Über Sonja M. Schultz

Barbara Dietl © Kampa Verlag

SONJA M. SCHULTZ, geboren 1975, wuchs im Hamburger Umland auf und studierte Theaterwissenschaften und Kulturelle Kommunikation in ihrer Wahlheimat Berlin. Sie schreibt über Film und deutsche Geschichte (Der Nationalsozialismus im Film. Von Triumph des Willens bis Inglourious Basterds) und tritt mit Spoken Word auf alternativen Bühnen auf. Mit ihrem Debütroman Hundesohn war sie 2017 Stipendiatin der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin.

Miss Stetson brannte lichterloh. Hawk stand viel zu nah am Feuer. Er hielt die Hände hoch wie zum Boxkampf, die Muskeln pumpten ins Leere, die Hitze fraß seine Augenbrauen. Sein Gesicht war eine geballte Faust, die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt, seine Augen zu Schlitzen gezogen. Die Haut war kurz davor zu reißen, so sehr spannte sie über den glühenden Fingerknöcheln, bald kam das Rote durch und dann die weißen Knochen. Ihm stach der Geruch von versengtem Haar in die Nase, doch sein Gehirn schaltete nicht, dass es sein eigenes war.

Jemand musste sie mit Benzin übergossen haben, während er in seiner Ecke am Tresen saß, dieses mickrig kleine Bier vor sich. Jemand hatte sie schön gleichmäßig vollgespritzt und aus ihr eine Fackel gemacht, deren Flackern ihm die Netzhaut zersäbelte.

Das Feuer schlug in den Nachthimmel.

»Weg da!«, rief einer der Säufer von hinten.

»Hau ab, Mann!«

Hawk tat keinen Schritt, er ließ den Vulkan nicht aus den Augen, der vorhin noch Miss Stetson gewesen war, jetzt Flammen nach oben spuckte und eine tiefschwarze Pest von Rauch hinterher, das war doch nicht normal.

Es machte einen Knall, der erste Reifen platzte. Miss Stetson ging aufs Knie und sackte schräg nach vorn.

Ein gelbes Meer überloderte ihren roten Lack, der ohrenbetäubende Blasen schlug und zu Fetzen ohne Farbe zersprang, dann fiel ein Pistolenschuss. Die Frontscheibe rieselte in die Nacht wie eine Silvesterrakete, tausend kleine Sterne, Hawk wurde der Schädel zu eng.

»Weg hier! Der Tank explodiert!«

Der Typ packte Hawk an der Schulter, aus Hawks Kehle kam ein angebranntes Knurren, Autos explodieren nur in Filmen.

Pures Gift waberte auf die Gaffer zu, die sich auf dem Schotter am Hinterausgang versammelt hatten. Die Menge stöhnte, als zwei Reifen hintereinander explodierten, heißes Gummi landete auf Hawks Hosenbein, biss sich blitzschnell durch den Stoff und in sein Fleisch, er prügelte mit der Hand drauf ein, ohne zu begreifen, was vor sich ging, das Zeug klebte an seinen Fingern fest und schmorte sich unter die Haut.

Miss Stetson ging komplett zu Boden, nie wieder würde sie hochkommen, und jetzt sprengte sie mit einer Serie gezielter Schüsse alles, was sie noch hatte, ihre Scheinwerfer riss sie zu Löchern, und Flammen schlugen raus, ein Regen aus Glas flog den Säufern um die Ohren und sprenkelte ihnen die unrasierten Visagen. Dann ging die Hupe los, ein langgezogener Schrei.

Hawk schnappte nach Luft, weil jemand sein Bein zerschossen hatte, genauso fühlte sich das an, weil sein

Wieder schüttelte ihn einer und schrie.

»Willst du verrecken?«

Mit dem nächsten Hitzeschwall wirbelte Hawk herum, und er schlug dem Typen dorthin, wo das Gesicht sein musste, und noch mal und noch mal, bis Hawk seine aufgequollene Zunge im Hals stecken blieb, er in den Schotter fiel und den anderen am Kragen mitriss.

Wieder jaulten die Leute auf, hier war ganz schön was geboten, wer hätte das gedacht, und das an einem Freitagabend, von dem sich niemand mehr versprochen hatte als eine zugeknallte Birne in der lauen Sommernacht, zum Versinken weich wie ein Federbett. Hawk und der Typ wälzten sich vor der verlodernden Karosserie, bald nur noch ein weißes Gerippe, sie krallten sich ineinander und grunzten, versuchten mit den Fäusten irgendwas zu treffen, Hawk haute gegen die Ohnmacht an, und sein Herz pulsierte in zehnfacher Größe gegen seine Rippen.

Dann klatschte was Weiches in sein Gesicht, es wurde dunkel und nass. Der Lappen blieb kurz kleben, kühl und komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Hinter Hawks Stirn rückte etwas gerade – sie hatten Miss

»Ende der Vorstellung«, sagte der Wirt, der den Putzeimer über ihnen ausgegossen hatte.

Von Miss Stetson kam kein Ton mehr. Nur noch das Rascheln der Flammen und das leise Wabern der pechschwarzen Wolke, die der Nacht mal zeigte, was wirklich Nacht ist, eine lachende Botschaft aus der Hölle.

Mit ihrem penetranten Fiepen arbeiteten sich die Sirenen aus der Ferne ins Bewusstsein der heißgeschwitzten Menge auf dem Parkplatz vor. Ganz schön viele Sirenen für so eine Gegend. Jemand holte sich ein frisches Bier.

