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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2019

 

Für die Originalausgabe:

© 2009 by Z.A. Maxfield

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Physical Therapy«

Published by Arrangement with Z.A. Maxfield

 

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

 

ISBN-13: 978-3-95823-776-6

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Susanne Ahrens


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Als Physiotherapeut Jordan Jensen nach St. Nacho’s zieht, hat er nur einen Wunsch: neu anzufangen. Nachdem er wegen Trunkenheit am Steuer einige Zeit im Gefängnis verbringen musste, will er sein Leben nun in den Dienst anderer stellen, um seinen Fehler wiedergut-zumachen. Als er Ken Ashton kennenlernt, sucht ihn seine Vergangenheit jedoch allzu bald heim, denn Kens Sportlerkarriere wurde durch einen betrunkenen Autofahrer ruiniert. Ob-wohl Ken jeden Grund hätte, Jordan zu hassen, sehnt er sich nach Jordans Berührungen, die ihm Trost und Geborgenheit spenden. Wird sich St. Nacho’s ganz besondere Atmosphäre auch hier entfalten und die Wunden der beiden Männer heilen können?

 


 

 

 

 

 

Für meine Mom,

deren Ausflüge in die Homöopathie,

Massage und Akupressur mich aus gutem Grund

zum seltsamsten Kind unserer Straße

gemacht haben.

 

5.1.1925 – 28.4.2009


 

Kapitel Eins

 

 

Die Scheibenwischer meines alten Hondas klatschten zum Rhythmus der Musik aus dem Radio. Es war ein so gespenstischer Zufall, dass ich von einem Sender zum nächsten wechselte, bis ich endlich bei einem Jazz-Sender hängen blieb, der eine leise Bluesnummer spielte.

Als die Regentropfen sich miteinander verbanden, bildeten sie Rinnsale, die wiederum zusammenliefen und in Streifen im unzureichenden Licht das Glas hinabflossen. Neben dem schwarzen Gerippe eines hölzernen Piers verlangsamte ich meine Fahrt zu einem Kriechen, bis ich den Wagen anhielt und ausstieg. Dass nach wie vor Regen fiel und auf meine Kleidung einpeitschte, nahm ich kaum wahr.

Der Pier war lang, düster und verlassen. Seine Stützpfeiler ächzten unter der Wucht des heranrauschenden Wassers, das um sie herumfloss und -wirbelte. Es kam mir vor, als stünde der Pier auf unsicheren Beinen, wie ein Hund, der entsetzt beobachtet, wie das Wasser am Sand unter seinen Pfoten zerrt und reißt, wenn die Welle sich zurückzieht. Ich stand in diesen Tagen oft wie erstarrt da und hatte das Gefühl, dass mir etwas den Boden unter den Füßen wegriss.

Zum ersten Mal seit fast einem Jahr zuckten meine Hände vor Verlangen nach einer Zigarette. Ich konnte sie beinahe zwischen meinen Fingern spüren wie ein Phantomglied. Ich ging los, der abgenutzte Bau zog mich einzig mit dem schieren Ausmaß seiner Trostlosigkeit an.

Von meinem Standpunkt am Pier aus konnte ich Ufergeschäfte im winzigen Santo Ignacio erkennen. Zu dieser frühen Morgenstunde waren die Lichter erloschen. Ich hatte meine Entscheidung, nach Santo Ignacio zu ziehen, spät am Nachmittag getroffen. Hatte impulsiv alles, was ich besaß, in ein paar Kartons und Taschen geworfen, mich von meinem Mitbewohner verabschiedet und war losgefahren. Ich hatte immer gewusst, dass ich hier landen würde. Es war mir nur nicht klar gewesen, wann ich endlich entscheiden würde, dass es an der Zeit war.

Ich war um kurz vor elf Uhr nachts eingetroffen und hatte in mein trostloses Motelzimmer eingecheckt, war aufs Bett gefallen und beinahe sofort in Tiefschlaf gesunken. Ich hatte kaum länger als zwei Stunden geschlafen, als ich erfrischt wieder auf die Beine kam, begierig, mich in dem winzigen Küstenstädtchen umzusehen.

Nun, gegen drei Uhr morgens, war ich meilenweit das einzige wache Lebewesen. In Wanderschuhen stiefelte ich durch den Sand, nur ein kleines Stück weit, bis ich das erloschene Schild der Nacho's Bar erkennen konnte. Dort arbeitete mein Freund Cooper. Es erfüllte mich mit Befriedigung, es zu sehen. Nicht, dass ich vorhatte, tagsüber dorthin zurückzukehren, wenn geöffnet war. Es war einfach… Es fühlte sich gut an, dass der Ort, von dem Cooper mir erzählt hatte, da war. Ich war froh zu wissen, dass er wirklich existierte. Dass ich ihn gefunden hatte.

Mein Handy brannte in meiner Tasche. Ich würde Cooper nicht anrufen, denn er war glücklich und zufrieden. Cooper hatte sich ein neues Leben aufgebaut, zusammen mit seinem neuen Liebhaber Shawn. Es würde nicht leicht werden, Cooper zu sagen, dass ich in der Stadt war, denn es gab so vieles an mir, das er nicht verstehen würde.

Der erste und wichtigste Punkt war, dass ich nicht hergekommen war, um Cooper zurückzuerobern. Es würde mir allerdings kaum gelingen, ihn davon zu überzeugen, und ich wollte es daher gar nicht erst versuchen. Selbst zu meinen besten Zeiten war ich nicht immer auf dem Pfad der Wahrheit gewandert, und Cooper hatte mich zu meinen schlechtesten erlebt.

Sobald er herausfand, dass ich in Santo Ignacio war, würde er davon ausgehen, dass ich wegen ihm hier war. Dass ich nicht über ihn hinweg war, dass ich ihm immer noch die Schuld für den Unfall in unserer Vergangenheit gab, dass es mir nicht besser ging. Dass ich nicht jenen Schalter in meinem Leben umgelegt hatte, der es mir möglich machte, mich von ihm zu lösen.

