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Andreas Unger

Von Algebra bis Zucker

Arabische Wörter im Deutschen

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Alle Rechte vorbehalten

© 2006, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Reihengestaltung: büroecco!, Augsburg

Umschlaggestaltung: Eva Knoll, Stuttgart, unter Verwendung
der Abbildung: Arabischer Segensspruch auf der Borte
des »Krönungsmantels« von König Roger II. von Sizilien
(Wien, Kunsthistorisches Museum, Weltliche Schatzkammer –
Foto: KHM, Wien)

Satz und e-book-Konvertierung: pagina GmbH, Tübingen

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2013

RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960246-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020281-4

www.reclam.de

ISBN 978-3-15-960246-2

Vorwort

Gibt es einen »Kampf der Kulturen« (Samuel P. Huntington)? Der Blick auf die Geschichte der arabischen Wörter im Deutschen ermöglicht jedenfalls eine andere Sichtweise: die des »Zusammenwirkens der Kulturen« (Claude Lévi-Strauss). Dies aus zwei Gründen: Zum einen kann durch das Verfolgen der Wort- und Kulturgeschichte eines Begriffs von seinem ersten Auftreten bis in die heutige Zeit sehr anschaulich der Weg von Kulturgütern zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen nachvollzogen werden; zum anderen ist das Arabische diejenige außereuropäische Sprache, aus der die meisten Wörter in die Sprachen des Westteils Europas gelangt sind. Dies ist kein Zufall: Die meisten dieser Wörter sind nämlich im Mittelalter übernommen worden, wo die Muslime ab dem 8. Jahrhundert eine Kultur entwickelt hatten, die derjenigen der Bewohner des Westens Europas nach heutigen Maßstäben in vielerlei Hinsicht überlegen war und diese deshalb faszinierte.

Die Entstehung dieser Kultur beruhte aber auf einem längeren Prozess. Zwar war schon in der Antike das durch den Weihrauchhandel berühmte »Glückliche Arabien« als eigenständige Zivilisation aufgetreten (s. Myrrhe); und die Einführung des Islam und die Einigung der arabischen Stämme durch den Propheten Mohammed (gest. 632) hatten einen gewaltigen politischen und kulturellen Schub bewirkt. Dass es den Muslimen aber gelang, innerhalb eines Jahrhunderts ein Imperium zu errichten, das von der spanischen Halbinsel bis zum Indus reichte, beruhte auch auf einer klugen und relativ toleranten Politik insbesondere gegenüber Christen und Juden als den »Schriftbesitzern« (s. Dschihad, Koran), welche bewirkte, dass die Einheimischen die arabischen Eroberer vielfach wohlwollend aufnahmen und sich dann einigermaßen problemlos in das entstehende arabisch-muslimische Staatsgebilde integrierten. Über sie vermittelten sich den Arabern aber nun die Errungenschaften und Kenntnisse der griechisch-hellenistischen und der persischen Kultur (s. Karat, Schach). Die Entstehung eines einheitlichen Handelsraums bewirkte zudem, dass auch Produkte und Errungenschaften aus China (s. Ries, Satin) und Indien (s. Ziffer, Zucker) sowie aus Afrika (s. Gamasche) bekannt und dann in den muslimischen Gebieten heimisch wurden. Eine erstaunliche, auch religiös motivierte Wissbegier (s. Ries) führte ferner dazu, dass in großem Umfang Texte aus den Wissenschaften der Perser, Inder und insbesondere der Griechen ins Arabische übersetzt wurden; das so erworbene Wissen wurde dann eigenständig weiterentwickelt (s. Algebra) und durch Buchhandel und Bibliotheken verbreitet. Mit den neuen Kulturgütern haben die Araber aber oft die Wörter der Herkunftssprache übernommen und an das Arabische angepasst. Dies erklärt, warum von den in den folgenden Artikeln behandelten Wörtern nahezu die Hälfte ursprünglich nicht arabischer Herkunft ist. Verbindendes Element der so entstandenen islamisch geprägten Kultur war jedenfalls die arabische Sprache. In ihr drückten sich zumindest in ihren naturwissenschaftlichen Werken selbstverständlich auch christliche Perser aus wie der in Artikeln mehrfach erwähnte Arzt aṭ-Ṭabarī (gest. um 865), der erst spät zum Islam übertrat, als auch spanische Juden wie Maimonides, welcher, durch die rigide Religionspolitik der Almohadenherrscher ins Exil gezwungen, 1204 als Leibarzt eines Sohns von Sultan Saladin in Kairo starb.

Auf diese Kultur trafen die westlichen Europäer (also die Bewohner des ehemaligen Weströmischen Reichs und angrenzender Gebiete) in Spanien und Sizilien, auf den Kreuzzügen in Syrien und Palästina und fortschreitend im Rahmen des Mittelmeerhandels auch in muslimischen Hafenstädten. Sie suchten vor allem das nachzuahmen, was sie als Luxus empfanden: Wie sich beispielsweise in Wolfram von Eschenbachs »Parzival« an vielen Stellen zeigt, bemühte sich der Adel Westeuropas, seine Stellung durch den Import von Gold und Edelsteinen (s. Azur, Karat), seidenen Stoffen (s. Baldachin), exotischen Gewürzen (s. Safran) und Duftstoffen (s. Ambra) sowie durch Übernahme gesellschaftlicher Gepflogenheiten (s. Schach, Zucker) nach außen hin glänzend deutlich zu machen. Aber auch das gesammelte Wissen der arabischen Kultur zog die Europäer an. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts, als Constantinus Africanus, wahrscheinlich ein zum Christentum konvertierter Kaufmann aus dem heutigen Tunesien, sich daranmachte, für die Medizinschule in Salerno bei Neapel arabische Werke auf Lateinisch wiederzugeben, entstanden ganze Übersetzerschulen oder -zentren, in denen Texte insbesondere aus den Bereichen Medizin bzw. Pharmakologie (s. Mumie, Racket), Mathematik (s. Ziffer), Alchimie (s. d.), Astronomie und Astrologie (s. Zenit), Geographie und Philosophie ins Lateinische übertragen wurden. Vor allem für die Verwendung in (übersetzten) medizinischen Rezepten wurden zahlreiche Substanzen, sogenannte Drogen, eingeführt (s. Kampfer, Zucker); die Kontakte im Mittelmeerraum ermöglichten zudem die Übernahme von Techniken, Einrichtungen und Geräten der muslimischen Welt (s. Arsenal, Ries, Zenit).