Verdammt, dachte Hawk, verflucht – und stützte sich auf die Knie, um hochzukommen. Die Pranke des Wirts stieß ihn zurück in den Dreck.

»Mach deinen Ärger woanders. Hier is Hausverbot.«

»H … A … W …«

Der Bulle tippte nur mit einem Finger, nicht auszuhalten. Der Finger fuhr in der Luft hin und her, bis er über der richtigen Taste hing, dann rammte der Bulle ihn runter. Er schnaufte und schickte den Finger wieder auf Pendeltour.

»… K«

Ein Elend.

»So heißt doch keiner.«

»Ich schon.«

»Und woher kriegt man so einen Namen?«

»Mädchenname der Mutter.«

»Soso«, sagte der Bulle. »Mädchenname.«

»Was dagegen?«

Hawks Stimme war zerkratzt. Fühlte sich an, als hätte er Knochensplitter im Hals.

Im Polizeiwagen hatten sie die Fenster runtergekurbelt, weil Hawk so nach Fleischräucherei stank. Er verrenkte den Hals beim letzten Blick auf Miss Stetson, die Löschfahrzeuge kreisten sie ein, weißer Schaum ertränkte den Schrotthaufen, der sein Auto gewesen war. Dann hatte ihm jemand einen Promillefänger vors Gesicht gehalten, Alkomat hieß das neuerdings, »schön blasen«, sagte der Typ, was lächerlich war bei dem

Der Bulle sah ihn an. Sein Polizeihemd war voller Flecken. Was zum Wechseln hatten die wohl nicht im Schrank, oder dem Typen war’s komplett egal, wem will der hier schon was vormachen. Uniform hatte Hawk schon immer affig gefunden, da kann man ja nur drüber kotzen. Aber der Bulle hatte Glück gehabt, das meiste von dem Zeug war auf der Rückbank gelandet.

»Ihren Führerschein haben Sie auch nicht? Das würde die Sache erleichtern.«

»War im Auto.«

»Geldkarte, Visitenkarte, irgendwas?«

»Verbrannt.«

Hawks Stimmbänder hatten in Säure gebadet.

»Leseausweis von der Bibliothek?«

Das Mädchen auf der Bank kicherte. Sie hatte da schon gesessen, als Hawk von den grünen Knechten reingeschleift worden war, und sofort zu zetern angefangen, dass es hier stinkt. Sie trug ein durchsichtiges Kleid, zumindest soweit Hawk das beurteilen konnte, und es war nicht auszumachen, ob sie was verbrochen hatte oder wen anzeigen wollte. Es schien auch keinen zu kümmern. Unter Hawks Zunge pappte sich was Schlammiges zusammen, ein Klumpen Asche.

Der Bulle stierte ihn an und fuhr sich langsam mit dem Zeigefinger über die rechte Augenbraue.

»Und Vorname Herbert?«

»Hm.«

Hawk räusperte sich und musste husten.

»Hm.«

Der Finger hing zwischen Augenbraue und Tastatur, als wäre die Zeit angehalten, für immer vier Uhr nachts auf dem Provinzrevier. Das Mädchen im durchsichtigen Kleid gähnte mit weit geöffnetem Mund, Hawk sah aus dem Augenwinkel, wie sich ihr Gesicht verzerrte.

»Na schön.«

Der Finger sauste wieder runter.

»H … E …«

Hawk schob die zähe Pampe im Mund herum. Sein Blick wanderte vom fleckigen Kragen des Bullen runter unter den Tisch. Der saß breitbeinig auf seinem Bürostuhl, und bei jedem Buchstaben wippten ihm die Knie. An der Seite wippte sein Pistolenhalfter, eine P6, was sonst.

Um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, zwang Hawk sich, schön hochzugucken und die Sachen an der Wand zu studieren, ein paar Fahndungsplakate, ein Abrisskalender vom letzten Jahr und diese Bilder von verschwundenen Kindern, die immer in Supermärkten hängen. Hawk versuchte, den Kalenderspruch zu entziffern. Es gibt …

irgendwas … es gibt …

… die Schrift verschwamm auf dem vergilbten Papier, was soll’s denn schon geben, da war nichts zu machen, hier drehte sich alles, Hawks Kopf sackte runter auf die Brust, und in seinem Hals gurgelte was, die endlose Suppe von Meer, die gegen den Ozeandampfer

Der Klumpen in seinem Mund war angeschwollen. Der Bulle legte den Hörer auf.

»Soso. Vorbestraft.«

Hawk starrte das Telefon an, mühsam blinzelte er. Da stand einer dieser alten Apparate, die es eigentlich nicht mehr gab, mit Wählscheibe, ein sumpfgrünes Ding wie aus den Kellern des KGB, durch dessen Telefonschnur sicher reihenweise Todesurteile gerauscht sind. Daneben eine große Kaffeetasse.

»Gibt’s hier Wasser?«, brachte er heraus. Die Worte machten Schmatzgeräusche. Die ganze Schmiere klebte ihm am Gaumen, bald würde sie sein Maul stopfen.

»Eins nach dem anderen«, sagte der Bulle.

»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wer das Fahrzeug angezündet hat?«

Hawk zog die Stirn zu Falten und versuchte, den Typen scharf zu stellen.

Der Bulle beugte sich über den Tisch.

