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imageMarkus O. Häring

Der 2’000-Watt-Irrtum

Wie das Drohszenario Klimaerwärmung
die gesamte Energiepolitik fehlleitet

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Impressum

3. Auflage 2016

© 2015 Münster Verlag GmbH, Basel

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

Umschlaggestaltung:

Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Bern

Abbildungen:

Umschlag: http://eoimages.gsfc.nasa.gov (Webseite der NASA)

Lektorat:

Christine Krokauer, Würzburg

Gestaltung und Satz:

Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Bern

Druck und Einband:

CPI books GmbH, Ulm

Verwendete Schriften:

Suisse Works, Suisse Int’l Condensed

Papier:

Umschlag, 135g/m2, Bilderdruck glänzend, holzfrei Inhalt, 90g/m2, Werkdruck bläulichweiss, 1,75-fach, holzfrei

ISBN 978-3-905896-56-5

eISBN 978-3-907301-05-0

Printed in Germany

www.muensterverlag.ch

imageInhalt

These

Vorwort

Kurze Erdgeschichte

Erdgeschichte in 24 Stunden

Endogene Dynamik

Exogene Dynamik

Biomasse Mensch

Die Natur kennt keine Katastrophen

Klimageschichte

Homo sapiens: Einfluss und Bedarf

Störfaktor Homo sapiens

Tunnelblick

Offene Kreisläufe

Legitimer Wunsch Nachhaltigkeit

Der gedeckte Energietisch

Wasser als Lebensmittel

Erdöl und Erdgas

Kohle

Kernbrennstoffe

Biomasse

Wind und Sonne

Hydro

Geothermie

Gezeiten

Gashydrate

Energie im Überfluss

Nicht nur Not macht erfinderisch

Energiebauern

Staudämme in der Sahara

Interessen

Ursprünge

IPCC

Prügelknabe CO2

Klimamodelle

Beispiel Versauerung der Ozeane

Klimapolitik

Geo-Engineering

Fukushima-Opportunismus

Not in my backyard

Elektromobile

Zukunftsverweigerung

Klima-Poker

Was ist zu tun?

Angstmacherei ist nicht nachhaltig

Resilienz von Natur und Gesellschaft

Entpolitisierung der Wissenschaft

Unterschätzter Erfindergeist

Wahre Erfindungen brauchen keine Förderung

Kristallkugeln funktionieren nicht

Pragmatismus, Gelassenheit und Hoffnung

Bibliografie

imageThese

Die Bedrohung ist nicht der Klimawandel. Die echte Bedrohung ist die Übernutzung der Wasser-, Land- und Rohstoff-Ressourcen des Planeten Erde.

Katastrophenszenarien als Folge eines menschengemachten Klimawandels sind irreführende Angstmacherei. Es gibt ein anthropogenes CO2-Signal, das die Klimaerwärmung beeinflusst. Aber selbst ein vollständiger Verzicht auf CO2-Emissionen wird eine Klimaerwärmung nicht umkehren, da weder ein exklusiver noch ein linearer Zusammenhang besteht.

Natürliche Klimavariationen, natürliche Extremereignisse und Landübernutzung haben einen massiv stärkeren Einfluss auf Umwelt und Biosphäre. Sie verursachen höhere Schäden als eine langfristige Klimaerwärmung. Investitionen in den Schutz vor Extremereignissen sind um Grössenordnungen dringender und effektiver. Investitionen in die CO2-Vermeidung entziehen Mittel, ohne vor Extremereignissen zu schützen.

Sieben Milliarden Menschen können nicht ohne hohen Energieverbrauch versorgt werden. Eine 2’000-Watt-Gesellschaft ist weder möglich noch wünschenswert. Zur Lebenserhaltung von zehn Milliarden Menschen am Ende dieses Jahrhunderts werden alle Energieträger benötigt.

Es wird weit über das 21. Jahrhundert hinaus keinen Energiemangel geben. Fossile Energieträger sind endlich, aber innerhalb von Planungshorizonten im Überfluss verfügbar. Das Verbrennen wertvoller Ressourcen ist jedoch nicht nachhaltig und bedarf einer Substitution.