Wie schon die arabische Welt Jahrhunderte zuvor entwickelten auch die Europäer die übernommenen Kenntnisse selbständig weiter: Das Gemisch aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle beispielsweise – ursprünglich eine Erfindung aus China – erlangte seine enorme Bedeutung als Schießpulver erst, nachdem sie die Geschützrohre erfunden hatten (s. Kaliber, Natron). Diese Fortentwicklungen aber trugen dazu bei, dass sich etwa ab dem 13. Jahrhundert das Verhältnis zwischen der muslimischen und der christlich-westeuropäischen Welt änderte: Gegenüber dem inzwischen zerfallenen Kalifenreich und angesichts der Stagnation von Forschungen und Neuerungen in den arabischsprachigen Gebieten erlangten Venezianer und Genuesen, aber auch Katalanen und Franzosen allmählich die wirtschaftliche Vorherrschaft im Mittelmeerraum (s. Arsenal, Zechine). Mit dem daraus folgenden Rückgang des Imports muslimischer Kulturgüter nahmen auch die Neuentlehnungen aus dem Arabischen ab, und bereits vorhandene Wörter wurden im medizinischen Bereich im Rahmen des Wiederauflebens des klassischen Griechisch und Latein durch Begriffe aus diesen Sprachen allmählich verdrängt. Diese Entwicklungstendenzen wurden im 16. und 17. Jahrhundert ein wenig aufgehalten, als die kulturelle Ausstrahlung des Osmanischen Reichs dazu führte, dass die Europäer Kulturgüter übernahmen, von denen einige Bezeichnungen trugen, die aus dem Arabischen stammten (s. Kaffee, Lila, Sofa). Vor allem die Entwicklung von Naturwissenschaften und Industrie in Europa bewirkte dann aber, dass viele Wörter arabischer Herkunft in Vergessenheit gerieten; das Wort (nhd.) Lack (s. d.) etwa, das ursprünglich ein Rohprodukt aus Indien bezeichnete, welches zum Färben und in der Medizin genutzt wurde, überlebte vielleicht nur dadurch, dass sich seine Bedeutung im Lauf der Zeit zu »(industriell hergestelltem) konservierendem Anstrich« gewandelt hatte. Neu aufgenommen wurden ab dem 18. Jahrhundert nur noch wenige landestypische Begriffe aus Reiseberichten (s. Kadi) oder im Rahmen von Kolonialherrschaft (s. Razzia, Safari); erst in neuester Zeit tragen Globalisierung und neue Gewohnheiten (s. Safran, Hamam) ebenso wie die muslimische Einwanderung (s. Islam, Falafel, Moschee) und schließlich politisch-ideologische Auseinandersetzungen (s. Minarett, Scharia) dazu bei, dass einige Wörter arabischer Herkunft im Deutschen neu belebt oder erstmals heimisch werden.

Es fällt auf, dass Art und Umfang der Entlehnungen nicht davon abhängen, inwieweit sich Westeuropa in einem konfliktreichen oder entspannteren Verhältnis zur islamischen Welt befand. Im Gegenteil, etwa die Hälfte der im Buch behandelten Wörter sind zur Zeit der Kreuzzüge entlehnt worden, ein weiteres Dutzend zur Zeit der Türkenkriege, ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass die Sogwirkung, die von einer reicheren oder als überlegen bzw. interessant angesehenen Kultur ausgeht, weit wirksamer ist als ideologische Vorbehalte, die mit der politischen Situation zusammenhängen (s. Admiral, Islam). Wohl aber werden die entschiedene Hinwendung von Intellektuellen der Renaissance zur griechisch-römischen Antike und die damit verbundene Ablehnung des Arabischen – auch als Teil des »dunklen« Mittelalters – dazu beigetragen haben, dass nicht nur arabische Wörter in Vergessenheit gerieten, sondern auch der arabisch-islamische Beitrag zur Entwicklung Europas weitgehend verdrängt wurde (de Libéra). Ein kurioses Beispiel hat Hans Belting herausgestellt: Die Entdeckung der Zentralperspektive im 15. Jahrhundert in Florenz wurde ermöglicht durch die Rezeption der Theorie der Lichtstrahlen von Ibn al-Haiṯam (mlat. Alhazen, gest. um 1040). Sein zugrunde liegendes Werk über die Optik war allgemein bekannt und wurde noch Ende des 16. Jahrhunderts unter dem Titel »Opticae Thesaurus Alhazeni Arabis« neu herausgegeben. Nichtsdestoweniger zitiert einer der bekanntesten Theoretiker aus Florenz zwar ausführlich aus diesem Werk, verortet den Verfasser aber unter dem Namen Alfantem irgendwo in der Antike, in welcher im übrigen angeblich schon der Römer Vitruv mit der Perspektive gearbeitet habe. Und anderswo wurden die Forschungen des griechischen Mathematikers Euklid (auf denen Alhazen natürlich aufbaute) als entscheidender Baustein zur Entwicklung der Perspektive gesehen. Insgesamt wurde den Arabern zumeist im besten Fall lediglich die Rolle von Übermittlern der griechischen Wissenschaften zugebilligt – vielfach galten sie jedoch gleichzeitig auch als deren Verfälscher (s. Alchimie, Spinat). Diese Sichtweise veränderte sich zumindest teilweise im Zeitalter der Aufklärung – für Herder waren die Araber sogar »die Lehrer Europas« (s. Ghasel); in vergleichbarer Form entwickelte sie sich aber wieder im Laufe des 19. Jahrhunderts, als die Europäer ihre kolonialen Eroberungen damit rechtfertigten, dass sie den eroberten Völkern die – europäische, in der griechischen Antike begründete – Zivilisation brächten.

Ins Deutsche sind die arabischen Wörter fast ausnahmslos zeitlich verzögert über andere europäische Sprachen gelangt, neben dem Mittellateinischen vor allem über das Italienische und Französische. Dies liegt in erster Linie daran, dass Deutschland bzw. das deutschsprachige Territorium praktisch nie an muslimische Gebiete grenzte und am Mittelmeerhandel nicht beteiligt war. So vollzog sich die Übernahme dieser Wörter meistens in der Weise, dass man, etwa aus Italien oder Frankreich, eine Neuerung oder Mode übernahm, die dort mit einem ursprünglich arabischen Wort belegt war: Aus (ar.) maṭraḥ abgeleitetes materaffe taucht beispielsweise erstmals im 10. Jahrhundert in Spanien auf; als wertvolles Luxusgut erscheint (mhd.) matraz, übernommen aus dem Italienischen oder Französischen dann um 1210 im »Parzival«; die heutige Wortform Matratze geht allerdings auf eine neuerliche Entlehnung des Worts aus dem Italienischen des 15. Jahrhunderts zurück, wo materazzo das Unterbett bezeichnete, das allmählich ein verbreiteter Gebrauchsgegenstand wurde.

