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Aria Fields

Die Prophezeiung der Engel

Bis zum ersten Flügelschlag

Für alle, die an mich geglaubt haben

Aria Fields ist das Pseudonym einer deutschen Schriftstellerin. Sie wurde am Niederrhein geboren, wo sie bis heute zusammen mit sechs Katzen lebt. Schreiben ist ihre Leidenschaft neben ihrem Beruf. Bis zum ersten Flügelschlag ist der erste Teil der Trilogie Die Prophezeiung der Engel. Weitere Romane dieser Serie sind in Arbeit.

Aria Fields

Die Prophezeiung der Engel

Bis zum ersten Flügelschlag

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Impressum:

Autorin: Aria Fields

Verlag: Tredition GmbH , Self-Publishing

Umschlaggestaltung: Emery Montgomery

Copyright © 2016 by Emery Montgomery, SR

978-3-7345-6533-5 (Hardcover)

978-3-7345-6534-2 (e-Book)

Kapitel 1

Melia warte!“ Zügig lief Elija hinter der sportlich durchtrainierten und ein Jahr jüngeren Gymnasiastin her. Elija selbst war gerade sechzehn Jahre alt geworden und zum Kapitän der einzigen deutschen Footballmannschaft ernannt worden, die sich bereits mit ausländischen Teams messen durfte und dabei beachtliche Erfolge erzielt hatte. Er war auf einem Gymnasium untergebracht, das ausschließlich Privatschüler unterrichtete. Melija dagegen besuchte ein öffentliches Gymnasium. Optisch waren die Beiden ein perfektes Paar. Beide sportlich durchtrainiert und von auffallender Schönheit. Jedoch sind und waren die beiden nie ein Paar. Sie hatten sich während eines Sportcamps vor vier Jahren kennen gelernt und waren seitdem eng befreundet. Sie hatten während ihres Aufenthaltes in dem Sportcamp durch Zufall herausgefunden das sie aus der selben Stadt kamen.

Elija war damals gerade von Frankreich nach Deutschland gezogen. Seine Eltern sind Diplomaten und von daher schon auf vielen Teilen der Welt zu Hause gewesen. Nun jedoch sollte Elija die nächsten Jahre in Deutschland verbringen und seinen Schulabschluss machen. Um ihm eine optimale Zukunft zu gewährleisten hatten seine Eltern sich für die kostspielige Privatschule entschieden. Anfangs war er wenig begeistert davon gewesen in ein 3600 – Seelen – Dörfchen nahe der niederländischen Grenzen zu ziehen, aber das änderte sich schnell als er Melia kennen lernte. Die Beiden hatten sogleich gemerkt, dass sie so etwas wie Seelenverwandte waren und verbrachten von da an viel Zeit miteinander. Melia als begeisterte Schwimmerin und Läuferin schloss sich Elija bei seinem täglichen Lauftraining an und Elija begleitete Melija oft zum Schwimmtraining und zog dabei regelmäßig selber seinen Bahnen um seine Fitness noch weiter zu steigern. Auch ansonsten genossen die Beiden viel freie Zeit miteinander.

Gingen Eis essen, ins Kino oder an ihren Lieblingsplatz tief im Wald. Dort gab es weit ab von den nächst gelegen Gehöften eine kleine Lichtung mit einer Ruine. Was die Ruine ursprünglich einmal war wussten Beide nicht. Übrig sind heute nur noch vereinzelte Wandteile, ein Tisch und vier Quader aus Stein, deren ursprünglicher Nutzen für die beiden bis heute ungeklärt ist. An allen Bauteilen hatte der Zahn der Zeit bereits genagt. Die restlichen Bestandteile der Ruine bröckelten und hatten tiefe Risse und waren zum Teil mit Moos und Kletterpflanzen bewachsen. Aber genau dies machte den Charme dieses kleinen Flecken Erde aus. Umgeben war die Ruine von riesigen alten Bäumen zwischen denen es eine Lichtung gab, auf der im Sommer herrliche Wildblumen wuchsen.

„Hey! Ich dachte du wärst heute auf einer Museumsbesichtigung mit der Schule und nicht vor Mittag zurück?“Melia war stehen geblieben und wartete im Schatten einer großen Eiche auf Elija. Elija, der nun bei Melija angekommen war, hielt ihr eine Flyer vors Gesicht.

„Das habe ich entdeckt und wollte dich fragen was du dazu sagst?!“

Elija hielt einen Werbeflyer für eine sechswöchige Abenteuer – Erlebnis – Tour in Kanada in der Hand. Melia nahm den Zettel an sich und stellte nun fast, dass diese Tour genau in den in zwei Wochen beginnenden Sommerferien stattfinden würde. „Das klingt ja super! Aber hier steht gar nichts von einem Preis oder ähnlichem!“

Sie hielt Elija den Zettel vor sein Gesicht, in welchem sich ein Lächeln ausbreitete, das sogar seine leuchtend blauen Augen zum strahlen brachte.

„Muss auch nicht! Es war ein Preisausschreiben und ich habe mitgemacht und gewonnen! Und das Beste ist, die Reise ist für zwei Personen. Also was ist – bist du dabei?“

Melia brauchte eine Moment um diese Nachricht sacken zu lassen und fiel Elija dann quiekend um den Hals, so das Elija ins Straucheln geriet und arge Mühe hatte die Beiden auf den Beinen zu halten.

„Ja!“ rief Melia voller Freude, löste sich dann jedoch von Elija und schaute zu Boden.

„Was ist kleine Meerjungfrau!“ fragte Elija sie. Dies war sein Spitzname für Melija seit er sie das erste Mal im Wasser gesehen hatte. Schon damals hatte er gesagt, dass ihr nur Kiemen, Schwimmhäute zwischen den Fingern und ein Fischschwanz fehlten, so sehr sei sie eins mit dem Wasser.

Melia schaute auf und ihre rehbraunen Augen blickten nun direkt in die tiefblauen Augen von Elija. Sie liebte seine Augen. Immer wenn sie hinein sah erinnerten sie seine Augen an das Meer und die Freiheit, die sie im Wasser hatte. Das Wasser war der einzige Ort, an dem sie ganz sie selbst war.

