Haupttitel

Barbara Beck

Vom Königsbett zum Schafott

Frauen als Opfer von Intrigen
marixverlag
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Lektorat: Etel Brüning, Kaltenkirchen
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ISBN: 978-3-8438-0065-5
 
www.marixverlag.de

Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Vorwort

Mord aus Staatsräson

Agnes Bernauer

Anmerkungen

Zum Wahnsinn verdammt

Johanna I. von Kastilien, »die Wahnsinnige«

Anmerkungen

Des Ehebruchs verdächtigt

Anna Boleyn

Anmerkungen

Schachfigur im Poker um die englische Krone

Jane Grey

Anmerkungen

Zu Fall gebracht durch das Babington-Komplott

Maria Stuart

Anmerkungen

Spielball der Parteien

Margarethe von Valois

Anmerkungen

Hauptverdächtige im Papistenkomplott

Katharina von Braganza

Anmerkungen

Im Bann der Giftaffäre

Olympia Mancini

Anmerkungen

Um ihrer »Ehre« willen unbeugsam

Anna Constantia von Cosel

Anmerkungen

Verstrickt in die Struensee-Affäre

Caroline Mathilde von Dänemark

Anmerkungen

Die Halsbandaffäre als Menetekel

Marie Antoinette von Frankreich

Anmerkungen

Voll Selbstaufopferung in den Tod

Marie-Jeanne Roland de La Platière

Anmerkungen

Lebenslanger Kampf um Anerkennung

Luise Karoline von Hochberg

Anmerkungen

Ein romanhaftes Leben

Marie Caroline von Berry

Anmerkungen

Als »die Engländerin« verunglimpft

Victoria von Preußen, »Kaiserin Friedrich«

Anmerkungen

Die Gastgeberin der »Teegesellschaft«

Elisabeth von Thadden

Anmerkungen

Der »zionistischen Verschwörung« verdächtigt

Polina Semjonowa Schemtschuschina

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Kontakt zum Verlag

Vorwort

Die Geschichte der Menschheit ist seit Anbeginn zugleich eine Geschichte mehr oder weniger erfolgreich durchgeführter Intrigen und Komplotte. Die Intrige kommt in vielerlei Gestalten vor und besteht oft nicht nur aus einer isoliert dastehenden Aktion, sondern aus einer ganzen Kette von Einzelintrigen. Die »klassischen« Bestandteile der Intrige sind arglistige Täuschung, Fälschung, Verleumdung, Lüge und Rufmord. Da Geheimhaltung üblicherweise ein wesentlicher Bestandteil von Intrigen und verschwörerischen Komplotten ist, um aus der sicheren Deckung heraus »zuschlagen« zu können, ist es für die Geschichtsforschung nicht immer möglich, derartige Aktionen in allen Einzelheiten zu erfassen und die hinter den Kulissen agierenden Personen und ihre Beweggründe dingfest zu machen. Im Allgemeinen hinterließ der Intrigant bzw. die Intrigantin auch keine Dokumente, in denen Vorgehen und Intentionen zur Freude späterer Wissenschaftler genau festgehalten wurden.

Immer dann, wenn in der Geschichte von der Gewalt als selbstverständlich akzeptiertem und praktiziertem Mittel der Realpolitik abgerückt wurde, gewann die Intrige als Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele an Bedeutung. Man begegnet ihr bevorzugt dort, wo sich Macht und Glanz entfalten – in den jeweiligen politischen Schaltzentralen, an den Höfen und Regierungssitzen. Es besteht von daher eine sehr enge Nachbarschaft von Politik und Intrige, worauf auch die zynisch anmutende Feststellung des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf anspielt, dass nämlich Intrigen das Nebengeräusch der Politik sind. Zwar galten und gelten Intrigen als moralisch verwerflich, doch kommt der Mensch im Kampf um Macht und Einfluss ohne sie anscheinend nicht aus. Für die große »Beliebtheit« dieser Form der menschlichen Konfliktlösung spricht zudem, dass sich Literatur und Kunst ihrer immer wieder gerne als nahezu festem und offenbar unerschöpflichem Bestandteil der Handlung bedienen.

Nicht immer verdienen die Opfer von politischen Intrigen uneingeschränktes Mitgefühl. Sie waren keineswegs durch die Bank bedauernswerte Unschuldslämmer. Sehr häufig war die Grenze zwischen Intrigant und Opfer sogar fließend und die Veränderung der Position erfolgte sozusagen im fliegenden Wechsel. Die schottische Königin Maria Stuart etwa war selbst in zahlreiche Komplotte gegen Königin Elisabeth I. verwickelt, bevor diese deren Hinrichtungsurkunde unterzeichnete. Sich ohne genaue Kenntnis der Machtmechanismen in den Kampf um eine herausgehobene Stellung einzulassen, konnte mitunter tödlich enden, wie dies zum Beispiel das tragische Schicksal der Baderstochter Agnes Bernauer beweist. Dass eine Intrige nicht zwangsläufig zuungunsten des ins Auge gefassten Opfers ausgehen musste, beweist das Schicksal der Katharina von Braganza. Im Gegensatz zu einer anderen, wesentlich bekannteren englischen Königsgemahlin, Anna Boleyn, musste sie den gegen sie erhobenen, dabei aber völlig haltlosen Hochverratsvorwurf nicht mit ihrem Leben bezahlen. Bei ihr hatten sich die Verschwörer sozusagen »verrechnet« und den Rückhalt, den sie in führenden Kreisen und vor allem bei ihrem Ehemann König Karl II. genoss, falsch eingeschätzt. Bei Anna Boleyn hingegen war König Heinrich VIII. selbst die treibende Kraft hinter den Anschuldigungen, so dass diese geradezu zwangsläufig den Weg des Opfers zum Schafott ebneten. In ihrem Fall wirkte es sich außerdem fatal aus, dass sie sich in den Zeiten ihres Glanzes nur wenig Freunde gewonnen hatte. Schwächen im falschen Moment zu zeigen und nicht auf der Hut vor möglichen Gegnern zu sein, trug bei vielen politischen Intrigenopfern zum Scheitern bei. So manches Opfer musste die bittere Erfahrung machen, dass seine Feinde und Gegenspieler aus dem allerengsten Umfeld kamen.

