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DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS

 

 

VON

 

H. C. ANDERSEN

 

 

 

 

DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS erschien in deutscher Übersetzung erstmals 1849 im Verlag Carl B. Lorck, Leipzig.

 

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook

© apebook Verlag, Essen (Germany)

 

www.apebook.de

 

2. Auflage 2019

 

V 2.0

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

Dieses Buch ist Teil der ApeBook Classics (Nr. 0032): Klassische Meisterwerke der Literatur als Paperback und eBook. Weitere Informationen am Ende des Buches und unter: www.apebook.de

 

ISBN 978-3-96130-106-5

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, teilweise bearbeitet von SKRIPTART.

 

Alle Rechte vorbehalten.

© apebook 2019

 

 

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Inhaltsverzeichnis

DAS MÄRCHEN MEINES LEBENS

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Eine kleine Bitte

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N e w s l e t t e r

F l a t r a t e

F o l l o w

A p e C l u b

L i n k s

Zu guter Letzt

I.

Mein Leben ist ein hübsches Märchen, so reich und so glücklich. Wäre mir als Knaben, wie ich arm und allein in die Welt hinaus ging, eine mächtige Fee begegnet und hätte zu mir gesagt: „Wähle Deine Laufbahn und Dein Ziel: dann beschütze und führe ich Dich, je nach Deiner Geistesentwickelung und wie es, der Vernunft gemäß, in dieser Welt sein muß!“ — mein Schicksal hätte nicht glücklicher, klüger und besser gestaltet werden können. Meine Lebensgeschichte wird der Welt sagen, was sie mir sagt: Es gibt einen liebevollen Gott, der Alles zum Besten leitet!

Mein Vaterland, Dänemark, ist ein poetisches Land, voller Volkssagen und alter Lieder, mit einer reichen Geschichte, die mit Schwedens und Norwegens Geschichte verwachsen ist. Die dänischen Inseln haben herrliche Buchenwälder, Korn- und Kleegefilde; sie sehen aus wie Gärten in großem Styl. Auf einer dieser grünen Inseln, Fühnen, steht mein Geburtsort Odensee, nach dem heidnischen Gotte Odin benannt, der, wie die Sage berichtet, hier lebte. Dieser Ort ist die Hauptstadt der Provinz und liegt 22 Meilen von Kopenhagen.

Im Jahre 1805 lebte hier in einem kleinen, ärmlichen Zimmer ein junges Ehepaar, welches sich unendlich liebte. Der Mann, ein Schuhmacher, war kaum 22 Jahr alt und ein sehr begabter Mensch, eine echt poetische Natur; die Frau war einige Jahre älter, unbekannt mit der Welt und dem Leben, mit einem Herzen voll Liebe. Der junge Mann hatte selbst seine Werkstätte und sein Ehebett zusammengezimmert und zu letzterem das Holzgestell verwendet, welches kurz zuvor den Sarg eines verstorbenen Grafen Trampe, als dieser auf dem Paradebette lag, getragen hatte; die schwarzen Tuchresten an den Bretern erinnerten noch daran. Anstatt der gräflichen Leiche, umgeben von Flor und Kandelabern, lag hier am 2. April 1805 ein lebendiges, weinendes Kind; das war ich, Hans Christian Andersen. Mein Vater soll die ersten Tage am Bette gesessen und laut im Holberg gelesen haben, während ich schrie. „Willst Du schlafen oder ruhig zuhören!“ soll er im Scherz gesagt haben; aber ich schrie fort, auch in der Kirche, als ich getauft wurde, sodaß der Prediger, der ein ärgerlicher Mann war, sagte: „Der Junge schreit ja wie eine Katze!“ welche Worte ihm meine Mutter nie vergessen konnte. Ein armer Emigrant, Gomar, der Gevatter stand, tröstete sie inzwischen damit, daß ich, je lauter ich als Kind schrie, desto hübscher singen würde, wenn ich älter geworden wäre. —

Ein einziges kleines Zimmer, das mit den Schuhmachergeräthschaften, dem Bette und der Schlafbank, worin ich lag, fast angefüllt war, bildete meiner Kindheit Behausung; aber die Wände waren voller Bilder, und über der Werkstatt hing ein Gestell mit Büchern und Liedern; die kleine Küche stand voll glänzender Teller und Geschirre, und auf einer Leiter konnte man von hier aus nach dem Boden gelangen, wo in der Dachrinne, gegen das Nachbarhaus hin, ein großer Kasten mit Erde und Küchengewächsen, der ganze Garten meiner Mutter, stand; in einem Märchen: „Die Schneekönigin“, blüht er noch. —

Ich war das einzige Kind und wurde in hohem Grade verzogen; aber von meiner Mutter mußte ich hören, daß ich bei weitem glücklicher sei, als sie gewesen, daß ich es ja wie ein Grafenkind habe. Sie sei als Kind von ihren Eltern hinausgejagt worden, um zu betteln, und als sie es nicht vermocht, habe sie einen ganzen Tag unter einer Brücke gesessen und geweint. In der alten Domenica im „Improvisator“ und in der Mutter des „Geigers“ habe ich ihre Persönlichkeit in zwei verschiedenen Auffassungen wiedergegeben. —