„Ich muss erst mit meinen Eltern sprechen! Sie wollten doch mit dem Wohnwagen nach Holland an die See und ich sollte sie begleiten. Ich weiß nicht ab sie mir erlauben so lange so weit weg zu reisen, ohne dass sie ein Auge auf mich haben!“

Melia musste grinsen. Sie ist, genau wie Elija, ein Einzelkind und der ganze Stolz ihres Vaters. Melias Meinung nach übertreibt ihr Vater es jedoch meist mit seiner Fürsorge. Als Melija Elija kennen gelernt hatte und ihren Eltern vorstellte hatte ihr Vater Elija im Alter von gerade mal zwölf Jahren gleich ins Kreuzverhör genommen. Hier kam der Kommissar, der er nun einmal war, nur allzu deutlich zum Ausdruck. Melia hatte sich damals fürchterlich geschämt. Elija war es egal gewesen. Er hatte artig alle Fragen beantwortet und sich in der anschließenden Probezeit bewährt.

„Du kennst doch meinen Dad!“ fügt Malija noch hinzu.

„O.K.. Aber ich denke, wenn ich als dein Beschützer mitkomme dürfte das doch schon mal ein Punkt für die Pro-Liste sein!“ Elija nahm den Zettel wieder an sich und sie schlenderten gemütlich weiter.

Früher hatten Beide den Argwohn und das Misstrauen von Melias Vater nicht verstanden. Je älter sie jedoch wurden und je mehr sie auch von den Geschehnissen aus der Welt mitbekamen desto besser verstanden sie ihn.

Gelegentliche Kreuzverhöre und zufälliges Erscheinen von Melias Vater an Sportplätzen und Treffpunkten galt nun nicht mehr länger einem eventuell vorhandenen Misstrauen ihnen Beiden gegenüber, sondern diente lediglich der Beruhigung der elterlichen Fürsorge. Melia hatte ihren Vater mal damit aufgezogen, dass er doch wenigstens ein Eis mitbringen könnte und sich auch nicht zu verstecken bräuchte, wenn er wieder einmal seinem väterlichen Fürsorgeverlangen erlag. Von diesem Tag an änderte sich die Vater-Tochter-Beziehung grundlegend. Ihr Vater hatte verstanden, dass seine Tochter ihm seine gelegentlichen Kontrollgänge nicht übel nahm. Nein, sie hatte ihm vielmehr deutlich gezeigt, dass er ein Teil ihrer Welt war und es auch bleiben sollte. So traf man sich fortan häufiger; aß Eis oder Pizza oder hielt nur einen kurzen Plausch bis das väterliche Fürsorgeradar wieder auf grün geschaltet hatte.

Selbst Elija genoss die Nähe von Melias Vater. Seine Eltern waren sein ganzes Leben lang ständig auf Reisen gewesen. Er wusste, dass dies die Arbeit von Diplomaten mit sich brachte, hatte sich aber immer gewünscht mehr Zeit mit seinen Eltern verbringen zu können. Natürlich hatte er Nannys und Haushälterinnen. Doch er hatte sich immer ein zu Hause gewünscht indem Eltern waren, die für ihn da waren wenn er nach Hause kam. Und sei es nur um ihn kurz zu drücken.

An diesem Abend musste Melia lange auf ihren Vater warten. Ein Mordfall und die Einrichtung einer Sonderkommission sorgten für Überstunden und Melias Nervosität stieg von Minute zu Minute. Sie wollte ihre Eltern endlich um die Erlaubnis für die Reise bitten. Ihre Mutter, eine jung gebliebene Mittvierzigerin und leitende Bankangestellte, saß neben Melija auf der Couch und lauschte einer Reportage über die Uhreinwohner Australiens auf N24. Nun drehte sie sich abrupt zu Melia um und ihre braunen Augen sahen Melija eindringlich an.

„Was ist los mit dir? Du zappelst herum wie ein Fisch auf dem Trockenen.Weshalb bist du so nervös?“

Melia sah ihre Mutter erschrocken an und wusste nicht was sie sagen sollte. Sie hatte warten wollen bis ihr Vater ebenfalls zu Hause war und erst dann die im Moment alles entscheidende Frage stellen wollen. Nun hatte sie wohl keine Wahl mehr. Zum Einen hielt sie die Warterei ohnehin nicht mehr aus und zum Anderen hatte sie noch nie einen Grund gehabt ihre Mütter an zu lügen und sie wollte gerade heute auch nicht damit beginnen. Zögerlich beginnt sie zu sprechen.

„Elija hat an einem Preisausschreiben teilgenommen und den Hauptpreis gewonnen. Eine sechswöchige Reise nach Kanada!“

Melijas Mutter schüttelt den Kopf und beginnt zu lachen.

„Und jetzt weißt du nicht wie du sechs Wochen ohne ihn überleben sollst?“

Melia ist ein wenig entrüstet über die Aussage ihrer Mutter aber um ehrlich zu sein hatte sie über diese Tatsache auch noch gar nicht nachgedacht. Nun nimmt Melia all ihren Mut zusammen und beginnt zu sprechen.

„Die Reise ist für zwei Personen und er möchte das ich ihn begleite und ich möchte das auch! Bitte sag nicht gleich nein!“ ergänzt sie noch eilig.

„Wir werden auf deinen Vater warten und besprechen das zusammen!“ sagt ihre Mutter nach einer Weile. Der Schock über diese Nachricht steht ihr allerdings nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben, doch ihre Züge entspannen sich langsam wieder und sie lehnt sich auf der Couch zurück.

„Hast du eigentlich irgendwelche genaueren Informationen über diese Reise? Du weißt, dass deinem Vater diese Frage alleine nie und nimmer reichen wird!“

Melia ist von der Couch gehüpft und in ihr Zimmer gelaufen um ihren Laptop zu holen. Als sie vom Training nach Hause kam hatte sie sich gleich in die Weiten des Internets begeben, da sie sich denken konnte, dass es mehr als einem Sonntagsgrinsen und Kulleraugen bedarf um ihre Eltern überzeugen zu können. Nun eilt sie die Treppe Richtung Wohnzimmer hinunter um ihrer Mutter schon mal alle Informationen präsentieren zu können, welche sie selbst mühsam in den letzten Stunden zusammengetragen hatte. Auf halbem Wege die Treppe hinunter hört Melia die Stimme ihrer Mutter. Nur ganz leise. Sonst war dieses Haus so hellhörig das niemand etwas verbergen konnte. Nun jedoch schien ihre Mutter bemüht zu sein jedes Detail dieses Gesprächs vor Melia verbergen zu wollen.