Ein gleichzeitiger Verzicht auf fossile und nukleare Energiequellen ist nicht möglich. Eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energiequellen ist eine gefährliche Utopie.

Erneuerbare Energiequellen können weder fossile noch Kernenergie substituieren. Kernenergie ist die einzige Option, mit geringem Ressourcenverbrauch, fossile Energieträger in bedeutendem Umfang zu verdrängen.

Politische Einflussnahme durch Subventionen einerseits und Forschungs- und Denkverbote andererseits sind Gift für die Entwicklung ressourcenschonender, effizienter und sicherer Energietechnologien.

imageVorwort

Singuläre Ereignisse zeichnen die Erdgeschichte seit Entstehung des Planeten vor 4,6 Milliarden Jahren. Singuläre Ereignisse sind umwälzende Veränderungen, welche in geologischen Zeiträumen gesehen spontan passieren und einen unumkehrbaren Einfluss auf die weitere Erdgeschichte haben. Bekannt sind zum Beispiel die Explosion des Lebens im Kambrium vor 540 Millionen Jahren, die Auslöschung der Saurier vor 65 Millionen Jahren oder die massive spontane Klimaerwärmung vor 55,8 Millionen Jahren. Die Evolution des Menschen über die letzten 200 Jahre stellt in der Erdgeschichte ebenfalls ein singuläres Ereignis dar. Innerhalb eines geologisch extrem kurzen Zeitraums ist der Homo sapiens plötzlich flächendeckend als ressourcen- und landverzehrende Spezies aufgetreten und hat begonnen, natürliche Kreisläufe in nie dagewesener Art zu beeinflussen und vermutlich irreversibel zu verändern.

Der weltweit steigende Energieverbrauch ist Ausdruck und Folge einer rasch wachsenden Weltbevölkerung, multipliziert mit den rasch steigenden Ansprüchen neuer Konsumgesellschaften auf allen Kontinenten. Der damit verbundene Ressourcen- und Landverbrauch ist besorgniserregend und erfordert Aktion. Eine Reduktion des Energieverbrauchs ist für die Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft aber eine Illusion. Um dem ungebremsten Verbrauch fossiler Energieträger Einhalt zu gebieten, wird die real existierende Klimaerwärmung zu einem Katastrophenszenario hochstilisiert. Dieses einfache Drohszenario, welches sich nur durch grüne Lösungen und Verzicht vermeiden lasse, setzt völlig falsche Zielvorgaben und erweist sich immer deutlicher als kontraproduktiv. Als Prügelknabe dient das CO2, das eine ähnliche Gefährlichkeit aufweist wie Wasser. Beides ist unverzichtbar und lebenswichtig und im Übermass schädlich und tödlich. Nur liegt die Schädlichkeit von CO2 in einem völlig anderen Bereich als in der Klimaerwärmung. Es braucht definitiv gescheitere Motive für die Erschaffung einer lebenswerten Zukunft für Mensch und Natur. Gefragt sind zuverlässige und ressourcenschonende Energiesysteme mit einem möglichst geringen Fussabdruck, der einen möglichst grossen Erhalt der Umwelt und Artenvielfalt ermöglicht.

Statt Verbote zu erdenken, sollte man viel mehr dem Erfindungsgeist des modernen Homo sapiens vertrauen. Die ersten Hominiden bedienten sich bereits vor beinahe einer Million Jahren des Feuers. Mit den ältesten Felszeichnungen vor rund 50’000 Jahren liegen die ersten Beweise reflektierender Menschen vor. Die Erfindung des Rads geschah irgendwo vor mehr als sechstausend Jahren. Die Erfindung des Schiesspulvers, sei es vor 1’000 Jahren in China oder im 14. Jahrhundert in Europa, stellt einen weiteren Meilenstein in der menschlichen Entwicklungsgeschichte dar. Die Erfindung der Dampfmaschine markiert den Beginn der Industrialisierung vor 250 Jahren. Vor 130 Jahren wurde mit den ersten Wasserkraftwerken aus mechanischer Energie Strom produziert. Das Auto begann den Siegeszug vor hundert Jahren, die kommerzielle Fliegerei vor siebzig Jahren, der Personal Computer vor 30 Jahren, das Internet vor 20 Jahren, das Smartphone vor 5 Jahren.

