Agnes Harder: Schlumski

 

 

Agnes Harder

Schlumski

Eine Hunde- und Menschengeschichte

 

 

 

Agnes Harder: Schlumski. Eine Hunde- und Menschengeschichte

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gerrit Dou, Schlafender Hund mit Tonkrug, 1650

 

ISBN 978-3-7437-0138-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-790-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-791-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Gotha, Perthes, 1916

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Der Schäferkaro

Als ich meine Augen aufmachte, sah ich gerade über mir ein strahlendes Knabengesicht und hörte eine jubelnde Stimme:

»Neumann, jetzt können sie sehen! Der Gelbe hier hat eben geblinzelt, ich habe es ganz deutlich gemerkt!«

»Schön, junger Herr. Aber legen Sie ihn man wieder zurück. Was seine Mutter ist, die Freya, die knurrt all.«

Die kleine Knabenhand, die mich fest und derb an der Haut im Nacken hielt, ließ mich fallen, und ich fiel auf einen runden dunklen Gegenstand, meinen Bruder Wotan. Als ich ihn berührte, erkannte ich ihn sofort wieder. Ich hatte mich bisher in meiner kindischen Blindheit neben ihm herumgedrückt, ohne ihn zu sehen. Meine Mutter brachte mich mit einem zärtlichen Knurren wieder in die richtige Lage und leckte mir mit ihrer weichen Zunge einmal über den Rücken.

»Hörst du, Neumann, sie knurrt«, sagte der kleine Hans. »Sie ist böse, daß ich Schlumski angefaßt habe. Und er ist doch so niedlich. Wie schade, Neumann, daß die vier anderen tot gemacht sind.«

»He, junger Herr, wir haben all so genug. Und von diesen beiden muß auch einer fortgegeben werden, hat der gnädige Herr gesagt.«

»Welcher, Neumann?«

Ich horchte hoch auf.

»Das ist noch ungewiß, und das hat auch noch Zeit.« –

Jeden Tag kam Hans uns ein paar Mal besuchen. Es war sein letzter freier Sommer. Im Herbst sollte er einen Hauslehrer bekommen. Auch mein Bruder Wotan hatte nun seine Augen aufgemacht, und unter unserer Mutter hervor spähten wir nach dem Jungen aus. Freya nahm es nun nicht mehr übel, wenn er uns hochhob und zappeln ließ. Wir konnten nun schon derber angefaßt werden, und zuweilen ließ uns die Mutter auf den Hof, damit wir uns die Welt betrachteten. Mächtig groß war sie. An dem Schuppen, in dem wir geboren waren, zogen am Morgen und am Abend die Schafe vorbei, eine ganze Herde. Die Lämmer sprangen munter um ihre Mütter herum, aber der Schäferkaro war fixer als sie und trieb sie zusammen. Der Schäferkaro war unser Freund nicht. Am Abend saß er gerade aufgerichtet, wie eine Schildwache vor dem Stall, und wenn Wotan und ich uns bei unseren Spielen in seine Nähe kollerten, rumpfte er verächtlich die spitze Nase. Er spielte nie. Er war immer stramm, wie im Dienst. Sogar die fettesten Hammel hatten Angst vor ihm, und ich habe wohl gesehen, daß er einmal einen gebissen hat.

Auch die Hühner gingen um den Schäferkaro scheu herum, als trauten sie ihm nicht, ob er gleich keine Miene verzog, wenn ein unerfahrenes junges Ding einmal an seinem Futtertrog pickte.