Aber das hatte ich getan.

Zu beweisen, dass ich mich verändert hatte, würde eine Mischung aus Zeit und Geduld erfordern. Ich war in der Hoffnung nach Santo Ignacio gekommen, dass ich hier dasselbe finden würde wie Cooper – keine Liebe, auch wenn Cooper sie eindeutig gefunden hatte. Für mich fühlte es sich jedoch an, als wäre Liebe zu viel der Hoffnung. Ich hatte meinen Teil bereits bekommen und ging davon aus, dass ich nicht mit mehr rechnen durfte.

Vielleicht wollte ich Frieden finden. Vielleicht war ich nach Santo Ignacio gekommen, um Wurzeln an einem Ort zu fassen, von dem ich wusste, dass ich dort Freunde hatte. Vielleicht wollte ich endlich einmal etwas geben, statt zu nehmen.

Ich wandte mich von Nacho's Bar ab und ließ mein Handy in die Tasche gleiten. Santo Ignacio war eine recht kleine Stadt. Früher oder später würde Cooper herausfinden, dass ich hier war. Möglicherweise lag dieser Moment weit genug in der Zukunft, dass er keine Bedrohung in mir sehen würde. Vielleicht nicht.

Während ich mich auf den Fahrersitz meines Civics quetschte, sah ich mich ein letztes Mal flüchtig um. Wolken zogen rasch an einem nach oben gewandten Halbmond vorüber. Es fiel immer noch Regen, schlug gegen den Wagen und tropfte in mein Haar, als ich die Tür zuzog. Der kleine Spaziergang am Strand hatte ausgereicht, um mich bis auf die Haut zu durchnässen.

Ich kehrte ins Hotel zurück und pellte mich aus einer Schicht nasser Kleidung nach der anderen. Es war keine Zeitverschwendung gewesen, rauszugehen und sich umzuschauen. St. Nachos existierte und sah genauso aus, wie Cooper es beschrieben hatte.

Zum ersten Mal seit Jahren regte sich vage Hoffnung in mir.

 

***

 

Am nächsten Tag unternahm ich zu Fuß meine ganz eigene, inoffizielle St.-Nachos-Tour, als ich um sechs Uhr in der Früh mit einem großen Becher Kaffee in der Hand durch die schmalen Straßen ging.

Der Regen hatte nachgelassen, aber alles war feucht und durchweicht, die Markisen tropften noch und Reifen quietschten, wenn ab und zu ein Auto vorbeifuhr. Obwohl es ein Werktag war, war es in St. Nachos so früh am Morgen ziemlich still. Es gab noch keinen nennenswerten Verkehr und nur das Kaffeehaus war offen. Es schien kaum möglich, aber St. Nachos wirkte tatsächlich noch kleiner als River Falls, Wisconsin, wo Cooper und ich aufgewachsen waren.

Das konnte sowohl Fluch als auch Segen sein. Alles in allem gefiel mir das Kleinstadtleben, aber wenn ein Mann es erstmal an einem Ort vergeigt hatte, an dem jeder wusste, wer er war und was seine Mom am Vortag zum Abendessen gekocht hatte, konnte er niemals wieder heimkehren. Diese Lektion hatte ich bereits auf die härteste Tour der Welt gelernt und beinahe zugelassen, dass sie mich zerstörte. Es hatte Cooper und seine abgrundtiefe Freundschaft gebraucht, um nicht alles, was von meinem Leben übrig war, mit beiden Händen in die Toilette zu werfen.

Ich fand das Gebäude, nach dem ich gesucht hatte. Ein schäbiges Ziegelstein-Karree im Industriestil, das auf beeindruckende Weise fast einen ganzen Block einnahm. So war es auch. Zwar ein Kleinstadt-Block und ein Teil davon bestand aus Parkplätzen, aber er sah bestimmt nicht nach einem Fitnessstudio aus. Die Doppeltüren waren noch verschlossen, aber jede Minute sollten sie geöffnet werden.

Das zirkusartige Schild, das sich über den Glastüren an der Front in den Himmel erstreckte, verriet alles. Day-Use Ex Machina, Fitness Solutions, täglich geöffnet von sechs bis wer weiß wann? Die Beschriftung auf der Tür lautete: Unwahrscheinlich die Besten.

Jepp. Das ist es, dachte ich. St. Nachos. Cooper hatte sich so viel Unsinn nicht ausdenken können. Ich verbiss mir ein Lächeln und schirmte meine Augen mit der Hand ab, um durch das Glas zu spähen. Daran, wie das Licht flackerte, erkannte ich Bewegung im Innern. Vielleicht der Schatten von jemandem, der umherging.

Ich klopfte dreimal gegen das Glas und versuchte, es klingen zu lassen, als wollte es grinsend verkünden: Hey, ich bin ein freundlicher Typ, der nur vorbeigekommen ist, um nach Arbeit zu fragen.

Eine Frau, die ich auf Mitte fünfzig schätzte, schielte aus der Tür hinter der Rezeption. Sie hatte eine Sprühflasche und einen Lumpen bei sich und als sie mich entdeckte, grinste sie und kam nach vorn. Sie öffnete die Tür und begrüßte mich warmherzig.