Während bei Männern im Allgemeinen ein lockerer, ja sogar ein ausschweifender Lebenswandel nicht schadete, stellte für Frauen ihr Ruf meist ihre Achillesferse dar. Frauen waren daher über Jahrhunderte hinweg besonders leicht mit dem Vorwurf der Sittenlosigkeit zu Fall zu bringen. Erschien ihre Reputation kompromittiert wie im Falle der dänischen Königin Caroline Mathilde, konnte dies für sie schreckliche Folgen haben. Und selbst wenn die angegriffenen Frauen die sprichwörtliche Ehrbarkeit in Person waren, konnten sich geschickt gesteuerte Rufmordkampagnen als erfolgreiche Aktionen erweisen. Manon Roland, Gattin eines führenden Ministers in der Zeit der Französischen Revolution und selbst einflussreicher Mittelpunkt der girondistischen Gruppe, sah sich wie die von ihr verachtete skandalumwitterte Königin Marie Antoinette von Frankreich einer solchen öffentlichen Diffamierung ausgesetzt. Ihre politischen Gegner zogen ihren Namen gnadenlos mit Hilfe von Lug und Trug in den Schmutz, bevor sie schließlich unter der Guillotine endete.

Der vorliegende Band versammelt bekannte und weniger bekannte Schicksale von Frauen aus der europäischen Geschichte, die aus politischen Gründen auf unterschiedliche Art und Weise Opfer von Intrigen wurden. Die Auswahl dieser Biografien aus dem 15. bis 20. Jahrhundert muss dabei letztlich immer nach subjektiven Kriterien getroffen werden. Ziel war es, eine möglichst große Bandbreite an solchen von Intrigen überschatteten und gestalteten Lebensgeschichten aufzuzeigen, auch mit welch unterschiedlichen Taktiken und Strategien gegen diese Frauen vorgegangen wurde und wie deren Reaktionen darauf ausfielen.

Zum Wahnsinn verdammt

Johanna I. von Kastilien, »die Wahnsinnige«

Johanna die Wahnsinnige, eine der bis heute bekanntesten Königinnen aus Spanien, kam am 6. November 1479 als drittes Kind von Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien, die als die »Katholischen Könige« in die spanische Geschichte eingingen, in Toledo zur Welt. Ferdinand und Isabella begründeten den spanischen Gesamtstaat. Während ihrer Herrschaft begann Spaniens Aufstieg zur ersten kolonialen Weltmacht. Über Kindheit und Jugend Johannas ist nur wenig bekannt. Die übersensible Prinzessin, die als das intelligenteste Kind des Königspaars galt, erhielt eine strenge, asketisch anmutende Erziehung. Sie erlernte, wie dies für Mädchen ihres Standes üblich war, mehrere Sprachen und beherrschte auch einige Musikinstrumente. Der religiösen Unterweisung kam eine wichtige Rolle zu.

Im Alter von sechzehn Jahren wurde Johanna, die schönste der vier Töchter der Katholischen Könige, mit dem einzigen Sohn Kaiser Maximilians I., Philipp dem Schönen, verheiratet. Der ein Jahr ältere Habsburger war der Landesherr in den niederländischen Territorien. Im Gegenzug heiratete Johannas Bruder Johann gleichzeitig die Schwester seines Schwagers, Erzherzogin Margarete. Von dieser Doppelhochzeit versprachen sich sowohl Ferdinand II. als auch die Habsburger Unterstützung im Kampf gegen den beiderseitigen großen Konkurrenten Frankreich, der auf diese Weise geographisch regelrecht umzingelt wurde. Die Gefühle der Brautleute interessierten bei diesem ehrgeizigen politischen Projekt nicht. Im November 1495 fand zunächst in Valladolid eine Trauung per Stellvertreter statt, bevor Johanna im Spätsommer 1496 von einer großen Kriegsflotte über den Seeweg in die Niederlande gebracht wurde. Sie reiste dabei in Begleitung eines beträchtlichen Hofstaats in ihre neue Heimat zu dem ihr bis dahin völlig unbekannten Herzog von Burgund. In Lier an der Nethe trat sie am 18. Oktober 1496 erstmals ihrem Ehemann Philipp persönlich gegenüber. Der junge Habsburger entsprach in seinem Aussehen dem männlichen Idealbild seiner Zeit, was seinen Beinamen »der Schöne« erklärt. Die beiden Brautleute verliebten sich sofort ineinander und bestanden entgegen den protokollarischen Abmachungen auf dem Vollzug der Eheschließung noch am selben Tag. Angesichts der Tatsache, dass der Erzherzog bekannt dafür war, dass er gerne »jeden Tag mit einem anderen jungen Mädchen schlief « 1, überrascht dieses stürmische Verlangen von seiner Seite aus nicht sonderlich, aber bei der verschlossen und scheu wirkenden Prinzessin erstaunt dieses leidenschaftliche Auflodern der Gefühle. Offensichtlich verfiel Johanna ihrem Ehemann, ihrem »Märchenprinzen«, vom ersten Augenblick an völlig. Am 21. Oktober 1496 fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten statt.