Er sah eben zu streng aus. Es waren ganz getrennte Gesellschaften auf dem Hof. Die feinsten waren die Puten. Die Mamsell, die viel zu sagen hatte unter dem Federvieh, wurde ganz verrückt, wenn es plötzlich anfing zu regnen, und die jungen Puten waren draußen. Dann lief sie herum und schlug mit ihrer Schürze und jagte sie. »Wenn sie naß werden, sterben sie«, jammerte sie, »und zu Weihnachten sollen sie doch fett sein und geschlachtet werden.« Alle Mägde mußten die jungen Puten treiben, bis sie in Sicherheit waren. Wotan und ich fanden es verächtlich, daß die Prinzessinnen nicht einmal ein paar Regentropfen aushielten. Wenn sie dann im Sonnenschein wieder an uns vorbeistolzierten auf ihren langen Beinen und die Augenlider so recht müde zufallen ließen und sich vornehm taten, dann bellten wir ihnen nach: dumme Puten! dumme Puten!

Nach den Puten kamen gleich die Enten. So vornehm wie die Puten waren sie nicht; aber sie hatten ein eigenes Hütemädchen, die schwache Trine. Die war aber nur schwach im Kopf, nicht auf den Füßen, und konnte ihnen nachlaufen und sie beisammen halten mit ihrem langen Haselnußstecken, an dem oben noch die Zweige standen, wie eine Fahne. Aber nur die jungen Enten! Die Alten gingen immer in feierlichem Zuge, eine hinter der andern zum Teich, und dabei quakten sie ihr Leiblied:

 

»Wir sind blaue Schweden

Und fressen einen jeden,

Frosch oder Schneck,

Quak, quak, quek, quek!«

 

Sie waren furchtbar stolz darauf, daß sie blaue Schweden waren. Darum gingen sie immer eine hinter der anderen und watschelte so würdevoll. Nein, auf die großen Enten brauchte die schwache Trine nicht aufzupassen, aber auf die kleinen. Die trieb sie immer zum Teich und wieder zurück, und sah, daß jedes seine Portion gehackte Nesseln bekam, und sorgte für sie. Aber weil sie doch eben nur die schwache Trine war, vergaß sie manchmal ihr Amt. Dann fiel ihr der Stecken aus der Hand und sie sah auf die Vergißmeinnicht, die am Teich wuchsen, und träumte mit offenen Augen. Und dann kam jedesmal eine alte Krähe, die auf dem abgestorbenen Weidenbaum am Ufer lauerte, bis die schwache Trine ins Träumen kam, und trug ein Entlein weg. Das gab einen Mordsspektakel! Wotan stieß mich mit der Nase an, wenn wir ihn hörten, und wenn dann die alten Enten an uns vorbeimarschierten und traurig mit den Schwänzen wackelten, dann bellten wir:

 

»Quack, quack, quack, quack –

Rächt euch doch an dem Krähenpack!«

 

Aber das konnten sie nicht. Sie waren so dick, daß ihre Flügel ihren Bauch nicht in die Luft tragen konnten.

Am gemeinsten waren die Hühner. Sie blieben auch meistens unter sich, oder gingen in den Garten, auf die frischgesäeten Erbsenbeete. Und immerzu kamen Klucken mit Kücken. Es schien so, als sollte der ganze Hof mit jungen Hühnern überschwemmt werden. Hans sagte, er sähe aus wie eine Wiese mit Butterblumen, wenn die gelben Küchlein so über ihn hintrippelten.

Wotan und ich sahen das alles von unserem Schuppen an, und als wir größer wurden, war es unsere größte Freude, die Hühner zu jagen, immer im Kreise herum. Wir nannten das »blinde Kuh spielen«. Aber wir taten es nur, wenn gerade keiner von den Knechten und Mägden da war.

Nun gab es ein junges Huhn, das hieß Nackthälschen, denn auf seinem Halse wuchs nicht ein einziges Federchen. Nackthälschen wurde von all seinen Geschwistern gemieden und keines ging mit ihm zusammen. Auch seine Mutter kümmerte sich gar nicht um Nackthälschen. Es wurde immer vom Futter abgedrängt und wäre wohl verhungert, wenn nicht der kleine Hans ihm immer von seinem Frühstücks- und Vesperbrot abgegeben hätte. Dann stand er auf der Treppe der Veranda und lockte es:

 

»Nackthälschen, Schwarzröckchen,

Hol dir die Bröckchen!«

 

Und dann kam es angelaufen.