»Ist es schon sechs?«, fragte sie und verrenkte den Hals, um einen Blick auf die Wanduhr zu werfen. »Ah. Beinahe.«

»Tut mir leid«, sagte ich, nun, da ich sie dazu gebracht hatte, vorzeitig die Tür zu öffnen. »Ich habe Sie herumlaufen sehen und…«

»Es soll mir keiner nachsagen, dass ich jemanden, der enthusiastisch genug ist, um vor der Öffnungszeit herzukommen, nicht willkommen heißen würde.« Sie zeigte mit ihrer Sprühflasche umher. »Ich bin oft in den frühen Morgenstunden hier. Wenn ich mich nicht jeden Tag um die Männerumkleide kümmere, stinkt es da schnell nach Arschritze. Männer sind wirklich ganz anders als Frauen.« Sie seufzte.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass sie auf eine Antwort von mir wartete. »Ehm, ja, sind sie«, sagte ich. Es fiel mir schwer, nicht zu starren. Aus der Entfernung hatte die Frau, der ich mich gegenübersah, nicht…

Na ja, sie hatte sicher groß ausgesehen. Aber die Frau, die nun vor mir stand, war rund fünf Zentimeter größer als meine 1,82 m. Sie besaß die Muskeln eines Bodybuilders und einen unnatürlich dunklen Teint. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der aus der Nähe so… robust wirkte.

»Also, bleibst du eine Weile in der Stadt? Oder möchtest du nur einen Tagespass?«, fragte sie, ging zum Tresen und schaltete einen großen, alten Computer an. »Oder möchtest du dich lieber erst einmal umschauen, bevor du buchst?«

»Ich suche nach Arbeit«, sagte ich. »Ich komme wegen der Anzeige. Im Internet.«

»Wirklich?« Sie betrachtete mich eulenhaft, was mich vermuten ließ, dass sie nicht sonderlich gut sah.

»Ja«, erklärte ich. Unter ihrem Blick wurde ich verlegen. Aber es war immerhin nicht so, als ob ich meine Rede nicht bereits seit einer Woche geübt hätte. »Ich habe einen Abschluss vom College. Ich besitze ein Zertifikat für Massagetherapie in zweiunddreißig Staaten der US, und ich habe das letzte Jahr damit verbracht, mir in San Francisco ein Zertifikat als Massagetherapeut und Personal Trainer in Kalifornien zu erarbeiten. Ich bin auf Rehabilitation von Sportlern spezialisiert. Aber ich habe auch nichts gegen andere Arbeiten einzuwenden. Saubermachen, Buchhaltung. Ich habe darüber nachgedacht, nach St. Nachos zu ziehen. Also habe ich gegoogelt und deine Anzeige gefunden.« Ich breitete die Arme aus. »Und hier bin ich.«

Sie nickte und ich hatte den Eindruck, dass ich fortfahren sollte.

»Auf der anderen Seite…« Ich bemühte mich, ihr ins Gesicht zu sehen und fand es schwieriger, als ich mir vorgestellt hatte. »… habe ich meinen halben Abschluss im Gefängnis gemacht. Ich bin in Wisconsin für einen tödlichen Verkehrsunfall unter Einfluss von Alkohol verurteilt worden.« Ich brachte es heraus, alles auf einmal, und empfand Erleichterung. »Hier.« Ich reichte ihr, was mein Berater an der Schule als meinen Curriculum Vitae bezeichnet hatte.

Sie starrte mich mit verblüfftem Ausdruck an.

»Mein Lebenslauf. Alles da.«

»Vielleicht könntest du mit deinem Namen anfangen?«

»Oh.« Ich wischte die Hand an meiner Jeans ab, bevor ich sie entgegenstreckte. »Ich bin Jordan Jensen.«

»Isabelle Atherton«, sagte sie. »Izzie.« Sie drückte fest meine Hand und bedeutete mir, ihr zu folgen. »Mein Büro ist hier hinten.«

Sie führte mich in einen winzigen, vollgestopften Raum mit Drahtregalen und einem unaufgeräumten Schreibtisch. Mir fielen die Poster von Bodybuilding-Wettbewerben für Frauen auf, die wild an die Wände geklebt waren. Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass es größtenteils Bilder von Izzie selbst waren. Ich starrte sie offen an, bis sie leise hüstelte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.

»Entschuldigung«, murmelte ich.

»Nun, ich vermute, du hast eine recht ordentliche Geschichte zu erzählen.« Sie sah meinen Lebenslauf durch und betrachtete dessen Rückseite. »Selbst in besseren Zeiten ist es schwer, an einen Job zu kommen.«

»Ja.«

»Du hast da ein paar heftige Sachen auf dem Kerbholz.« Sie legte meine Papiere beiseite und sah mich über gefalteten Händen an. »Warum genau sollte ich jemanden mit einer solchen Vergangenheit einstellen?«

Ich wand mich innerlich. Meine Übergangsberater hatten mir gesagt, dass ich diese Frage erwarten sollte. Ich hatte einige Kurse in Berufsplanung besucht und sie hatten mir genau diese Frage in einem Übungsgespräch entgegengeschleudert. Das machte es aber nicht leichter, sie zu hören.

»Ich sollte dir jetzt sagen, wie qualifiziert ich für diese Stelle bin und dass ich meine Arbeit so gut ich kann erledigen werde. Ich sollte dich jetzt anlächeln und dich mit meinem Charme für mich gewinnen. Ich könnte dir erzählen, dass ich eine Reihe Empfehlungsschreiben von Lehrern und Kirchenmännern habe. Ich könnte dir sagen, dass ich meine Vergangenheit bereue und alles tun würde, um sie ungeschehen zu machen. Ich könnte auch behaupten, dass ich inzwischen ein anderer Mann geworden bin und dass ich es dir beweisen werde, wenn du mir auch nur die kleinste Chance gibst.« An dem Punkt gingen mir die Worte aus und ich schwieg einen Augenblick, während ich ihr dabei zusah, wie sie mit ihrem Bürostuhl vor und zurück wippte.