„Nein! Noch nichts!“ wispert ihre Mutter ins Telefon.

„Ich weiß. Sie wird im kommenden Jahr sechzehn und bis dahin muss sie alle gelernt haben, was sie zum Überleben braucht!“

Melia ist sich nicht sicher ob sie alles richtig verstanden hat. Ihre Mutter sprach sehr leise und nicht jedes Wort war deutlich zu verstehen.

„Nein!...wird nichts erfahren! Zu gefährlich! Die...waren immer in Gefahr! Bis bald!“

Rasch beendet ihre Mutter das Gespräch und Melia steht nun völlig verwirrt auf der Treppe. Was für ein Geheimnis hütet ihre Mutter? Was muss wer lernen? Was könnte lebensbedrohlich sein und wer sind DIE? Melia weiß sich auf das alles keinen Reim zu machen. Damit ihre Mutter nicht merkt das sie gelauscht hat beschließt Melia nach unten ins Wohnzimmer zu gehen und weiter mit ihrer Mutter über Kanada zu sprechen.

Den Rest würde sie später raus finden müssen. Sie hatte ihre Mutter noch nie so geheimnisvoll und mysteriös erlebt. Als Melia sich wieder zu ihrer Mutter auf die Couch setzt hören Beide die Haustüre ins Schloss fallen. Melias Vater scheint nach Hause gekommen zu sein.

„Tu so, als ob ich von nichts wüsste. Na ja, eigentlich weiß ich ja auch nichts. Aber dein Vater fühlt sich besser, wenn er glaubt du hättest extra auf ihn gewartet!“

Melias Mutter zwinkert ihr zu und setzt sogleich ihr verführerischstes Lächeln auf und eilt in die Diele zu ihrem Mann.

„Was soll das?“ fragt sich Melia. Erst dieses eigenartige Telefonat und nun diese völlig normale Art ihrer Mutter. Jetzt gerade ist ihre Mutter wieder so wie immer. So und nicht anders kennt und liebt Melia ihre Mutter. Melia überspielt ihre Grübeleien als ihre Eltern zu ihr ins Wohnzimmer kommen mit einem Lächeln. Sie drückt ihrem Vater wie jeden Abend einen dicken Kuss auf die Wange und er beginnt sein Abendbrot zu essen, welches er anscheinend auf halbem Wege Richtung Wohnzimmer in der Küche eingesammelt hat. Nach den jeweiligen Erkundigungen über den Verlauf des Tages und das Befinden des Einzelnen stupst Melias Mutter Melia mit dem Ellenbogen in die Seite und gibt ihr zu verstehen, dass sie nun zur Tat schreiten soll. Melia räuspert sich und beginnt sprechen.

„Mom! Dad! Ich wollte euch etwas fragen!“ Melia stockt.

Ihr Vater zieht eine Augenbraue hoch und es scheint als studiere er die Mimik seiner Tochter. Als könne er die Antwort auf seine Frage in ihrem Gesicht ablesen.

„Ich...!“ beginnt Melia von neuem. Doch es ist nicht nur die Tatsache, dass sie ihre Eltern um die Erlaubnis für die Reise bitten möchte – außer den jährlichen Aufenthalten im Sportcamp war sie zwar noch nie so lange alleine von zu Hause fort gewesen – sondern auch das Verhalten ihrer Mutter, das Melia gerade völlig aus dem Konzept bringt. Diese nimmt nun ihre Hand und schenkt ihr ein strahlendes Lächeln. Als ob sich der Knoten in Melias Zunge und das Durcheinander in ihrem Kopf auflösen würden entspannt sie sich bei dieser Geste und beginnt von neuem.

„Elija hat eine sechswöchige Reise nach Kanadas in einem Preisausschreiben gewonnen. Die Reise ist für zwei Personen und er hat mich gefragt, ob ich ihn begleiten möchte. Ich möchte euch nun um die Erlaubnis für diese Reise bitten. Ich habe alles im Internet recherchiert und in einer Datei zusammengefasst. Den jeweiligen Link habe ich ebenfalls kopiert und eingefügt!“

Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus und sie redet viel zu schnell. Melia kümmert das gerade herzlich wenig. Sie ist froh alles gesagt zu haben. In ihrem Hinterkopf schwirren immer noch die Satzteile aus dem Telefonat ihrer Mutter herum und wollen nach wie vor keinen Sinn ergeben. Ihre Eltern sehen sie nun an und nun wendet sich Melias Vater an sie.

„Wir werden uns die Datei ansehen und den Veranstalter kontaktieren. Erst dann werden wir eine Entscheidung treffen!“ Auch ihr Vater hätte Diplomat werden können. Sie hatte so gehofft heute noch eine Antwort zu erhalten, doch nun sieht es so aus als ob sie sich noch eine ganze Weile gedulden müsse. Sie ist enttäuscht. Aber sie versucht sich diese Tatsache nicht anmerken zu lassen. Melia beschließt die Wartezeit zu nutzen um das Merkwürdige Telefonat erklären zu können.

„O.K.! Aber es geht schon in zwei Wochen los. Euch bleibt also nicht mehr viel Zeit eine Entscheidung zu treffen!“

Sie küsst ihre Eltern und wünscht ihnen eine gute Nacht. Dann geht Melia auf ihr Zimmer. Sie hatte Elija versprochen sich unmittelbar nach dem Gespräch mit ihren Eltern bei ihm zu melden und nun schickt sie ihm eine SMS. Sie gibt ihm kurz denn Inhalt des Gesprächs wieder und schaltet dann ihr Handy aus. Sie möchte in Ruhe über den heutigen Abend nach denken und auch wenn sie sonst keine Geheimnisse vor Elija hat möchte sie ihn wegen des Telefongespräches weder verunsichern, noch weiß sie, ob sie Elija überhaupt davon erzählen soll. Sie ist viel zu verwirrt um auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können und fällt schon bald in einen tiefen Schlaf.

