„Schon lange träume ich davon, eine Anzeige wegen groben Unfugs zu kassieren. Das ist mein Lieblingstatbestand“

(Aus: Reine Kopfsache)


periplaneta


André Ziegenmeyer: „Der auf der Kuh surft“
1. Auflage, Februar 2019, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk

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Korrektorat: Swantje Niemann
Cover: Holger Much (www.holger-much.de)
Satz & Layout: Thomas Manegold (www.manegold.de)


print ISBN: 978-3-95996-117-2
epub ISBN: 978-3-95996-118-9


André Ziegenmeyer



Der auf der Kuh surft



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Flirten mit der flotten Lotte

Ein irischer Dichter schrieb einst: „Je mehr ein Mensch sich schämt, desto anständiger ist er“. Demnach bin ich der Frömmste auf Erden. Denn ich schäme mich sogar in Anwesenheit von Brotaufstrich. Schuld daran ist ein altes Küchengerät. Aber eins nach dem anderen.

Es war Herbst und draußen grau. Seit Tagen kochte meine Frau Marmelade. Dafür zerkleinerte sie kiloweise Hagebutten von Hand. Schließlich blickte sie auf und sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Kannst du mal rübergehen und Jonny nach seiner flotten Lotte fragen?“

„Äh, was?“

„Na, seine flotte Lotte! Frag nicht doof. Jonny weiß, was ich will!“

Unsicher schaute ich bei unseren Nachbarn vorbei. Am Gartentor begegnete ich zuerst Jonnys Frau.

„Du, Katja, versteh das jetzt nicht falsch. Aber ich soll mich mal nach eurer flotten Lotte erkundigen.“

„Was? Das alte Ding? Die ist bei uns schon seit Jahren nur noch im Keller!“

Sie drehte sich um und brüllte: „Jonny! André will mal an deine flotte Lotte!“

Ich lief rot an. Der Mann in der Uralt-Werbung mit dem Satz „Rita, wat kosten die Kondome?“ muss sich genauso gefühlt haben. Doch als der Herr des Hauses da war, wurde es noch schlimmer.

„Ach ja, unsere gute Lotte. Die hat ein bisschen eine Schraube locker. Aber das stört dich bestimmt nicht.“

Seine Frau erhob Einwände: „Aber die ist doch ganz dreckig. Die kann man doch keinem mehr anbieten.“

„Ach was! Wenn man die untenrum ein bisschen wäscht, geht sie noch mal.“

Wie ich kurz darauf erfuhr, handelt es sich bei der flotten Lotte um eine sogenannte Passiermühle. Damit kann man Dinge in Windeseile kleinmatschen. Zucker dazu, einkochen: Fertig ist die Marmelade. Ich finde, das hätte man mir eher verraten können. Findet seither irgendwo ein gemeinsames Frühstück statt, liegt die Nachbarschaft vor Lachen flach. Nur ich sitze mit roten Ohren am Tisch und schäme mich.

Um weiteren Blamagen vorzubeugen, habe ich nach anderen skurrilen Produktnamen gesucht. Besonders schlimm ist es bei IKEA. Dort gibt es in der Kantine nicht nur den Apfelkuchen „Äppelkaka“. Zum Angebot gehören darüber hinaus das Bettgestell „Rekdal“ und das Etagenbett „Gutvik“. Bei den Küchengeräten haben meine Recherchen ebenfalls Seltsames ergeben. Zum Beispiel bin ich auf den Apfel-Entkerner „Lurch“ gestoßen. Den hat Jonny auch. Aber bei einem könnt ihr sicher sein: Nie im Leben werde ich mich erkundigen, ob ich mal schnell an seinen „Lurch“ darf.

Der Doktor und das liebe Vieh

Neugier ist eine zwiespältige Gabe. Klar, sie macht das Leben spannend. Aber manchmal führt sie auch zu Erfahrungen, auf die man rückblickend gern verzichtet hätte.

Ein nie versiegender Quell farbenfroher Anekdoten ist die Welt der Tiermedizin. Jüngst sollte ich eine Reportage über Veterinäre auf dem Land schreiben. Also begleitete ich zwei von ihnen bei der Arbeit. Mit Stift, Block und Gummistiefeln stand ich bei Sonnenaufgang bereit. Wenig später lag mein Weltbild in Scherben.

Ich bin mit Sendungen wie „Dr. Dolittle“ und „Unsere kleine Farm“ aufgewachsen. Das ist eine ganz miese Vorbereitung für einen solchen Tag. Zunächst besuchten wir ein Pony, das sich aus unbekannten Gründen zu Tode dünnpfiffte. Zur Entspannung bekam es eine Spritze. Allerdings setzte der Veterinär diese direkt in die Halsvene, und zwar in zwei Schritten. Erst die Kanüle – dann folgte mit einigem Gefummel die eigentliche Injektion. Bis alles richtig saß, schoss aus dem Hals des Ponys ein satter roter Strahl an meinem Gesicht vorbei. Ich persönlich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Pony als Springbrunnen zu benutzen. Klappt aber ganz gut. Wenn man sich genug Zeit lässt, braucht das Tier hinterher auch nie wieder Futter.