Sie wirkte wie jemand, der nicht gut mit Stillstand zurechtkam. Ich konnte das verstehen, aber unglücklicherweise wippte mein Stuhl nicht. »Ich weiß nicht, warum du mich einstellen solltest, aber ich wünschte, du würdest es tun«, sagte ich. »Du würdest es nicht bereuen.«

»Du bist dabei«, sagte sie schlicht. »Versau es – stell irgendetwas an, was du nicht tun solltest, auf welche Weise auch immer – und ich gebe dir genau eine Minute, loszulaufen, bevor ich dafür sorge, dass es dir leidtut, auch nur geboren worden zu sein.«

Ich stieß einen tiefen Luftzug aus und lächelte. Ich sagte nicht Zu spät, aber es ging mir durch den Kopf.

Sie stand auf und setzte sich wieder in Bewegung, und ich folgte ihr mit Blicken an all den Bildern entlang, die sie eingeölt und posend zeigten. »Ich werde dir eine Liste mit Aufgaben geben, von denen ich will, dass du sie übernimmst. Wann kannst du anfangen?« Sie ging zu einem Aktenschrank und zog eine Schublade hervor.

Immer noch überwältigt von meinem Glück antwortete ich ein wenig langsam. »Wann immer du mich brauchen kannst. Nenn mir einfach einen Zeitpunkt.«

Izzie wühlte umher und zog schließlich etwas hervor, das nach einem Stapel Formulare aussah, die ich ausfüllen sollte. »Jetzt wäre gut. Wir haben derzeit außer mir keinen Personal Trainer bei der Hand. Unsere Kundschaft besteht im Wesentlichen aus zwei Gruppen. Wir haben die Leute, die in erster Linie herkommen, um sich zu unterhalten und zu behaupten, dass sie trainiert haben, und wir haben die Leute von der freiwilligen Feuerwehr und der Polizei, die das Studio für regelmäßige Work-outs nutzen.

Das sind die ernsthaften und regelmäßig vorbeikommenden Kunden. Dazu kommen ein paar Bodybuilder aus der Stadt, die gern Gewichte stemmen und Muskeln aufbauen wollen. Einige Gesundheitsfanatiker. Wir haben zwei oder drei Mitglieder, mit denen ich an ihrer Rehabilitation nach Unfällen arbeitete, und drei, die nach Operationen eine Sport-Reha brauchen.

Die örtlichen Chiropraktiker und Orthopäden überweisen Kunden, wenn sie der Meinung sind, dass sie vom Krafttraining profitieren könnten.« Ich hörte sie leise hinzufügen: »Als ob das nicht für jeden gilt.«

Ich schwieg, während sie sprach, und fragte mich, welche Aufgaben mir zufallen würden. »Ich habe schon früher in Studios gearbeitet. Steht in meinen…«

»Ich hab's gesehen.« Sie drehte sich zu mir um und reichte mir einen Stapel Papiere. »Die ersten drei Formulare musst du sofort ausfüllen und anschließend kannst du mich wissen lassen, welche Schichten du vorziehst. Nimm den Rest mit zu dir nach Hause und bring sie mir bis morgen ausgefüllt zurück. Ich bin von morgens bis abends hier und ehrlich gesagt…« Sie ließ sich zurück in ihren Stuhl fallen. »… allmählich macht es mich mürbe.«

Ich grinste. »Ich arbeite die Stunden, die du für mich aussuchst. Was immer am besten passt. Ich bin einfach dankbar…«

»Was das angeht…« Sie schürzte die Lippen. »Ich will deine Dankbarkeit nicht. Ich will deine harte Arbeit und deine Hingabe. Vielleicht sogar deine Verehrung.«

Ich starrte sie an, da sie nach ihrer letzten Bemerkung nicht grinste. Selbst nach einer oder zwei Minuten nicht, nach denen jeder, der bei klarem Verstand war und gerade verkündet hatte, dass er angebetet werden wollte, definitiv gelächelt hatte.

»So«, sagte sie nach wie vor ernst. »Brauchst du einen Stift?«

»Nein.« Ich griff in die Tasche meiner Jeans. »Ich habe… ich habe einen dabei.«

»Sehr gut. Wenn du fertig bist, findest du mich in der Umkleide der Männer. Wenn du wirklich sofort anfangen willst, kannst du da für mich übernehmen.«

»Klar«, sagte ich und beäugte das Einstellungsformular. »Ich komme rüber.«

»Du kannst sie nicht verfehlen«, sagte sie. »Ihr haftet ein unverwechselbar männlicher Geruch an.« Sie schauderte.

Seufzend sah ich sie an und faltete behutsam meine Hände, um den Drang zu zappeln zu unterdrücken. »Nur, damit du Bescheid weißt…«, begann ich. »Und damit wir uns nicht irgendwie falsch verstehen… Ich finde diesen unverwechselbar männlichen Geruch anziehend. Wenn du ein Problem damit hast, jemanden einzustellen, der schwul ist…«

»Auch noch schwul?« Endlich, endlich lachte sie. »Deine Bewerbungstaktik ist ein bisschen holprig, Jordan. Du könntest dich nicht mal an eine Drückerbande verkaufen.«

»Entschuldigung?«

»Zu deiner Information: Ich würde nie jemanden einstellen, nur weil er eine blitzblanke Vita und Fotos vorzuweisen hat, die ihn beim Abendessen mit den gekrönten Häuptern Europas zeigen. Und andersherum würde ich niemanden wegschicken, weil er in der Vergangenheit ein paar richtig schlechte Entscheidungen getroffen hat. So arbeite ich nicht.«

Izzie kam nach vorn und tätschelte mir verlegen den Arm. Eine Geste, die sie vielleicht für aufmunternd hielt, aber dank der Muskelberge an ihren gebräunten Armen jagte sie mir einen Mordsschiss ein.

»Wonach suchst du deine Angestellten dann aus?«, fragte ich endlich, sobald ich wieder Gefühl in meinen Fingern hatte.