»Vielleicht waren Sie’s ja selbst? Im Suff?«

Jetzt halt mal die Luft an, wollte Hawk sagen oder zumindest diesen versifften Hemdkragen packen und den Typen aus seinem Bürostuhl holen. Als hätte der’s gerochen, beugte sich der Bulle noch ein paar Zentimeter vor, sein Arsch hing sicher schon halb in der Luft, und er fuhr seinen Finger wieder aus.

Der Finger machte einen Ruck und zeigte Hawk ins Gesicht.

»Dachten wohl, hier auf dem Land sind wir nicht auf Zack? Dachten, hier kennt Sie keiner?«

Hawk fing an zu husten, ihm brannte es runter bis in die Brust.

»Ich sag Ihnen was, im Gegenteil!«

Der Schmiermichel lehnte sich zurück, sein Stuhl quietschte.

»Wir haben alles im Blick. 360 Grad.«

Jetzt reicht’s, dachte Hawk, er spannte den linken Arm an, das ging noch, das fühlte sich sogar einigermaßen solide an, dann machte er eine Faust, das sah schon schlechter aus, die hatte was abgekriegt. Die Gelenke knackten, als er die Hand mit einem Ruck öffnete. Er langte über den Tisch, na bitte, und packte die Bullentasse. Ein bisschen musste er die Zunge zu Hilfe nehmen, dann würgte er den Klumpen raus und spuckte ihn in den Rest dunkler Plörre. Der schwarze Schleim schwamm ein wenig herum und ließ sich dann träge auf den Grund des Kaffeepotts sinken. Das war ihre Asche, die er ausgerotzt hatte. Das war sein Auto gewesen.

»Dich interessiert einen Dreck, wer sie angezündet hat«, krächzte Hawk. »Aber ich krieg’s raus.«

Er knallte die Kaffeetasse auf den Tisch, dass es dem Bullen fast an die Nase spritzte. Der rollte mit seinem

Der Bulle schnaufte.

»Na schön. Und Anzeige erstatten – wie sieht’s damit aus?«

»Kann ich verzichten.«

Der Typ fixierte Hawk. Dann streckte er den Arm aus, packte die Tasse und ließ sie einfach so zwischen seine Füße fallen, die ganze Sauerei verschwand unterm Tisch. Hawk begriff erst nichts, aber klar, da stand der Papierkorb, wo sich die Suppe jetzt in Ruhe durch zerknüllte Formulare fraß, durch misslungene Phantombilder und Kreuzworträtsel, durch Papiere, die kein Mensch brauchte und die die Welt keinen dreckigen Fingernagel breit besser machten.

»Die Toiletten sind hinten«, sagte der Bulle und verzog keine Miene. »Falls Sie den Dreck entfernen wollen, bevor Sie gehen.«

Als Hawk aufstand, war ein Schmerz am Bein, aber auszuhalten. Das Mädchen auf der Bank war eingeschlafen, die hatte er komplett vergessen, jetzt lag sie da in ihrem durchsichtigen Kleid auf dem speckigen Holz und atmete wie ein Schmetterling. Fast hätte Hawk seine Jacke über sie gelegt, nur die Jacke war ja verbrannt.

Auf dem Klo blieb er lange am Spiegel hängen, der totale Horror. Sein Schädel war aufgequollen, das kurze Haar stand zerklebt zu Berge. Schmutzige Striemen zogen sich quer über den Bart, die Haut sah abgerieben

Durch das Rauschen hindurch waren Stimmen zu hören. Hawk drehte den Hahn zu und schaute ins Waschbecken, der Ausguss zog sich den dreckigen Strudel rein. Tropfen fielen von seinem Gesicht und zersprangen auf dem Porzellan. Offenbar war das Mädchen aufgewacht, sie schimpfte, und die tiefere Bullenstimme hielt dagegen.

Ob die beiden was miteinander hatten? Vielleicht war sie blöd genug, was mit einem Kriminalknecht anzufangen, ein deprimierender Gedanke. Hawk strich sich die Haare zurück und sah in den Spiegel.

Die Striemen waren runtergewaschen. Dafür waren seine Augenbrauen fast weggebrannt, und die dünne Narbe, die sich sonst unter seiner rechten Braue verbarg und nur am Ende als blasser Strich etwas herausragte, war für alle Welt sichtbar und leuchtete knallrot.

Wie ein Pfeil überm Auge, der schrie: Hier reinschlagen, genau hier! Was für eine misslungene Fresse, dachte Hawk, ein Scheißhaufen von einem Gesicht. Gleich kommen die Fliegen und setzen sich drauf.

Als er zurückkam, saß der Bulle hinter seinem Schreibtisch und rauchte. Das Mädchen war verschwunden.

»Wo ist sie?«, fragte Hawk.

»Na, die im Kleid.«

Der Bulle saugte an seiner Zigarette, Roth-Händle oder Ernte 23, irgendein übles Kraut, die Spitze glühte wie verrückt.

»Wer?« Er blies Rauch aus.

Einen Moment lang ließ Hawk sich einnebeln. Sein Blick fiel wieder auf den Kalender an der Wand, und er kniff die Augen zusammen. Das oberste Blatt war vom letzten Sommer, Juni 88, jetzt konnte er den Spruch lesen. Auf dem Zettel stand:

Es gibt vielerlei Lärm, aber nur eine Stille.

»Aha«, machte Hawk.