Die ersten Ehejahre an dem für seinen Luxus und sein aufwändiges Zeremoniell berühmten burgundischen Hof verliefen relativ glücklich, obwohl sich Johanna mit der fröhlichen und genussfreudigen Lebensart der Niederländer nie anfreunden konnte. Herzogin Johanna gebar zwischen 1498 und 1501 drei Kinder. Den ersehnten Thronerben, den späteren Kaiser Karl V., brachte sie am 24. Februar 1500 zur Welt. Bereits zu dieser Zeit sorgten erste Eifersuchtsszenen Johannas für Unruhe. Sie liebte ihren Ehemann so leidenschaftlich und war dermaßen auf ihn fixiert, dass alle anderen Pflichten und Aufgaben dahinter zurücktreten mussten. Die junge Fürstin konnte ihre Gefühle nur schwer beherrschen, weshalb sie sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen begann. Johanna bekannte selbst einmal, dass sie, wenn sie sich von der Leidenschaft hinreißen ließ, »in einen Zustand verfiel, der meiner Würde nicht entsprach« 2. Jedes weibliche Wesen aus der Umgebung ihres lebenslustigen Ehemannes, der Liebesabenteuern alles andere als abgeneigt war, erregte ihr Misstrauen. In ihrem eifersüchtigen Verhalten ähnelte sie ihrer Mutter Isabella, die ebenfalls heftig auf die zahlreichen Seitensprünge ihres Gatten reagierte. Anfang Mai 1505 verwies Johanna selbst in einem, allerdings von Philipp dem Schönen veranlassten Brief, auf dieses mütterliche Erbe: »(...) und nicht nur ich trage diese Leidenschaft in mir, auch meine Mutter, der Gott Ruhm verleihen möge, die eine solch vorzügliche und auserwählte Person in dieser Welt war, war eifersüchtig, und auch Ihre Hoheit heilte am Ende die Zeit, wie Gott, wenn es ihm gefällt, mich heilen wird« 3.

Da ihr einziger Bruder Johann im Oktober 1497 jung verstarb, ohne einen Erben zu hinterlassen, ihre ältere Schwester Isabella im darauf folgenden Jahr das Kindbett nicht überlebte und im Juli 1500 auch der einzige Sohn ihrer Schwester Isabella als Kleinkind verschied, wurde die zwanzigjährige Johanna Erbin des spanischen Reichs. Das Königreich umfasste damals bereits neben Kastilien-León, Aragón, Granada und Neapel-Sizilien auch die westindischen Kolonien. Diese Aussicht löste am Hof Philipp des Schönen große Freude aus, wie der Chronist Lorenzo de Padilla zu berichten wusste: »Die Erzherzöge jubelten über die Neuigkeit, wozu sie auch allen Grund hatten« 4. Das junge Fürstenpaar durfte sich nun Prinz und Prinzessin von Asturien nennen. Zur Sicherung von Johannas Anspruch war es notwendig, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Philipp nach Spanien reiste, um offiziell als Erbin anerkannt zu werden.

Im Oktober 1501 verließ das Herzogspaar die Niederlande, um in Kastilien den Treueid der Granden persönlich entgegenzunehmen. Der Reisebeginn hatte sich verzögert, da Johanna wieder schwanger war und erst ihre Niederkunft abwarten musste. Am 27. Mai 1502 versammelten sich die Cortes in der Kathedrale von Toledo, um Johanna als Prinzessin von Asturien und Thronerbin der kastilischen Reiche anzuerkennen. Ihr Vater König Ferdinand II. sorgte dafür, dass auch die aragonesischen Stände Johanna als Thronfolgerin bestätigten. Dies hatte großes staatsmännisches Geschick erfordert, da die auf ihren Traditionen, Gesetzen und Vorrechten beharrenden Aragonesen noch nie zuvor eine Frau als Kronprinzessin akzeptiert hatten.