Für die Auswahl der in den folgenden Artikeln dargestellten Wörter war erstes Kriterium, dass sie einigermaßen zweifelsfrei aus dem Arabischen stammen. Wo dies nicht erwiesen ist, wurden Wörter wie Albatros, Almanach, Antimon, Balsam, Farbe, Havarie, Jacke, Kabel, (Fata) Morgana, Mafia, Mütze, Scharlach, Risiko, Tabak, Troubadour, Watte u. a. deshalb nicht in das Buch aufgenommen. Die zweite Bedingung war, dass sie im heutigen Deutschen bekannt und verankert sind. Aus diesem Grund fehlen etwa früher beliebte Drogen bzw. Gewürze, wie Galgant oder Kubebenpfeffer, deren Namen heute nur noch einige Apotheker kennen dürften. Ebenso beispielsweise die Zibebe, eine Rosinenart, die um 1900 noch so bekannt gewesen sein muss, dass Christian Morgenstern dichten konnte: »Ich schieße keine Möwe tot, / ich laß’ sie lieber leben – / und füttre sie mit Roggenbrot / und rötlichen Zibeben.« Viele andere heute relativ unbekannte Wörter, die beiläufig in den Wortartikeln erwähnt und erklärt werden, tauchen allerdings im Register auf. Dort erscheinen auch einige Personen-, Orts- und Völkernamen, die üblicherweise in etymologische Lexika nicht aufgenommen werden. Einige kaum mehr bekannte Wörter wie Ghasel, Racket, Ries oder Zechine schließlich verdanken ihre Aufnahme als eigene Artikel in das Buch dem Bestreben, möglichst alle wichtigen Bereiche des arabisch-muslimischen Einflusses auf das westliche Europa an Beispielen von Wörtern darzustellen. Für das Gebiet der Philosophie, wo beispielsweise der Aristoteles-Kommentar des wie Maimonides ins Exil getriebenen Averroes (latinisiert aus Ibn Rušd, gest. 1198) ähnlich wie Maimonides’ »Führer der Unschlüssigen« die Auseinandersetzung über das Verhältnis von Vernunft und Glauben im westlichen Europa anregte und beeinflusste, war das allerdings nicht möglich; aus ihrem Bereich ist kein arabischer Begriff in europäische Sprachen übernommen worden. Entsprechendes gilt für die »Geburt der ›deutschen Mystik‹ aus dem Geist der arabischen Philosophie«, wie Kurt Flasch es etwas provokativ formuliert hat.

Mein besonderer Dank gilt Jürgen Kluwig, Dr. Emilie Unger und Dr. Ernst Unger, ohne deren Unterstützung, sowie Judith Grzegorczyk, ohne deren Recherchen das vorliegende Buch nicht zustande gekommen wäre. Von den vielen Personen, bei denen ich mich für Informationen bedanke, möchte ich in erster Linie Prof. Walter W. Müller und Dr. Monica Niederer (»Mittellateinisches Wörterbuch«), aber auch Prof. Peter Dilg, Prof. Paul Kunitzsch, Dr. Heinrich Kohring, Jürgen Neuss, Prof. Diether R. Reinsch und Dr. Angela Schottenhammer erwähnen.

Abkürzungen

afrz.

altfranzösisch

äg.

ägyptisch

ahd.

althochdeutsch

aind.

altindisch

akkad.

akkadisch

aprov.

altprovenzalisch

ar.

arabisch

aram.

aramäisch

byz.-gr.

byzantinisch-griechisch

chin.

chinesisch

dt.

deutsch

engl.

englisch

frnhd.

frühneuhochdeutsch

frz.

französisch

gr.

griechisch

hebr.

hebräisch

it.

italienisch

kat.

katalanisch

lat.

lateinisch

mhd.

mittelhochdeutsch

mind.

mittelindisch

mlat.

mittellateinisch

mndl.

mittelniederländisch

mpers.

mittelpersisch

ndd.

niederdeutsch

ndl.

niederländisch

ngr.

neugriechisch

nhd.

neuhochdeutsch

nlat.

neulateinisch

npers.

neupersisch

osm.-tk.

osmanisch-türkisch

pers.

persisch

pl.

Plural

port.

portugiesisch

prov.

provenzalisch

siz.

sizilianisch

sp.

spanisch

syr.

syrisch

tk.

türkisch

*

Wort(form) ist erschlossen, nicht belegt

Transkription arabischer Laute

(nach den Empfehlungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft)

ā, ī, ū

Langvokale

wie in engl. mother

ǧ

wie in engl. job

ġ

wie in Rand

stark gehauchter h-Laut

wie in Buch

q

kehliger k-Laut

r

gerolltes Zungen-r

š

wie in Schimmel

wie in engl. three

z

stimmhafter s-Laut wie in Sand

ḍ, ṣ, ṭ, ẓ

sog. emphatische, mit Anspannung des Sprechapparats am Gaumen gebildete Laute

ʾ

Stimmabsatz wie in ʾaufʾessen

ʿ

mit verengtem Schlund gepresster Knarrlaut

Lexikon

Admiral

(Nhd.) Admiral geht über Zwischenstufen zurück auf (ar.) amīr, abgeleitet von dem Verb amara ›befehlen‹. Amīr ›militärischer Befehlshaber‹ war vermutlich schon zu Lebzeiten des Propheten Mohammed die Bezeichnung der Leiter der Militärexpeditionen bei der islamischen Expansion. Als Provinzgouverneure verwalteten diese in der Folgezeit die eroberten Gebiete im Auftrag des Kalifen (s. Sultan), der sich selbst amīr al-muʾminīn ›Befehlshaber der Gläubigen‹ nennen ließ. Zur Zeit der Abbasidenkalifen lockerte sich das Gefüge des Reichs: Nachdem sich schon 756 der Umaiyade ʿAbd ar-Raḥmān I. als amīr (Emir) auf der spanischen Halbinsel vom Kalifen unabhängig gemacht hatte, traten in den folgenden Jahrhunderten selbsternannte Emire auf, gegen die der Kalif oft nichts weiter tun konnte, als sie großzügig in ihrem gewaltsam erlangten Amt zu bestätigen. Seit dieser Zeit war amīr zunehmend auch als Bezeichnung für allerlei mittlere und hohe militärische Ränge in Gebrauch. (1)

(Ar.) amīr wurde schon im 7. Jahrhundert ins byzantinische Griechisch entlehnt, wo mit amirās, amirátos und amiraios vorwiegend die entsprechenden Titel der Muslime wiedergegeben wurden. Offenbar aus den griechischen Formen ist (mlat.) amiratus abgeleitet, das Anfang des 9. Jh.s erstmals in den fränkischen Annalen belegt ist: Im Abschnitt über das Jahr 801 wird dort berichtet, wie Karl der Große in Pisa Gesandte des Kalifen Hārūn ar-Rašīd empfängt, die ihm ankündigen, dass einer seiner eigenen Botschafter, der Jude Isaak, sich auf dem Rückweg von Bagdad befände. Er habe allerdings ein Geschenk bei sich, das übers Meer transportiert werden müsse, den Elefanten Abū ʿAbbās (der im folgenden Jahr tatsächlich nach Aachen gelangte). Einer dieser Gesandten wird vorgestellt als Abgesandter des amiratus Abraham aus Nordafrika. Tatsächlich regierte seit 800 ein von Hārūn eingesetzter amīr, Ibrāhīm ibn al-Aġlab, der Begründer der Aghlabidendynastie, in der Provinz Ifrīqiyā (›Afrika‹) im Gebiet um Tunis. In den folgenden Jahrhunderten erscheint dann das mittellateinische Wort zur Bezeichnung muslimischer Würdenträger in vielen Abwandlungen mit unterschiedlichen Endungen, amiraldus, amiralius usw.; 1010 ist zuerst ein (mlat.) admiratus belegt, dessen Wortform vermutlich an (lat.) admirari ›bewundern‹ angelehnt ist. (2)