 

Draußen dämmerte es, ein rosa Streifen schwebte am Himmel, als Hawk aus der Wache kam. Er hatte keine Ahnung, wo er war. Er lief die Straße runter und saugte Luft ein, aber da war nichts. Wäre das hier seine Gegend, könnte er die Malzfabrik riechen, deren süßlicher Dunst über allem hing, über den Häusern, in den Kronen der Bäume und irgendwann auch in seinen Klamotten. Das hatte ihm gleich an diesem Kaff gefallen, und er war in die viel zu kleine Wohnung gezogen, Hauptsache, ein Dach überm Kopf, weit weg vom alten Mist und der großen Stadt, ein Stück Erde, wo ihm süße Bierschwaden zum Fenster reinbliesen und keiner ihn kannte, das war doch ein Anfang.

Hawk hinkte ein wenig, er sah nach seinem Bein. Wo sich das heiße Gummi durch die Hose gefressen hatte, schaute ein Stück seines Oberschenkels raus, die Haut

Dann hob er den Kopf, und da stand das Mädchen im durchsichtigen Kleid. Sie lehnte an einer der Laternen, die nie brannten, weil hier keiner Geld hatte für so was wie Licht auf den Straßen, und es war sowieso besser, wenn die Leute in ihrem Wohnzimmer vor der Glotze vergammelten, alles unter Kontrolle.

»Fährst du mich nach Hause?«

»Klar«, sagte Hawk.

Fast hätte er in die Hosentasche gegriffen, wo der Autoschlüssel steckte. Fast schlug ihm die Hitze wieder ins Gesicht, fast rollte das Flammenmeer auf ihn zu, verschluckte diese Straße und das Mädchen, zersengte ihr Kleid zu schwarzen Flocken, in null Komma nichts wäre alles verloren, aber Hawk bekam sich in den Griff, na klar würde er sie nach Hause fahren. Er sah sich um, bis er an einem Zaun ein Fahrrad entdeckte. Er musste nicht einmal das Schloss knacken, es reichte, eine Latte rauszubrechen.

»Du siehst echt übel aus«, sagte sie.

Sie hatte es erfasst.

»Macht ja nichts.« Sie lächelte. »Fahr einfach los.«

Sie schlingerten ordentlich. Das Mädchen war seitlich auf den Gepäckträger gehüpft, und obwohl sie nichts wog, hatte Hawk Mühe, den Lenker gerade zu halten, er war hundert Jahre nicht Fahrrad gefahren. Noch dazu war das hier ein verdammtes Damenrad. Hawk trat in die Pedale, und die mit seinem Hosenbein verklebte Haut riss sich los.

Die Stimme des Mädchens kam von hinten, ihr Finger tippte seinen Schädel an.

»Alte Narbe«, sagte Hawk.

»Hat sicher wehgetan.«

»Keine Ahnung. Lange her.«

»Sieht aus wie ein Pfeil«, sagte sie.

Hawk wäre es lieber gewesen, wenn sie ihre Arme um ihn geschlungen hätte, um sich festzuhalten, ihre Arme um ihn rum, das würde das Radeln leichter machen, aber sie schien das nicht nötig zu haben und saß einfach so da, die Beine an der Seite übereinandergeschlagen. Wenn er den Kopf drehte, konnte er ihre Fußspitzen in der Luft wippen sehen, in Sandalen, wie beim Strandausflug, vielleicht fuhr der Wind ihr unters Kleid.

»Und was machst du jetzt? Ohne dein Auto?«

Er dachte an Miss Stetson. Das Knirschen ihrer Ledersitze, wenn er sich hinters Steuer schob. Wenn er die kühle Lederhaut im Rücken spürte, spannten seine Muskeln bis zu den Ohren, und alles kribbelte los. Ein Dutzend Jahre hatte er sie gefahren. Hätte sie weiterfahren wollen, bis sie unter ihm zerfallen wär.

»Das war nicht irgendein Auto«, sagte er, als wär wichtig, dass sie das wüsste.

»Jetzt linksrum«, sagte sie.

Er verkrampfte die Arme, um nicht umzufallen, dieses Rad war ein ganz schön schweres Geschütz. Um sie herum wurde es heller.

»Was war’s denn dann, wenn’s nicht irgendein Auto war?«

Das konnte er dem Mädchen schlecht erzählen, also ließ er es bleiben und machte nur ein Geräusch.

»Und weißt du, wer’s gewesen ist?«

Sie fragte ganz schön viel.

»Das Feuer. Warum du so stinkst.«

Hawk stellte sich vor, wie sie die Reste von Miss Stetson auf einen Schrotthof schleppten, gut möglich, dass sie das gerade taten, wie ihr Gerippe kalt werden würde zwischen all den anderen traurigen Karren. Gut, dass die Waffe nicht mehr im Handschuhfach lag. Die Provinzbullen hätten sie womöglich aus dem Wrack gezogen, bevor es in die Schrottpresse wanderte, dann wäre er wieder dran gewesen. Und noch mal Knast würde er nicht packen. Wenigstens die Knarre war sicher.

»Ist jemand hinter dir her?«

Sie ließ nicht locker.

»Hinter mir ist keiner her.«

Aber natürlich kam ihm die Sache mit Verfurth hoch. Daran hatte er schon auf der Wache gedacht. Bloß war das nicht Verfurths Stil, Sachen anzuzünden, ganz und gar nicht, und Hawk hatte alles abgesessen, sie waren

»Da rüber.« Das Mädchen zeigte mit dem Arm über Hawks Schulter auf die nächste gottverlassene Straße in dieser gottverlassenen Gegend.

