Jean Paul

Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066117863

Inhaltsverzeichnis


Vorrede des Verfassers.
Zirkelbrief des vermutlichen katechetischen Professors Attila Schmelzle an seine Freunde, eine Ferienreise nach Flätz enthaltend, samt einer Einleitung, sein Davonlaufen und seinen Mut als voriger Feldprediger betreffend.
Reise nach Flätz.
Erste Station, von Neusattel nach Vierstädten.
Zweite Station, von Vierstädten nach Niederschöna.
Dritte Station, von Niederschöna nach Flätz.
Erster Tag in Flätz.
Erste Nacht in Flätz.
Zweiter Tag in Flätz.

Leipzig
Kurt Wolff Verlag
1917.

Mit acht Kupfern
von
Karl Thylmann


2. Abdruck

Vorrede des Verfassers.

Inhaltsverzeichnis

Ich glaube, mit drei Worten ist sie gemacht, so wie der Mensch und seine Buße aus ebenso vielen Teilen.

1) Das erste Wort ist über den Zirkelbrief des Feldpredigers Schmelzle zu sagen, worin er seinen Freunden seine Reise nach der Hauptstadt Flätz beschreibt, nachdem er in einer Einleitung einige Beweise und Versicherungen seines Mutes vorausgeschickt. Eigentlich ist selber die Reise nur dazu bestimmt, seine vom Gerüchte angefochtene Herzhaftigkeit durch lauter Tatsachen zu bewähren, die er darin erzählt. Ob es nicht inzwischen feine Nasen von Lesern geben dürfte, welche aus einigen darunter gerade umgekehrt schließen, seine Brust sei nicht überall bombenfest, wenigstens auf der linken Seite, darüber lass' ich mein Urteil schweben.

Übrigens bitte ich die Kunstkenner sowie ihren Nachtrab, die Kunstrichter, diese Reise, für deren Kunstgehalt ich als Herausgeber verantwortlich werde, bloß für ein Porträt (im französischen Sinne), für ein Charakterstück zu halten. Es ist ein will- oder unwillkürliches Luststück, bei dem ich so oft gelacht, daß ich mir für die Zukunft ähnliche Charaktergemälde zu machen vorgesetzt. – Wann könnte indes ein solches Luststückchen schicklicher der Welt ausgestellt und beschert werden, als eben in Zeiten, wo schweres Geld und leichtes Gelächter fast ausgeklungen haben, zumal da wir jetzt wie Türken bloß mit Beuteln rechnen und zahlen (der Inhalt ist heraus) und mit Herzbeuteln (der Inhalt ist darin)?–

Verächtlich würde mir's vorkommen, wenn irgendein roher Tintenknecht rügend und öffentlich anfragte, auf welchen Wegen ich zu diesem Selbst-Kabinetts-Stücke Schmelzles gekommen sei. Ich weiß sie gut und sage sie nicht. Dieses fremde Luststück, wofür ich allerdings (mein Verleger bezeugt's) den Ehrensold selber beziehe, überkam ich so rechtlich, daß ich unbeschreiblich ruhig erwarte, was der Feldprediger gegen die Herausgabe sagt, falls er nicht schweigt. Mein Gewissen bürgt mir, daß ich wenigstens auf ehrlicheren Wegen zu diesem Besitztume gekommen, als die sind, auf denen Gelehrte mit den Ohren stehlen, welche als geistige Hörsaalshausdiebe und Kathederschnapphähne und Kreuzer die erbeuteten Vorlesungen in den Buchdruckereien ausschiffen, um sie im Lande als eigene Erzeugnisse zu verhandeln. Noch hab' ich wenig mehr in meinem Leben gestohlen, als jugendlich zuweilen – Blicke.

2) Das zweite Wort soll die auffallende, mit einem Notensouterrain durchbrochene Gestalt des Werkleins entschuldigen. Sie gefällt mir selber nicht. Die Welt schlage auf und schaue hinein und entscheide ebenfalls. Aber folgender Zufall zog diese durch das ganze Buch streichende Teilungslinie: ich hatte meine eigenen Gedanken (oder Digressionen), womit ich die des Feldpredigers nicht stören durfte, und die bloß als Noten hinter der Linie fechten konnten, aus Bequemlichkeit in ein besonderes Manuskript zusammengeschrieben, und jede Note ordentlich, wie man sieht, mit ihrer Nummer versehen, die sich bloß auf die Seitenzahl des fremden Hauptmanuskripts bezog; ich hatte aber bei dem Kopieren des letzteren vergessen, in den Text selber die entsprechende einzuschreiben. Daher werfe niemand, sowenig als ich, einen Stein auf den guten Setzer, daß dieser – vielleicht in der Meinung, es gehöre zu meiner Manier, worin ich etwas suchte – die Noten geradeso, wie sie ohne Rangordnung der Zahlen untereinander standen, unter den Text hinsetzte, jedoch durch ein sehr lobenswürdiges künstliches Ausrechnen wenigstens dafür sorgte, daß unter jede Textseite etwas von solchem glänzenden Notenniederschlag käme. –– Nun, die Sache ist einmal geschehen, ja verewigt, nämlich gedruckt. Am Ende sollte ich mich eigentlich darüber erfreuen. In der Tat – und hätt' ich jahrelang darauf gesonnen (wie ich's bisher seit zwanzigen getan), um für meine Digressionskometenkerne neue Lichthülsen, wenn nicht Zugsonnen, für meine Episoden neue Epopöen zu erdenken: schwerlich hätt' ich für solche Sünden einen besseren und geräumigeren Sündenbalg erfunden, als hier Zufall und Setzer fertig gemacht darreichen. Ich habe nur zu beklagen, daß die Sache gedruckt worden, eh' ich Gebrauch davon machen können. Himmel! welche fernsten Anspielungen (hätt' ich's vor dem Drucke gewußt) wären nicht in jeder Textseite und Notennummer zu verstecken gewesen, und welche scheinbare Unangemessenheit in die wirkliche Gemessenheit und ins Notenuntere der Karten; wie empfindlich und boshaft wäre nicht die Höhe und auf die Seite herauszuhauen gewesen, aus den sicheren Kasematten und Miniergängen unten, und welche laesio ultradimidium (Verletzung über die Hälfte des Textes) wäre nicht mit satirischen Verletzungen zu erfüllen und zu ergänzen gewesen!

