Lehre kommt in den Schriften des Neuen Testaments auf verschiedene Weise zum Ausdruck:

Besonders deutlich verkündet 1 Tim 2,5 Jesus als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen mit den Worten: „Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle.“ Nach der Heilung eines Gelähmten legt Petrus vor dem Hohen Rat ein ähnliches Bekenntnis ab: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat … durch ihn steht dieser Mann gesund vor euch. … Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,10–12).

In den synoptischen Evangelien schreibt Jesus selbst sich eine einzigartige Rolle der Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen zu mit den Worten: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden, niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27; vgl. Lk 10,22).

Im Johannesevangelium erhebt Jesus den Anspruch auf eine einzigartige Heilsmittlerrolle mit den Worten: „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber … Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden, er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,7–10). Wenn das Heilswerk und das Offenbarungswerk eng zusammenhängen, spricht schon der Prolog des Johannesevangeliums von der einzigartigen Heilsmittlerschaft Christi: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18).

Universale Heilsmittlerschaft

Von besonderer Wichtigkeit für das Selbstverständnis des Christentums und für seine Anstößigkeit für Anhänger anderer Religionen ist die Lehre von einer universalen Heilsmittlerschaft Jesu Christi. Darum darf die biblische Grundlage dieser Lehre weder übergangen noch voreilig gedeutet werden.

Der Gedanke einer universalen Heilsmittlerrolle findet sich in dem schon anführten Lösegeldlogion (Mk 10,45 = Mt 20,28): „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“. Ähnlich lautet das Becherwort in den Abendmahlsberichten bei Markus: „Das ist mein Bundesblut, das für viele vergossen wird“ (14,24), und im Matthäusevangelium: „Das ist mein Bundesblut, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden (26,28). Gewiss ist in diesen Worten nicht von „allen“, sondern nur von „vielen“ die Rede. Doch dies kann zurückgeführt werden auf die wörtliche Übersetzung einer aramäischen Vorform, in welcher das „für viele“ die Bedeutung „für alle“ hat. Wie dem auch sein mag: Die hier befürwortete Interpretation kann sich auf ein Wort im ersten Brief an Timotheus (2,5) stützen, welches wohl auf das zitierte Lösegeldwort bei Markus und Matthäus anspielt, aber das „für viele“ mit „für alle“ wiedergibt und sagt: „Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle.“

Der Völkerapostel Paulus bezeugt vor allem durch seine Tätigkeit als Heidenmissionar seinen Glauben an die universale Bedeutung des Heilswerkes Christi. Von ihr spricht er in markanter und variierender Weise in seinen Briefen: Im Hinblick auf Christus sagt er: „Einer ist für alle gestorben“ (2 Kor 5,14). Im Römerbrief sieht er im Tod Christi ein Heilshandeln Gottes von universaler Tragweite: Gott „hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben“ (Röm 8,30). Im Zweiten Korintherbrief (5,19) beschreibt er das Werk Gottes in Christus als ein universales Werk der Versöhnung, wenn er sagt: „Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat.“ Und wie um ein Missverständnis des erwähnten Lösegeldwortes (Mk 10,45 = Mt 22,28) auszuschließen, wird in der Anspielung darauf in 1 Tim 2,5 das „für viele“ durch „für alle“ ersetzt.

Die Betonung der universalen Bedeutung des Heilswerkes Christi ist ein Charakteristikum des Johannesevangeliums und des Ersten Johannesbriefes. Nachdem Jesus zwei Tage bei ihnen verweilte und sie ihn selbst gehört hatten, bekennen die Samariter im Johannesevangelium von Jesus: „Er ist wirklich der Retter der Welt“. Auf ähnlich feierliche Weise sagt der Erste Johannesbrief (4,14): „Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.“ Im vierten Evangelium ist Jesus das Licht der Welt (8,12), das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt (1,29), das Brot, das er geben wird, ist sein Fleisch, das er hingeben wird für das Leben der Welt. Im Ersten Johannesbrief ist er der Retter der Welt, den der Vater gesandt hat (1 Joh 4,14), die „Sühne für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1 Joh 2,2). Auch der Hebräerbrief spricht von der universalen Bedeutung des Leidens und Todes Christi mit dem Wort: „Es war Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt“ (Hebr 2,9).

2. Jesus Christus – Mittler des Heils im Bekenntnis der Kirche

Der in den Schriften des Neuen Testaments bezeugte Glaube an Jesus Christus als Mittler des Heils wurde bald zum zentralen Glauben der Christen. Wir können hier nicht der Geschichte dieser Lehre nachgehen. Für die Absicht dieses Buches kann das Folgende genügen.

Anerkannte Bekenntnisse

Das ökumenische Glaubensbekenntnis

Mit den Worten des sogenannten Großen Glaubensbekenntnisses sprechen Christen im Osten und Westen von der Heilsbedeutung des Kommens und Lebens, des Wirkens und Leidens und Sterbens Christi:

Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen
durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria
und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt
unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden.

Die Formel „für uns Menschen und zu unserem Heil“ findet sich schon früh in Glaubensbekenntnissen lokaler Kirchen und wurde vom ersten Konzil in Nikaia (325) in sein Credo aufgenommen. Die Aufnahme in das weithin anerkannte und in der Liturgie gebrauchte Glaubensbekenntnis zeigt, dass der Heilssinn des Kommens und Wirkens Jesu Christi zentraler und den Christen verschiedener Konfessionen gemeinsamer Glaube ist.

Die Basisformel des Weltkirchenrates

So stimmen im Bekenntnis zu Jesus Christus als Mittler des Heils Christen der Ostkirche und der Westkirche, katholische und evangelische Gläubige überein. Aus diesem Grund hat die erste Versammlung des Weltkirchenrats in Amsterdam 1948 sich selbst beschrieben als „a fellowship of churches which accept our Lord Jesus Christ as God and Saviour.“7

Eigentümlichkeiten dieses Glaubens

Ein einflussreicher Glaube

Wenn wir die Geschichte der christlichen Glaubenslehre betrachten, können wir den tief greifenden Einfluss des Glaubens an Jesus Christus als den Mittler des Heils erkennen: Die Kirche verwarf den sogenannten (schon in apostolischer Zeit auftauchenden) Doketismus, nach dem „die irdische Körperlichkeit Jesu Christi nur Schein und Sinnestäuschung gewesen sei; auch das Kreuz sei nur ein Leiden zum Schein und zur Täuschung der Ungläubigen“.8Monophysitismus9Nestorianismus1011