Hawk zitterte um die Ecke, den Lenker fest gepackt, an seinen Schläfen perlte der Schweiß. Mitten in der Kurve ging die Sonne auf.

»Ich weiß, wer’s war«, sagte das Mädchen. Sie klang gut gelaunt, ist ja klar, sie ließ sich herumfahren und konnte mit den Beinen schlenkern, sie hatte ihr Leben noch vor sich. Hawk legte den Kopf in den Nacken, der Schweiß änderte die Richtung und rann ihm in die Ohren.

»Das war eine Frau. Autos anzünden, so was machen Frauen. Und zwar eine, die dich ganz genau kennt.«

Das Fahrrad schlingerte, aber Hawk umklammerte den Lenker und hielt weiter Kurs in die aufgerissene Sonne.

»Und – hab ich recht? Hast du mit einer was?«

»Nicht mehr«, brummte Hawk.

»Ach, wirklich?«

Das Mädchen lachte. Sie lachte, bis ihr Kleid überall flatterte, ihre Sandalen tanzten durch die Luft, die Morgensonne schien mitten durch sie hindurch.

Die Kaffeemaschine gurgelte. Das war schon die zweite Fuhre, die erste war einfach durch ihn durchgelaufen, ohne Spuren zu hinterlassen. Hawk starrte auf die Uhr über dem Spülbecken und wunderte sich, wo die eigentlich herkam, sie hing wohl schon da, als er einzog, irgendein Typ mit einem Tick musste das gewesen sein, wer sonst schraubt sich so was Hässliches an die Wand.

Ein paar Stunden Schlaf waren es vielleicht gewesen. Dann war er von seinem eigenen Husten aufgewacht, die Klamotten stanken zum Himmel, er riss sich den Rauch vom Leib und lief in seinen Boxershorts Kreise durchs Zimmer, eine ganze Weile schon.

Er konnte sich nicht erinnern, wie er nach Hause gekommen war. Das war auch nicht wichtig. Wichtig war, dass er sich genau zwei Stunden Zeit gegeben hatte, um einen klaren Kopf zu kriegen und zu entscheiden, was zu tun war, zwei Stunden, die längst vorbei waren, und der Zeiger tickerte trotzdem voran, ein nervtötendes Geräusch, das konnte einen Mann wahnsinnig machen. Hawk zog die Kanne aus der Maschine, schenkte nach und verschüttete die Hälfte auf den Boden. Zum Glück nicht übers Bein, das sah schlimm genug aus, die Wunde wässerte vor sich hin.

Der klare Kopf war deswegen wichtig, weil die Sache durchdacht sein musste, nicht so ein Schnellschuss und dann wieder in die Falle tappen.

Der Plan sah so aus: Er würde den verfluchten Zug nehmen, wie all die anderen armen Teufel ohne Auto, und am Abend würde er in Hamburg sein. Er würde zum Hafen gehen, sie zur Rede stellen, und sobald die Sache erledigt war, mit dem nächsten Zug zurück, ein sauberer Schnitt. Selbst wenn sie drum bettelte: Er würde nicht bei ihr bleiben.

Hawk kippte einen großen Schluck Kaffee runter, obwohl der viel zu heiß war, kochend und schwarz.

Sie würde das nicht noch mal mit ihm machen.

 

Im Zug trank Hawk das erste Bier. Er stand im Gang und ließ sich durchrütteln, die Gleise ratterten unter ihm weg. Der Schaffner schaute ihn komisch an, sagte aber nichts und knipste das Ticket. Hawk stellte sich vors Fenster, und alles da draußen pfiff an ihm vorbei. Was für eine nichtssagende Landschaft. Es gab bis zum Horizont nur Getreidefelder, dazwischen Wiesen mit Kühen drauf, ab und zu einen Bahnübergang. Es war merkwürdig, nicht hinterm eigenen Steuer zu sitzen, merkwürdig, in einen Zug zu steigen, den jemand ganz anderes fuhr, wo Hawk nichts tun konnte, als mit den platten Feldern ein Bier zu trinken und zu warten, bis der richtige Bahnhof kam.

Er dachte an Lu.

Hakenkreuz-Eddi hatte die Brust voller Hakenkreuze und behauptete, dass wär ein indisches Zeichen für Glück, dabei waren es eben Hakenkreuze, und einmal hatten sie ihn im Hafenkrankenhaus deswegen vor die Tür gesetzt, in dem Laden hatten die Schwestern noch Mumm in den Knochen.

Wenn es spät wurde und hoch herging, zog Eddi immer sein Hemd aus. Er rasierte sich die Haare vom Oberkörper, damit die Hakenkreuze nicht zuwucherten, finster schimmerten sie auf Eddis Haut. Es sah wirklich beschissen aus.

Eddi kam eines Tages an und hatte leuchtende Augen.

»Die Keule ist wieder offen!«

Keule, das war die schlimmste Spelunke unten am Hafen. Nach einer Schießerei war der Laden dichtgemacht worden und stand seitdem leer. Jetzt hatte sich einer gefunden.

»Das ist ne Frau«, sagte Eddi, »echt ne Frau, guck’s

Und das stimmte.