»Ich schau mir einfach ihre Aura an. Ich wusste sofort, dass ich dich einstellen würde, aber hatte immer noch das Bedürfnis, das übliche Prozedere abzuwickeln. Ich hoffe, das stört dich nicht.«

»Nein.« Ich meinte es ehrlich. »Meine Aura?«

»Ja. Sie ist sehr lebhaft. Es wird eine Freude sein, sie zu betrachten.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um, bevor sie den Raum verließ. »Wenn du fertig bist…«

»Sehen wir uns in der Männerumkleide. Verstanden.«

Sie grinste mich an. »Die Jungs werden ja so froh sein, dass sie sich nicht mehr vor mir umziehen müssen. Ich fürchte, ich neige zum Starren.«

Sie ließ mich allein, damit ich die Papiere ausfüllen konnte. Zu spät ging mir auf, dass ich nicht gefragt hatte, wie genau meine Aura aussah. Ich runzelte die Stirn, als ich auf den Stift in meiner Hand sah. Vielleicht wollte ich das gar nicht wissen.


 

Kapitel Zwei

 

 

Bis ich den ersten Teil der Formulare ausgefüllt hatte, legte der Betrieb im Day-Use zu. Ich übernahm meinen Posten in der Umkleide und befreite Izzie von ihrer Sprühflasche. Sie hatte einen Korb mit Reinigungsmitteln und Putzlappen bei sich und ließ mich damit allein.

Man kann mit Sicherheit sagen, dass ich nach mehreren Jahren im Gefängnis und im Entzug wusste, wie man ein Badezimmer sauber macht. Groß oder klein, häufig frequentiert oder kaum genutzt, es gab kein Badezimmer der Welt, das nicht von gewissenhafter Pflege profitierte, und ich stürzte mich in die Arbeit.

Männer marschierten herein und hinaus, ohne mir großartig Aufmerksamkeit zu schenken, solange sie nicht um mich herumgehen mussten. Das war mir nur recht. Es war sogar irgendwie tröstlich, dass ich mich anonym zwischen ihnen bewegen konnte.

Während ich die Waschbecken polierte und die Urinale desinfizierte, entspannte ich mich. Mir gefielen die ungeschickten Unterhaltungen der Männer, wer in der Umkleide redete und scherzte und wer es bedächtig vermied, einem anderen in die Augen zu sehen, während er pinkelte.

Ich hatte Cooper bei mehr als einer Gelegenheit sagen hören, dass es in Santo Ignacio – oder St. Nachos, wie alle es zu nennen schienen –, keine ehernen Regeln für die Bewohner gab, abgesehen davon, sich respektvoll und anständig zu verhalten. Er hatte sich hier mit Shawn, der mit einem Abschluss in Theater von der örtlichen Uni abgegangen war, ein Leben aufgebaut. Keiner von ihnen schien größere Ziele zu haben, als in Nacho's Bar zu arbeiten und auf freiwilliger Basis in öffentlichen Parks und Gemeinschaftszentren Musik und Theater für die Einwohner zu spielen.

Ich hielt das für großartig, aber wenn ich mich in der Stadt umschaute, fragte ich mich, ob sie überhaupt Zuschauer hatten.

Es war fair, Santo Ignacio als entspannt zu bezeichnen. Vielleicht sogar als verschlafen. Es war erst acht Uhr an einem Dienstagmorgen und ich war bereit, im Zweifel für den Angeklagten zu sprechen. Sonst hätte ich es als komatös bezeichnet. Angesichts meiner Vergangenheit freute ich mich über alles, was es mir an Frieden und Ruhe zu bieten hatte.

Als ich aus der Umkleide kam, fing Izzie mich ab und stellte mich einigen Kunden vor. Eine Gruppe älterer Frauen schwirrte um die Trainingsgeräte wie Motten ums – aber mit einem gesunden Respekt betrachtete – Licht.

»Diese Damen bilden die Ortsgruppe der Red Hat Society«, erklärte Izzie mir und bedeutete mir, mit ihr zu kommen. »Sie trainieren normalerweise dienstags und donnerstags. Das ist Jordan. Er ist heute meinem Team beigetreten.«

Ich deutete ein Winken an und lächelte. »Hallo.« Ich muss nervös gewirkt haben, denn eine von ihnen ergriff sanft meinen Arm und drückte ihn.

»Bist du neu in Santo Ignacio?«, fragte sie. Mir gefielen ihre Augen. Sie waren von einem hübschen Braun und die Haut außen herum war von feinen Falten durchzogen, was den Eindruck erweckte, dass sie häufig lächelte.

»Ja, Ma'am«, erwiderte ich. »Ich bin erst gestern angekommen.«

Izzie holte sich mit einem lauten Händeklatschen ihre Aufmerksamkeit zurück und ließ uns alle zusammenfahren. »Jordan ist hier, um euch beim Training behilflich zu sein, und falls ihr irgendwelche Fragen zu den Maschinen oder eurem Work-out habt, bin ich mir sicher, dass er sie gern so gut er kann beantworten wird.« Sie lächelte mir zu.

Ich stieß den Atem aus, den ich unbemerkt angehalten hatte. Ein interessanter Weg, um mich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen. Dennoch fiel mir auf, dass die Damen sich darauf freuten, mir ihre Fragen zu stellen, denn sie seufzten erleichtert auf, als Izzie sie mir überließ.

Für einen Moment herrschte Stille, dann brach hektische Betriebsamkeit aus und plötzlich stellten sie ihre Fragen alle auf einmal. Es half nichts: Ich musste ihre Unterlagen durchsehen, da ich keine Ahnung hatte, von was sie redeten. Jede von ihnen hatte einen eigenen Trainingsplan, eigens von Izzie auf ihre Bedürfnisse angepasst. Doch wie es aussah, war Izzie zu beschäftigt gewesen oder vielleicht, wie ich vermutete, auch ein bisschen ungeduldig, und hatte nicht alles genau erklärt oder die Pläne der Damen geändert, sobald sie sich an den Ablauf gewöhnt hatten.