Melia schlägt die Augen auf und blickt zum Fenster. Draußen ist es noch dunkel. Ein Blick auf den Wecker zeigt ihr das es erst 00:30 Uhr ist. Warum sie aufgewacht ist weiß sie selber nicht. Eigentlich schläft sie immer durch und Elija zieht sie regelmäßig damit auf, dass neben ihr eine Bombe explodieren könnte, sie aber seelenruhig weiter schlafen würde. Melia ist unruhig. Sie beschließt in die Küche zu gehen und sich ein Glas heiße Milch mit Honig zu holen. Das hat sie immer beruhigt als sie klein war und entweder krank war oder sie Angst hatte. Ihre Mutter hat ihr dann immer ein Glas ans Bett gebracht und ihr eine Geschichte vorgelesen. Sie erinnert sich noch gut an diese Frau und kann sie so gar nicht mit der Frau von heute Abend in Einklang bringen. Die geheimnisvolle Frau, die von Gefahren wispert, passt so gar nicht zu der liebevollen Mutter aus Melias Erinnerungen aus ihrer Kindheit. In der Küche setzt Melia sich an den Tisch und tunkt einen Cookie in die heiße Milch. Ihr Blick huscht zum Küchenfenster. Sie blickt in den Garten und erkennt im Dunklen nur die Umrisse der alte Trauerweide. Doch sie kann auch das Seil erkennen, dass um die Äste gebunden ist und am deren Ende des Seils den Traktor-reifen. Ihr Vater hatte ihr diese Schaukel gebaut als sie noch klein war und bis heute macht Melia es sich noch oft mit einem Buch dort gemütlich. Ihr Vater hatte eine Platte in das Loch des Reifens eingelassen und ihr ein passendes Polster aus Schaumstoff besorgt. Melias Mutter hatte noch einen passenden Bezug für das Polster genäht und seit dem konnte Melia es sich auf der Schaukel richtig gemütlich machen.

Melia blinzelt. Hat sie das richtig gesehen? Sie meint im Dunkeln einen Schemen auf dem Reifen erkennen zu können. Sie kneift die Augen zusammen und nun glaubt sie die Konturen eines in schwarz gekleideten Menschen auszumachen. Nun. Es ist dunkel. Bei der Farbe ist sie sich nicht sicher. Sie blinzelt erneut und schaut noch einmal genauer hin. Nein. Sie muss sich getäuscht haben. Da ist nur der Reifen, das Seil und die alte Weide. Aber der Reifen schaukelt leicht. Dass muss der Wind gewesen sein denkt Melia sich. Trotzdem schließt Melia das Fenster. Und sie hat das Gefühl beobachtet zu werden. Ein Schauder überkommt sie. Sie trinkt eilig ihre Milch aus und geht dann wieder nach oben in ihr Zimmer. Oben angekommen weht ihr eine kühle Brise entgegen. Nanu! Hatte sie das Fenster geöffnet bevor sie nach unten gegangen war? Sie ist sich nicht sicher. Bevor sie zu Bett gegangen war hatte sie es geschlossen. Na ja. Vielleicht hatte sie es im Halbschlaf geöffnet bevor sie nach unten ging. Sie schließt das Fenster und auch die Jalousie. Sie hat die ersten zwei Schulstunden Endfall und Ende Juni steht die Sonne früh am Himmel. Nun lässt auch endlich das Gefühl nach beobachtet zu werden. Melia kuschelt sich unter ihre Decke. Beim Einschlafen denkt sie noch darüber nach was für ein merkwürdiger Tag das war. In dieser Nacht träumt Melia von Menschen mit Flügeln. Engel! Sagt ihr Unterbewusstsein. Neben Engeln mit weißen Schwingen taucht in ihrem Traum immer wieder ein und derselbe Engel mit schwarzen Flügeln auf. Melia weiß selbst im Traum, dass die übliche Engelsdarstellung weiße Flügel trägt. Sie grübelt im Traum jedoch nicht weiter darüber nach, da ihr Traum eh ein wirres Durcheinander ist und beim Aufwachen hat Melia bereits vergessen, wovon sie überhaupt geträumt hat.

Kapitel 2

Melias Gedanken kreisen gleich beim Aufwachen wieder um das Telefonat ihrer Mutter. Melia versucht jedoch die Gedanken erst einmal beiseite zu schieben und geht unter die Dusche. Nachdem sie geduscht hat und angezogen ist geht sie in die Küche zu ihren Eltern um sich Frühstück zu machen. Die Küchentüre ist nur angelehnt und Melia hat den Türgriff bereits in der Hand als sie inne hält. Ihre Eltern sind bereits am frühstücken und Melia lauscht ihrem Gespräch.

„Schatz, ich verstehe deine Sorgen! Mir geht es doch genauso! Aber wir haben von Anfang an gewusst worauf wir und einließen als wir Melia damals bei uns aufnahmen!“

Ihr Vater spricht beruhigend auf seine Frau ein macht es auf Melia den Eindruck.

„Ich weiß! Ich hatte nur so gehofft, dass es länger dauern würde. Das die Jahre nicht so schnell ins Land ziehen würden. Es kommt mir vor als ob es erst gewesen wäre als Raphael mit dem Säugling auf dem Arm vor unserer Türe gestanden hat und uns dieses Angebot gemacht hat, welches uns wie ein Wunder vorkam!“

Melia hört ihre Mutter laut seufzen als ihr Vater wieder zu sprechen beginnt.

„Mir geht es doch genauso. Glaubst du mir fällt das alles leicht? Am liebsten würde ich die Zeit zurück drehen und die sorgenfreien Jahre noch einmal erleben wollen. Aber wir können es nun einmal nicht ändern. Das Einzige, was uns jetzt bleibt, ist Melia so gut es geht auf ihre Rolle in dieser Geschichte vorzubereiten.“

Melia hört, dass ein Stuhl verrückt wird und dann Schritte. Aus Angst ihre Eltern könnten vermuten, dass Melia schon länger vor der Türe steht und das Gespräch mitangehört hat öffnet Melia die Türe und schenkt ihren Eltern beim Betreten der Küche ein strahlendes Lächeln.

„Guten Morgen! Habt ihr schon ohne mich angefangen?“ fragt Melia ihre Eltern und deutet mit der Hand auf den gedeckten Frühstückstisch.

„Guten Morgen Schatz!“

Melias Mutter erhebt sich und geht in Richtung Kühlschrank. „Wir müssen heute früher los und wollten dich nicht wecken. Deine ersten zwei Unterrichtsstunden fallen doch aus!“ Sie lächelt Melia an und holt Orangensaft aus dem Kühlschrank.

„Hast du gut geschlafen Prinzessin?“

Ihr Vater scheint sein Sandwich mit dem schiefen Turm von Pisa konkurrieren lassen zu wollen. Es ist vier mal so hoch wie normal und die Schieflage ist erstaunlich.