 

Es war dunkel geworden. Der Zug rollte in den Hauptbahnhof, unter dem Dach flatterten die Tauben. Hawk sah zu, dass er vom Bahnsteig kam und raus aus der Halle, weg von den Leuten, zu viel Gedränge. Die einen schleppten Koffer hinter sich her, die anderen hielten nach Handtaschen Ausschau, die lose an einer Schulter baumelten, nach Geldbörsen, die hinten die Hosen ausbeulten, und Jackentaschen, in die eine Hand kriechen konnte, zack im Vorbeigehen, so läuft das eben.

Draußen schob er sich an den Gestalten mit den flackernden Pupillen vorbei, an den Irren und den Gestrandeten, die ihr Leben in Tüten stopften, an die sie sich bis in den Schlaf klammerten. Irgendeiner spielte Blockflöte für ein paar Groschen, die Mütze lag auf dem Asphalt.

Hawk machte einen Bogen um eine Frau, die ihre Augenlider kaum hochhalten konnte, Rauschgiftaugen, sie streckte die Hand nach ihm aus.

»Hast ne Mark? Komm schon, ne Mark, weißt du, wie das ist? Ich brauch echt was, nur ne Mark, komm schon, hast du eine?«

Aber Hawk war schon weg. Er wusste, wie das ist.

 

Über dem Hafen hing der Nebel. Er schluckte die Kräne in der Ferne, vielleicht hatte es sie auch nie gegeben, er verschluckte Hawks Schritte, schluckte das Echo,

Hawk überquerte die Hafenstraße mit wenigen Schritten und steuerte den kleinen Kiosk an, immer noch die gleiche Kamellenbude, das billigste Bier auf zwei Kilometer und niemals Feierabend. Vom Stehtisch draußen hatte er den besten Blick auf die Eckkneipe, Les fleurs du mal, wie Lu den Laden genannt hatte.

Hawk schnippte eine Bierdose auf und saugte den Schaum ab.

Natürlich nannte niemand den Laden so, außer Lu, das gefiel ihr.

Er wusste noch genau, wie er die ersten paar Abende am Tresen gesessen hatte, ohne den Mund aufzumachen. Dafür sperrte er Ohren und Augen auf, sie hatte einen Akzent, Tschechisch war das, Tschechisch wie das Bier, das sie verkaufte, und ihr Name war Lu. Ludovica.

Als sie schließlich ins Reden kamen, hatte er sich was zurechtgelegt, er fragte nach dem Kneipennamen.

Les fleurs du mal.

»Blumen des Bösen heißt das«, sagte sie.

Und er: »Das passt ja.«

»Siehst du«, sagte Lu. »Ganz genau.«

Hawk schüttelte sich und zerdrückte die Dose in der

Die Kneipentür ging auf, Musikfetzen schwirrten rüber, jemand warf eine Flasche nach draußen und schlug die Tür wieder zu. Hawk würde jetzt da reingehen und sie zum Reden bringen. Er fuhr sich noch einmal mit der Hand übers Gesicht, sah ganz schön zerschlagen aus, das war nicht zu ändern, aber den Bart hatte er sich noch zurechtrasiert, bevor er in den Zug gestiegen war, drei Millimeter, das klang wie ein Waffenkaliber, und das gefiel ihm gut.

Früher, vor einem Jahr, bevor alles den Bach runtergegangen war, da fuhr sie ihm gern mit den Fingernägeln durch die frisch gestutzten Stoppeln, sie mochte das Geräusch, wie eine kratzige Langspielplatte. Und Hawk mochte das Kratzen in seinem Kopf.

In seinem Rücken blies ein Dampfer sein Signalhorn durch den Dunst. Zeit, die Sache hinter sich zu bringen.

Er ging rüber, seine Schritte wurden mit jedem Meter breiter.

Drohen würde er ihr nicht, zumindest nicht sehr, das war nicht nötig. Er sah schon, wie all die Blassgesichter sich umdrehen würden, wenn er seinen Fuß in den Laden setzte, wie Lu sich umdrehen und in der gleichen Sekunde bereuen würde, was sie getan hatte, alles bereuen, wenn er durch die Tür kam, entschlossen zum Äußersten.

Hawk spürte, wie der Nebel vor ihm zurückwich, er ging schneller, und sein Arm holte aus, mit Wucht traf er die Klinke, die Tür schwenkte gewaltig nach innen,

Einem Typen mit Glatze, der sich grad eine drehte, blies der Luftstoß den Tabak durch die Finger, er blickte kurz hoch und fluchte. Dann griff er sich seinen Beutel mit dem Schwarzen Krausen und fing von vorne an.

Sonst drehte sich keiner um.

Lu stand hinter der Theke und hatte zu tun, sie sah ihn nicht. Umso besser, dachte Hawk, umso besser, er konnte erst mal die Lage klären. Alles sah aus, wie es immer aussah. Es war eng, klebrig, voll mit Leben und ihrer Musik.

Hawk ließ den Blick schweifen, viele Kerle, die er nicht kannte, zum Glück, denn auf dumme Sprüche konnte er verzichten. Dann entdeckte ihn eine Brünette, erst etwas erschrocken, aber schon lächelte sie und stieß ihre Freundin an. Hawk hatte dieses Grübchen am Kinn, das die Frauen liebten, geschwungene Lippen und dichtes pechschwarzes Haar, es hatte was Wildes, aber mit Stil, so ein ganz eigenes Fluidum. Sein vierkantiger Kiefer, der immer auf was kaute, besonders jetzt. Mit ihm war nicht zu spaßen, das konnte jeder sehen, und die Frauen schätzten das. Weil es wenigstens ehrlich war.