Mein Vater ließ mir in Allem meinen Willen; ich besaß seine ganze Liebe; für mich lebte er. Des Sonntags machte er mir Perspective, Theater, Bilder, die sich verwandeln konnten, und las mir aus Holberg's Komödien und Tausend und Einer Nacht vor. Nur in solchen Augenblicken, entsinne ich mich, ihn recht heiter gesehen zu haben, denn in seinem Leben und als Handwerker fühlte er sich nicht glücklich. Seine Eltern waren wohlhabende Landleute gewesen, wurden aber von vielen Unglücksfällen betroffen; das Vieh starb, der Hof brannte ab, und zuletzt verlor der Mann den Verstand. Da zog die Frau mit ihm nach Odensee und brachte den aufgeweckten Knaben in die Lehre zu einem Schuhmacher; es konnte nicht anders sein, ungeachtet es sein brennender Wunsch war, die lateinische Schule besuchen zu dürfen. Ein Paar wohlhabende Bürger hatten einst davon gesprochen, zusammenzuschießen, ihm freie Beköstigung zu geben und ihm auf diesem Wege fortzuhelfen; aber es blieb bei den Worten. Mein armer Vater sah seinen liebsten Wunsch nicht erfüllt; das schwand nie aus seiner Erinnerung. Ich entsinne mich, daß ich als Kind einst Thränen in seinen Augen erblickte, als ein Schüler der lateinischen Schule bei uns war und neue Stiefeln bestellte, wobei er seine Bücher vorzeigte und von Allem, was er lernte, sprach. „Den Weg hätte ich auch gehen sollen,“ sagte er, und dann küßte er mich heftig und war den ganzen Abend still. —

Selten kam er mit Seinesgleichen zusammen. Des Sonntags ging er in den Wald hinaus, und dann nahm er mich mit; er sprach nicht viel draußen, sondern saß still, in Gedanken versunken, wenn ich umhersprang und Erdbeeren auf einen Strohhalm reihte oder Kränze wand. Nur einmal im Jahre und zwar im Mai, wenn der Wald im ersten Grün prangte, ging meine Mutter mit; dann trug sie ein Kattun-Kleid, welches sie nur an diesem Tage und zum Abendmahl anzog, und welches die ganzen Jahre hindurch, deren ich mich erinnere, ihr Festkleid war. Sie nahm dann immer eine große Menge frischer Buchenzweige mit nach Hause, die hinter dem polirten Ofen aufgepflanzt wurden; St. Johannis-Kräuter wurden später in die Balkenrisse gesteckt, und aus ihrem Wuchse nahmen wir ab, ob wir lange oder kurze Zeit leben würden. Grünes und Bilder schmückten unser kleines Zimmer, welches meine Mutter rein und sauber hielt; sie suchte ihren Stolz darin, daß das Bettzeug und die Fenstervorhänge immer recht weiß waren. —

Meines Vaters Mutter kam täglich, wenn auch nur auf wenige Augenblicke, in unsere Behausung, um ihren kleinen Enkel zu sehen; ich war ihre Freude und ihr Glück. Sie war eine stille, höchst liebenswürdige alte Frau, mit milden blauen Augen und von feiner Gestalt. Das Leben hatte sie schwer geprüft. Eines wohlhabenden Landmanns Frau, war sie nun in große Armuth versunken und wohnte mit dem geistesschwachen Mann in einem kleinen Hause, welches sie für den letzten geringen Rest ihres Vermögens erstanden hatte. Doch sah ich sie nie weinen; aber es machte einen desto tieferen Eindruck auf mich, wenn sie still seufzte und von der Mutter ihrer Mutter erzählte, daß diese eine reiche, adlige Dame in der deutschen Stadt Cassel gewesen, und daß sie dort einen „Komödiantenspieler“, wie sie sich ausdrückte, geheirathet habe und von Eltern und Heimath fortgelaufen sei; für das Alles müßten nun die Nachkommen büßen. Ich entsinne mich nicht, je den Familiennamen ihrer Großmutter von ihr nennen gehört zu haben; sie selbst war eine geborene Rommesen. Sie hatte beim Hospital einen Garten zu bestellen und brachte von dorther jeden Sonnabend Abend einige Blumen, die man ihr mit nach Hause zu nehmen erlaubte. Die Blumen schmückten die Commode meiner Mutter, waren aber mein, und ich erhielt die Erlaubniß, sie in das Wasserglas zu stellen; wie groß war diese Freude! Alles brachte sie mir; sie liebte mich von ganzer Seele; ich wußte es und ich verstand es. —

Zwei Mal des Jahres verbrannte sie den Abfall aus dem Garten; dann war ich im Hospital bei ihr und lag auf dem großen Haufen Laub und Erbsen-Ranken; auch hatte ich viele Blumen zum Spielen und, worauf ich einen besondern Werth legte, besseres Essen, als ich daheim zu hoffen. Alle unschädlichen Irren gingen auf dem Hofe frei umher; sie kamen oft zu uns herein, und mit Neugierde und Schreck hörte ich ihnen zu und folgte ihnen; ja, ich wagte mich sogar mit den Wächtern zu den Tobsüchtigen hinein. Ein langer Gang führte durch ihre Zellen; einst war der Wächter fortgegangen und ich lag auf dem Fußboden und sah durch die Thürspalte; da saß ein nacktes Frauenzimmer auf einem Strohlager; ihre Haare hingen über die Schultem hinab und sie sang mit einer ganz lieblichen Stimme. Auf einmal sprang sie auf und stürzte gegen die Thür, wo ich lag; die kleine Klappe, durch welche ihr die Speisen gereicht wurden, ging auf, sie starrte auf mich herab und streckte ihren langen Arm nach mir aus; ich schrie vor Schreck — ich fühlte ihre Fingerspitzen meine Kleider berühren — ich war halb todt, als der Wächter kam. Selbst im späteren Alter ist dieser Anblick und dieser Eindruck nicht aus meiner Seele gewichen.