„Wie willst du das denn in deinen Mund bekommen? Oder kannst du deinen Kiefer seit neuestem wie eine Schlange bei Bedarf aus- und wieder einrenken??“

Melia versucht sich nicht anmerken zu lassen, dass sie das Gespräch ihrer Eltern in Teilen mitangehört hat. Ihre Frage unterstreicht sie noch mit einem schelmischen Grinsen. Dann fügt sie noch hinzu

„Ich finde die momentane Hitze selbst Nachts unerträglich und bin letzte Nacht das erste Mal seit langem aufgewacht ohne genau zu wissen warum eigentlich. Nach einer Milch mit Honig habe ich dann wieder geschlafen wie ein Stein!“

Während Melia dies sagt beobachtet sie ihren Vater dabei, wie er das Ungetüm von einem Sandwich versucht in seinen Mund zu schieben. Nach mehreren Anläufen gibt er auf, halbiert die Höhe und probiert es dann auf ein Neues. Es ist zwar augenscheinlich noch immer mühsam, aber zumindest scheint dieses Unterfangen nun zu gelingen.

„Liebling! In deinem Alter sollte man von gepflegten Tischmanieren ausgehen können! Das Kind im Manne!“

Der schelmische Unterton in der Stimme von Melias Mutter ist deutlich hörbar. Sie nimmt ihre Handtasche, gibt ihrem Mann einen Kuss auf die Wange und streichelt dann Melia kurz übers Haar, ehe sie zur Küchentüre geht.

„Schatz! Ich habe dir einen Apfel und ein Sandwich eingepackt. Ich komme heute Abend später nach Hause und dein Vater macht wahrscheinlich Überstunden. Solltest du Hunger bekommen bestelle dir doch schon mal was zu essen. Das gilt auch wenn ihr Beide schon da sein sollte und Hunger haben solltet!“

Sie verteilt vom Türrahmen aus noch Kusshände und eilt dann davon. Kurze Zeit später hört Melia die Haustüre ins Schloss fallen. Ihr Vater hat Mittlerweile den Kampf mit seinem Sandwich gewonnen und sich seiner Zeitung zugewandt. Nach dem Melia zu Ende gefrühstückt hat verabschiedet sie sich von ihrem Vater und macht sich auf den Weg zur Schule. Sie lässt das Gespräch zwischen ihren Eltern Revue passieren. Sie kann nicht glauben was sie da gehört hat. Sollten ihre Eltern etwa nicht ihre leiblichen Eltern sein? Das Ganze scheint größere Ausmaße anzunehmen als sie anfänglich gedacht hatte. Sie beschließt nach Schulschluss mit Elija darüber zu sprechen. Er ist scheinbar momentan der einzige Mensch, dem Melia noch vertrauen kann.

Der Schultag scheint sich endlos in die Länge zu ziehen und Melia kann es nun kaum noch abwarten sich mit Elija zu treffen. Als es zum Unterrichtsende läutet packt Melia eilig ihre Sachen zusammen und macht sich auf den Weg zur Ruine. Sie hatte Elija bereits heute Morgen auf dem Schulweg eine SMS geschickt und ihm mitgeteilt, dass sie dringend mit ihm reden müsse. Er hat sofort zugesagt. Als Melia am Treffpunkt ankommt ist Elija bereits da. Er hat es sich hohen Gras bequem gemacht und die Augen geschlossen. Als er Melias Erscheinen bemerkt öffnet er sogleich die Augen und setzt sich auf.

„ Hey kleine Meerjungfrau! Was ist los? Deine SMS klang sehr ernst und dringlich!“

Elija konnte den sorgenvollen Unterton in seiner Stimme nicht unterdrücken und setzte seiner Frage noch ein charmantes Lächeln hinzu, um über diesen hinweg zu spielen. Melia setzt sich zu ihm ins Gras und schaut in Elijas blaue Augen. Sie wusste nicht genau wie sie anfangen sollte und schon nach dem ersten Satz ärgert sie sich über sich selbst.

„Ich bin nicht das Kind meiner Eltern!“

Anstatt die Geschichte von Anfang an zu erzählen hatte sie das für sich selbst elementarste in einen Satz gepackt. Elija zieht verwundert eine Augenbraue hoch.

„Wie kommst du denn darauf? Warum sollten deine Eltern nicht deine Eltern sein? Hast du nicht gestern Abend mit ihnen über Kanada geredet? Ich scheine da was verpasst zu haben!“

Melia atmet tief durch und beginnt nun alles von Anfang an zu erzählen. Angefangen bei dem geheimnisvollen Telefonat ihrer Mutter bis hin zu dem Gespräch ihrer Eltern am Frühstückstisch. Elija lauscht ihren Worten aufmerksam und als Melia zu Ende gesprochen hat scheint er noch über das so eben Gehörte nachzudenken. Erst nach einer Weile beginnt er zu sprechen.

„Also, nur damit ich das richtig verstehe. Deine Mutter führt mit Gott weiß wem ein sehr geheimnisvolles Telefonat und heute Morgen sprechen deine Eltern über einen Raphael, der mit einem Säugling auf dem Arm vor ihrer Türe stand und deinen Eltern ein Angebot gemacht hat, von dem wir nicht wissen, was es beinhaltet hat!“

Elija hält kurz inne und fährt dann fort.

„Und nun denkst du, dass du nicht das Kind deiner Eltern bist, sondern der Säugling aus dieser Erzählung und somit auch nicht das leibliche Kind deiner Eltern bist? Richtig?“

Melia nickt nur und als sie nichts weiter sagt beginnt Elija von neuem zu sprechen.

„Also. Mal angenommen es stimmt und du bist adoptiert, was ich jetzt bei unserem aktuellen Kenntnisstand einfach mal unterstelle, dann sollten sich Adoptionsunterlagen finden lassen. Wo könnten deine Eltern solch wichtige Dokumente aufbewahren oder vielleicht sogar verstecken? Habt ihr einen Safe?“

Melia muss über die Frage nicht lange nachdenken.

„Nein. Wir haben ein Bankschließfach. Aber das ist auch schon alles, was ich weiß. Ich habe mich bisher auch nie sonderlich dafür interessiert. Und von Irgendwelchen Geheimverstecken habe ich auch keine Ahnung!“

Melia kann den Kummer in ihrer Stimme kaum verbergen und greift hilfesuchend nach Elijas Hand. Er nimmt ihre Hand zwischen seine beiden Hände und spricht beruhigend auf Melia ein.