Diese historisch weder vollständig noch präzise dargestellte Abfolge der Entwicklung zeigt jedoch die immer kürzeren Zeiträume, über welche Erfindungen gemacht werden, die eine irreversible Wirkung auf den Gang der Geschichte haben. Ich möchte sie aber nicht als wegweisend im Sinne des Wortes bezeichnen, das sie wohl den Weg der Geschichte veränderten, aber zur Zeit ihrer Erfindung nicht die Richtung angegeben werden konnte, wie sie sich weiterentwickeln. Rückblickend kann man allerdings festhalten, dass sie alle zu unserem heutigen Wohlstand beigetragen haben, auf den niemand ernsthaft verzichten will.

Die einschneidendste Erfindung des letzten Jahrhunderts, nämlich die von Menschen gesteuerte Kernspaltung, findet irritierenderweise in den Schulgeschichtsbüchern kaum eine Würdigung. Als im Jahr 1943 im amerikanischen Bundesstaat Washington der Hanford-Reaktor gebaut wurde, mit welchem das Plutonium für die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki erzeugt wurde, erahnte die Gesellschaft noch nicht, dass damit eine völlig neue Art der Energiegewinnung geschaffen wurde. Erstmals wurde aufgezeigt, dass auch aus etwas anderem als der Umwandlung mechanischer Energie oder aus einer chemisch-exothermen Reaktion wie bei der Verbrennung von Rohstoffen nutzbare Energie gewonnen werden kann, und zwar in einer bisher unbekannten Dichte mit einem Minimum an Brennstoff.

Allen erwähnten Erfindungen gemeinsam ist, dass sie dem Wohl der Menschheit dienen, gleichzeitig aber auch neue Gefahren und Risiken erschaffen haben. Und alle diese Erfindungen benötigen natürliche Ressourcen und erzeugen Abfall. Abfall ist ein unerwünschtes Produkt menschlicher Aktivität. In natürlichen Prozessen kommt das nicht vor.

In diesem Buch versuche ich, die Prozesse in ihren Zusammenhang zu stellen und deren Nützlichkeit, Potentiale, Gefahren und Risiken einander gegenüberzustellen. Erreichen möchte ich damit eine Versachlichung der Diskussion und eine Abkehr von «religiösen» Glaubensbekenntnissen zu bösen und guten Energieträgern, sowie eine Klassifizierung böser und guter Energiekonsumenten. Die politische Diskussion ist heute beherrscht von einer Vielzahl von Experten, welche alle glauben, das Richtige für eine nachhaltige Gesellschaft und Umwelt zu tun, letztlich aber nur Partikularinteressen vertreten. Wie anfangs erwähnt, ist die Entwicklung des modernen homo sapiens eines der singulären Ereignisse in der Erdgeschichte. Sie verdient deshalb auch singuläre Lösungen unter Gebrauch und Vertrauen in die menschliche Kreativität. Eine Verweigerung der Zukunft durch Denk- und Entwicklungsverbote gehört definitiv nicht dazu, genauso wenig wie der Versuch, die Geschichte anzuhalten und heutige Naturzustände zu zementieren. Solche Versuche sind zum Scheitern verdammt. Ich ziehe es vor und empfinde es als höchst motivierend, an der Gestaltung der Zukunft aktiv teilzunehmen.