Grundsätzlich musste ich während der Reportage feststellen, dass ich auf verschiedene Körpersubstanzen unterschiedlich sensibel reagiere. Pupu und Pipi – meinetwegen. Blut in größeren Mengen – na ja. Aber Eiter – der ist eine Liga für sich. Und in dieser Hinsicht hatte die nächste Patientin eine Überraschung parat.

Es handelte sich um eine Kuh mit dem liebevollen Namen „463“. Sie war Mama geworden und derzeit etwas klapprig auf den Beinen. Denn dummerweise war das Kalb nicht ohne Weiteres auf die Welt geflutscht. Und nun hatte „463“ eine Gebärmutterentzündung. Das Problem: Wer 50 Kilo schwere Jungtiere austrägt, hat eine Gebärmutter wie ein Zementmischer. Wenn sich die entzündet, dann geht’s aber los.

Doch einen gestandenen Tierarzt kann all dies nicht schrecken. Unbeeindruckt schritt der Chef zum fliegenumschwärmten Rinderpopöchen. Mit einer Hand hielt er den Wedel fest, während er mit der behandschuhten Rechten ins sämig-warme Geschehen abtauchte. Als die Hand wieder zum Vorschein kam, enthielt sie etwas, das aussah wie Vanillepudding mit Stückchen. Roch aber anders.

„Hier, gucken Sie: überall Eiter. Das ist doch nicht gut“, erklärte der Fachmann.

Für den Fall, dass ich schwer von Begriff war, wiederholte er den Vorgang. Mehrfach. Irgendwann buddelte er wie ein Schaufelbagger. Dabei reckte er mir triumphierend Ladungen von gelbem Schleim entgegen, der mit glibberig-saugenden Geräuschen zwischen seinen Fingern hindurch rann.

„Also wirklich. Alles voll, bis hinten. Da macht man sich schon Sorgen.“

Mein Magen wurde unruhig. Er teilte mir mit, dass ich gern das Frühstück noch einmal sehen könnte, falls ich neuerdings auf schrägen Scheiß stand. Seit diesem Augenblick hege ich übrigens ein instinktives Misstrauen gegenüber schulterlangen Gummihandschuhen. Und wenn ich selbst krank bin, schlafe ich mit dem Popo zur Wand. Zur Sicherheit.

Doch der bunte Reigen neuer Erfahrungen war noch nicht vorbei. Die nächste Kuh hatte ein anderes Problem. Vermutlich eine Ketose. Das heißt: Sie steckte so viel Energie in die Milch, dass sie mit dem Futtern gar nicht hinterherkam. Um so etwas zu diagnostizieren, haben findige Veterinäre ein einfaches Mittel erdacht. Nämlich einen kleinen Drops. Gibt man einen Tropfen Pipi darauf und der Drops wird rosa, hat die Kuh eine Ketose und man kann sie behandeln. Doof nur, wenn die Kuh nicht pullern will. Auch dafür haben schlaue Mediziner eine Lösung. Sie besteht aus einem langen Strohhalm. Den schiebt man von hinten bis in die Blase und beginnt zu nuckeln. Funktioniert so ähnlich wie Benzinklauen, schmeckt aber anders.

Dieses Mal war eine Veterinärin an der Reihe. Sie war mit ihrer Nase nur noch wenige Zentimeter vom Hintereingang der Kuh entfernt und saugte wie ein Weltmeister. Beiläufig fragte ich, ob sie vielleicht Rohrzucker und ein paar Cocktailfrüchte haben wolle. Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu.

Also stellte ich mich still neben die Kuh und feuerte sie in Gedanken an: „Drück! Drück!“ Das Tier hatte verstanden. Es entspannte sich und ließ ein leises Plätschern hören. Die Veterinärin bekam große Augen und unfreiwillige Pustebacken. Wenig später war die Reportage dann vorbei.

Das alles ist jetzt schon ein Weilchen her. Es hat viel Alkohol gebraucht, bis die Bilder in meinem Kopf ein bisschen verblasst sind. Eines aber treibt mich noch immer um: Was geht eigentlich bei Humanmedizinern ab? Startet in OP-Sälen für Menschen auch die große Ekel-Party, sobald der Patient pennt? Erstaunlicherweise haben diese Fragen einen positiven Effekt gehabt. Wie nie zuvor achte ich jetzt auf gesunde Ernährung.

Außerdem bringe ich meinem Arzt zu jedem Termin kleine Geschenke mit. Mal Pralinen, mal eine Flasche Wein. So erschleiche ich mir sein Wohlwollen. Denn vielleicht droht mir irgendwann selbst der Tag, an dem ich allein bin – mit dem Doktor und mit dem Gummihandschuh.

Reine Kopfsache

Schon lange träume ich davon, eine Anzeige wegen groben Unfugs zu kassieren. Das ist mein Lieblingstatbestand. Letztens hätte es beinahe geklappt. Es war kurz vor Halloween. Meine Frau und ich beschlossen, uns als Vogelscheuchen zu verkleiden. Das funktioniert einfach: Latzhose an, Sack über den Kopf ziehen, fertig. Kostet nicht viel Geld, geht fix, sieht super aus.

Nur eines hatte ich außer Acht gelassen: Niemals, unter keinen Umständen sollte man sich vor einen Verkäufer stellen und Folgendes sagen: „Guten Tag, ich hätte gerne einen Jutesack. Es muss aber der Kopf meiner Frau reinpassen.“