Dicht bei der Stelle, wo das Laub verbrannt wurde, hatten arme alte Weiber ihre Spinnstube; da kam ich oft hinein und wurde bald ihr Liebling. Auch besaß ich unter diesen Leuten eine Beredsamkeit, die sie alle in Erstaunen setzte. Zufällig hatte ich von der innern Leibes-Beschaffenheit des Menschen gehört, natürlich ohne etwas davon zu verstehen; aber gerade dieses Geheimnißvolle zog mich an, und mit Kreide malte ich den alten Weibern eine Menge Schnörkel an die Thür, welche die Eingeweide vorstellen sollten; meine Beschreibung vom Herzen und von der Lunge machte den tiefsten Eindruck. — Ich galt für ein merkwürdig kluges Kind, das nicht lange würde leben können; man belohnte meine Beredsamkeit damit, daß man mir Märchen erzählte; — eine Welt, so reich wie in Tausend und Einer Nacht, ging hier vor mir auf. Die Erzählungen der alten Frauen, die wahnsinnigen Gestalten, die ich im Hospitale rings um mich her erblickte, wirkten inzwischen in einem solchen Grade auf mich ein, daß ich, wenn es dunkelte, mich kaum aus dem Hause hinauswagte; ich bekam auch gewöhnlich die Erlaubniß, mit Sonnenuntergang mich in meiner Eltern Bett, mit langen beblümten Gardinen, legen zu können; denn meine Schlaflade durfte so zeitig nicht den Platz im Zimmer beengen. Hier, im elterlichen Bett, lag ich in wachen Träumen, als ob die wirkliche Welt mich nichts anginge. —

Vor dem geistesschwachen Großvater hatte ich große Furcht; nur ein einziges Mal hatte er mit mir gesprochen und die mir fremde Anrede „Sie“ gebraucht. Er schnitzte seltsame Bilder aus Holz: Menschen mit Thierköpfen, Thiere mit Flügeln; diese packte er in einen Korb und ging dann auf das Land hinaus, wo die Bauerfrauen ihn überall bewirtheten, denn er schenkte ihnen und ihren Kindern das sonderbare Spielzeug. Eines Tages, als er nach Odensee zurückkehrte, hörte ich die Straßenjungen laut hinter ihm her schreien; aus Schreck verbarg ich mich hinter einer Treppe, denn ich wußte, daß ich von seinem Fleisch und Blut war. —

Meine ganze nächste Umgebung diente nur dazu, meine Phantasie zu erfüllen; Odensee selbst war damals, wo noch kein Dampfschiff existirte und die Postverbindungen seltener waren, eine ganz andere Stadt, als in unsern Tagen; man konnte sie hundert Jahre zurück glauben, weil dort noch eine Menge Gebräuche herrschten, die einer ältern Zeit angehörten. Die Zünfte zogen in Procession herum und vor ihnen her ihr Harlekin mit Pritsche und Schellen; am Fastnachtsmontag führten die Schlächter den fettesten Ochsen, mit Blumen geschmückt, durch die Straßen; ein Knabe in weißem Hemde und mit großen Flügeln ritt auf demselben; die Seeleute gingen mit Musik und mit allen ihren Flaggen durch die Stadt, und zuletzt rangen die beiden Kecksten auf einem Brete zwischen zwei Booten; der, welcher nicht in das Wasser fiel, war der Sieger. Was sich aber meiner Erinnerung besonders einprägte und durch später wiederholte Erzählungen darin fortwährend aufgefrischt wurde, war der Aufenthalt der Spanier in Fühnen 1808. Zwar war ich damals nur 3 Jahre alt, ich entsinne mich aber noch deutlich der braunen fremden Menschen, die in den Straßen herumlärmten, und der Kanonen, die abgeschossen wurden; ich sah die Leute in einer halbverfallenen Kirche neben dem Hospitale auf Stroh schlafen; ein spanischer Soldat nahm mich eines Tages auf seinen Arm und drückte ein Silberbild, welches er auf seiner Brust trug, an meine Lippen. Ich erinnere mich, daß meine Mutter böse darüber wurde, denn es wäre etwas Katholisches, sagte sie; aber mir gefiel das Bild und der fremde Mann, welcher mit mir tanzte, mich küßte und weinte; er hatte sicher selbst Kinder daheim in Spanien. Ich sah einen seiner Kameraden zur Richtstätte führen: er hatte einen Franzosen ermordet. Viele Jahre später schrieb ich, hierdurch veranlaßt, mein kleines Gedicht: „Der Soldat,“ welches Chamisso in das Deutsche überseht hat, und das später in das illustrirte Volksbuch: „Soldatenlieder“, ausgenommen worden ist. —