Auf Johannas Gemütslage wirkten sich die Reise und die Rückkehr in die alte Heimat weniger positiv aus. Zu ihren Eifersuchtsattacken gesellten sich noch Wahnvorstellungen und Ohnmachten. Nur Philipp der Schöne konnte seine emotional instabile Frau beruhigen. Als der Herzog im Dezember 1502 zur Rückkehr in die Niederlande aufbrach und ihn die erneut schwangere Johanna nicht begleiten konnte, verschlechterte sich deren Zustand zunehmend. Sie fühlte sich ganz verlassen und verfiel in schwere Depressionen. Ihre Gedanken kreisten nur um ihren abwesenden Gatten. Laut Petrus Martyr von Anglería, einem Mailänder Humanisten im Dienst der Katholischen Könige, ließ sie »Tag und Nacht ihren trübsinnigen Grübeleien hingegeben kein Wort von sich hören« 5. Auch nach der Geburt ihres zweiten Sohnes Ferdinand im März 1503 blieb ihr Gesundheitszustand bedenklich. Petrus Martyr berichtet: »Sie verlangt nach ihrem Mann, ist zutiefst verzweifelt, runzelt die Stirn, grübelt Tag und Nacht, ohne ein Wort von sich zu geben, und wenn sie es, bedrängt von Fragen, dennoch tut, dann voller Verärgerung« 6. Zwischen Johanna und ihrer Mutter kam es im Verlauf des Jahres 1503 zu einem heftigen Zusammenstoß. Johanna fühlte sich ständig überwacht. Anfangs verweigerte Isabella die Katholische ihr die Heimreise zu ihrem Ehemann aus Sicherheitsgründen. Betrübt schilderte Königin Isabella die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter: »Sie sprach mit so wenig Respekt und so wenig, wie es einer Tochter geziemt, daß ich, wenn ich mir nicht ihres Geisteszustandes bewußt gewesen wäre, eine solche Sprache niemals geduldet hätte« 7. Als Isabella ihrer Tochter die Abreise endlich Ende Mai 1504 gestattete, blieb Johannas kleiner Sohn Ferdinand bei seinen Großeltern in Spanien zurück.

Nach ihrer Rückkehr nach Brüssel Anfang Juni 1504 trat keine wirkliche Verbesserung in ihrem seelischen Zustand ein. Nach der ersten Wiedersehensfreude verfolgte sie Philipp den Schönen wieder mit heftigen Eifersuchtsszenen. In ihrer Eifersucht griff Johanna sogar Philipps damalige Favoritin an und verletzte diese. Ihr wütender Ehemann sperrte sie daraufhin in ihren Zimmern ein. Petrus Martyr schilderte diese höchst unerfreulichen Szenen einer fürstlichen Ehe folgendermaßen: »Jene Feuerschlange der Eifersucht trieb sie dazu, in wüste Beschimpfungen auszubrechen, es heißt, sie habe mit wutentbranntem Herz Feuer gespuckt, mit den Zähnen gefletscht, auf eine der Damen eingeschlagen, von der sie glaubte, sie sei die Geliebte, und befahl schließlich, das blonde Haar, das Philipp so gefiel, rappelkurz schneiden zu lassen. Als dieser davon erfuhr, geriet er außer sich und wandte sich gegen seine Frau und überzog sie mit Beschimpfungen und Beleidigungen und – zum größten Schmerz der Unglücklichen – schlief ihr nicht mehr bei« 8. Johannas Depressionen nahmen zu, so dass sie sich immer häufiger in dunkle, abgeschiedene Räume zurückzog.

Trotz der bedenklichen Vorfälle der letzten Zeit bestimmte Isabella die Katholische ihre Tochter Johanna zu ihrer Nachfolgerin in Kastilien. Mit der Bestimmung, dass, sollte Johanna nicht in der Lage sein, selbst die Herrschaft auszuüben, ihr Vater Ferdinand für sie die Regentschaft bis zur Volljährigkeit von Johannas Sohn Karl übernehmen sollte, war das tragische Schicksal Johannas eigentlich schon vorgezeichnet. Ganz bewusst erwähnte die Königin ihren Schwiegersohn Philipp nicht in ihrem Testament. Offensichtlich sah sie in ihm keinen guten Sachwalter der spanischen Interessen. Nach dem Tod von Königin Isabella am 26. November 1504 entbrannte zwischen Johannas Gatten Philipp dem Schönen und ihrem Vater König Ferdinand II. ein heftiger Machtkampf um die Regentschaft in Kastilien. Da die neue Königin Johanna nie auf den Umgang mit politischer Macht vorbereitet worden war, sollte es ihrem Ehemann ebenso wie ihrem Vater leicht fallen, ihr dieses mütterliche Erbe streitig zu machen. Sowohl Philipp der Schöne wie auch Ferdinand II. gedachten Johannas Eifersuchtswahn für ihre Zwecke zu nutzen und die junge Frau im für sie geeigneten Moment für regierungsunfähig zu erklären und zu einer Königin auf dem Papier zu degradieren.

Wegen einer erneuten Schwangerschaft Johannas verzögerte sich die Reise des jungen Herzogspaares auf die iberische Halbinsel. Erst nach der Geburt des fünften Kindes, der Tochter Maria, konnte das Paar im Januar 1506 die Reise antreten. Zunächst schien sich Philipp der Schöne erfolgreicher als sein Schwiegervater im Machtkampf um Kastilien zu behaupten, denn die Mehrheit der kastilischen Cortes erkannte ihn am 15. Juli 1506 als König-Gemahl neben seiner Frau an. Die kastilischen Magnaten versprachen sich von diesem ausländischen Fürsten eine weniger strikte Reglementierung als unter den Katholischen Königen. Philipp schirmte Johanna jetzt noch mehr von der Außenwelt ab. Zu einer wirklichen Ausübung der Herrschaft durch den Habsburger kam es jedoch nicht mehr, denn am 23. September 1506 verstarb Philipp der Schöne plötzlich im Alter von achtundzwanzig Jahren wohl an einer Infektion in Burgos. Es gab allerdings auch Gerüchte, dass er im Auftrag seines Schwiegervaters vergiftet worden sei.