Während sie den Aktenschrank für Kunden durchsahen, um ihre Unterlagen für mich zu holen, sah ich mich um. Ich vermutete, dass das Gebäude ursprünglich eine industrielle Fertigungsanlage beherbergt hatte.

Izzie hatte es offenbar kernsanieren lassen und dabei nur das Ständerwerk für die Statik zurückgelassen. Dadurch waren verschiedene Bereiche fürs Gewichtheben entstanden sowie ein Areal mit einer Reihe älterer Fitnessgeräte der Marke Nautilus.

In einer Ecke standen Laufbänder und Spinning-Räder, beide sowohl aufrecht an der Wand in Wartestellung als auch bereitliegend zur Verwendung. An einem Ende des Raums führte eine Tür zu der Umkleide der Männer, auf der anderen Seite eine weitere zu den Frauen. In die Wand hinter der Frauenumkleide war eine doppelte Glastür eingelassen, die in etwas mündete, was nach einem Tanzstudio aussah. Die Spiegel an den Wänden dienten vermutlich Tanzsportkursen.

Ich hatte mir den Kursplan noch nicht angesehen, aber in den Fitnessstudios, in denen ich in San Francisco gearbeitet hatte, waren alle möglichen Formen von Tanz-Work-out angeboten worden. Ich stellte mir meine Damen von der Red Hat Society in einigen der anzüglicheren Kurse wie Bauchtanz oder Strip-Aerobic vor und musste mir ein Auflachen verbeißen. Da kamen sie auch schon mit ihren Akten wieder, alle auf einen Haufen. Sie erinnerten mich an kleine Schulmädchen.

Ich konnte nach wie vor nicht den Finger darauflegen, aber vieles berührte mich in diesen Tagen auf eigenartige Weise. Die Dinge erschienen mir entweder kristallklar oder komplett schleierhaft. In meinen Gedanken entstanden Verbindungen, die ich nie zuvor gezogen hatte, wie zum Beispiel mir diese Damen als kleine Mädchen vorzustellen. Es machte mich froh, ihnen helfen zu können, ihnen ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken, denn vielleicht ist das etwas, das wir alle manchmal brauchen.

Hinter der Wand, hinter der sich auch die Umkleide der Männer verbarg, schien es eine Art Privatraum mit einer stabilen Tür zu geben. Auf einem Schild daran stand Therapie. Vielleicht würde ich dort Massagen geben können oder möglicherweise war das auch der Ort, an dem Izzie die Reha-Einzeltermine mit Verletzten abhielt. Als lizenzierter Physiotherapeut konnte ich mit Patienten arbeiten und ich hatte eine Menge Kurse in therapeutischer Massage besucht.

Wenn etwas Gutes daran war, in River Falls aufzuwachsen, dann war es die Tatsache, dass an der örtlichen Uni das alljährliche Trainingscamp einer großen Football-Mannschaft – der Kansas City Chiefs – stattfand.

Sobald ich weit genug zu mir gekommen war, um darüber nachzudenken, mit was ich mir zukünftig meinen Unterhalt verdienen könnte, war dieser wirklich interessante Artikel in der Zeitung erschienen. Er handelte vom Team, den Trainern, den Ärzten, Physiotherapeuten und der restlichen Entourage, die die Millionen-Dollar-Körper auf der Spitze ihrer Leistungsfähigkeit hielten. Es hatte mich wie ein Blitzschlag getroffen.

Das könnte ich machen. Vielleicht nicht für besagte Millionen-Dollar-Körper, aber für jemanden, der ein bisschen Hilfe gebrauchen konnte. Jemand, der mich brauchen könnte.

Bei meinen Beratern war ich auf etwas Widerstand getroffen, dass meine Vergangenheit mich bremsen könnte oder dass die Einträge in meiner Akte verhindern würden, dass ich meine Lizenzen erwarb. Einige dachten, dass ich einfach nur an heiße Kerle rankommen wollte. Ich schätzte, man musste es ihnen zugestehen, dass sie aus meiner Vergangenheit ihre Schlüsse zogen. Niemand konnte erkennen, dass ich ein anderer Mann geworden war, indem er mich einfach ansah. Ich warf es ihnen nicht vor.

Meine neuen Freunde und ich saßen in einem Kreis am Boden, während ich ihre Aktenordner durchsah. Eines meiner Mädchen – so sah ich sie inzwischen – stellte sich plötzlich als Anführerin dieses Red Hat-Stamms heraus.

Ihr Name war Sally und sie hatte glattes silbernes Haar, das aussah, als hätte es ihr jemand geschnitten, nachdem er ihr einen Topf auf den Kopf gesetzt hatte. Sie wirkte unverblümt und war zudem eine Stupserin. Das heißt, sie stieß ihre Freundinnen unbarmherzig mit dem Ellbogen an, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen. Glücklicherweise schien sich niemand an dieser Behandlung zu stören. Es dauerte rund eine Minute, bis sie für Ruhe gesorgt hatte.

Die ganze Angelegenheit kam mir vor, als wäre ich wieder ein Begleiter im Wissenschafts-Camp.

»Izzie war großartig und sie hat uns diese wundervollen Trainingspläne erstellt«, sagte Sally zu mir und sah sich nach ihren Freundinnen um, als fordere sie sie auf, ihr zuzustimmen. »Aber ich wollte sie heute fragen, ob ich mehr Wiederholungen machen oder mehr Gewicht auflegen soll.« Sie stieß die Frau zu ihrer Rechten an. Es war dieselbe Dunkelhaarige, die zuvor meinen Arm gedrückt hatte.