Aber das Schicksal wollte mir nicht so gut; ich sollte von diesem goldenen Handwerksboden für Satiren erst etwas erfahren drei Tage vor der Vorrede.

Vielleicht aber holt die Schreibwelt – bei dem Flämmchen dieses Zufalls – eine wichtigere Ausbeute, einen größeren unterirdischen Schatz herauf, als leider ich gehoben; denn nun ist dem Schriftsteller ein Weg gezeigt, in einem Marmorbande ganz verschiedene Werke zu geben, auf einem Blatte zugleich für zwei Geschlechter, ohne deren Vermischung, ja für fünf Fakultäten zugleich, ohne deren Grenzverrückung, zu schreiben, indem er, statt ein ekles, gärendes Allerlei für niemand zu brauen, bloß dahin arbeitet, daß er Notenlinien oder Demarkationslinien zieht und so auf dem nämlichen fünfstöckigen Blatte die unähnlichsten Köpfe behauset und bewirtet. Vielleicht läse dann mancher ein Buch zum vierten Male, bloß, weil er jedesmal nur ein Viertel gelesen.

Wenigstens den Wert hat dieses Werk, daß es ein Werkchen ist, und klein genug; so daß es, hoff' ich, jeder Leser fast schon im Buchladen schnell durchlaufen und auslesen kann, ohne es, wie ein dickes, erst deshalb kaufen zu müssen. – Und warum soll denn überhaupt auf der Körperwelt etwas anderes groß sein, als nur das, was nicht zu ihr gehört, die Geisterwelt?–

Baireuth,
im Heu- und Friedensmonat 1807.

Jean Paul Fr. Richter.

Der Blitzschirm ist nämlich ganz der Reimarus'sche

Zirkelbrief des vermutlichen katechetischen Professors Attila Schmelzle an seine Freunde, eine Ferienreise nach Flätz enthaltend, samt einer Einleitung, sein Davonlaufen und seinen Mut als voriger Feldprediger betreffend.