Über Johannas Verhalten nach Philipps Tod liefern die erhalten gebliebenen Dokumente sehr unterschiedliche, sich oft widersprechende Berichte. Dies deckt sich generell mit der Quellenlage zu Königin Johannas Leben. Die historischen Dokumente erlauben sehr verschiedenartige Interpretationen des Geschehens. Die junge Witwe befand sich in einer schwierigen Position, da ihr zwei feindliche Lager gegenüberstanden. Auf der einen Seite befanden sich die Parteigänger und die niederländischen Gefolgsleute ihres verstorbenen Mannes, auf der anderen versammelten sich die Anhänger ihres Vaters. Das Einzige, was beide Parteien scheinbar einte, war die Überzeugung, dass Johanna mehr oder weniger unzurechnungsfähig sei. Königin Johanna verfügte unglücklicherweise über keine ihr persönlich ergebenen Gefolgsleute oder Berater und war über die politischen Vorgänge nur unzureichend informiert. Dass Gerüchte kursierten, ihr Vater hätte ihren Ehemann vergiften lassen, erschwerte sicherlich für sie die Lage. Statt das entstandene Machtvakuum zu ihren Gunsten zu nutzen, zog sich Johanna, in deren Armen ihr über alles geliebter Mann verstorben war, in ihre tiefe Trauer zurück. Die psychisch labile Johanna war der komplizierten Lage nicht gewachsen. Sie litt erneut unter schweren Depressionen. Als Johanna am 1. November 1506 den Sarg ihres toten Gatten öffnen ließ, was einerseits an Allerheiligen der Tradition des Landes entsprach, andererseits aber der Kontrolle diente, ob nicht etwa burgundische Untertanen versucht hatten, die Leiche in Philipps Heimat zu bringen, wurde dies dahingehend aufgebauscht, dass sie solches mehrmals habe durchführen lassen. Derartige Gerüchte über ihren Geisteszustand, der noch durch die Erzählung untermauert wurde, dass sie des Nachts mit Philipps Sarg ziellos durch Spanien ziehe, brachten Johanna den Beinamen »die Wahnsinnige« ein. Dieses makaber anmutende Schauspiel beflügelte in den kommenden Jahrhunderten immer wieder die Fantasie von Malern, Dichtern und Dramaturgen. Sehr wahrscheinlich steckte ihr Vater König Ferdinand dahinter, der die Regierungsunfähigkeit seiner Tochter so zweifelsfrei »beweisen« wollte. Johanna reiste zwar in Begleitung des Sargs, doch geschah dies gemäß Philipps testamentarischem Willen. Sein Leichnam sollte in Granada in einem dort für ihn zu errichtenden Grabmal beigesetzt werden. Dass meist nur des Nachts gereist wurde, hatte nichts mit Johannas Wahnsinn zu tun, sondern hing mit den kühleren Temperaturen zusammen, die für den Transport der im Prozess der Verwesung befindlichen Leiche günstiger waren. Am 14. Januar 1507 brachte Johanna in Torquemada ihr sechstes und letztes Kind, Katharina, zur Welt.

Im Sommer 1507 kehrte König Ferdinand II. nach Kastilien zurück. Johanna war nicht gut beraten, als sie sich aus Freude über die Begegnung mit ihrem Vater bereit erklärte, ihm die Regierungsgewalt zu übertragen. Aus dieser Zeit mehren sich Berichte über geistesgestörte Verhaltensweisen Johannas. Der Brief des Bischofs von Málaga an König Ferdinand zeichnet ein trostloses Bild: »Ich habe versäumt, Ihnen zu sagen, daß sie seitdem noch kein sauberes Hemd angezogen hat, und ich glaube, daß sie ebensowenig ihr Haar in Ordnung gebracht oder ihr Gesicht gewaschen hat. Man behauptet auch, daß sie stets auf dem Fußboden schläft, wie früher. Man hat mir gesagt, daß sie sehr oft Wasser läßt, so oft, wie man es bei niemand anders bemerkt hat. (...) Ich hoffe, daß Eure Hoheit für alles Vorsorge treffen wird, denn meines Erachtens läuft ihre Gesundheit ernsthaft Gefahr. Es würde nicht richtig sein, ihr die Sorge für ihre Person allein zu überlassen, denn man sieht ja, wie schlecht sie für ihre eigene Gesundheit sorgt. Der Mangel an Reinlichkeit in ihrem Gesicht und, wie man sagt, auch an anderen Stellen ihres Körpers ist sehr groß. Sie ißt mit den Tellern auf dem Fußboden, ohne Tischtuch oder Schüsseln« 9. Auf Anordnung ihres Vaters wurde sie nach Tordesillas gebracht, wo sie seit 1509 in dem dortigen festungsartigen Schloss wie eine Gefangene lebte. Der Palast existiert heute nicht mehr. Er wurde wegen Baufälligkeit Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen. Nur ein Turm des Schlosses blieb bis heute stehen.

Ihre Gefangenschaft wirkte sich auf ihren Zustand eher negativ aus. Jegliches königliche oder höfische Gepränge fehlte. Zu Außenstehenden hatte sie keinerlei Kontakt. Man überließ ihr nichts, womit sie sich in ihren wachen Augenblicken hätte beschäftigen können. Ferdinand II. konnte ungestört die Regentschaft von Kastilien übernehmen. Johanna war auf diese Weise vor dem Zugriff ehrgeiziger kastilischer Edelleute geschützt, die sich ihrer Person hätten bemächtigen können, um Einfluss auf die Regierungsbeschlüsse zu gewinnen. Da Johanna formal weiterhin Königin war, wurden in ihrem Namen sämtliche Entscheidungen getroffen, Gesetze erlassen und Urteile gefällt. Bis 1525 blieb ihr noch die Gesellschaft ihrer jüngsten Tochter Katharina. Als die Prinzessin mit dem portugiesischen König Johann III. verheiratet wurde, verlor sie eine wichtige Stütze und vereinsamte noch mehr. Zu ihren anderen Kindern hatte sie nie viel Kontakt gehabt, so dass diese ihrer Mutter fremd waren. 1517 besuchten sie ihre beiden ältesten Kinder Eleonore und Karl, die zwar über die Armseligkeit, in der ihre Mutter leben musste, erschüttert waren, doch keinerlei ernsthafte Versuche unternahmen, daran etwas zu verändern.