»Oh.« Sie zuckte zusammen. »Das stimmt. Wir sind jetzt seit ungefähr einem Monat dabei und es wird ein bisschen zu leicht. Aber seitdem Izzie ihre letzte Aushilfe, Jake, verloren hat, war sie zu beschäftigt für uns.«

»Jake?«, fragte ich. Vielleicht kam ich bei dieser Gelegenheit an ein paar Einblicke, was Izzie von ihren Angestellten erwartete. »Wieso ist er gegangen?«

»Jake war ein lieber Junge«, seufzte eine der ältesten Damen, deren kurzes graues Haar vorn aufgebauscht war und hinten sehr kurz geschoren, fast wie bei einem Mann. »Er hat uns verlassen, um nach Stanford zu gehen«, sagte sie. »Er hat sich darauf gefreut, aber ich glaube, er hatte auch schon Heimweh.«

»Das stimmt«, sagte Sally. »Izzie meinte, seine Aura war von einem positiven Braunrot, als er seine Sachen geholt und sich verabschiedet hat.«

Sie nickten einander zu.

»Kann Izzie wirklich Auren wahrnehmen?«, fragte ich.

»Oh ja.« Sally antwortete, bevor eine der anderen auch nur die Chance hatte. »In der Zeitung steht, dass sie dem vorherigen Bürgermeister klarzumachen versucht hat, dass er auf die Bremse treten soll. Armer Mann.«

»Ist er gestorben?«, flüsterte ich.

»Nein«, sagte Sally. »Natürlich nicht. Aber seine Frau hat ihn in der Woche darauf verlassen, nachdem sie ihn in flagranti mit der Haushälterin erwischt hat.«

Mir war danach, den Kopf zu schütteln, damit es jenes Geräusch machte, das man immer hört, wenn Cartoon-Charaktere wieder ihre ursprüngliche Form annehmen.

»Das hat sie in seiner Aura gesehen?«

»Oh nein, mein Lieber«, erklärte meine ruhige Lady mit den freundlichen braunen Augen. »In der der Haushälterin.«

Sally nickte weise. »Izzie kann es immer erkennen, wenn jemand…« Sie sah sich um und senkte die Stimme. »… es getan hat.«

Die Dame mit der aufgeblähten Stirnlocke schnaubte. »Deshalb kommen wir nicht montagmorgens her.«

Ich spürte, dass meine Augenbrauen so hoch wanderten, bis ich überzeugt war, dass meine Haare sie verbergen mussten. »Sie kann wirklich…?«

»Wenn es vor Kurzem war«, sagte Sally. Ihre Augen schienen vor Belustigung über meine Verlegenheit zu tanzen. »Armer Jake. Er hat es auf die harte Tour gelernt, nicht…«

»Erzähl keine Geschichten, Sally.« Meine braunhaarige Lady sah mich an. »Trotzdem, es ist vermutlich besser, wenn du es nicht auf die harte Tour herausfindest.«

»Ich vermute nicht«, erwiderte ich. Eine Weile betrachteten wir uns gegenseitig. »Ihr Damen werdet mich ganz schön fordern, nicht wahr?«

»Vermutlich«, meinte Sally und betrachtete den Stapel Akten auf dem Fußboden vor mir. »Mit was sollen wir anfangen?«

»Wie wäre es mit euren Namen?«, fragte ich und sie redeten alle gleichzeitig los.

Sie waren zu sechst. Daher entschied ich, die Angelegenheit in meine eigenen Hände zu nehmen, indem ich den obersten Ordner vom Stapel nahm. »Ann«, las ich. »Wer ist Ann?«

Die braunhaarige Dame winkte mir zu. »Ich.«

»Wie wäre es, wenn wir zwei mit den Curls anfangen?«

Sie lächelte und folgte mir zur Maschine. Nachdem sie den Sitz zurechtgerückt hatte, nahm sie ihren Platz ein.

Ich führte eine nach der anderen zu den Geräten, erteilte ihnen leichte Aufgaben und fügte Gewicht oder Wiederholungen hinzu, wenn mir etwas zu einfach vorkam. Die meiste Zeit war es wie eine Horde Katzen zu hüten und selbst ich war müde, als sie eine Stunde später fertig waren. Sie kamen in lila Kleidung und mit großen roten Hüten auf dem Kopf aus der Umkleide, die sie wie tropische Vögel aussehen ließen. Ich liebte sie. Ich genoss meinen neuen Job bereits.

Sie versuchten, Izzie dazu zu bringen, ihnen zu erzählen, was meine Aura ihr verraten hatte, als ein weiterer Gast das Studio betrat. Ich lachte immer noch über irgendetwas, das sie gesagt hatten, als ich ihn bemerkte.

Er war riesig. Es wirkte, als fülle er fast die ganze Tür mit seiner Präsenz aus. Es half nicht, dass er Lofstrand-Krücken bei sich hatte, die Art, die sich um den Oberarm schmiegen, mit einem nach vorn ragenden Griff, auf den man sich bei jedem Schritt lehnt. Er machte einen vorsichtigen Schritt ins Innere des Gebäudes und dann einen weiteren. Es schien ihm schwerzufallen. Seine Koordination war vollkommen falsch. Ich vermutete, dass er unter Umständen eine Kopfverletzung erlitten oder sich das Rückgrat verletzt hatte, denn er trug Shorts und ich konnte keine Narben an seinen Beinen entdecken. Er führte mit den Krücken, gab sich selbst ausreichend Zeit, um den nächsten Schritt zu machen.

Meine Damen machten ihm Platz, schweigend und traurig. Es wirkte beinahe wie eine Beerdigungsprozession. Ich verstand die Atmosphäre nicht im Geringsten, es hatte sich alles so schnell verändert.

Izzie begrüßte den Neuankömmling leise und führte ihn in den hinteren Teil des Studios. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber sobald sie außer Hörweite waren, seufzten meine Damen wie ein Mann – oder wie eine Frau vielmehr.