Im altfranzösischen Rolandslied (Ende 11. Jh.) tritt das Wort gleich in doppelter Gestalt auf: Zuerst kämpft dort der spanische Sarazenenkönig Marsilie zusammen mit seinen hochrangigen Vasallen, »amirafles/amurafles« genannt, gegen die von Roland angeführte Nachhut des Heers von Karl dem Großen. Nach ihrer Niederlage eilt ihm der amiraill (Nominativ amiralz) Baligant übers Mittelmeer mit seinen afrikanischen und asiatischen Truppen zu Hilfe. Amiraill/amiralz steht hier für die Bezeichnung des obersten Herrschers der Muslime, beinhaltet also offenbar eine ungefähre Vorstellung von der historischen Rolle des Kalifen. Im folgenden Kampf gegen das Heer Kaiser Karls stehen sich demgemäß Kalifen- und Frankenreich bzw., entsprechend der damals entstehenden Kreuzzugsideologie, Heiden (Muslime) und Christenheit gegenüber. Der amiraill Baligant wird dabei allerdings durchaus noch positiv geschildert: »Welch ein edler Ritter, wenn er Christ gewesen wäre« (V. 3164). In der mittelhochdeutschen Nachdichtung, dem »Rolandslied des Pfaffen Konrad« (um 1170), wird der Kampf gegen die »Heiden« dann schon im Sinne eines Heiligen Kriegs interpretiert; demzufolge wird auch der König »Paligân«, der (nur an einer Stelle) admirâte genannt wird, weit weniger wohlwollend dargestellt (V. 7298, 8003 ff.).

Mit Formen wie (mhd.) admirât oder amiral wird in der Folgezeit im allgemeinen der höchststehende muslimische Herrscher bezeichnet, und noch 1509 wird der (nhd.) admiraldo von Alexandria erklärt als der »oberost [oberste] im Land«. (3)

Der Bedeutungswandel zum ›Flottenkommandeur‹ hat sich über Sizilien vollzogen. Diese Insel, seit dem 6. Jh. unter byzantinischer Herrschaft, war im 9. Jh. von den aghlabidischen Emiren erobert worden, seit 947 herrschte in Palermo, relativ unabhängig, ein ursprünglich den Fatimidenkalifen verantwortlicher amīr. Als die Normannen 1072 Palermo eingenommen hatten, soll dort schon ein (mlat.) amiratus eingesetzt worden sein. In der arabisch-griechisch-normannischen Mischkultur, die in den folgenden Jahrzehnten entstand, war amiratus dann ein hoher Titel. Der Grieche Georg von Antiochia, der zuerst in Nordafrika bei einem muslimischen Herrscher gedient hatte, wurde 1124 zum amiratus amiratorum und damit zum höchsten Würdenträger im Staat ernannt. Ihm wurde 1131 auch der Oberbefehl über Flottenexpeditionen übertragen. 1178 wird ein Walterius de Moac dann »admiratus der … königlichen Flotte« des Normannenreichs genannt. (Mlat.) admiratus ohne erklärenden Zusatz in der Bedeutung ›Flottenkommandeur‹ hat sich dann über die Genuesen verbreitet, die im 13. Jh. in der Flotte von Kaiser Friedrich II. hohe Ränge bekleideten; 1226 wird in den genuesischen Annalen erstmals ein amiratus in diesem Sinn erwähnt. Da die genuesische Flotte französische Kreuzritter nach Palästina transportierte, gelangte der Titel auch nach Frankreich, ein genuesischer Flottenführer wurde 1248 als »admiratus … regis Francorum« bezeichnet; (frz.) amiraut (du roi) ›Admiral des Königs‹ ist offenbar erstmals 1268 belegt. In dieser Bedeutung taucht aus dem Französischen entlehntes (frnhd.) ammiral 1388 in hanseatischen Urkunden auf; die Form mit -d-, die sich im Deutschen durchsetzte (»zweye gewafent schieffe mit sinen admirallo«, 1401), entstammt der eine Zeitlang in Frankreich gebräuchlichen Wortform admiral. In der Erklärung »generaloberst … den man auff dem wasser oder meer amer oder admiral pflegt zu nennen«, ist 1566 erstmals die heutige Wortform belegt. (4)

(Nhd.) Emir für den arabischen Titel amīr ist seit dem 18. Jh. bezeugt: »Emir heist auf Arabisch ein Fürst, ein Ober-Herr oder Befehlshaber« (1734). (5)

(1) Wehr 40 ff.; EI (amīr, amīr al-muʾminīn, ʿAbd al-Raḥmān); (2) Reallex. Byz. 405; Pellegrini Ric. 97 ff.; MLW (amiraldus); Annales Laurissenses et Einhardi, MGH (SS) I,190; EI (Ibrāhīm b. al-Aghlab); Tazi 184 ff.; (3) Tobler/L. (amiral); Chanson de Roland 850, 894, 2602, 2615 usw.; Cardini 65 ff.; Lexer, BMZ (amiral, amirât) DWB² (Admiral); (4) Pellegrini Ric., Tazi (a. a. O.); LM (Sizilien, Georg v. Antiochien, Admiratus, Amiral de France); Tobler/L., DWB² (a. a. O.); (5) Zedler (Emir).

Alchimie

Unter Alchimie im engeren Sinn versteht man das Bestreben, aus unedlen Metallen mit Hilfe komplizierter Verfahren Gold bzw. Silber zu machen.