„Kleine Meerjungfrau! Sei nicht so betrübt. Noch wissen wir doch gar nicht ob es wirklich so ist wie vermutet wird. Und so lange das so ist gehe ich davon aus, dass deine Eltern wirklich deine leiblichen Eltern sind. Wir sollten zunächst versuchen heraus zu finden ob deine Eltern das´Bankschließfach noch haben und ob wir uns irgendwie Zugang zu dessen Inhalt verschaffen können.“

Er sieht Melia an und wartet auf eine Reaktion von ihr. Sie ist ungewöhnlich still, was sonst so gar nicht ihre Art ist.

„Was ist, wenn mein ganzes Leben eine Lüge ist? Wenn die Menschen denen ich vertraut habe und von denen ich dachte sie seinen meine Eltern, gar nicht meine Eltern sind? Wer bin ich dann eigentlich?“

Elija drückt Melia an sich und versucht sie zu trösten. Melia senkt den Blick und spielt mit den Knöpfen an Elijas Hemd.

„Für mich wirst du immer meine kleine Meerjungfrau bleiben. Egal wer deine Eltern sind!“

Er kann nur ansatzweise nachvollziehen wie Melia sich gerade fühlen mag und welche Ängste sie plagen. Die Beiden beschließen, dass Melia zunächst heraus zu finden ob das Bankschließfach noch existiert und bei welcher Bank es eröffnet wurde. Sollte es in der Bank sein in der ihre Mutter arbeitet wollen sie nach einer anderen Möglichkeit suchen an Adoptionspapiere oder ähnliches zu gelangen. Das Risiko von ihrer Mutter überrascht zu werden wäre einfach zu hoch. Sowohl Melia als auch Elija halten es für ausgeschlossen, dass solche Unterlagen bei Melija zu Hause aufbewahrt werden, da das Entdeckungsrisiko einfach zu wäre.

Als Melia an diesem Tag nach Hause kommt macht sie sich sogleich auf die Suche nach Unterlagen über das Bankschließfach. Sie findet schnell die Unterlagen und stellt fest, dass das Schließfach nicht bei der Bank eröffnet wurde, bei der ihre Mutter arbeitet. Als Melia die Unterlagen jedoch weiter durchsieht stellt sie fest, dass das Schließfach vor zwei Wochen gekündigt bzw. aufgelöst wurde. Weiter kommt Melia an diesem Abend jedoch nicht. Sie hört wie ihr Vater nach Hause kommt und legt alle Unterlagen schnell wieder dahin wo sie sie auch gefunden hat.

„Dad?“ ruft Melia vom Wohnzimmer aus. Ihr Vater kommt von der Diele aus zu ihr.

„Hallo Kleines! Wie war dein Tag?“

Er setzt sich in den Sessel gegenüber von Melia und streckt die Beine aus.

„Ganz gut eigentlich! Nur das übliche halt. Training, Schule und ein Treffen mit Elija.“

Melia versucht gelassen zu wirken und rekelt sich augenscheinlich entspannt auf dem Sofa.

„Wie war dein Tag Dad? Seid ihr mit den Ermittlungen vorangekommen?“

Doch sie erhält keine Antwort mehr auf ihre Frage. Ihr Vater ist erschöpft im Sessel eingeschlafen und schnarcht leise vor sich hin. Melia löscht das Licht im Wohnzimmer und geht nach oben in ihr Zimmer. Morgen hat sie einen Abgabetermin für ein Biologiereferat und durch die Suche nach den Schließfachunterlagen hat sie schon wertvolle Zeit verloren. Sie holt ihre Unterlagen heraus und setzt sich an ihren Schreibtisch. Ehe sie mit der Ausarbeitung beginnt schreibt sie Elija noch eine SMS mit dem Ergebnis ihrer Suchaktion. Sie teilt ihm auch mit, dass ihr Vater nun zu Hause ist und eine weitere Suche nach Unterlagen völlig ausgeschlossen ist. Falls es im Haus irgendwo Unterlagen geben sollte muss die Suche bis Morgen warten. Falls es überhaupt irgend etwas zu finden gibt.

Als Melia zu Bett geht kreisen ihre Gedanken immer noch um all die merkwürdigen Dinge die sich in ihrem Leben ereignen. Sie hatte alle Mühe sich auch nur ein wenig auf das Biologiereferat zu konzentrieren und ist auch mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden. Nun versucht sie verzweifelt einzuschlafen. Doch die anhaltende Hitze macht ihr das Einschlafen zusätzlich schwer. Es ist schon spät als sie Schritte im Flur hört. Ihre Mutter scheint nach Hause gekommen zu sein und ihren Mann geweckt zu haben. Melia hört ihre Eltern reden während sie die Treppe zum Dachgeschoss hinaufgehen, wo das Elternschlafzimmer liegt.

„Gut das du mich geweckt hast! Mein Nacken ist schon ganz steif!“

Die Stimmen werden leiser und entfernen sich.

„Wieso hast du überhaupt im Sessel geschlafen? Du hast mich fast zu Tode erschreckt als ich in das dunkle Wohnzimmer kam und plötzlich deine Stimmer erklang!“

Melia hört noch wie die Schlafzimmertüre geschlossen wird und nun ist es wieder still im Haus bis auf die dumpf durch die Decke klingende Schritte über ihr. Doch auch diese lassen schnell nach. Ihre Eltern scheinen sich schlafen gelegt zu haben. Melia versucht sich nicht weiter auf die Geschichte mit dem Bankschließfach zu konzentrieren und stellt sich statt dessen vor, wie eine Reise mit Elija nach Kanada ablaufen könnte. Beide zusammen alleine in Kanada; wilde Tiere, die Weite des Landes. Über diese Gedanken hinweg schläft Melia ein. Das Letzte, was sie vor dem Einschlafen noch sieht ist ein großer See, umgeben von Bäumen und einer wunderschönen Wiese mit den herrlichsten Wildblumen, die in allen Farben schillern.