Fast niemals kam ich mit andern Knaben zusammen; selbst in der Schule nahm ich an ihren Spielen keinen Theil, sondern blieb drinnen sitzen. Zu Hause hatte ich Spielzeug genug, das mein Vater mir gemacht hatte; mein größtes Vergnügen bestand darin, Puppenkleider zu nähen oder eine Schürze meiner Mutter zwischen der Mauer und zwei Stangen vor einem Johannisbeerbusch, den ich im Hofe gepflanzt hatte, auszuspannen und so zwischen die sonnenbeleuchteten Blätter hinein zu schauen. Ich war ein sonderbar träumerisches Kind, welches so oft mit festgeschlossenen Augen ging, daß man am Ende glaubte, ich habe ein schwaches Gesicht, obwohl gerade dieser Sinn bei mir ganz besonders ausgebildet war.

Während der Ernte ging meine Mutter mitunter auf das Feld hinaus und sammelte Aehren; ich begleitete sie dann und ging wie Ruth auf den reichen Acker des Boas. Eines Tages gingen wir an einen Ort, wo der Verwalter ein anerkannt rauher Mensch war; wir sahen ihn mit einer fürchterlich großen Peitsche kommen; meine Mutter und alle Andern liefen davon; ich hatte an den nackten Füßen Holzschuhe und verlor diese; die Stoppeln stachen mich; ich konnte nicht laufen und blieb deshalb allein zurück. Schon erhob er die Peitsche — ich blickte ihm ins Angesicht und rief unwillkürlich: „Wie darfst Du mich schlagen, da Gott es sehen kann!“ Und der strenge Mann betrachtete mich auf einmal ganz milde, klopfte mir die Wangen, fragte nach meinem Namen und gab mir Geld. Als ich dieses meiner Mutter zeigte, sagte sie zu den Andern: „Das ist ein merkwürdiges Kind, mein Hans Christian: alle Menschen sind ihm gut; selbst der böse Kerl hat ihm Geld gegeben.“ —

Fromm und abergläubisch wuchs ich heran. Ich hatte keinen Begriff von Entbehrung oder Mangel; zwar hatten meine Eltern nur so viel, um von einem Tage zum andern leben zu können, doch bekam wenigstens ich Alles reichlich. Eine alte Frau änderte meines Vaters Kleider für mich um. Ich begleitete zuweilen meine Eltern in das Theater, wo die ersten Vorstellungen, die ich sah, in deutscher Sprache waren. „Das Donauweibchen“ war das Lieblingsstück der ganzen Stadt; zuerst sah ich jedoch Holberg's politischen Kannegießer, als Oper behandelt. Der erste Eindruck, den ein Theater und die dort versammelte Menge auf mich machte, war keineswegs ein Zeichen, daß etwas Poetisches in mir schlummere; denn mein erster Ausruf, als ich die vielen Menschen erblickte, war: „Hätten wir nur so viele Fäßchen Butter, als hier Leute sind, dann wollte ich schon tüchtig Butter essen.“ — Das Theater wurde bald meine liebste Stätte; da ich aber nur selten hineingehen konnte, erwarb ich mir die Freundschaft des Zettelträgers, der mir dann jeden Tag einen Zettel gab; mit diesem saß ich in einem Winkel und erdachte mir eine ganze Komödie nach dem Namen des Stückes und den Personen darin. Das war mein erstes, unbewußtes Dichten.

Es waren nicht nur Komödien und Erzählungen, die mein Vater gern las, sondern auch Geschichtswerke und die heilige Schrift; in seinem stillen Sinn dachte er über das Gelesene nach; aber meine Mutter verstand ihn nicht, wenn er sich gegen sie darüber aussprach, und deshalb wurde er immer schweigsamer. Eines Tages schloß er die Bibel mit den Worten: „Christus ist ein Mensch gewesen wie wir, aber ein ungewöhnlicher Mensch!“ Meine Mutter erschrak über diese Worte und brach in Thränen aus, und in meiner Angst bat ich den lieben Gott, daß er meinem Vater diese schreckliche Gotteslästerung vergeben möge. „Es gibt keinen andern Teufel, als den wir in unserm eigenen Herzen haben,“ hörte ich meinen Vater sagen, und ich ängstigte mich um ihn und seine Seele. Darum war ich auch ganz der Meinung meiner Mutter und der Nachbarinnen, als mein Vater eines Morgens, vermuthlich durch Reißen an einem Nagel, drei tiefe Risse im Arm hatte, daß es der Teufel gewesen, der in der Nacht ihn besucht habe, um ihm zu zeigen, daß er existire. —

Meines Vaters Wanderungen nach dem Walde wurden häufiger: er hatte keine Ruhe! Die Kriegsbegebenheiten in Deutschland, die er mit Begierde in den Zeitungen verfolgte, erfüllten ihn ganz; Napoleon war sein Held; dessen Emporsteigen galt ihm als schönstes Vorbild. Dänemark verband sich damals mit Frankreich; nur von Krieg war die Rede. Mein Vater nahm Dienste als Soldat, in der Hoffnung, als Lieutenant heimzukehren. Meine Mutter weinte; die Nachbarn zuckten die Achseln und sagten, daß es Tollheit sei, so hinauszugehen, um sich erschießen zu lassen, wenn man es nicht nöthig habe. —