Als Ferdinand II. Anfang 1516 verstarb, wurde seine gefangene Tochter auf Anordnung der Regierungsbehörden darüber nicht informiert. Johannas ältester Sohn Karl wurde nun zwar König von Aragón, aber Kardinal Jiménez de Cisneros und der Kronrat wiesen ihn explizit daraufhin, dass er in Kastilien zwar die Macht ausüben konnte, die Führung des Königstitels aber seiner Mutter vorbehalten blieb: »Der Tod Eures Großvaters verleiht Euch in Kastilien kein Recht; jede Änderung könnte im Land Aufruhr verursachen und die Gefühle jener verletzen, die wohl notgedrungen die Unfähigkeit der Königin, zu regieren, eingestehen, sich jedoch weigern, sie ihrer Rechte zu berauben« 10. Als ihm Anfang 1518 die kastilischen Cortes den Huldigungseid unter der Bedingung leisteten, dass er auf die Herrschaft zu verzichten habe, wenn Johanna wieder vernünftig würde, bedeutete dies die endgültige Verdammung der Königin zum Irresein, denn Karl konnte zu Lebzeiten seiner Mutter nur solange regieren, wie Johanna als geistig umnachtet galt. Karl dachte allerdings nicht daran, auf die Herrschaft jemals zu verzichten.

Die unglückliche Königin ließ sich leicht dazu bewegen, Karls Regierungsanspruch für rechtmäßig zu erklären. Als Karl sein Ziel, nicht nur als Regent, sondern auch als Mitkönig in Kastilien anerkannt zu werden, durchgesetzt hatte, kümmerte er sich nur noch wenig um seine Mutter und änderte kaum etwas an den Zuständen ihres Aufenthalts in Tordesillas. Ihren Wunsch, ausgehen zu dürfen, adeliges Gefolge um sich versammeln zu dürfen und auf dem Laufenden gehalten zu werden, lehnte er ab. Ihm lag sehr daran, dass seine Mutter ihr völlig abgeschiedenes Leben fortsetzte, wie aus seiner Anordnung hervorgeht: »Die Königin darf diese Stadt nur in der Not verlassen und nicht, solange dort, wenn Gott es will, Gesundheit herrscht; und da es keinen Ortswechsel geben darf, und sei er noch so unbedeutend, weil dies unseren Interessen zuwiderliefe, soll sie für die ganze Zeit an diesem Ort verweilen, solange sie nicht in Gefahr ist, und daher empfehle und befehle ich, dass diese Stadt bewacht werde; wenn jedoch die Notwendigkeit besteht und kein Mittel mehr fruchtet, dann sollt Ihr die Königin, meine Herrin, in das Kloster San Pablo de la Moraleja bringen« 11.

Johanna nutzte nicht die Gelegenheit, die sich ihr durch den Aufstand der Comuneros von Kastilien 1520 bot, um ihre eigenen Machtansprüche durchzusetzen und ihre Freiheit zurückzuerhalten. Karl V. hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel auf. Die Stadtgemeinden, die sich gegen ihn erhoben, waren mit der Politik des jungen Kaisers unzufrieden, den sie als Fremdling empfanden. Sie forderten, dass er von Spanien aus regiere. Missfallen hatte außerdem erregt, dass zahlreiche Niederländer aus dem Gefolge Karls Schlüsselpositionen in Spanien bekleideten. Die Bereicherung von Karls Günstlingen zu Lasten der vereinigten spanischen Reiche löste ebenfalls Unzufriedenheit aus. Als die Rebellen Ende August 1520 Tordesillas besetzt hatten, empfing Johanna die führenden Offiziere des Heeres der verbündeten Städte. Die Offiziere berichteten darüber an die zivilen Anführer des Aufstandes: »Wir sind in Tordesillas angekommen, und Ihre Hoheit hat uns sehr aufgeweckt empfangen und ausführlicher mit uns gesprochen, als man es jemals in sieben Jahren bei ihr wahrgenommen hat, nach dem zu urteilen, was ihr Personal uns diesbezüglich erzählt hat. Wir haben viele Angelegenheiten mit Ihrer Hoheit besprochen, und sie hat uns freundlich auf alles geantwortet« 12. Johanna lehnte es aber ab, ihr Amt als Königin tatsächlich nach so langer Abkehr vom aktiven Leben wieder anzutreten und den Aufstand wirksam zu unterstützen, wodurch sie die Handlungen und Beschlüsse des Städtebundes legalisiert hätte. Sie scheute eine offene Rebellion. Stets zögerte sie ihre Unterschrift hinaus. Nachdem im Dezember 1520 Regierungstruppen Tordesillas zurückerobert hatten, setzte Johanna ihr Leben als einsame Gefangene fort. Der Aufstand, der sich zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet hatte, scheiterte, nachdem die Rebellen am 23. April 1521 in der Schlacht von Villalar besiegt wurden. Hunderte von Anhängern des Städtebundes wurden auf dem Schafott hingerichtet.