In meiner gesamten beruflichen Karriere habe ich mich mit der Beschaffung von Energie beschäftigt, mit zahlreichen Erfolgen und Rückschlägen. Nach meinem Studium der Erdwissenschaften arbeitete ich zunächst über zehn Jahre als Explorationsgeologe für eine multinationale Erdölgesellschaft in Peru, Australien, den Niederlanden und Nigeria. In Peru erkundete ich in abenteuerlichster Weise in einfachen Holzbooten den Oberlauf des Uru- bamba. Als Geologe in einem phantastischen Team von Ingenieuren, Geophysikern und Logistikern, welches eine aufwändige Explorationskampagne leitete, durfte ich an der Entdeckung des Camisea-Feldes, einem der grössten Gasfelder Südamerikas, teilhaben. In Australien erkannte ich, dass es auch auf einem weitgehenden bekannten Planeten noch sehr viel zu entdecken gibt. Bei der Arbeit in der niederländischen Nordsee erlernte ich die damals allerneusten Explorationstechniken. In Nigeria wurde ich dann Zeuge übelster Umweltschädigung durch die Ölproduktion in den Mangrovensümpfen des Niger-Deltas. Gemeinsam bei allen Explorationsbohrungen auf den vier Kontinenten war, dass die im Bohrloch zirkulierende Spülung immer heisser wurde, je tiefer man bohrte. Die an sich banale Beobachtung motivierte mich, die zu Grunde liegende geothermische Energie nutzbar zu machen. In meiner darauffolgenden selbständigen Tätigkeit als Entwickler von Geothermie- Anlagen war mein erster Erfolg die Erschliessung eines Thermalwasservor- kommens für das Bad Schinznach am Unterlauf der Aare. Meine erste allein geplante Tiefbohrung versorgt bis heute das Thermalbad zuverlässig mit Wasser und Wärme. Im späteren Projekt Deep Heat Mining in Basel, das darauf gerichtet war, in fünf Kilometern Tiefe einen künstlichen Wärmetauscher zu erzeugen, um überhitztes Wasser zur Stromerzeugung zu gewinnen, habe ich meinen grössten Rückschlag, aber auch den grössten Wissensgewinn erfahren. Geplant war der Bau eines Geothermiekraftwerks im Industriegebiet der Stadt Basel. Nach zwei Erkundungsbohrungen und drei seismischen Monitoring-Bohrungen wurde 2006 die erste von drei geplanten Bohrungen auf fünf Kilometer Tiefe erfolgreich ausgeführt. Das Einpressen von Wasser zur Scherung von Klüften tief unten im Granitgestein löste dann aber spürbare Beben aus. Das stärkste Beben mit einer Magnitude von 3,4 verursachte einige Bagatellschäden an spröden Verputzen in der Stadt. Kein einziger struktureller Schaden trat auf. Magnitude 3 galt bereits in der Planung als unzumutbar und wurde als Kriterium zum Einstellen des Projekts gesetzt. Fühlbare Beben als Folge einer Technik ist einer Bevölkerung unzumutbar, wie die Reaktion der Medien auf die Ereignisse auch bestätigte. Dank des seismischen Monitoringnetzwerks mit Sensoren in fünf umliegenden Bohrungen konnten über dreitausend Mikrobeben aufgezeichnet und lokalisiert werden. Daraus liess sich ein dreidimensionales Bild der Ausbreitung der künstlich erzeugten Klüfte darstellen. Dieser einmalige Datensatz dient bis heute Hochschulen in der Schweiz, Deutschland, Japan und den USA als Grundlage der Forschung über induzierte Seismizität. Der Abbruch des Projekts war natürlich ein herber Rückschlag. Rückschläge muss man in Forschungs- und Entwicklungsprojekten allerdings in Kauf nehmen. Die wirkliche Enttäuschung kam erst, als ich von einem übereifrigen Staatsanwalt der Stadt Basel für das «Vorsätzliche Erzeugen eines unterirdischen Felssturzes und das vorsätzliche Erzeugen einer unterirdischen Überschwemmung» angeklagt wurde. Die absurde Anklage endete zwar erwartet in einem Freispruch erster Klasse. Die Haltung der Stadt, die selbst Auftraggeber des Projekts war, erschütterte meinen Glauben in die Zukunftsfähigkeit einer wohlstandsgesättigten Gesellschaft allerdings tief.

Bereits seit vielen Jahren bin ich auch involviert in Fragen zur Lagerung radioaktiver Abfälle, in jüngerer Zeit zudem mit Fragen zum Hydraulic Fra- cking und zur Speicherung von CO2 im Untergrund. Machbar ist im Untergrund vieles. Ob es mit vertretbaren Risiken gemacht werden kann, bedarf geologischer Expertise. Eine Expertise, welche ich mir über all die Jahre durch praktische Erfahrung bei Arbeiten im Untergrund auf vier Kontinenten in unterschiedlichsten Umgebungen aneignen konnte. Mit diesem Erfahrungsschatz fühle ich mich legitimiert, eine Empfehlung zu sinnvollen Anwendungen von Energieressourcen äussern zu dürfen.