Die Vorformen der späteren arabischen und europäischen Alchimie entstanden in den Jahrhunderten um Christi Geburt im Raum des damaligen Wissenschaftszentrums Alexandria in Ägypten, wo die verschiedensten religiösen, philosophischen und technischen Einflüsse aufeinanderstießen. Diese Anfänge der Alchimie wurden schon früh mit legendären Personen in Zusammenhang gebracht, etwa »Maria der Jüdin«, auf die später die Technik des Wärmens im Wasserbad, (frz.) »bain-marie«, zurückgeführt wurde, oder »Hermes Trismegistos«, dem es gelungen sein soll, ein Glasröhrchen ›hermetisch‹ abzuschließen. Konkret fassbar wird aber erst die Person des Zosimos aus Panoplis (um 300 n. Chr.), von dem einige Fragmente erhalten sind. Bei ihm findet sich auch zuerst die Bezeichnung dieser Kunst, (gr.) chêmeía (gesprochen chimeia, chimia), aber, einer syrischen Version zufolge, wohl auch (gr.) chymeía. Er selbst führt sie auf einen angeblichen Gründer Chýmês (Chêmês) zurück; tatsächlich ist die Herkunft des Wortes ungeklärt: Je nachdem, welche Schreibform man zugrunde legt, wird es entweder von (gr.) chýma ›Metallguss, Barren‹ u. a. abgeleitet oder auf einen Namen für Ägypten zurückgeführt, der bei dem griechischen Geschichtsschreiber Plutarch (um 100 n. Chr.) in der Form Chêmía bezeugt ist, und selbst über das koptisch-ägyptische kême, chêmi ›Schwarzland, Ägypten‹ (wohl wegen der fruchtbaren Nilerde) und kame, chemi ›schwarz‹ auf (äg.) km ›schwarz‹ zurückgeht. In diesem Fall wäre die alchimistische Kunst also nach ihrem Herkunftsland benannt. Aber auch ein koptischer Begriff für ›Schwärzung‹ als eine der für notwendig gehaltenen Operationen bei der angestrebten Metallumwandlung könnte ihrer Bezeichnung zugrunde liegen. Die Vorstellung der Alchimisten lässt sich nämlich etwa so zusammenfassen: Die Metalle reifen lange in der Erde, bis sie ihre vollkommenste Form, das Gold, erreichen. Der Alchimist versucht nun diesen Prozess künstlich und beschleunigt ablaufen zu lassen. Dazu muss ein unedles, »krankes« Metall zum richtigen Zeitpunkt, der beispielsweise durch die Konstellation der Gestirne bestimmt wird, möglichst mit Hilfe eines Elixiers (s. d.) durch verschiedene Verfahren wie die »Schwärzung« zuerst auf eine »Urmaterie« zurückgeführt werden, bevor es dann zu Gold (oder Silber) umgewandelt werden kann. (1)

Die Araber sind mit dieser Kunst vielleicht schon bei der Eroberung Alexandrias im Jahr 642, auf alle Fälle aber über Traditionen in Ägypten und Syrien in Berührung gekommen. Einen interessanten Hinweis liefert der Bericht eines Gesandten des Kalifen al-Manṣūr (754775) am byzantinischen Hof, den der Geograph Ibn al-Faqīh (9. Jh.) wiedergibt. Demnach hat der »byzantinische König« selbst dem arabischen Gesandten vorgeführt, wie man aus Blei und Kupfer durch die Beigabe eines weißen bzw. roten Pulvers, offenbar eine Art Elixier, Silber und Gold herstellen kann. Der beeindruckte Gesandte erstattete Bericht beim Kalifen, der darauf beschloss, sich mit dieser wertvollen Wissenschaft, (ar.) al-kīmiyāʾ (syr. kīmīyā), näher zu befassen. Der Begriff muss schon bald darauf populär geworden sein, denn der Philosoph und Arzt al-Kindī (gest. um 870) gebraucht ihn in der Wendung »Kīmiyāʾ al-ʿiṭr« (›Kunst des Parfüms‹) im Titel seines Buchs über Herstellung und Fälschung von Parfümen (s. Ambra) schon in einem erweiterten Sinn; später kann (ar.) kīmiyāʾ dann gelegentlich auch eine Art Elixier bezeichnen. Wie seinerzeit in Alexandria wurde die (ar.) al-kīmiyāʾ als Goldmacherkunst mit mythischen Gründergestalten und Legenden versehen. In der Realität gab es auch eine eher empirisch ausgerichtete Forschungsrichtung, die der Möglichkeit der Transmutation, also der Umwandlung in Gold oder Silber, skeptisch gegenüberstand. In der Beschäftigung mit ihrem Gegenstand gelangen der Alchimie jedenfalls zahlreiche Verbesserungen an elementaren chemischen Verfahren wie der Destillation, Kristallisation oder Sublimation (die dann in der quasi industriellen Herstellung etwa von Glas, Keramik und Seifen zur Anwendung kamen) und schließlich auch manche Entdeckungen; die vielleicht augenfälligste fand allerdings eher in einer benachbarten Wissenschaftsdisziplin statt: und zwar die relativ genaue Bestimmung des spezifischen Gewichts verschiedener Stoffe durch den Universalgelehrten al-Bīrūnī (gest. um 1050). (2)

Erhaltene Fragmente der alexandrinischen Alchimie wurden in Byzanz gesammelt; die westlichen Europäer lernten die Alchimie aber über Araber kennen: Das Wort (mlat.) alchimia (›Kunst der Metallumwandlung‹) ist zuerst belegt in der 113445 in Spanien angefertigten und unter dem Titel »Tabula Smaragdina« erschienenen Übersetzung eines arabischen Textes, in welchem Hermes Trismegistos einen Schüler in das Geheimnis der Schöpfung einweiht. Die Übersetzung solcher Schriften führte dazu, dass sich nun auch in Europa alchimistisches Denken und Forschen ausbreiteten. In diesem Rahmen wurden beiläufig neue Stoffe entdeckt wie die Salz-, Schwefel- und Salpetersäure, vermutlich auch der Alkohol (s. d.). Ab dem Ende des 13. Jh.s begann sich die Alchimie der Medizin anzunähern (s. Elixier); dies führte dazu, dass nun auch Alkohol oder Mineralien in Rezepten der Medizin verwendet wurden, eine Entwicklung, die in der sogenannten »Iatrochemie« (›Arztchemie‹) des schweizerisch-deutschen Arztes Paracelsus (14931541) mündete. (3)

Im Mittelhochdeutschen wird unter alchimîe um 1280 eine nützliche Kunst verstanden; 1494 wird (frnhd.) alchemy allerdings von Sebastian Brant im »Narrenschiff« auch schon als »falsch und bschiss« gekennzeichnet; 1716 ist dann die heutige Schreibweise Alchimie (ab dem 19. Jh. häufiger auch Alchemie) belegt. 1644 ist nun aber im Deutschen erstmals auch die Rede von einer »Chimia, welche der metallen und Mineralien Eigenschaft … untersuchet«. Diese neue Wortform ist ein Jahrhundert zuvor entstanden: Humanistisch gebildete Gelehrte wollten damals gegenüber den angeblichen oder wirklichen Entstellungen im arabisch beeinflussten Mittelalter die Reinheit der antiken Lehren und damit auch die ursprünglichen Wörter wiederherstellen. Da es bekannt war, dass al- der arabische Artikel ist, gebrauchte nun beispielsweise der Züricher Gelehrte Conrad Gesner 1552 vorwiegend eine (artikellose) Wortform (nlat.) chymia, die wohl der alten griechischen entsprechen sollte. Er kannte allerdings anscheinend auch schon eine im byzantinischen Griechisch erhaltene Form chemia, weniger wohl die offenbar sehr seltenen mittellateinischen Formen chemia, chymia (13. Jh.). Im Rahmen der Entwicklung der neuzeitlichen Naturwissenschaft differenzierten sich dann die Wortformen aus: Die Formen ohne Al- standen etwa seit Robert Boyles »Sceptical Chymist« (1661) zunehmend für die empirisch begründete Wissenschaft, die im Deutschen bis Ende des 18. Jh.s noch Chymei, Chymie genannt wurde (die heutige Form Chemie ist erstmals 1773 belegt). Die alten Formen mit Al- wurden demgegenüber mehr und mehr angewendet, um eine spekulative Geheimwissenschaft oder ein als Betrügerei entlarvtes Handwerk zu bezeichnen. (4)