Melia schreckt aus dem Schlaf hoch. Das Bersten einer Scheibe irgendwo im Haus hat sie aufgeweckt. Sie lauscht in die Dunkelheit, doch nun herrscht wieder Stille. Ihre Eltern scheinen nichts gehört zu haben, denn über ihr im Dachgeschoss regt sich nichts. Vielleicht hat sie es doch nur geträumt. Melia ist durstig und geht in die Küche. Als sie das Licht in der Küche anschaltet entdeckt sie zuerst die Glassplitter auf dem Küchenboden. Als ihr Blick höher wandert sieht sie die gebrochene Fensterscheibe hinter der Spüle. Melias Blick bleibt an einer einzelnen schwarzen Feder hängen, welche innen auf der Fensterbank liegt. Sie geht hinüber, nimmt die Feder auf und betrachtet sie genauer. Die Feder ist weich wie Seide. Aber das ist es nicht was Melia gerade Angst macht. Es ist die beachtliche Größe der Feder. Die Feder ist gut 60 cm lang und 30 cm breit. Doch Melia kennt kein Tier dessen Federkleid mit solch enorm großen Federn versehen ist. Die Feder erinnert Melia an etwas doch sie kommt nicht genau dahin was es ist. Melia wird von einer panischen Angst ergriffen. Was auch immer das für ein Tier gewesen sein muss es muss verdammt groß gewesen sein. So schnell sie kann läuft sie die Treppen bis ins Dachgeschoss hinauf und kommt schnaubend vor dem Bett ihrer Eltern zum stehen. Was auch immer ihre Eltern Melia vorenthalten ist ihr gerade völlig egal. Viel zu groß ist ihre Angst vor dem Möglichen Verlierer der Feder. Melia ist völlig außer Atem und schafft es zunächst nur die Feder vor sich zu halten, so das ihre Eltern sie sehen können. Ihre Eltern sind beide aus dem Schlaf hochgeschreckt und starren die Feder an. Panik breitet sich auf dem Gesicht von Melias Mutter aus. Sie fasst sich jedoch sofort wieder und kommt auf Melia zu und spricht behutsam auf sie ein. Melia kann das Gefühl nicht unterdrücken das ihre Mutter jedes ihre Worte sehr sorgsam auswählt.

„Was ist passiert?“ fragt ihre Mutter und führt sie dabei langsam zum Bett. Auch ihr Vater ist inzwischen aufgestanden und zieht sich bereits etwas an. Melia keucht noch immer. Eigentlich dürfte ein so kurzer Sprint wie der gerade eben einer durchtrainierten Sportlerin wie ihr nichts ausmachen doch ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Mühsam presst sie einige Worte hervor.

„Küche! Fenster! Gefunden!“

Ihre Eltern merken wie schwer Melia das sprechen fällt. Sie sprechen sich kurz ab. Melias Mutter bleibt bei ihr während ihr Vater zum Kleiderschrank geht, ihn öffnet und den unteren Boden anhebt. Nur aus dem Augenwinkel heraus nimmt Melia das darunter zum Vorschein kommende Geheimfach und dessen Inhalt wahr. Sie erkennt ein paar Aktenordner, eine Waffe und Munition. Sie hört ein Klicken. Das typische Geräusch einer Waffe die geladen wird. Sie wundert sich nicht darüber, dass ihr Vater zu Hause eine Waffe hat. Lediglich das Versteck im Schrank erregt Melias Aufmerksamkeit. Sie kann sich nicht vorstellen das irgendwer – sie eingeschlossen – jemals an diesem Ort gesucht hätte. In ihrem Kopf wächst ein Plan.

„Ich gehe nach unten und schaue was los ist! Ihr bleibt hier und schließt die Türe von innen ab und lasst die Rollladen herunter. Ihr lasst niemanden rein, außer mir!“

Der Gesichtsausdruck ihres Vaters ist unergründlich. Sein Dienstgesicht schießt es Melia durch den Kopf. Ihr Vater verlässt das Zimmer und nachdem ihre Mutter die Türe abgeschlossen und die Rollläden herunter gelassen hat setzt sie sich zu Melia aufs Bett.

„Was auch immer das für ein Tier war, dein Vater wird es finden. Wenn es vor die Scheibe geflogen ist und sich verletzt hat wird er versuchen ihm zu helfen und schlimmsten Falls von seinen Leiden erlösen!“

Ihre Mutter spricht ganz sanft und mit einer Ruhe die für Melia völlig unverständlich ist. Sieht sie denn nicht wie groß die Feder ist? Wie groß muss dann erst das Tier sein, das sie verloren hat Angst um ihren Vater überkommt Melia.

„Dad ist alleine los! Er wird doch zurück kommen?“

Egal was in den letzten Tagen vorgefallen war, Melia liebt diesen Mann und auch wenn er nicht ihr richtiger Vater sein sollte so würde er für sie immer ihr Dad sein und sie möchte ihn auf keinen Fall verlieren.

Ihre Mutter lächelt.

„Schatz! Dein Vater kämpft täglich gegen das Verbrechen und glaube mir, wer mit Serienmördern fertig wird der wird mit einem Vogel keine Probleme haben!“

„Einem verdammt großem Vogel!“

Die Worte sollten nicht so hart klingen wie sie es taten doch Melia war verärgert. Was glaubte ihre Mutter um was für ein Vögelchen es sich handelte?

Nach einer Weile hören sie Schritte auf der Treppe und dann klopft es mehrmals an der Schlafzimmertüre. Das Klopfen scheint ein Zeichen zu sein. Erst zweimal, dann eine kurze Pause und dann noch zweimal. Melias Mutter erhebt sich vom Bett und auf dem Weg zur Türe sagt sie nur einen Satz.

„Wie lautet die Parole?“ hört Melia ihre Mutter sagen und ist verwundert über diesen Ausdruck. Hatten ihre Eltern wirklich einmal dieses Klopfzeichen und eine Parole vereinbart? Und warum? Vom Flur aus hört sie die Stimme ihres Vaters.

„Der Schatz der Engel ist in Sicherheit?“ erklang es vom Flur aus. Ihre Mutter war inzwischen an der Türe angekommen und öffnete diese nun. Melia sah ihren Vater eintreten.

„Ich konnte nichts finden. Ich hoffe nur das Tier hat sich nicht allzu sehr verletzt als es in die Scheibe flog“

Er schenkt Melia und ihrer Mutter ein Lächeln und fährt dann fort.