Trotz schlechter Erfahrung mit einem opportunistischen Staatsanwalt glaube ich weiterhin an die Fähigkeit der Menschheit, die Zukunft vorwärts- und nicht rückwärtsgewandt meistern zu können. Mit meiner heuristischen Analyse der Energiesysteme und der Empfehlung eines gangbaren Wegs hoffe ich, einer zerfahrenen Politik eine gewisse Leitlinie geben zu dürfen. Ich erhoffe, Entscheidungsträger dazu bringen zu können, nicht opportunistische, sondern zukunftsfähige Lösungen zu portieren.

Der wohlhabende Mensch scheint Lust auf Katastrophen zu haben. Die weltweit vernetzten Medien können fast jeden Tag eine bevorstehende oder echte Katastrophe bieten. Katastrophenfilme sind beliebt, Weltuntergangsszenarien sind ein Fressen für die Medien. Sie wecken Emotionen und befriedigen die düstere Lust auf Ungeheuerliches. Das wusste bereits Al Gore, als er den Katastrophenfilm «An inconvenient truth» zum Klimawandel in Auftrag gab. Anders kann man diesen Film nicht bezeichnen, er bediente alle Klischees dieser Filmsparte. Seither ist das Thema Klimawandel in einer Art und Weise emotionalisiert, dass die sachliche Diskussion nur noch ein Schattendasein führt und den Mainstream gar nicht mehr erreicht. Empörung verkauft sich besser, damit kann besser politisiert werden.

Ich habe die Kraft des Empörungsjournalismus’ am eigenen Leib erfahren. Bei den Bergschlägen mit einer Magnitude von 3,4, welche wir mit der Geothermiebohrung in Basel ausgelöst haben, wurde niemandem ein Haar gekrümmt. Genau 650 Jahre zuvor war die Stadt durch ein Beben der geschätzten Magnitude 6,9 zerstört worden. Kein Bericht erklärte je, dass für ein solches Beben 170’000 Mal mehr Energie freigesetzt werden muss1, als wir durch unser Einpressen auslösten. Es ist ausserordentlich schwierig, eine exponentielle Werteskala begreiflich zu vermitteln. Für Empörungsjournalisten genügte, dass die Magnitude halb so gross war als beim grossen Beben von Basel. Dies gipfelte darin, dass das populärwissenschaftliche Magazin Geo den Riss in der Galluspforte des Basler Münsters als Schaden der Geothermiebohrung abbildete, obwohl der Riss ein stadtbekanntes Zeugnis des Bebens von 1356 ist. Mit diesem Buch wage ich den Versuch, Fakten zu vermitteln, wie es die Massenmedien weder können und oft auch nicht wollen. Einerseits, weil sie nicht trivial zu erklären sind, andererseits, weil sie oft wenig spektakulär erscheinen. Trotzdem wäre es begrüssenswert, wenn sich Entscheidungsträger, die nicht nur auf ihre nächste Wiederwahl schielen müssen, bemühen würden, die anspruchsvolleren Zusammenhänge begreifen zu wollen.

1Ein Magnitudenschritt bedeutet 32 Mal mehr freigesetzte Energie im Untergrund. Zwei Magnitudenschritte 1000 Mal mehr Energie und vier Magnitudenschritte eine Million Mal mehr Energie. Dem Tohoku-Beben mit Magnitude 9, welches am 11. März 2011 in Japan den Tsunami auslöste und über 20’000 Todesopfern forderte sowie vier Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima zerstörte, lag eine freigesetzte Energie zugrunde, die 1’400 Mal grösser war als beim grossen Beben von Basel oder 250 Millionen Mal grösser als bei den Einpressversuchen der Geothermie.

imageKurze Erdgeschichte

Erdgeschichte in 24 Stunden

Um den globalen Energieverbrauch der Menschheit in einen Zusammenhang mit der Dynamik der Erde und des Klimas zu bringen, scheinen eine Analyse der effektiven globalen Energieströme und ein Vergleich der Wirkung des Menschen auf den Planeten angebracht. Die Energiedebatte und die Klimafrage werden leider bloss anthropozentrisch, also aus der Sicht der menschlichen Gesellschaft, und nicht aus einer gebührenden Distanz geführt. Auch wenn Klimaveränderung und Auswirkung auf Flora und Fauna angesprochen sind, steht im Zentrum immer nur das Wirken des Menschen. Andere Faktoren wie zum Beispiel Vulkanismus, Sonnenaktivität, Meeresströmungen, Waldbrände, Erdbeben finden in der Diskussion zwar Erwähnung, deren Einflüsse werden allerdings kaum quantifiziert.