(1) DNP (Alchemie); Rey (bain); Kluge (hermetisch); Liddell/Scott 2013, 1990; E. Schwyzer, Griech. Gramm., Hdb. d. Altertumswissensch., I,1,1, 1968, 186, 193; Frisk II,1124; Plutarch 364c = Isis u. Osiris 33; Herodot II,12; W. Westendorf, Kopt. Handwörterbuch, 1977, 64; EI (kīmiyāʾ); LM (Alchemie); (2) EI (a. a. O.); Vernet 99; G. Strohmaier, Von Demokrit bis Dante, 1996, 365375; Garbers 1; WKAS I,512516; Brock 15 ff.; LM (a. a. O.); Al-Khalili 118 f.; Watt 45; (3) MLW (alchimia); Arveiller 313; Vernet 168 ff.; Brock, LM (a. a. O.); (4) DF², DWB² (Alchimie); Tazi 113; DF² (Chemie); Rodinson, Fasz. Islam 49; Dilg 367 ff.; Brock 19 f.; Thesaurus Evonymi Philiatri, 5 f.; Arveiller 310; MLW (chemia); Cobb 114 ff.

Algebra

(Nhd.) Algebra, im herkömmlichen Sinn die Lehre vom Rechnen mit Unbekannten in Gleichungen in der Mathematik, lässt sich zurückführen auf den Titel eines Buchs des persisch-arabischen Gelehrten Muḥammad ibn Mūsā al-Ḫwārizmī (gest. um 847) (s. Algorithmus): (Ar.) »al-Muḫtaṣar fī ḥisāb al-ǧabr wa-l-muqābala« (›Abriss der mathematischen Operationen Einrenken und Gegenüberstellen‹). Mit diesen beiden Begriffen bezeichnet al-Ḫwārizmī zwei wesentliche Operationen zum Lösen von Gleichungen. Sie werden zwar bei dem griechischen Mathematiker Diophantos von Alexandria (um 250 n. Chr.) schon ähnlich definiert, das Neue aber ist, dass al-Ḫwārizmī sie in allgemeine Lösungsschritte einbindet und in praxisnahen Rechenoperationen innerhalb des erst kurz zuvor übernommenen indischen Zahlensystems anwendet (s. Ziffer). Zu Beginn seines Buchs gibt er ein einfaches Beispiel: Ausgangspunkt ist die Gleichung: Ein māl ist gleich vierzig »šaiʾ« weniger vier »māl« (wobei »māl«, eigentlich ›Vermögen‹, hier das Quadrat der Unbekannten und »šaiʾ«, ›etwas, Sache‹, die Unbekannte bezeichnet). Diese Gleichung wird durch ǧabr (Beseitigung des negativen Glieds durch Addition auf beiden Seiten) umgewandelt in: Fünf »māl« ist gleich vierzig »šaiʾ«. Daraus folgt: Ein »māl« ist gleich 8 »šaiʾ« usw. In heutiger Schreibweise also etwa:

1x2 = 40x – 4x2

5x2 = 40x

  x2 = 8x

In den Gleichungen, die al-Ḫwārizmī in der Folge behandelt, bedeutet dann muqābala die Vereinfachung durch (Gegenüberstellung und) Zusammenfassung gleichwertiger Glieder, also beispielsweise den Übergang von

50+ x2 = 29+ 10x  zu

21+ x2 = 10x

Das Verb (ar.) ǧabara mit dem Infinitiv ǧabr wird vor allem im medizinischen Bereich gebraucht und hat dort die Bedeutung ›Einrichten verrenkter oder gebrochener Knochen‹. Die bildliche Übertragung auf den Bereich der Mathematik hängt offenbar damit zusammen, dass negative Glieder in der Gleichung unerwünscht waren. In seiner medizinischen Bedeutung ist das Wort allerdings auch im Mittelalter in Europa übernommen worden, in der Form algebra (mit arabischem Artikel al-) taucht es Mitte des 13. Jh.s im Umkreis der Medizinschule von Salerno bei Neapel und Ende des 15. Jh.s im Spanischen auf. (1)

Im 12. Jh. wurden in Toledo in großem Umfang arabische wissenschaftliche Schriften übersetzt. In diesem Rahmen übertrug Robert von Chester (Robert von Ketton), der auch schon den Koran (s. d.) übersetzt hatte, 1145 den ersten Teil des Werks von al-Ḫwārizmī unter dem Titel (mlat.) »Liber algebrae et almucabola« ins Lateinische; eine verbesserte Übersetzung unter dem Titel »De jebra et almucabola« verfasste etwas später Gerhard von Cremona. 1202 wird die Gleichungslehre in Leonardo von Pisas »Liber ab(b)aci« über das praktische Rechnen mit den indisch-arabischen Zahlen (s. Ziffer) »(compositum) elgebre et elmuchabale« genannt. Der Mathematiker Raffaelo Canacci aus Florenz bezeichnet die Disziplin dann im 14. Jh. einfach als (mlat./it.) algebra. (2)

Eine vermutlich um die Mitte des 15. Jh.s entstandene lateinische, in Teilen aber auch deutsch geschriebene Rechenanleitung trägt den Titel »regule cose vel algobre«. Die Formulierung geht aufs Italienische zurück. Mit »arte« bzw. »regola della cosa« wurde dort (mlat.) »ars (›Kunst‹) rei et census« wiedergegeben. Dies wiederum ist eine lateinische Bezeichnung der neuen Disziplin: (Lat.) »res« ›Sache‹ (it. cosa) steht dabei für (ar.) »šaiʾ«, (lat.) »census« für (ar.) »māl«. 1461 heißt es in der Übersetzung eines Auszugs aus der Algebra des al-Ḫwārizmī unter Anspielung auf deren mittellateinischen Titel: »Machmet [Muḥammad … al-Ḫwārizmī] in dem puech [Buch] algebra und almalcobula, hat gepruchet dise wort, census, radix, numerus«. 1489 wird dann in einem Rechenbuch von der »Regel Algobre ader Cosse«, 1562 von der »sinnreichen regel algebre oder coß« gesprochen. (Nhd.) Coß gibt (it.) cosa wieder, die neue Gleichungslehre wurde in der Tat im 16. und 17. Jh., dem Italienischen folgend, vielfach als »Regel Coß« bezeichnet; ab 1588 (»die Regel Coss oder Algebra«) beginnt sich schließlich die heutige Wortform durchzusetzen. (3)

(1) EI (al-djabr wa ʾl-muḳābala, al-Khwārazmī, riyāḍiyyāt); Al-Khalili 196 ff.; J. Ruska, Zur ältesten arabischen Algebra, 1917, 7 ff.; Vernet 135 ff.; Wehr 163; Katz 271 ff.; MLW, Corominas/P. (algebra); (2) EI, Vernet (a. a. O.); (3) DF² (Algebra); Tazi 128, 131 f.; Vernet (a. a. O.); Schirmer 13; LM (Mathematik, 387).