»Was?«, fragte ich. Ich war fest entschlossen, so viel wie möglich an Informationen aus dieser kleinen Goldmine in Form von lebenslustigen älteren Frauen herauszuschürfen.

»Das ist Ken Ashton«, erklärte Sally in einem theatralischen Flüsterton, als müsste ich genau wissen, von wem sie sprach.

»Er hatte einen grauenvollen Unfall«, fügte Ann hinzu.

Sally nickte. »Er war der beste Spieler, den die Stadt je hervorgebracht hat. Im letzten Jahr an der Cal State Fullerton, als er den Unfall hatte. Sie haben ein fantastisches Programm für Baseballspieler und wir hatten alle so große Hoffnungen in ihn gesetzt. Es ist fast sechs Monate her.«

»Es war eine furchtbare Schande. Seine Freundin hat es nicht geschafft.« Ann sprach so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. Sie alle blickten in die Richtung, in der Ashton mit Izzie verschwunden war.

»Was tut er hier?«, fragte ich.

»Izzie arbeitet mit ihm, seitdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Das sind jetzt… zwei Monate?« Sie sah sich um. »Seine Koordination war…«

»Ich verstehe«, sagte ich. Ein angespanntes Schweigen entstand, bis Ann es brach.

»Es geht ihm schon viel besser. Die Ärzte hoffen, dass er sich nahezu vollständig erholen wird.«

»Das ist gut.« Ich bezweifelte, dass er sich je ganz erholen würde, selbst wenn sein Körper zu hundert Prozent wiederhergestellt wurde.

Irgendetwas daran, eine Tragödie zu erleben, zeichnete einen Menschen für immer. Ich hatte es in seinen Augen gesehen, als er im Vorbeigehen in meine Richtung gespäht hatte. Sie waren unglaublich attraktiv, hellblau mit schwarzen Ringen darin, umgeben von Wimpern wie die eines Mädchens, aber sie strahlten kein Leben aus, keinen Funken. »Armer Kerl.« Mir wurde erst klar, dass ich laut gesprochen hatte, als die Red Hats schweigend zustimmten.

Als die Damen gingen, hielt ich ihnen die Tür auf und winkte ihnen freundlich nach, während sie diskutierten, ob sie fahren oder gehen wollten und ob es Frühstück oder Mittagessen geben sollte. Dann ging ich wieder hinein.

Die Tür schloss sich mit einem Seufzen hinter mir. Es kam mir gespenstig still vor, als ich in den Trainingsbereich zurückkehrte. Ich dachte mir, ich schnappe mir besser ein paar Desinfektionstücher und kümmere mich um die Griffe der Geräte. Die Stellen, die berührt wurden. Ich wühlte mich durch Izzies Korb mit Reinigungsmitteln, als ihre Stimme hinter mir erklang.

»Jordan.« Sie winkte mich zu sich. »Ich habe mich gefragt, ob du wohl für einen Moment herkommen könntest.« Ich ging hinüber zum Therapieraum, vor dem sie stand, immer noch mit den Tüchern in der Hand. »Hier ist jemand, den ich dir gern vorstellen würde.«

Ich folgte ihr in den kleinen Raum, den sie schwach beleuchtet und ruhig hielt. Ken Ashton ging auf einem Laufband. Er bewegte sich langsam, beide Hände umfassten die Stützen.

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Sie gab mir einen Klaps auf den Arm, um mich wissen zu lassen, dass sie mich nicht witzig fand. »Ich weiß, dass du mir nicht glaubst. Aber ich möchte, dass du es wieder und wieder versuchst, bis du ihn dazu bringst, mit dir zu reden.« Ausnahmsweise ergab ihr ernster Gesichtsausdruck Sinn. »Und da du ihn umsonst massieren wirst, verrate ich dir dies umsonst«, sagte sie. »Eure Auren sind genau gleich. Ganz genau. Ich zeichne später ein Bild und zeige dir, was ich meine.«

Die Tür öffnete sich hinter uns und Ken kam heraus. Er sah keinem von uns in die Augen.

»Entschuldigt mich«, sagte er höflich.

Izzie zog die Brauen hoch und drehte sich zu ihm um. »Was glaubst du, wo du hingehst?«, fragte sie ihn. Er hatte offensichtlich keine Antwort. »Du musst immer noch an die Gewichte, und es ist mir egal, was du sagst, aber du wirst dir nach dem Work-out eine schnelle Massage von Jordan verpassen lassen.«

»Aber…«

Izzie lachte. Es klang irgendwie metallisch und silbrig und stand in krassem Widerspruch zu ihrem massigen, ledrigen Körper. In einem Tonfall, als hätte sie Pläne für ihn, falls er nicht zustimmte, erklärte sie: »Wann habe ich mich je auf deine Ausreden eingelassen? Und jetzt: Beweg dich.«

Mit herabgesunkenen Schultern wandte er sich ab. Er sah kleiner aus als bei seiner Ankunft. Ich konnte erkennen, wie Izzie einen Mann zum Einknicken brachte, und Ken war definitiv eingeknickt. Er war immer noch gewaltig, selbst im Vergleich zu Izzie, und entweder hatte die Tür nicht das Standardmaß oder ich hatte mich mit seiner Größe verschätzt, als er hereingekommen war, denn er musste sich beinahe, beinahe ducken.

»Ruf mich, wenn du mich brauchst«, sagte ich, als Izzie die Tür hinter ihnen schließen wollte. Sie sah mir in die Augen und nickte.

»Verdammt«, flüsterte ich in mich hinein. Ich hatte mein Zuhause verlassen und war zweitausend Meilen weit gereist, um einer Stadt zu entkommen, in der ich als betrunkener Mörder abgestempelt war. Und nun, ob es mir gefiel oder nicht, würde ich einem Mann nahekommen, der jeden Grund hatte, mich aus demselben Grund zu hassen.

Es war eine verdammte Ironie, genau vor meiner Nase.