Der Planet Erde umkreist die Sonne mit seinen heutigen Ausmassen seit 4,6 Milliarden Jahren. Sie ist aber keine passive Steinkugel, sondern ein höchst dynamisches System, das sowohl von internen wie von externen Kräften getrieben und beeinflusst wird. Seit ihrem Bestehen hat die Erde die dramatischsten Veränderungen erfahren. Um die Grössenordnungen der geologischen Zeiträume einigermassen in Relation zueinander stellen zu können, zeigt die folgende Liste die Erdgeschichte auf einen Vierundzwanzig-Stunden-Tag komprimiert.

00.00 h

Planet Erde geformt. Erste primitive sauerstofffreie Atmosphäre

03.07 h

Erste Cyanobakterien

12.31 h

Sauerstoff akkumuliert in Atmosphäre

18.46 h

Erste Mehrzeller

21.10 h

Blüte mariner Wirbelloser

21.20 h

Blüte der Trilobiten

21.32 h

Erste kieferlose Fische

21.47 h

Gefässpflanzen am Land

21.49 h

Erste Insekten

22.04 h

Erste Amphibien

22.20 h

Blüte der Gymnospermen

22.22 h

Weitreichende Kohlesümpfe

22.23 h

Erste Reptilien

22.48 h

Erste Dinosaurier

22.57 h

Erste Säugetiere

23.09 h

Erste Vögel

23.39 h

Sauriersterben

23.41 h

Erste Primaten

23.52 h

Erste Affen

23:59:07

Genus Homo

23:59:56

Homo sapiens

23:59:59

Erste Spuren von Kultur (Felszeichnungen)

Eine reflektierende menschliche Gesellschaft tritt also erst in der allerletzten Sekunde der Erdgeschichte auf. Unsere heutige Zeitrechnung beginnt 40 Millisekunden vor Mitternacht und die Industrialisierung, mit welcher der aussergewöhnliche Ressourcenbedarf seinen Lauf nahm, sogar erst 4 Millisekunden vor Tagesende (Abbildung 1).

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Abbildung 1: Bevölkerungsexplosion als singuläres Ereignis in der Erdgeschichte

Endogene Dynamik

Die Erde formte sich im ähnlichen Zeitraum und in ähnlicher Weise wie alle anderen Planeten des Sonnensystems aus einer gravitativen Konzentration der staubförmigen Materiescheibe, welche die Sonne umkreiste. Deshalb umkreisen auch alle Planeten die Sonne auf praktisch derselben Ebene. Bei der Zusammenballung undifferenzierter Materie setzte eine gravitative Differenzierung ein, welche heute den Aufbau der Erde charakterisiert. Sie besteht aus einem teilweise flüssigen Nickel-Eisenkern, einem Mantel, bestehend aus zähplastischen Gesteinsmaterial hoher Dichte und einer leichteren spröden Kruste, die sich jedoch über geologische Zeiten unter Druck und hoher Temperatur gleichfalls plastisch verformen kann. Die Kruste unter den Ozeanen ist 5–10 Kilometer dick, während die kontinentale Kruste 30–60 km mächtig ist. Die Erdkruste unterteilt sich in 15 Kontinentalplatten, welche durch ozeanische Rücken oder Subduktionszonen begrenzt sind. Durch wärmegetriebene Konvektionsströme im Erdmantel werden die Platten gegeneinander verschoben. Wo sie kollidieren, werden Teile einer Platte unter die andere subduziert und in der Tiefe aufgeschmolzen. Die Kollision von Kontinentalplatten führt unter anderem zur Gebirgsbildung. Die ozeanischen Rücken sind Zonen, bei welcher heiss-flüssige Magmen aus dem Mantel aufsteigen und Platten auseinanderdrücken. Die aufsteigenden Magmen erstarren und bilden neue ozeanische Krusten. Die Wärme, welche die treibenden Konvektionsströme verursacht, stammt zu einem Teil aus Restwärme der gravitativen Kompaktion des Planeten, aber vor allem aus dem Zerfall diffus verteilter Radionukleoide in Kern, Mantel und angereichert in der Kruste des Erdinneren. Das häufigste Isotop ist Kalium 40, gefolgt von den Isotopen Thorium 232, Uran 235 und Uran 238.