Algorithmus

Unter Algorithmus versteht man ein komplexes Verfahren nach vorab festgelegten Schritten, das vor allem in der Mathematik und neuerdings auch in der Datenverarbeitung beim Programmieren angewendet wird. Das Wort hat seinen Ursprung in dem Beinamen (ar.) al-Ḫwārizmī, unter dem der Mathematiker und Astronom Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Mūsā (gest. um 847) bekannt wurde, da er aus der schon von dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot um 430 erwähnten Landschaft Choresmien (ar. Ḫwārizm) zwischen Kaspischem Meer und Aralsee stammte. (1)

Al-Ḫwārizmī war nach Bagdad gekommen und arbeitete dort vermutlich einige Zeit in dem vom Kalifen al-Maʾmūn (813833) gegründeten »Haus der Weisheit«, wo wissenschaftliche Werke vor allem aus dem Griechischen übersetzt wurden. Von seinen Büchern zu verschiedenen Themen wurden für Europa besonders wichtig seine Abhandlung über die Gleichungen (s. Algebra) und ein Buch über das Rechnen mit indischen Zahlen. Dieses ist allerdings nur teilweise und auch nur in lateinischen Überarbeitungen erhalten, die etwa ab 1140 im Umkreis der sogenannten Übersetzerschule von Toledo in Spanien entstanden sind. Eine von ihnen beginnt mit den Worten »Dixit Algorizmi« (›Algorizmi sagte‹); eine andere trägt den Titel »Liber alg(h)o(a)rismi (alchorismi) de practica arismetrice« (›Buch des Algorismus über das Rechnen‹). Sie enthalten eine Einweisung in den Gebrauch der indischen Zahlen (s. Ziffer), die Operationen mit den Grundrechenarten, dabei auch mit Brüchen, vor allem den auf die Grundzahl 60 bezogenen Sexagesimalbrüchen, die für die Winkelmessung in Geometrie, Astronomie und Geographie wichtig waren. Sie wurden auch in einfacheren trigonometrischen Operationen verwendet. (Dezimalbrüche und sphärische Trigonometrie wurden in ausgearbeiteter Form erst über ein Jahrhundert später von den Mathematikern al-Uqlīdisī bzw. Abū l-Wafāʾ entwickelt.) In diesem Zusammenhang ist auch der europäische mathematische Terminus Sinus als Bezeichnung des Verhältnisses von Gegenkathete und Hypotenuse bzw. Radius im rechtwinkligen Kreisdreieck entstanden: Den entsprechenden altindischen Begriff jyā bzw. jīvā (›Bogensehne‹) transkribierten die arabischen Mathematiker nämlich in einer Form, die auch als (ar.) ǧaib ›Bausch im Gewand usw.‹ gelesen werden konnte. Adelard von Bath, der um 1126 die astronomischen Tafeln des al-Ḫwārizmī ins Lateinische übersetzte, behielt noch das arabische Wort in der Form (mit Artikel) elgeib bei; Robert von Chester, der nach 1143 diese Tafeln überarbeitete, las dann das arabische Wort tatsächlich fälschlich als ›Bausch‹ und gab es mit dem bedeutungsgleichen (lat.) sinus wieder. (2)

Auf die ersten Darstellungen des Rechnens nach indisch-arabischer Art folgten bald weitere, in denen der entstellte Name von al-Ḫwārizmī auftaucht. (Mlat.) algorismus u. ä. wurde so zur Bezeichnung des Rechnens mit dem neuartigen Zahlensystem; so heißt es beispielsweise Ende des 12. Jh.s in der anonymen mittellateinischen algorizmus-Schrift aus dem Kloster Salem am Bodensee (übersetzt): »die erste Art des Algorismus [algorizmi] wird Addition genannt«. Dass diese Art des Rechnens im 13. Jh. als etwas Besonderes galt, geht aus den ersten mittelhochdeutschen Belegen hervor; im »Rennewart«, der Fortsetzung von Wolframs »Willehalm« (um 1245), wird nach einer Schlacht zwischen Christen und Muslimen gesagt: »Swer die toten wolte zellen / die da erslagen waren / der müste bi zwein jaren / von algarismo han gevlissen [studiert haben]« (V. 23717); und Berthold von Regensburg (gest. 1272) erwähnt in einer Predigt: »Ein kunst heizet algorismus«, allerdings offenbar noch ohne von ihr viel verstanden zu haben, wie seine folgende Erklärung zeigt: »daz saget von der reitunge [Rechnung], wie man die zal leget an den vingern«. Für das neue Verfahren sprach, dass es die mathematischen Operationen sehr erleichterte, die im Rahmen des wirtschaftlichen Aufschwungs Westeuropas und der wachsenden Handelsbeziehungen und Geldgeschäfte notwendig wurden. Dagegen sprach außer seiner argwöhnisch betrachteten Neuartigkeit, dass die dazu verwendeten Ziffern (s. d.), die aus den westarabischen, ab dem 10. Jh. über Spanien verbreiteten Zahlzeichen entstanden waren, lange Zeit in unterschiedlichsten Formen geschrieben wurden und so Verwechslungen oder Veränderungen in betrügerischer Absicht ermöglichten. Erst Ende des 15. Jh.s war die Schreibweise zur heutigen Form etwa vereinheitlicht; in dieser Zeit hatten sich die indisch-arabischen Zahlen und die damit verbundene Rechenart schon weitgehend in Europa durchgesetzt, was auch der Verwendung des inzwischen verbilligten Papiers (s. Ries) und, seit Gutenbergs Erfindung, dem Buchdruck zuzuschreiben war. (3)

Dem ihnen unverständlichen mittelalterlichen Wort (s. Spinat) für das neue Rechnen versuchten die Humanisten offenbar einen Sinn zu geben, indem sie es mit (gr.) arithmós ›Zahl‹ bzw. (mlat.) arithmetica ›Rechenkunst‹ verbanden und so generell algorithmus schrieben; im Deutschen ist diese Wortform zuerst belegt 1525 im »capitl … von gemeinem algorithmo der prüch [Brüche]« eines Rechenbuchs aus Straßburg. In der Folgezeit, als es nicht mehr notwendig war, den Unterschied des arabischen Zahlen- und Rechensystems zum mittelalterlich-römischen hervorzuheben, wurde (nhd.) Algorithmus eher in der Bedeutung von »Arithmetik« gebraucht und so beispielsweise 1732 in Zedlers »Universal-Lexicon« als »die vier Rechnungs-Arten in der Rechen-Kunst« erklärt. Ab dem 19. Jh. (belegt 1822) erhielt das Wort, wohl in Anlehnung an Leibniz’ Differentialrechnung, dann allmählich seine heutige Bedeutung. (4)

(1) EI (al-Khwārazmī); Herodot, III,117; (2) EI (bayt al-ḥikma, ʿilm al-ḥisāb); Juschkewitsch 186 ff., 198 f.; Vernet 137, 85; LM (Mathematik, Trigonometrie); al-Khalili 180; Katz 306 ff.; Tazi 128; Schirmer 67; Mayrhofer III,211; Wehr 221; Rey, Oxford Lat. Dict. (sinus); Die astronom. Tafeln des … al-Khwārızmī … Hrsg. H. Suter, København 1914, 17 f., 69; (3) LM (Rechenkunst, Zahlsysteme); MLW (algorismus); DWB² (Algorithmus); (4) MLW (arithmeticus); Rey (algorithme); Pfeifer, DWB² (Algorithmus); Tazi 133; Juschkewitsch 353 Anm. 1.