An dem Morgen, als das Corps aufbrach, hörte ich meinen Vater singen und lustig reden; aber sein Herz war in tiefer Bewegung: das merkte ich an der wilden Heftigkeit, mit der er mich beim Abschiede küßte. Ich lag gerade krank an den Masern allein im Zimmer, als die Trommeln wirbelten und meine Mutter ihn weinend zum Thor hinaus begleitete. Als sie fort waren, kam meine alte Großmutter; sie betrachtete mich mit ihren milden Augen und sagte, daß es gut wäre, wenn ich jetzt stürbe, daß aber Gottes Wille immer der beste sei. Das war einer der ersten Morgen voller Schmerzen, dessen ich mich entsinne. —

Das Regiment kam inzwischen nicht weiter, als bis nach Holstein; es wurde Friede geschlossen, und der freiwillige Krieger kehrte wieder in seine Werkstatt zurück. Alles schien nun in der alten Ordnung zu gehen; ich tändelte mit meinen Puppen und spielte Komödie, und zwar immer auf Deutsch, denn nur in dieser Sprache hatte ich dergleichen gesehen. Aber mein Deutsch war ein Kauderwelsch, welches ich selbst zusammensetzte und worin nur ein einziges richtiges deutsches Wort vorkam, nemlich „Besen“, ein Wort, welches ich aus den verschiedenen Redensarten, die mein Vater von Holstein mit nach Hause gebracht, aufgeschnappt hatte. „Du hast ja Nutzen von meiner Reise,“ sagte er im Scherz; „Gott weiß, ob Du so weit kommen wirst; doch dafür mußt Du sorgen, daran denke, Hans Christian!“ Meine Mutter aber meinte, so lange sie etwas zu sagen hätte, solle ich schon zu Hause bleiben und nicht meine Gesundheit zusetzen, wie er. —

Das war auch der Fall: seine Gesundheit hatte gelitten. Eines Morgens erwachte er in wilden Phantasien und sprach nur vom Feldzuge und von Napoleon; er glaubte Befehle von ihm zu erhalten und selbst zu commandiren. Meine Mutter sandte mich sogleich, nicht zum Arzte, sondern zu einer sogenannten klugen Frau, eine halbe Meile von Odensee; ich kam zu ihr; sie fragte mich aus, maß darauf meine Arme mit einem wollenen Faden, machte wunderbare Zeichen und legte zuletzt einen grünen Zweig auf meine Brust; das sei, sagte sie, ein Stück von der Baumart, woran der Heiland gekreuziget worden. „Geh nun,“ sagte sie, „längs dem Flusse nach Hause; soll Dein Vater dieses Mal sterben, so wirst Du seinem Geist begegnen.“ —

Man kann sich denken, welche Angst ich ausstand, ich, der so von Aberglauben erfüllt und bei dem die Phantasie so leicht beweglich war! „Und Dir ist nichts begegnet?“ fragte meine Mutter mich, als ich nach Hause kam; ich versicherte mit pochendem Herzen: Nein! Mein Vater starb den dritten Tag darauf. Seine Leiche ruhte im Bette, ich lag mit meiner Mutter davor, und die ganze Nacht zirpte ein Heimchen. „Er ist todt,“ sagte meine Mutter zu diesem; „Du brauchst ihn nicht zu rufen; die Eisjungfrau hat ihn geholt.“ Und ich verstand, was sie meinte; ich entsann mich vom Winter her, als unsere Fensterscheiben gefroren waren, daß mein Vater dahin wies und uns ein Gebild zeigte, einer Jungfrau mit ausgebreiteten Armen ähnlich. „Die wird mich wohl holen!“ sagte er im Scherz. Nun, da er todt im Bette lag, fiel es meiner Mutter wieder ein und beschäftigte auch meine Gedanken. —

Auf dem St. Knuds-Kirchhof, vor der linken Seitenthür vom Altare aus, wurde er begraben; die Großmutter pflanzte Rosen auf das Grab. Jetzt sind auf derselben Stelle schon zwei fremde Gräber und das Gras wuchert auch über diesen. —

Von meines Vaters Tode an war ich ganz mir selbst überlassen; meine Mutter ging für die Leute waschen, ich saß allein zu Hause mit dem kleinen Theater, nähte Puppenzeug und las Bühnenstücke. Man hat mir erzählt, daß ich immer reinlich und nett gekleidet, dabei lang aufgeschossen war, langes helles, fast gelbes Haar hatte und mit bloßem Kopf ging. In unserer Nachbarschaft wohnte eine Prediger-Wittwe, Madame Bunkeflod, mit ihres verstorbenen Mannes Schwester zusammen; sie öffneten mir ihre Thür, und dies war das erste gebildete Haus, wo ich freundlich aufgenommen wurde. Der verstorbene Prediger hatte Gedichte geschrieben und besaß damals einen Namen in der dänischen Literatur; seine Spinnlieder waren zu jener Zeit im Munde des Volkes; in meinen „Vignetten zu dänischen Dichtern“ gedachte ich seiner, den meine Zeitgenossen vergessen hatten, so:

Spindeln schnurren, Räder gehen,
Spinngesänge flieh'n;
Jugend-Lieder werden bald
Alte Melodien.