Wotan und ich, wir durften nicht auf die Veranda, aber immer, wenn Nackthälschen hinlief, ärgerten wir uns. Nackthälschen hatte uns nichts getan, aber wir konnten es nicht leiden. Und als wir immer übermütiger wurden, weil es uns so gut ging, da fingen wir an, Nackthälschen zu jagen. Es hatte schreckliche Angst vor uns und lief und lief. Aber weil es nur schwach war, wurde es bald müde. Da schnappte Wotan zu und wollte es haschen. Aber wie er es im Maule hatte, streckte es seine Beine aus und war tot.

Nun bekamen wir einen gewaltigen Schreck und verkrochen uns. Es war nur gut, daß niemand auf dem Hofe war, als der Schäferkaro. Es hatte sehr geregnet, und die Schafe waren nicht ausgetrieben. Aber nun kam Neumann, der Gärtner, gegangen. Vor dem toten Nackthälschen blieb er stehen und sah sich um. Schäferkaro sah gerade aus, wie ein ehrlicher Mann. Der Gärtner nickte ihm zu und sah zu uns. Wir machten schnell die Augen zu.

»Ihr Rackerzeug«, schrie er da. Und nun nahm er ein Stück Holz und schlug auf uns los, daß unsere Knochen knackten. Wir winselten und baten, aber es half nichts.

Da kam der kleine Hans.

»Neumann«, rief er, »schlag doch Schlumski und Wotan nicht tot«.

Aber der Gärtner zeigte auf Nackthälschen. Da fing der Junge an zu weinen und nahm das tote Huhn und sagte:

»Schlag zu! Schade um jeden Schlag, der vorbeigeht, sagt der Vater zu mir. Und ich will es begraben, und dem Lehrer sein Karl soll eine Predigt halten.« –

Am Abend lagen Wotan und ich neben der Pumpe, ganz windelweich geschlagen. Da kam der Schäferkaro, setzte sich vor uns hin, wedelte mit dem Schwanze, sah uns verächtlich an und knurrte:

»Nun habt ihr's! Aber das kann ich nicht länger mit ansehen. Zucht muß sein. Und ich werde euch erziehen. Ich selber. Ich bin der klügste Hund auf dem Hof, das wißt ihr doch. Wenn mein Herr sagt: Karo, heut treiben wir auf die Haferstoppeln, dann geht es auf die Haferstoppeln. Und wenn er sagt: Karo, heut über den jungen Roggen, dann zeig' ich den Weg. Ja, und ihr wißt, ob ich geachtet werde und die Nase hoch tragen kann. Und ich halte auf Ordnung und euch nehme ich nun in die Lehre. Morgens vor dem Austreiben eine Stunde, und abends nach dem Heimtreiben wieder eine. Und Sonntags während der Kirche ist Wiederholung. Ihr wißt noch nicht, wie das Hundeleben ist und seid übermütig.«

»Wie ist denn das Hundeleben«, fragte ich.

Da sah der Schäferkaro gerade aus über seine spitze Nase weg, und nun sah er fast ebenso aus, wie der Schäfer, wenn er die Brille auf der Nase hatte und den Strickstrumpf in der Hand und so ganz unbeweglich auf dem Stoppelfeld stand, und der Nebel wogte um ihn her.