Alkali

(Nhd.) Alkali als chemischer Fachbegriff erscheint heute in der Zusammensetzung Alkali-Metalle für Lithium, Natrium, Kalium usw.; mit dem Plural Alkalien bezeichnet man die Hydroxide bzw. Basen, manchmal auch die Carbonate dieser Metalle; ihre Laugen, also ihre Lösungen in Wasser, reagieren alkalisch (basisch). (1)

Das Wort geht zurück auf (ar.) (al-)qily, das seinerseits wohl auf (syr.) qelyā oder (jüd.-aram.) qilyā beruht, aber schon früh ins Arabische gelangt sein muss, wie die Existenz des Verbs (ar.) qalā ›rösten‹ vermuten lässt. Dieser Bedeutung entspricht auch die von qelyā bzw. qily: ein Produkt aus »gerösteten« Pflanzen bzw. aus der Asche von salzhaltigen Strandpflanzen, also das, was in Europa seit dem Mittelalter Soda (s. d.) (Na2CO3) genannt wurde. Oft wird auch Pottasche (K2CO3) dabei gewesen sein, die vergleichbare Eigenschaften aufweist und schon bei den Römern und später in Europa auf analoge Weise aus Holz gewonnen wurde. Um 800 beschreibt der arabische Philologe al-Laiṯ die Herstellung von (ar.) qily: Bestimmte Pflanzen werden noch grün verbrannt, die Asche dann mit Wasser gelöscht und ausgelaugt. Das so gewonnene Produkt wurde, ähnlich wie das chemisch mit Soda identische, aber aus Salzablagerungen von Seen stammende (ar.) »naṭrūn« (s. Natron), vielfältig verwendet: zum Waschen der Kleidung, zur Herstellung von Glas und medizinisch vorwiegend gegen Hautkrankheiten und Geschwulste. (2)

Entlehnt aus (ar.) qily (mit Artikel al-qily), wohl aus einer umgangssprachlichen Form *al-qalí des muslimischen Spaniens, erscheint (mlat.) alcali, alkali bereits in Texten, die vermutlich um das 12. Jh. in Spanien entstanden sind. In seinem Synonymen-Lexikon, einer Erklärung medizinischer Fachtermini, erklärt Simon von Genua um 1290 (mlat.) kali als arabischen Namen einer salzhaltigen Strandpflanze, aus der man durch Verbrennen sal (›Salz‹) alkali gewinne, das zur Glasherstellung gebraucht werde. Um diese Zeit ist auch ein umfangreicher Export dieser Ware aus Alexandria nach Venedig bezeugt. (3)

Im Deutschen erscheint (nhd.) alkali, alcali zuerst 1525 bei dem Arzt Paracelsus. Bei ihm erhält das Wort allerdings eine veränderte Bedeutung, er versteht darunter ganz allgemein vor allem Substanzen, die durch Auskristallisierung gewonnen wurden; 1612 wird alcali als »saltz auß aller gebrandter materi« definiert. (Nlat.) kali ist dagegen in dieser Zeit ein Name für die Strandpflanzen, eine von ihnen nannte der Naturforscher Carl von Linné daher 1753 Salsola kali. Mitte des 17. Jh.s entdeckte van Helmont die Verschiedenheit von Salzen aus Säuren und Basen, 1706 wird demgemäß die »Zusamenkunft … alcalischer und saurer Theilen« in einem Mineralbad in der Schweiz festgestellt. Die Definition von Alkali als »laugenhafftig[es] Saltz« findet sich auch 1732 in Zedlers Lexikon; ansonsten wird dort unter Alkali, Alcali, so wie auch unter Kali, noch eine Strandpflanze und ihr Produkt »Soda, Sude« verstanden, das zur Seifen- und Glasherstellung gebraucht werde. Auch die angegebenen medizinischen Wirkungen von Kali entsprechen weitgehend noch denen der Araber. (4)

Der Berliner Chemiker Andreas S. Marggraf, der Entdecker des Rübenzuckers (s. Zucker), fand Mitte des 18. Jh.s heraus, dass Soda und Pottasche unterschiedliche Arten von Alkali sind; 1796 bewies Martin H. Klaproth die chemische Identität von (pflanzlichem) Soda und (mineralischem) Natron (s. d.); 1807 gelang es Humphry Davy, zwei unterschiedliche Elemente herzustellen, die von ihm, nach den Ausgangsmaterialien, Sodium und Potassium, in Deutschland dagegen Natrium und Kalium genannt wurden. Als Sammelbegriff für Kaliumsalze führte Klaproth den Begriff Kali ein. Alkalien im heutigen Sinn scheinen erstmals 1822 belegt, der Begriff Alkalimetall stammt aus Alexander von Humboldts »Kosmos« (1845). (5)

(1) Römpp 105; (2) Wehr 1055; EI (ḳily); Löw 43; Schmucker 358 f.; Goltz 234; Plinius 31, 107; (3) Corominas/P., Corriente (álcali); Goltz 298 ff., 234; MLW, Abkürzungsverz. 95; Latham 48; Arveiller 262 f.; (4) DWB² (Alkali, Alkalinisch); Goltz 236 f.; Marzell IV,38; (5) Römpp 2049; Hollemann/W. 1270; Pfeifer (Kali); DWB² (a. a. O.).

Alkohol

(Nhd.) Alkohol geht ursprünglich zurück auf (ar.) (al-)kuḥl ›(das) Augenpulver‹, ein Wort, das viele Verwandte in anderen semitischen Sprachen hat. Schon im 2. Jt. v. Chr. ist das jungbabylonische und dann das assyrische guḫlu belegt, ein wertvolles Kosmetikum zum Färben von Augenpartien, vermutlich von schwarzer Farbe. Dieses Mittel war im Altertum sehr verbreitet; unter anderem Namen wird es bei den Ägyptern, Griechen und Römern erwähnt; ähnlicher Natur scheint aber auch das (aind.) kajal zu sein (eine Namensverwandtschaft mit guḫlu bzw. kuḥl1