Hier hörte ich zum ersten Mal den Namen Dichter aussprechen, und das mit einer Hochachtung, als bezeichne er etwas Heiliges. Holberg's Komödien hatte mein Vater mir ja oft vorgelesen, doch hier sprach man nicht von diesen, sondern von Versen, von Poesie. „Mein Bruder, der Dichter“ sagte die Schwester Bunkeflod's, und ihre Augen glänzten; von ihr lernte ich, daß es etwas Herrliches, etwas Glückliches sei, Dichter zu sein. Hier las ich auch zum ersten Mal den Shakspeare, freilich nur in einer schlechten Uebersetzung; aber die kecken Schilderungen, die blutigen Begebenheiten, die Hexen und Gespenster waren gerade nach meinem Geschmack. Alsbald spielte ich den Shakspeare auf meinem Puppentheater, sah Hamlets Geist und lebte mit Lear auf der Haide. Je mehr Personen in einem Stücke starben, desto interessanter kam es mir vor. Zu jener Zeit schrieb ich mein erstes Stück; es war nichts Geringeres, als eine Tragödie, worin natürlich Alle starben. Den Inhalt hatte ich einem alten Liede von Pyramus und Thisbe entlehnt, aber ich hatte die Begebenheit durch einen Eremiten und seinen Sohn vergrößert, welche beide Thisbe liebten und sich beide entleibten, als sie starb. Viele Reden des Eremiten waren biblische Stellen, aus dem kleinen Katechismus entnommen, besonders aus den „Pflichten gegen den Nächsten“; das Stück führte den Namen: Abor und Elvira. „Es sollte die Aborre (Barsche) und der Stockfisch heißen,“ sagte unsere Nachbarin witzig, als ich es mit großer Zufriedenheit und ganz glücklich allen Leuten in unsrer Straße vorgelesen hatte und nun auch zu ihr damit kam. Ich wurde dadurch völlig niedergeschlagen, denn ich fühlte, daß sie mich und mein Gedicht zum Besten hatte, welches die Andern alle lobten; betrübt erzählte ich es meiner Mutter. „Das sagt sie nur, weil ihr Sohn es nicht gemacht hat,“ erwiederte diese, und ich war getröstet und begann ein neues Stück, worin ein König und eine Königin auftreten sollten. Daß diese bei Shakspeare wie andere Menschen sprachen, fand ich, könne nicht richtig sein; ich fragte meine Mutter und mehrere Leute danach, wie ein König eigentlich spräche; doch man wußte nicht recht Bescheid; sie sagten, es sei so viele Jahre her, daß ein König in Odensee gewesen wäre; er rede aber wohl in fremden Sprachen. Ich verschaffte mir also eine Art von Lexicon, worin deutsche, französische und englische Wörter mit dänischer Uebersetzung standen, und nun war mir geholfen. Ich nahm ein Wort aus jeder Sprache und schaltete es meinem Stücke in den Reden des Königs und der Königin ein; es wurde eine förmlich babylonische Sprache, welche ich für die allein richtige für so hohe Personen hielt. Alle Menschen mußten mein Stück hören; es war eine wahre Glückseligkeit für mich, es vorzulesen, und es fiel mir nie ein, daß Andere nicht dieselbe Freude empfänden, es anzuhören.

Der Sohn der Nachbarin war in einer Tuchfabrik beschäftigt und brachte jede Woche eine Summe Geldes nach Hause; ich ging umher, wie man sagte, und that nichts; ich sollte nun auch in die Fabrik: „nicht des Geldes halber,“ sagte meine Mutter; „aber dann weiß ich doch, was er thut und wo er ist.“ Die alte Großmutter führte mich hin und war innig betrübt; denn sie hätte nicht zu erleben gedacht, sagte sie, daß ich mit den ärmlichen Knaben dort zusammen gehen sollte. Hier arbeiteten viele deutsche Gesellen; die sangen und sprachen lustig; mancher rohe Scherz erweckte den größten Jubel; ich hörte es und habe daraus gelernt, daß ein Kind dergleichen mit unschuldigem Ohre anhören kann; es faßte keinen festen Fuß in meinem Herzen. Damals hatte ich eine merkwürdig hübsche und hohe Sopranstimme, und das wußte ich; denn wenn ich in dem kleinen Garten meiner Eltern sang, horchten die Leute auf der Straße, und die vornehmen Fremden im Garten des Etatsrathes, der an den unsrigen stieß, lauschten an der Planke. Als man mich daher in der Fabrik fragte, ob ich singen könne, so begann ich sogleich, und alle Webstühle standen still, alle Gesellen hörten mir zu, ich mußte singen und wieder singen; den andern Knaben wurde es übertragen, meine Arbeit zu machen. Nun erzählte ich, daß ich auch Komödie spielen könne; ich entsann mich ganzer Scenen von Holberg und Shakspeare. Alle mochten mich leiden, und aus diese Weise fand ich die ersten Tage in der Fabrik ganz belustigend. Aber eines Tages, als ich im besten Singen begriffen war und sie von der merkwürdigen Höhe meiner Stimme sprachen, rief einer der Gesellen aus: „Das ist sicher kein Knabe, sondern ein kleines Mädchen!“ Er faßte mich; ich schrie und jammerte; die andern Gesellen fanden den Scherz belustigend und hielten mich bei den Armen und Beinen. Ich jammerte laut, und, blöde wie ein Mädchen, stürzte ich aus dem Hause und zu meiner Mutter, die mir sogleich versprach, daß ich nie mehr dahin gehen solle. Ich besuchte wieder Madame Bunkeflod, zu deren Geburtstag ich ein weißes seidenes Nadelkissen selbst erfand und nähte. Mit einer andern Prediger-Wittwe dort in der Nachbarschaft knüpfte ich auch Bekanntschaft an. Sie ließ sich von mir die Romane vorlesen, die sie aus der Leihbibliothek erhielt. Einer derselben fing ungefähr so an: Es war eine stürmische Nacht, der Regen klatschte an die Fensterscheiben. „Das ist ein ausgezeichnetes Buch,“ sagte die Alte, und ich fragte ganz unschuldig, woher sie das wisse. „Ich höre das am Anfange,“ sagte sie; „das wird ausgezeichnet werden.“ Und ich staunte ihre Einsicht mit einer Art Ehrfurcht an.