»Das Hundeleben ist verschieden. Für uns, die wir auf dem Hof geboren werden, ist es meist nicht leicht. Aber es ist ehrenvoll. Denn kein Tier steht dem Menschen so nah, wie der Hund. Also sind wir die ersten von allen Tieren. Als der Schäfer noch jung war, und mein Großvater ging mit ihm hüten, da blieben sie in den langen Sommernächten draußen, auf dem Felde. Da stand eine Hütte auf Rädern, die konnte von einem Feld auf das andere gefahren werden. In der Hütte schlief der Schäfer. Und mein Großvater lag draußen und sah nach den Schafen, und der ganze Himmel war voll Sternen. Der eine aber war der Hundsstern. Da sieht man doch, wie wichtig wir Hunde sind, daß wir sogar einen eigenen Stern haben. Zu Weihnachten aber, wenn sich die Knechte im Schafstall das Erbsenstroh holen und den Pferdejungen damit einwickeln, der den Bären machen soll, wenn sie mit dem Schimmelreiter ins Herrenhaus gehen, dann erzählen die Knechte, unter dem Tannenbaum, den die gnädige Frau ansteckt, stehe eine Krippe. Und in der Krippe liege das Jesuskind. Und Hirten knieten davor und beteten es an. Dann nickt mein Herr, der Schäfer, mit dem Kopfe und sagt: ›ja, und der Schäferhund ist auch dabei‹. Na, da seht ihr's doch. Und morgen mit Sonnenaufgang geht der Unterricht los. Wir treiben doch nicht so früh aus. Es schadet den Schafen, wenn noch Tau liegt.«

So eine lange Rede hatte der Schäferkaro noch nie gehalten. Aber jetzt stieg der Vollmond über dem großen Heuschober empor. Und da erhob er sich und bellte ihn an. Denn er konnte ihn nicht leiden. Er sagte, er hätte ein zu großes, rundes, rotes Gesicht. Und als der Karo anfing zu heulen, da fielen alle Hunde im Dorf ein. Nein, ihr glaubt nicht, wie sie bellen konnten! Wotan und ich, wir dachten, der Vollmond würde nun gleich vor Schreck herunterfallen, in den Ententeich. Aber er stieg immer höher und höher, über all die weißen, kleinen Lämmerwölkchen hinweg.

Wotan und ich krochen auf unsere Decke, denn wir durften noch nicht mitheulen. Erst beim ersten Vollmond nach unserer Mündigkeit, so um die Herbst-Tag- und Nachtgleiche. Aber unser Herz zitterte vor Freude bei dem Hundekonzert.

Am nächsten Morgen, als der kleine Hans kam, um mit uns zu spielen, da sagte er:

»Der Karo bellt nur so, weil er neidisch auf den Mond ist. Der weidet all die Sternlein am Himmel und hat also viel, viel mehr Lämmerchen als er. Und nun ärgert sich der dumme Karo.«

Und dann sang Hans ganz laut:

 

»Wer hat die schönsten Schäfchen?

Die hat der goldne Mond,

Der hinter unsern Bäumen

Am Himmel droben thront.«

 

Aber der Schäferkaro machte so, als hörte er nicht und saß ganz steif und sah geradeaus über seine spitze Nase.

 

Prinzchen

Eines Tages fuhr der Kutscher mit den beiden Braunen zur Bahn, und als er zurückkam, saßen ein Herr und eine Dame im Wagen. Neben dem Wagen sprang ein schwarz und weiß gesprenkelter großer Hund einher, und die Dame trug auf dem Schoß ein winziges Wachtelhündchen, das hatte einen leichten, seidenen Mantel um zum Schutz gegen den Reisestaub. Der zweite Kutscher aber, der auch auf die Bahn gefahren war, brachte Berge von Koffern, Schachteln und Hutkisten mit.

Hans kam dieses Mal sehr spät zu uns herunter. Er hatte seinen allerbesten Matrosenanzug an und niedrige Strümpfe und war ganz rot im Gesicht, denn er hatte heimlich von der Erdbeerbowle getrunken.