Die Brünette hob ihr Glas. Hawk deutete ein Kopfnicken an.

Er bahnte sich seinen Weg zur Theke, jemand machte ihm einen Hocker frei, er war wohl nicht in Vergessenheit geraten. Er schob sich hoch und nahm Lu ins Visier, sie zapfte eine Runde Halbe, er heftete seinen Blick an

Die Schlingpflanzen auf ihren Armen fluteten hin und her, als sie die Gläser hob und verteilte. Er hätte ewig verfolgen können, wie die dunkle Tinte auf ihrer Haut wogte, wie ihre roten Locken drauf rumtanzten und machten, was sie wollten. Sie trug ein schwarzes Shirt, das den Rest bedeckte, aber er wusste, was darunter war.

Das Meer.

Im Hinterzimmer klackten die Billardkugeln. Jemand rief etwas, und Lu lachte.

Hawks Mund war trocken. Die Musik spielte, und die Boxen rauschten, hatte das immer noch niemand repariert?

Er erkannte den Song im Knistern der Lautsprecher, eine ihrer Lieblingskassetten, der Sänger rief was von einer schreienden Sonne oder so in der Art, das war auf Englisch und nicht zu verstehen.

Lu drehte sich um und stellte ein Bier vor ihm ab.

»Das geht aufs Haus und dann verschwinde.«

Schon stand sie wieder am Zapfhahn, mit dem Rücken zu ihm, sie redete und lachte, sie machte die Gläser voll, aber Hawk bildete sich ein, dass die Schlingpflanzen auf ihren Armen anders auf- und abbrandeten, als wären sie angespannt, auf der Lauer, als wäre da was drunter, das ihn etwas anging, als wären ihre Locken bereit, ihn einzufangen.

Da haute ihm jemand auf die Schulter.

»Guck an! Wir dachten, dich gibt’s nicht mehr! Warst sicher ein Jahr weg aus der Stadt!«

»Die Jungs ham gewettet, du hast den Abgang gemacht. Irgendein letztes großes Ding und byebye!«

Er strich sich eine Strähne hinters Ohr, wo schon eine Filterlose klemmte. Seine weiße Mähne glänzte auf der rissigen Lederjacke.

»Aber ich hab gesagt, auf keinen Fall. Du bist einer, der wiederkommt.«

Der Weiße Riese zeigte seine Zahnlücke.

»Stimmt doch, oder?«

Und schon kamen noch zwei, drei Typen aus den Tiefen des Lokals gekrochen, die Hawk gestohlen bleiben konnten.

»Wie siehst du denn aus?«, fragte einer, dessen Namen Hawk vergessen hatte, nur dass der nicht alle beisammen hatte, das war sonnenklar.

»Warst wohl beim Friseur?« Der Kerl grinste.

Die anderen hielten sich lieber zurück.

»Hab deinen roten Schlitten gar nicht an der Straße gesehen«, setzte der Kerl noch einen drauf. »Hat der alte Hobel schlappgemacht?«

Hawk fixierte Lus Rücken und ließ sich nicht ablenken, konzentrier dich, nur nicht reizen lassen. Als Lu eine Flasche oben aus dem Regal angelte, rutschte ihr Shirt hoch und gab den Streifen Haut über ihrem Gürtel frei, ein Stück Ozean, ein kurzer Moment.

»Der ist abgebrannt«, sagte Hawk mit lauter Stimme, sodass auch sie es hören konnte. »Den hat jemand angezündet.«

Der Weiße Riese pfiff durch die Zähne.

Wieder mischte sich der Typ ohne Namen ein.

»Sei doch froh, dir ist das Teil doch unter den Füßen weggerostet!«

Der Weiße Riese haute der Null in die Seite, höchste Zeit, den Mund zu halten.

»Fall mir nicht auf die Nerven«, knurrte Hawk, ohne den Blick von Lu zu lassen. Aber er musste an Mahmoud denken, der immer auf Jagd nach Ersatzblech für Miss Stetson gewesen war. Gar nicht so leicht, denn in Neapel hatten sie zum Zusammenschweißen der Karossen das mieseste Blech aus Russland geholt, wenn sie denn überhaupt geschweißt und nicht nur wieder einen auf Streik gemacht hatten. »Die rostet aus purer Freude am Fahrtwind«, hatte Mahmoud immer gesagt und mit seinen öligen Fingerspitzen den Lack gestreichelt. »Aber das kriegen wir geflickt.«

Mahmoud würde heulen, wenn er Bescheid wüsste.

Der Weiße Riese schüttelte seine Mähne.

»Alter. Angezündet? Wer bringt denn so was?«

Der Riese meinte das ehrlich, er hatte ein Herz für Oldtimer. Eine lange Strähne löste sich, er strich sie wieder zurück.

»Und da ist nichts mehr zu retten?«

Hawk schwieg. Lus Schulterblätter ruderten unter dem schwarzen Stoff. Als der Weiße Riese nach ihr rief, drehte sie sich widerwillig um, jede Wette, dass sie alles gehört hatte, sie kriegte immer mit, worauf es ankam. Der Riese bestellte eine Runde Klare, inzwischen waren noch mehr Kerle dazugekommen, und die Nachricht

Lu knallte ihm ein Tablett mit Schnäpsen vor die Nase, dann verschränkte sie die Arme und hob ihr Kinn. Hawk kannte das, sie musterte ihn bis auf die Knochen. Und während all die Kerle nach dem Fusel griffen, rührte Hawk keinen Finger und hielt ihren Blick.