Die Grösse der freigesetzten Kräfte lässt sich beim Anblick von Gebirgsketten wie dem Himalaya, den Anden oder der Alpen erahnen. Einen noch direkteren Bezug zu den endogenen Kräften geben Vulkanausbrüche und Erdbeben, wie zum Beispiel bei 2011 das Tohoku-Beben 2011 vor der Küste Japans mit einer Magnitude 9.

Der konstante Wärmefluss aus dem Erdinneren zur Oberfläche beträgt global 47 TW. Das ist vergleichbar zur Sonneneinstrahlung zwar sehr wenig, doch immer noch dreimal mehr als der gesamte Energiebedarf der Menschheit im Jahr 2011.

Das eigentliche Energiepotential liegt jedoch in den Radionukliden des Urans (Deffeyes 1980) und des Thorium 232. Vor allem Letzteres ist in der obersten Erdkruste und in den Ozeanen in Mengen verfügbar, welche jeglichen Bedarf um Grössenordungen übersteigt (Hargraves 2012).

Exogene Dynamik

Unter exogener Energie versteht man sämtliche Energie, die von aussen auf die Erde eingetragen wird, also von der Sonne. Die auftreffende Sonnenenergie ist der Motor sämtlicher meteorologischer Prozesse wie Wind, Niederschläge, Wasserkreislauf und Meeresströmungen. Somit ist sie auch der Treiber von Verwitterung, Erosion von Gebirgen und Sedimentation. Ohne Solarstrahlung gäbe es auf der Erde auch kein Leben. Die Photosynthese als Quelle des Sauerstoffs in der Atmosphäre ist ein zentraler Prozess für das Leben auf der Erde.

Der Vollständigkeit halber seien auch noch die Gezeitenkräfte genannt, die eine Folge der Mondrotation um die Erde und Erdrotation um die Sonne sind. Gezeitenkräfte sind ein wichtiger Treiber von Meeresströmungen.

Die Solarkonstante bezeichnet die Sonnenbestrahlungsstärke im Abstand der Erde von der Sonne. Diese beträgt 1367 W/m2. Diese Strahlung trifft aufgrund der Kugelform der Erde und deren Rotation nicht überall gleich stark und zeitlich nicht gleichmässig auf. Unter Berücksichtigung dessen beträgt die mittlere auf die Erde eintreffende Solarenergie ca. 340 W/m2. Davon werden rund 77 W/m2 durch Wolken und Atmosphäre direkt reflektiert, weitere 22 W/m2 durch Albedo (Rückstrahlungseffekte, z. B. Schnee) direkt von der Erdoberfläche, sodass die effektive Einstrahlung etwa 240 W/m2 beträgt. Für Photovoltaik sind davon 165 W/m2 brauchbar (NASA 2009)

Aus den 240 W/m2 ergibt sich eine exogene Leistung von 36’000 TW (Terawatt = 1012 W). Der Energieverbrauch der Weltbevölkerung im Jahr 2011 betrug 17,7 TW. Dieser Vergleich zeigt, dass der Energieverbrauch der Menschheit in der Gesamtenergiebilanz der Erde ein Bestandteil um drei Grössenordnungen kleiner ist. Selbst bei einer Verdoppelung der Erdbevölkerung und einem weltweiten Pro-Kopf-Energieverbrauch wie heute in Europa würde dies die Gesamtenergiebilanz der Erde kaum messbar beeinflussen. Die Dynamik des Planeten Erde wird durch die Anwesenheit des Menschen also nicht wirksam verändert. Der menschliche Ressourcenverzehr hat aber eine Zustandsänderung zur Folge, den es in einen geologischen Rahmen zu stellen gilt.