»Pfui«, sagte er, »ihr seid garstige Hunde! Meine Tante Meta ist angekommen und mein Onkel Fredi. Und jedes hat seinen Hund mitgebracht. Onkels heißt Terro, und Tantens Prinzchen. Die dürfen aber nicht auf den Hof. Dazu sind sie viel zu fein. Terro trägt ein Halsband mit seinem Namen und der Straße, in der er in Berlin wohnt. Und Prinzchen hat einen ganzen Koffer mit Mänteln mit, in denen sind Taschen mit Schnupftüchern, auch ein paar seidene Hosen, und mindestens ein halbes Dutzend Halsbänder, eins mit lauter silbernen Glöckchen. Ich hab' Tante Meta gleich gebeten, ob Terro und Prinzchen nicht herunterdürfen, auf den Hof, mit euch spielen. Aber da ist sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Hofhunde sind schrecklich gemein, hat sie gesagt, und ihr Prinzchen sei ein süßer Liebling.« –

Ja, ich muß sagen, an dem Tage war Hans nicht gut mit uns. So hatte er noch nie mit Wotan und mir gesprochen, und ich denke auch, das kam nur, weil er von dem Wein genippt hatte. Und im Stillen schämte er sich auch sicher. Aber er kam nun viel seltener zu uns, denn die Herrschaften fuhren sehr oft aus, und Hans durfte auf dem Bock sitzen und mitfahren, und Terro lief nebenher. Prinzchen aber saß immer auf dem Schoß von Tante Meta und wurde mit einem seidenen Tuche zugedeckt, und kläffte jedesmal, wenn die Pferde anzogen.

»Was denkst du davon«, fragte ich den Schäferkaro, der nun unser Lehrer war.

Der Schäferkaro hatte zugehört, was uns Hans von den fremden Hunden erzählt hatte.

»Lieber Schlumski«, sagte er mit freundlicher Herablassung, »du mußt nicht denken, daß Hänschen schon sehr klug ist. Wenn ein Hund sechs Jahre ist, dann steht er in der Höhe seiner Kraft. Aber ein Mensch ist mit sechs Jahren gerade so weit, wie du und Wotan. Was weiß der kleine Hans vom Leben? Was den Terro anbetrifft, so streicht er ja zuweilen über den Hof. Ich habe den Herrn schon beobachtet und denke, wir werden noch etwas an ihm erleben. Und Prinzchen gehört doch nur zu den Kläffern. Wenn mir jemand eine seidene Decke geben wollte, würde ich ihn in die Waden beißen. Ein Hund, der immer auf dem Schoß liegt und um Zucker bittet, ist gar kein anständiger Hund. Zucker verdirbt den Charakter. Wartet ab, ihr werdet es erleben.«

Wotan und ich waren aber sehr neugierig. Immer wollten wir Prinzchen sehen und schlichen um das Haus und versteckten uns auf der Veranda. Wir konnten gar nicht begreifen, warum mit einem so kleinen Tier so viel Aufhebens gemacht wurde. Aber wirklich, alles drehte sich bei Tante Meta um Prinzchen. Wenn Musik gemacht wurde, stellte es sich hin und bläffte so lange, bis der Flügel geschlossen wurde. Wotan und ich fanden das Klavierspielen ja auch gräßlich. Karo hatte uns gelehrt, Menschen verstünden überhaupt nichts von Musik. Nur Hunde wüßten, wie man singen müsse. Aber Wotan und ich hätten nie gewagt, unsere Mißbilligung zu äußern. Dann hätte man uns sicher hinausgeworfen. Prinzchen aber stellte sich vor den Spieler oder Sänger hin und bei jedem hohen Ton bläffte er vor Wut.

Wir sahen auch, daß niemand im Hause Prinzchen leiden konnte. Die Diener und Mädchen hätten ihn gerne heimlich getreten, aber sie hatten Angst vor der Gnädigen. Die brachte ihn morgens in ihrer Morgenjacke zum Frühstückstisch. Auf den durfte er hinaufspazieren und von der Sahne lecken. Hänschens Mama wurde immer ganz rot vor Ärger, wenn sie es sah. Aber sie sagte nichts, denn Tante Meta war ihr Besuch.