„Ich habe die Scherben beseitigt und die Rollladen herunter gelassen. Nichts wird heute noch einmal Anlauf auf die Früchte auf dem Küchentisch nehmen!“

Er grinst schelmisch. Melia hat den Eindruck als ob eine zentnerschwere Last vom Rücken ihrer Mutter purzelt als diese nun ihren Mann in die Arme nimmt. Sie

löst sich wieder von ihm und wendet sich Melia zu.

„Meinst du, du kannst versuchen wieder zu schlafen?“

Melia spürt zwar immer noch dieses Unbehagen, will ihren Eltern aber auch keine unnötigen Sorgen machen.

„Jetzt wo Dad das Gebiet gesichert hat kann ich bestimmt das Murmeltier in mir hervorholen und beruhigt schlafen!“

Sie gibt ihren Eltern noch einen Gute-Nacht-Kuss und geht dann runter in ihr Zimmer. Die schwarze Feder hält sie noch immer in der Hand. Sie betrachtet sie nun genauer, aber so wie es aussieht handelt es sich wirklich um eine gewöhnliche Feder. Nur halt in ungewöhnlicher Größe. Viel weiter kommt Melia mit ihren Überlegungen zum Thema Feder nicht mehr da sie der Schlaf übermannt. In dieser Nacht träumt Melia wieder von Engeln, doch auch schon wie beim letzten Mal kann sie

sich beim Aufwachen nicht mehr an den Traum erinnern. Als sie die Augen öffnet fällt ihr Blick sogleich wieder auf die schwarze Feder. Melia hatte sie vor dem Einschlafen auf ihren Nachttisch gelegt und nun erinnert die Feder Melia an etwas. Sie kann es nur nicht greifen. Da ist etwas aber es fällt ihr einfach nicht mehr ein. Da ist ein Zusammenhang zwischen der Feder und...... Sie kann sich einfach nicht mehr erinnern. Fieberhaft geht sie ihre Gedanken durch und immer wenn sie dem Ziel ganz nahe zu sein scheint kommt sie einfach nicht drauf. Es ist als ob in ihrem Kopf eine Blockade wäre. Sie gibt es auf darüber nachzudenken und setzt sich auf. Unter der Dusche versucht sie zu entspannen während warmes Wasser an ihrem Körper herunterfließt. Da erinnert sie sich an die Parole von letzter Nacht. Der Schatz der Engel ist in Sicherheit. Nun hat sie auch das Geheimfach im Schrank ihrer Eltern wieder vor Augen. Aber um all das wird sie sich erst später wieder kümmern können. Zuerst einmal muss sie sechs lange Unterrichtsstunden über sich ergehen lassen und den Vortrag des Biologiereferates hinter sich bringen. Melia ärgert sich noch immer darüber, dass ihre Vorbereitungen nicht so gut verlaufen sind und in Anbetracht der letzten Nacht hofft sie nun auch nicht mehr darauf, das ihre rhetorische Redegewandtheit über die Inhaltlichen Mängel hinweg täuschen kann. Sie ist mit den Gedanken ganz woanders und findet sich vorsorglich schon mal mit einer schlechten Note ab. In ihrem momentanen Zustand wäre ein ausreichend schon ein Glücksfall.

Kapitel 3

Melia hat – ihrer eigenen Befürchtungen zum Trotz – besser abgeschnitten als sie es selbst erwartet hatte und wurde mit einem befriedigend zensiert. Nun war sie wieder zu Hause und wartete darauf das Elija endlich eintraf. Sie hatten gleich nach Unterrichtsschluss telefoniert und Elija wollte sich unmittelbar nach dem Mittagessen auf den Weg zu Melia machen. Sie wollte nicht alleine sein, wenn sie sich mit dem Inhalt des Geheimfachs vertraut machte. Sie saß nun auf der untersten Treppenstufe und spielte nervös mit einer ihrer Haarsträhnen. Endlich läutete es und sie stürmte zur Tür. Als sie öffnete schenkte Elija ihr ein herzliches Lächeln und nahm sie fest in die Arme.

„Hallo! Was für ein aufregendes und mysteriöses Leben du doch seit neuestem führst!“

Sein Lächeln wirkte spitzbübisch und Elija wappnete sich vor einer kleinen Rache. Doch Melia war schneller. Sie hatte ihm bereits ihre Zeigefinger in die Seiten gebohrt und kitzelte ihn nun. Sie kennt seine Schwachstellen nur allzu gut und Elija kugelt sich nun vor Lachen.

„Komm rein! Ich habe das Gefühl ich platze gleich vor Neugierde!“

Melija zieht Elija hinter sich her und schließt die Haustüre. Sie gehen ohne Umwege direkt hinauf in das Schlafzimmer von Melias Eltern und öffnen den Kleiderschrank.

„Eines muss ich deinen Eltern lassen. Die Idee mit diesem Geheimfach ist spitze. Da wäre ich nie und nimmer drauf gekommen!“

Elija stellt sich neben Melia und beide schauen auf den Boden des Schrankes.

„Das Gleiche ging mir auch schon durch den Kopf! Wir wären alt und grau gewesen ehe wir dem Ziel auch nur einen Schritt näher gekommen wären.“

Melia kniet sich hin und versucht den Schrankboden anzuheben, doch nichts rührt sich.

„Ich glaube er klemmt oder es muss einen Trick geben!“

Sie schaut Elija an und hofft das er eine Idee haben könnte.

„Lass mich es mal versuchen!“

Elija schiebt Melia ein Stück zur Seite und lässt seine Finger über das Deckbrett gleiten. Er drückt an mehreren Stellen zu und plötzlich springt das Brett nach oben.

„Oh. Das war jetzt doch ein wenig zu einfach!“ entfährt es ihm und er grinst Melija frech an. Diese zwickt ihn in die Seite und blickt dann auf das nun geöffnete Geheimfach hinab. Sie stellt mit Überraschung fest dass das Fach nicht leergeräumt wurde. Ihre Eltern scheinen davon auszugehen das sie gestern Nacht zu durcheinander war und das Fach nicht bemerkt habe.

„Sehr übersichtlich!“

Elija kniet neben Melija und betrachtet den Inhalt genauer. Melia weiß nicht was er erwartet hatte. Neben der Waffe ihres Vaters und reichlich Munition befinden sich ein paar Aktenordner in dem Fach. Aber das alles hatte sie selbst ja letzte Nacht bereits gesehen.

„Hauptsache es ist etwas brauchbares in den Aktenordnern!“