Einst in der Emtezeit ging meine Mutter mit mir mehrere Meilen von Odensee nach einem Edelhof in der Nähe ihres Geburtsortes Bogensee. Die Besitzerin, bei deren Eltern sie gedient, hatte gesagt, sie möge sie ein Mal besuchen. Das war eine große Reise für mich; wir legten den Weg größtentheils zu Fuße zurück und brauchten, glaube ich, zwei Tage. Hier machte das Land einen so mächtigen Eindruck auf mich, daß es mein höchster Wunsch war, dort zu bleiben und Landmann zu werden. Es war gerade in der Hopfenernte; in der Scheune, rings um ein großes Gefäß, saß ich mit einer ganzen Menge Landleute bei meiner Mutter und half Hopfen lesen; es wurden Geschichten erzählt und was für Wunderdinge ein Jeder gesehen und erlebt hatte. Eines Nachmittags hörte ich hier einen alten Mann sagen, daß Gott Alles wisse, was da geschähe und was geschehen würde. Das erfüllte meine Gedanken ganz, und als ich gegen Abend, allein vom Hofe fortging, wo ein tiefer Teich war, und ich auf einige Steine darin getreten war, fuhr es mir durch den Kopf, ob Gott auch wirklich Alles wisse, was da geschehen würde. Er hat vielleicht bestimmt, daß ich leben und viele Jahre alt werden soll, dachte ich; wenn ich nun aber hier in das Wasser springe und mich ertränke, dann wird es doch nicht, wie er will. Und augenblicklich war ich fest entschlossen, mich zu ertränken; ich lief zur tiefsten Stelle hin — da fuhr mir ein neuer Gedanke durch die Seele: Das ist der Teufel, der Gewalt über mich üben will! Und ich stieß einen Schrei aus, lief, als würde ich verfolgt, und stürzte meiner Mutter weinend in die Arme; aber weder sie, noch sonst Jemand brachte aus mir heraus, was mir fehle. „Er hat gewiß irgend ein Gespenst gesehen,“ sagte eine der Frauen, und ich glaubte es fast selbst.

Meine Mutter verheirathete sich wieder mit einem jungen Handwerker; aber seine Familie, die auch dem Handwerkerstande angehörte, fand, daß es eine gar zu geringe Partie sei, die er gemacht habe, und weder meine Mutter, noch ich erhielten die Erlaubniß, zu ihr zu kommen. Mein Stiefvater war ein junger stiller Mann, der sich durchaus nicht in meine Erziehung mischen wollte; ich lebte deshalb ganz meinem Guckkasten und meinem Puppentheater, und es war mein größtes Glück, bunte Lappen zu sammeln, die ich dann selbst zuschnitt und nähte. Meine Mutter betrachtete es als eine gute Uebung, um Schneider zu werden, und nahm an, daß ich sicher dazu geboren wäre; ich sagte dagegen, daß ich auf das Theater gehen und Schauspieler werden wolle — ein Wunsch, dem sich meine Mutter auf das Bestimmteste widersetzte, indem sie kein anderes Theater kannte, als das herumziehender Schauspieler und Seiltänzer; nein, Schneider sollte und mußte ich werden. Das Einzige, was mich bei dieser Bestimmung einigermaßen tröstete, war, daß ich dann recht viele Lappen für mein Puppentheater bekommen könnte.

Meine Leselust, die vielen dramatischen Scenen, die ich auswendig wußte, meine hübsche Stimme, Alles erweckte eine Art von Aufmerksamkeit bei mehreren vornehmen Familien in Odensee; ich wurde zu ihnen hinbeschieden; meine ganze sonderbare Persönlichkeit erregte ihr Interesse. Unter den Vielen, zu denen ich jetzt kam, war auch der Oberst Hoegh-Guldberg, der mir mit seiner Familie die aufrichtigste Theilnahme bewies; ja, er führte mich sogar einmal zu dem Prinzen Christian, dem jetzigen König.