Eines Tages waren Wotan und ich ins Haus geschlichen und hatten uns unter dem Schreibtisch verkrochen, während alles bei Tisch saß. Da hörten wir plötzlich Gläserklirren, und dann Schreien und Laufen. Wotan lugte um die Ecke und sagte mir, Prinzchen wäre auf den Tisch gesprungen und nun liefe der rote Wein über das Tischtuch. Aber dann kroch mein Bruder schnell zurück, und da kam Prinzchen schon angerast, eine Serviette zwischen den Zähnen, die riß er ritsch-ratsch entzwei, daß die Fetzen nur so flogen. Mit einem Bein war er in ein Stachelbeertörtchen getreten. Nun saß der Mürbteig wie ein Ring um seinen Fuß, und die Stachelbeeren kollerten hinter ihm her. Alle folgten ihm, und Tante Meta weinte und rang die Hände.

Jetzt geht es ihm aber schlecht, dachte ich, und ich muß gestehen, daß ich mich darüber freute. Aber es sollte anders kommen. Prinzchen hatte uns gewittert und blieb vor dem Schreibtisch stehen und bekam Zuckungen vor Wut. Hans zog uns hervor, und als Tante Meta uns sah, sagte sie, wir wären an allem Schuld; andere Hunde machten Prinzchen immer nervös, und wenn Hans uns nicht geschützt hätte, hätten wir womöglich Hiebe bekommen. Wir kniffen den Schwanz ein und liefen auf den Hof zurück. Von nun an verachteten wir Prinzchen und wollten nichts mehr von ihm wissen, und wenn er ausfuhr, versteckten wir uns, ja, einmal, als er auf den Hof kam, nur um zu zeigen, daß er wirklich rote Seidenhöschen anhatte, und so tat, als ob er an der Pumpe Wasser trinken wollte, machten wir die Augen fest zu und blinzelten nicht ein bißchen. Die Enten und die Hühner freilich waren vor Entzücken ganz außer sich, legten den Kopf auf die Seite und verdrehten die Augen. Aber der Puter wurde tückisch, bekam einen blauen Koller und fuhr auf Prinzchen los.

»Rote Hosen tragen die Franzosen«, kollerte er, »weg von unserer Pumpe, du Lumpe«.

Da hättet ihr sehen sollen, wie Prinzchen lief. Wotan und ich wälzten uns vor Freude. Nein, Mut hatte er nicht.

Seit dem durchgetretenen Stachelbeertörtchen kam Hänschen wieder zu uns. Es hatte gerade auf seinem Teller gelegen und war das letzte gewesen. Hans brachte uns einen herrlichen Knochen mit und bat uns förmlich um Entschuldigung. Und nun erzählte er uns Prinzchens Schandtaten. Jeden Tag gab es zerbrochene Gläser und zerrissene Spitzen, und seine Mama hatte immer Kopfschmerzen vor Ärger.

Schäferkaro nickte befriedigt, wenn wir's ihm am Abend berichteten. Und dann war's eines Tages aus. Der Diener kam auf den Hof gelaufen und schrie dem Kutscher zu, er solle anspannen und zum Arzt fahren, und als der ihn fragte, was denn los sei, hielt er sich die Seiten vor Lachen.

»Das Biest, das Prinzchen, hat seine Gnädige in die Nase gebissen. Ein nettes Prinzchen!« –

Und so war es. Tante Meta war krank, trug ein Pflaster auf der Nase, und der Arzt hatte gesagt, es würde eine tüchtige Narbe geben. Sie wollte Prinzchen, den Undankbaren, nie wieder sehen. Hans erzählte uns alles.

»Er kommt fort«, sagte er. »Papa wollte ihn ersäufen. Aber Tante Meta bat noch für ihn. Sie wird ihn einem zoologischen Garten schenken. Heute Abend wird er abgeschickt, damit er in der Nacht reist und nicht so unter der Hitze leidet.«