Inhaltsverzeichnis

Nichts ist wohl lächerlicher, meine werten Freunde, als wenn man einen Mann für einen Hasen ausgibt, der vielleicht gerade mit den entgegengesetzten Fehlern eines Löwen kämpft, wiewohl nun auch der afrikanische Leu seit Sparrmanns Reise als ein Feigling zirkuliert. Ich bin indes in diesem Falle, Freunde, wovon ich später reden werde, ehe ich meine 103 Gute Fürsten bekommen leicht gute Untertanen (nicht so leicht diese jene); so wie Adam im Stande der Unschuld die Herrschaft über die Tiere hatte, die alle zahm waren und blieben, bis sie bloß mit ihm verwilderten und fielen. Reise beschreibe. Ihr freilich wißt alle, daß ich gerade umgekehrt den Mut und den Waghals (ist er nur sonst kein Grobian) vergöttere, zum Beispiel meinen Schwager, den Dragoner, der wohl nie in seinem Leben einen Menschen allein ausgeprügelt; sondern immer einen ganzen geselligen Zirkel zugleich. Wie furchtbar war nicht meine Phantasie schon in der Kindheit, wo ich, wenn der Pfarrer die stumme Kirche in einem fort anredete, mir oft den Gedanken: »wie, wenn du jetzt geradezu aus dem Kirchenstuhle hinauf schrieest: ich bin auch da, Herr Pfarrer!« so glühend ausmalte, daß ich vor Grausen hinaus mußte! – So etwas wie Rugendas' Schlachtstücke – entsetzliches Mordgetümmel – Seetreffen und Landstürme bei Toulon – auffliegende Flotten – und in der Kindheit Prager Schlachten auf Klavieren – und kurz, jede Karte von einem reichen Kriegsschauplatz; dies sind vielleicht zu sehr meine Liebhabereien und ich lese – und kaufe nichts lieber; es könnte 5 Denn ein guter Arzt rettet, wenn nicht immer von der Krankheit, doch von einem schlechten Arzt. mich oft zu manchem versuchen, hielt mich nicht meine Lage aufrecht. Soll indes rechter Mut etwas Höheres sein, als bloßes Denken und Wollen: so genehmigt ihr es am ersten, Werteste, wenn auch der meinige einst dadurch in tätige Worte ausbrechen will, daß ich meinen künftigen Katecheten, so gut es in Vorlesungen möglich, zu christlichen Heroen stähle. – Es ist bekannt, daß ich immer, wenigstens zehn Acker weit, von jedem Ufer voll Badegäste und Wasserschwimmer fern spazieren gehe, um für mein Leben zu sorgen, bloß weil ich voraussehe, daß ich, falls einer davon ertrinken wollte, ohne weiteres (denn das Herz überflügelt den Kopf) ihm, dem Narren, rettend nachspringen würde, in irgendeine bodenlose Tiefe hinein, wo wir beide ersöffen. – Und wenn das Träumen der Widerschein des Wachens ist, so frag' ich euch, Treue, erinnert ihr euch nicht mehr, daß ich euch Träume von mir erzählt habe, deren sich kein Cäsar, Alexander und 100 Die Bücher liegen voll Phönixasche eines tausendjährigen Reichs und Paradieses; aber der Krieg weht und viel Asche verstäubt. Luther schämen darf? Hab' ich nicht – um nur an einige zu erinnern – Rom gestürmt und mich mit dem Papste und dem Elefantenorden des Kardinalkollegiums zugleich duelliert? Bin ich nicht zu Pferde, worauf ich als Revuezuschauer gesessen, in ein bataillon quarré eingebrochen und habe in Aachen die Perücke Karls des Großen, wofür die Stadt jährlich zehn Rtlr. Frisiergeld zahlt, und darauf in Halberstadt von Gleim Friedrichs Hut erobert, und beide aufeinander aufgesetzt und habe mich doch noch umgekehrt, nachdem ich vorher auf einem erstürmten Walle die Kanone gegen den Kanonier selber umgekehrt? – habe ich nicht mich beschneiden und doch als Jude mich zählen lassen, und mit Schinken bewirten, wiewohl's Affenschinken am Orinoko waren (nach Humboldt)? Und tausend dergleichen; denn zum Beispiel den Flätzer Konsistorialpräsidenten hab' ich aus dem Schloßfenster geworfen – Knall- oder Allarmfidibus von 102 Lieber politischer und religiöser Inquisitor! Die Turiner Lichtchen leuchten ja erst recht, wenn du sie zerbrichst, und zünden dann sogar. Heinrich Backofen in Gotha, das Dutzend zu 6Gr., und jeder wie eine Kanone knallschlagend, hab' ich so ruhig angehört, daß die Fidibus mich nicht einmal aufweckten – und mehr.

Doch genug! Es ist Zeit, mit wenigem die Verleumdung meines Feldpredigeramtes, die leider auch in Flätz umläuft, bloß dadurch, wie ein Cäsar den Alexander zu zerstäuben, daß ich sie berühre. Es sei daran wahr was wolle, es ist immer wenig oder gar nichts. Euer großer Minister und General in Flätz – vielleicht der größte überall – denn es gibt nicht viele Schabacker – konnte allerdings wie jeder große Mann gegen mich eingenommen werden, doch nicht mit dem Geschütz der Wahrheit; denn letzteres stell' ich euch hierher, ihr Herzen, und drückt ihr's nur zu meinem Besten ab! Es laufen nämlich im Flätzischen unsinnige Gerüchte um, daß ich aus bedeutenden Schlachten Reißaus genommen 86 So wahr! In der Jugend liebt und genießt man unähnliche Freunde fast mehr, als im Alter die ähnlichsten. (so pöbelhaft spricht man), und daß nachher, als man Feldprediger zu Dank- und Siegespredigten gesucht, nichts zu haben gewesen. Das Lächerliche davon erhellt wohl am besten, wenn ich sage, daß ich in gar keinem Treffen gewesen bin, sondern mehrere Stunden vor demselben mich so viele Meilen rückwärts dahin gezogen habe, wo mich unsere Leute, sobald sie geschlagen worden, notwendig treffen mußten. Zu keiner Zeit, ist der Rückzug wohl so gut – ein guter aber wird für das Meisterstück der Kriegskunst gehalten – und mit solcher Ordnung, Stärke und Sicherheit zu machen, als eben vor dem Treffen, wo man ja nicht geschlagen ist.

Ich könnte zwar als hoffentlicher Professor der Katechetik zu solchen Verumfeiungen meines Mutes still sitzen und lächeln – denn schmied' ich meine künftigen Katecheten durch sokratisches Fragen zum Weiterfragen zu: so hab' ich sie zu Helden gehärtet, da nichts gegen sie zu Felde zieht als Kinder – Katecheten 128 In der Liebe gibt's Sommerferien; aber in der Ehe gibt's auch Winterferien, hoff' ich.