Ich schoß auf und wurde ein hochstämmiger Knabe, von dem meine Mutter sagte, daß sie ihn nicht gut länger sich so herumtreiben lassen könne. Ich ging in die Armenschule, lernte nur Religion, Schreiben und Rechnen, und das Letztere schlecht genug; ich konnte kaum ein Wort richtig buchstabiren. Jedes Mal, wenn des Lehrers Geburtstag war, flocht ich einen Kranz und schrieb ein Gedicht für ihn; er nahm es halb mit Lächeln, halb mit Spott; das letzte Mal schalt er darüber. Die Straßenjungen hatten von ihren Eltern auch von meinem eigenthümlichen Wesen, und daß ich zu vornehmen Leuten komme, gehört; deshalb wurde ich eines Tages von einer ganzen wilden Schaar verfolgt, die spottend rief: „Da läuft der Komödienschreiber.“ Ich verbarg mich daheim in meinem Winkel, weinte und betete zu Gott. Meine Mutter sagte, daß ich confirmirt werden solle, um in die Schneiderlehre zu kommen und etwas Vernünftiges zu thun; sie liebte mich von ganzem Herzen, verstand aber mein Streben und Trachten nicht, welches ich damals auch selbst nicht verstand; ihre Umgebung sprach immer gegen meine Art, zu sein, und hielt sich über mich auf. — Wir gehörten zum St. Knuds Kirchsprengel, und hier konnten die Confirmanden sich entweder bei dem Stiftspropst oder bei dem Capellan einschreiben. Zu dem Ersteren gingen nur die Kinder der sogenannten vornehmen Familien, sammt den Schülern der lateinischen Schule; zu dem Letzteren gingen die ärmeren. Ich aber meldete mich bei dem Stiftspropste, der mich annehmen mußte, darin aber sicher eine Eitelkeit von mir erblickte, indem ich mit seinen Confirmanden, obgleich ich zu unterst gestellt wurde, über alle diejenigen kam, welche zu dem Capellan gingen. Ich darf inzwischen hoffen, daß es nicht allein Eitelkeit war, die mich dazu trieb; ich hatte eine Angst vor den armen Knaben, die mich verspottet hatten, und fühlte immer einen inneren Trieb, mich den Schülern der lateinischen Schule zu nähern, die ich für weit besser, als die anderen hielt. Wenn sie auf dem Kirchhofe spielten, stand ich vor dem Gitter, guckte hinein und wünschte, daß ich unter diesen Glücklichen wäre, nicht des Spielens, sondern der vielen Bücher halber, und wegen Dessen, was sie in der Welt werden konnten. Beim Stiftspropst konnte ich nun mit ihnen zusammenkommen und dasselbe sein, was sie; aber ich erinnere mich nicht eines Einzigen von jener Zeit her, so wenig müssen sie sich mit mir abgegeben haben. Ich hatte täglich das Gefühl, mich eingedrängt zu haben, wo man fand, daß ich nicht hingehörte; nur ein junges Mädchen, welches dort für die Vornehmste galt und dessen ich später nochmals erwähnen werde, sah mich immer so mild und freundlich an und gab mir einst sogar eine Rose; und ich kehrte glückselig nach Hause zurück, weil es doch Eine gab, die mich nicht übersah und verstieß.

Eine alte Schneiderin veränderte meines verstorbenen Vaters Ueberrock zu einem Confirmationsanzuge für mich; nie hatte ich einen solchen Rock getragen. Auch bekam ich zum ersten Mal in meinem Leben Stiefeln. Meine Freude war außerordentlich groß, nur fürchtete ich, daß die Stiefeln nicht von Allen gesehen werden möchten, und deshalb zog ich sie über die Beinkleider und schritt so durch die Kirche. Die Stiefeln knarrten, und das freute mich innig, weil die Gemeinde nun hören konnte, daß sie neu seien; meine ganze Andacht war gestört; ich fühlte es und hatte zugleich eine gräßliche Gewissensqual darüber, daß meine Gedanken eben so viel bei meinen neuen Stiefeln als bei Gott waren; ich bat ihn recht von Herzen, mir zu verzeihen, und dachte dann wieder an die neuen Stiefeln.

Im letzten Jahre hatte ich eine kleine Summe Geldes zusammengespart; als ich sie nachzählte, bestand sie aus 13 Reichsbankthalern; ich war über den Besitz eines so großen Reichthumes ganz außer mir, und da meine Mutter nun auf das Bestimmteste verlangte, daß ich in die Schneiderlehre kommen solle, bat und plagte ich sie, daß ich doch nach Kopenhagen reisen dürfe, für mich damals die größte Stadt der Welt. „Was willst Du dort werden?“ fragte meine Mutter. „Ich will berühmt werden,“ erwiederte ich und erzählte ihr, was ich von merkwürdigen Männen gelesen. „Man hat erst gewaltig viel Widerwärtiges durchzumachen, und dann wird man berühmt.“

Es war ein völlig unerklärlicher Trieb, der mich leitete; ich weinte, ich bat, und zuletzt gab meine Mutter nach, ließ aber doch erst eine alte sogenannte kluge Frau vom Hospital holen, um aus der Karte und dem Kaffee mein künftiges Schicksal zu prophezeien.