Nach dieser kurzen Rückkehr auf die politische Bühne verbrachte Johanna die Wahnsinnige ihre ihr noch verbleibenden fünfunddreißig Lebensjahre in einer Art Dämmerzustand. Von ihrem Personal wurde sie dabei oft mit Geringschätzung behandelt und schikaniert. Manchmal kam es sogar zu Misshandlungen an der hilflosen Frau. Am 12. April 1555, an Karfreitag, wurde die Königin in Tordesillas durch den Tod erlöst. Ihre letzten Worte lauteten: »Der Gekreuzigte Jesus Christus stehe mir bei« 13. Sie wurde neben ihrem über alles geliebten Ehemann Philipp im Dom von Granada beigesetzt. Erst mit ihrem Tod wurde Kaiser Karl V. offiziell alleiniger Herrscher von Kastilien.

Königin Johanna die Wahnsinnige, die den habsburgischen Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht hatte, zeigte sicher bereits in jungen Jahren Ansätze zur Schizophrenie, aber erst der gnadenlose Machtkampf in ihrem engsten Umfeld sorgte dafür, dass ihre Krankheit voll zum Ausbruch kam. Durch die unwürdige und rücksichtslose Behandlung Johannas verschlechterte sich ihr Gemütszustand dramatisch. Zweifellos war sie durch ihre Großmutter mütterlicherseits, Isabella von Portugal, die an einer geistigen Störung mit Wahnanfällen litt, erblich belastet. Im Grunde konnte es ihrem Ehemann, ihrem Vater und ihrem Sohn nur recht sein, dass man sie mit dem Hinweis, dass sie verrückt und damit nicht regierungsfähig sei, aus dem Weg räumen konnte. Aus politischem Ehrgeiz sorgten sie dafür, dass Johanna als ernstlicher geisteskrank erschien als sie wohl war. Dass ihr dies durchaus bewusst war, dafür spricht jene Szene bei einem Besuch Karls V. in Tordesillas, die von einem Chronisten überliefert ist: »Einmal, als dieser das Geschmeide, kostbare Steine und Perlen, aus ihrem Besitz wegen Geldverlegenheit weggenommen und dafür etwas anderes in die Kästchen gelegt hatte, sagte sie ihm, als er zu Besuch gekommen war: ›Ist es nicht genug, daß ich dich regieren lasse? Mußt du auch noch mein Haus leer stehlen?‹« 14

Mord aus Staatsräson

Agnes Bernauer

Der zeitgenössische Chronist Andreas von Regensburg, der gewöhnlich als gut informiert gilt, berichtet über den gewaltsamen Tod der Agnes Bernauer am 12. Oktober 1435 in Straubing: »Am 12. Oktober [wurde] auf Befehl Herzog Ernsts eine gewisse schöne Frau, die Geliebte Herzog Albrechts, genannt Bernawerin, von einer Donaubrücke gestürzt. Mit Hilfe eines Fußes, der nicht gefesselt war, schwamm sie ein Stück und kam dem Ufer nahe, wobei sie unter heiserem Röcheln rief: ›Helft, helft!‹ Der Henker aber, der sie von der Brücke gestürzt hatte, lief am Donauufer herzu, und, weil er den heftigen Zorn Herzog Ernsts fürchtete, wickelte er eine lange Stange in ihr Haar und tauchte sie wieder unter«1. Diese dürre Notiz wurde wohl um 1444 verfasst, neun Jahre nach den dramatischen Ereignissen. Lediglich der Tod der häufig nur »die Bernauerin« Genannten durch Ertränken ist damit zweifelsfrei dokumentiert. Andreas von Regensburg äußert sich weder über einen vorausgegangenen Prozess noch über Beteiligte an dieser Hinrichtung. Prozessakten sind in der Tat auch nicht überliefert, wie überhaupt die Quellenlage zum Schicksal der Agnes Bernauer, dieser berühmten Frauengestalt aus der bayerischen Geschichte, bemerkenswert dürftig ist.

Üblicherweise wird die Reichsstadt Augsburg als Geburtsort von Agnes Bernauer genannt. Hier soll sie um 1410 als Tochter des Baders Kaspar Bernauer geboren worden sein. Die Existenz dieses Baders konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Er taucht weder im Bürgerverzeichnis der Reichsstadt noch in den städtischen Steuerlisten des 15. Jahrhunderts auf. Vielleicht betrieb der Vater von Agnes nicht eigenständig ein Bad, sondern arbeitete als Geselle oder Baderknecht. Ebenso wenig eindeutig verbürgt wie die familiäre Abstammung sind das Geburtsjahr und der Geburtsort der Bernauerin. Die frühesten Hinweise auf den Vater und Augsburg stammen aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Eine erste Mitteilung darüber, welcher beruflichen Tätigkeit Agnes Bernauer selbst nachging, liefert der Humanist Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., der als Teilnehmer am zeitgleich zu den Ereignissen in Straubing stattfindenden Basler Konzil entsprechenden Klatsch aufschnappte. Er berichtet daher 1456: »Herzog Albrecht von Bayern war heillos in ein Mädchen, eine Badewärterin, verliebt«2.