Biomasse Mensch

Die Erscheinung des Menschen ist aus geologischer Sicht ein singuläres Ereignis. Die ersten Hominiden erschienen vor rund einer Million Jahren. Der Homo sapiens tritt vor rund 200’000 Jahren auf. Wie viele Menschen bis zum Beginn der Zeitrechnung auf der Welt gelebt haben, ist einigermassen spekulativ. Im Jahr 0 unserer Zeitrechnung wird die Weltbevölkerung auf rund 300 Millionen geschätzt (US Census Bureau). Zum Erreichen der ersten Milliarde brauchte es ganze 1800 Jahre. Zum Erreichen der zweiten Milliarde bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch gut hundert Jahre. Danach ging es immer schneller. Gegenwärtig nimmt die Bevölkerung innerhalb von nur 13 Jahren um eine Milliarde zu, das ist das grösste Wachstum aller Zeiten. Nach demographischen Voraussagen der UN sollte sich diese Zunahme gegen Ende des Jahrhunderts wieder etwas abschwächen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass dann mindestens zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern werden. Die geologisch nachhaltigen Auswirkungen dieser Bevölkerungsexplosion werden jedoch nicht der enorme Zuwachs an «Biomasse» sein, sondern das Resultat der veränderten Stoffströme.

Bis vor rund 200 Jahren versorgte sich die Menschheit weitgehend mit den direkt anfallenden und nachwachsenden Rohstoffen. Zwar werden seit vielen Jahrhunderten Erze für Bauteile, Werkzeuge, Waffen etc. abgebaut, doch ist dieser Verbrauch sowohl in der Summe als auch pro Kopf der Bevölkerung bescheiden und aus heutiger Sicht kaum umweltrelevant. Eine Übernutzung, bis auf historisch belegbare Entwaldungen im vorletzten Jahrhundert, findet nicht statt. Im Energieverbrauch entsprach die Menschheit über Jahrhunderte, bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, einer echten 2’000-Watt-Gesellschaft.

Die Beschleunigung des Bevölkerungswachstums nimmt ihren Beginn mit der Industrialisierung. Der kausale Zusammenhang zwischen Industrialisierung und dem Bevölkerungswachstum ist komplex. Der Beginn der Industrialisierung eines Landes geht meist einher mit einem starken Wachstum. Gründe sind eine bessere Versorgungssicherheit und bei besserer Hygiene, respektive besserer medizinischer Versorgung, eine geringere Säuglingssterblichkeit und höhere Lebenserwartung. Mit steigendem Wohlstand, Bildung und Sozialsystemen sinkt die Wachstumsrate wiederum bis zum Stillstand und entwickelt sich in den modernen Gesellschaften ohne die Zuwanderung sogar rückläufig. Die Statistiken der Vereinten Nationen gehen ab zweiter Hälfte dieses Jahrhunderts ebenfalls von einer Entschleunigung des Bevölkerungswachstums aus. Es ist anzunehmen, dass die gleichen Mechanismen, welche in den Industrienationen zu einer Entschleunigung geführt haben, dieser Überlegung zugrunde liegen. Das bedeutet implizit eine massive Zunahme des globalen Energieverbrauchs und nicht etwa eine Abnahme, wie von Politik und Umweltverbänden gefordert wird. (Abbildung 2) Hier liegt offensichtlich ein Dilemma vor: Hohe soziale Sicherheit dank verbessertem Wohlstand bedingt einen höheren Energieverbrauch. Einen Gegenbeweis können Anhänger der 2’000-Watt-Gesellschaft nicht vorlegen. Vielmehr interessiert die Frage, welche auch im Zentrum des Weltklimarates IPCC steht: Wie verkraftet das der Planet Erde, und welche Auswirkungen hat das auf die Umwelt aus der Sicht der Menschheit?

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Abbildung 2: Bevölkerungswachstum von 1900 bis 2100 und der damit verbundene Energiebedarf.

Die Natur kennt keine Katastrophen