Seine Nackenhaare stellten sich hoch.

»Herbert Hawk ist wieder da!«, rief der Weiße Riese und holte extra Luft, aber dann fiel ihm nichts mehr ein.

»Prost!«

Zwei volle Gläser blieben auf der Theke zurück. Lu machte keine Anstalten, sich eins zu nehmen. Hawk auch nicht.

»Freust du dich nicht, mich zu sehen?«, fragte er.

»Soll ich?«

Lu hatte grüne Augen, die Hawk komplett undurchsichtig erschienen, jetzt zumindest. Er prallte dagegen und blieb einfach liegen, sie konnte K.O. schlagen, wen sie wollte mit diesem Blick. Sie schauten sich an wie bei dem Spiel, wo keiner blinzeln darf. Wer es tut, hat verloren.

»Früher hast du dich gefreut.«

»Ganz genau«, sagte Lu.

Wieder kam aus den Boxen so ein Lied, das er kannte. Damals hatte sie mitgesungen, auf seinem Wohnzimmertisch, die Schuhe von den Füßen geschleudert, der Teppich voller Eiscreme.

Ihre Augen wurden dunkler. Sie hatte verstanden.

»Ich hab’s dir doch gesagt.«

»Was?«

»Komm erst mal klar.«

Lu sah ihn an, als wüsste er Bescheid, als wüsste er, was sie sagte, als läge alles, was zwischen ihnen gewesen war, hier auf dem Tresen, zwischen den Bierpfützen, und das Licht von der Bar spiegelte sich drin, und die Musik schlug Wellen, die immer höher stiegen, um ihn zu ersäufen.

»Was ist denn hier los?«, polterte es von hinten, der Typ ohne Namen wollte nach den Schnäpsen langen. »Trinkt ihr die nicht?«

Da schnappte sich Lu die beiden Gläser und schmiss sie mit einer fließenden Bewegung an die Wand.

»Für die Geister. Und jetzt hau ab.«

Der Zug donnerte ins Schwarz. Hawks Zunge lag im Mund wie ein toter Fisch. Hätte er nur den Kurzen getrunken. Wenigstens das. Hawk versuchte, durch sein Spiegelbild in der Fensterscheibe raus in die Nacht zu sehen, aber das ging nicht, der Zug raste durchs dunkle Loch, und Hawk blieb immer an der eigenen Fratze hängen. Der Pfeil über seinem Auge brannte, als wollte der sich durch die Haut bis in den Knochen ätzen. Ein Brandzeichen, wie bei den Rindviechern.

Für die Geister – was sollte das heißen?

Noch war er lebendig. Auch wenn es nicht ganz danach aussah. Kann sein, dass er irgendwas nicht mitbekommen hatte, dass Lu ihm was hatte sagen wollen oder schon gesagt hatte oder dass das noch kam, kann sein. Aber mitgekriegt hatte er, wie sie ihn angeschaut hatte, als er zur Tür gegangen war, langsam, und all die Gestalten an der Theke zurückließ, mitten durch den Rauch ging, das Gedröhne und Gelächter, ihre Hände zapften die nächste Runde, ihr Blick ließ ihn nicht los, und keiner von beiden blinzelte. Er war schon fast an der Tür, war schon fast weg, da glaubte er durch den Bierdunst, Zigarettennebel und den Kneipenschweiß wie eine plötzlich zuhauende Erinnerung Lu zu riechen. Ihren Nacken, da unter den Locken, wo es

Lu roch angezogen, als wär sie nackt. Und nackt sah sie aus wie ein verdammtes Gemälde. Sie war tätowiert, als wär sie ihr ganzes Leben zur See gefahren, als hätte sich die See mit Tinte unter ihre Haut gestochen. Da saugten Schlinggewächse an ihren Zehen und wickelten sich um ihre Knöchel. Fische schwammen auf ihren Oberschenkeln, Seerosen wiegten sich in der Strömung, wenn Lu ihren Hintern bewegte. Gischt spritzte an ihrem Rücken hoch, ihre Rippen waren Wellen, auf denen ein Schiff segelte, im Wind ihrer Schulterblätter, manchmal im Sturm. Die Masten bogen sich, wenn Lus Rücken sich bog und ihr Haar flatterte.

Ihr Oberkörper war mit einer blauen Gestalt bedeckt, vom Hals bis zum Nabel, ein Körper im Körper. Der Schwanz der Meerjungfrau ruhte auf ihrer Hüfte, er glänzte schuppig, und Luftblasen stiegen auf. Zwischen Lus Brüsten streckte sie ihre eigenen kleinen Brüste nach oben, mit noch kleineren Nippeln, das war zum Irrewerden, und manchmal sah dieses Gesicht aus Tinte so aus, als würde es lächeln. Hawk war nie dahintergekommen, wie das sein konnte.

Das war nicht zu verstehen.

Hawk dachte daran, wie er Luft geholt hatte, um zwischen ihre Schenkel zu tauchen, wenn sie ihre Beine um seinen Kopf schloss und ihn wie die Brandung herumwarf, sie packte ihn am Nacken und zog ihn tiefer unter Wasser, bis er überall nass war und die Luft aus

Hawk war mit der Stirn gegen die Scheibe gekippt, das Vibrieren des Zuges schüttelte ihm die Trommelfelle, sein Spiegelbild zitterte vor seinen Augen.

Komm erst mal klar.