Wenn Agnes Bernauer tatsächlich die Tochter eines Baders oder Barbiers war und selbst als Bademagd arbeitete, entstammte sie einfacheren Verhältnissen. In der mittelalterlichen Gesellschaft gehörten Bader vielfach zu den ehrlosen Ständen, die von vielen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen waren. In Augsburg allerdings begannen die Bader und Barbiere seit dem 15. Jahrhundert gesellschaftlich aufzusteigen. Falls Agnes’ Vater als selbständiger Bader arbeitete und ein eigenes Bad besaß, so gehörten er und seine Familie doch eher der ehrbaren mittleren Bürgerschicht der Reichsstadt an.

Die beliebten Badestuben dienten im 15. Jahrhundert nicht allein der Körperreinigung und der medizinischen Versorgung, sondern waren gelegentlich auch Orte der Prostitution. Für Augsburg gibt es jedoch kein Verbot wegen Badeprostitution. Es kann daher nicht verallgemeinernd von Sittenlosigkeit in den Bädern des Mittelalters gesprochen werden, vielmehr waren sie beliebte gesellschaftliche Treffpunkte. Im 15. Jahrhundert ging es in den Bädern sogar eher züchtig zu, völlig nackt badeten oft nur die Kinder.

Wesentlich besser ist erwartungsgemäß der biografische Kenntnisstand bei dem bayerischen Herzogssohn Albrecht, dem man später den Beinamen »der Fromme« gab. Der einzige legitime Sohn des regierenden Herzogs Ernst I. von Bayern-München und der Herzogin Elisabeth, einer Visconti aus Mailand, wurde am 27. März 1401 geboren. Seine standesgemäße Erziehung erhielt er am Prager Königshof bei seiner Tante Sophie, die mit dem böhmischen König Wenzel IV. verheiratet war. Im Alter von etwa sechzehn Jahren kehrte Albrecht an den Münchner Hof zurück. Zeitlebens hatte er eine ausgeprägte Vorliebe für die Jagd, Musik und Literatur, außerdem galt er als »ain liebhaber der zarten frawen«3. In Turnieren und in kriegerischen Auseinandersetzungen tat er sich als mutiger Kämpfer hervor. Bereits 1424 hatte ihm seine Mutter die Grafschaft Vohburg an der Donau zusammen mit Pfaffenhofen an der Ilm, Geisenfeld und Hohenwart abgetreten, weshalb sich Albrecht auch Graf von Vohburg nannte. Im Januar 1433 setzte ihn sein Vater zum Statthalter des 1425/1429 an Bayern-München gefallenen Straubinger Landes ein.

Wo und wann sich die als außergewöhnlich schön bezeichnete Baderstochter und der bayerische Erbprinz erstmals begegneten, darüber informieren die zeitgenössischen Quellen nicht. Da Herzog Albrecht III. als Teilnehmer an einem Turnier im Februar 1428 in Augsburg genannt wird, wird gemeinhin angenommen, dass er bei dieser Gelegenheit Agnes Bernauer wohl bei einem Besuch der väterlichen Badestube kennen lernte und bald darauf nach München holte. In einer in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre zu datierenden Münchner Steuerliste taucht unter dem weiblichen Gesinde des herzoglichen Hofs eine »Pernawerin« auf. Tatsächlich ist dies bis heute der erste quellenmäßige Beleg für die Existenz der Agnes Bernauer überhaupt. Aus Äußerungen von Herzog Ernst vom Oktober 1435, dass sein einziger Sohn seit drei oder vier Jahren ein böses Weib gehabt habe, kann man aber auch schließen, dass das Verhältnis zwischen dem Herzogssohn und der Bernauerin erst um 1431/1432 seinen Anfang nahm. Da sich Albrecht zu dieser Zeit überwiegend in München aufhielt, könnte er auch dort eine Beziehung mit Agnes Bernauer angeknüpft haben, die zu dieser Zeit ja bereits ein Mitglied des Hofgesindes war.

Eine Liebesaffäre zwischen einem noch unverheirateten Adeligen und einer Frau aus einfacheren Verhältnissen hätte an sich kaum größeres Aufsehen erregt, da eine Geliebte einer standesgemäßen Heirat und damit erbberechtigtem Nachwuchs nicht im Wege stand. Die Beziehung zwischen Albrecht III. und Agnes Bernauer nahm aber einen überraschenden, die gesellschaftlichen Konventionen sprengenden Verlauf. Das Auftreten der jungen Frau fiel aus dem gewohnten Rahmen und sorgte für Misstöne. Im Sommer 1432 mischte sie sich selbstbewusst in die Beziehungen zwischen dem Herzog und der Stadt München ein, als sie dafür sorgte, dass ein vor dem Zugriff der städtischen Schergen in die Alte Veste, die herzogliche Residenz, geflohener Pferdedieb festgenommen werden konnte. Sie veranlasste nämlich, dass die Stadt einen Boten an den abwesenden Herzog schickte und um die Herausgabe des Diebes nachsuchte. Albrechts Schwester Beatrix reagierte bei einem Besuch in München empört über dieses in ihren Augen anmaßende Benehmen und sprach öffentlich zornig von »der hoch und grosfaisten Bernawerin«4»wegen seiner Geliebten, deretwegen er, wie man glaubte, es verschob, eine rechtmäßige Frau zu heiraten, angegriffen und geschlagen«. Albrechts Mesalliance verstieß gegen die von Gott gewollte Ordnung der Ständegesellschaft.