Holger Wyrwa

Pro Menschkontra Mobbing

Ein systemisches Interventionsprogramm für Schulen

CARL-AUER

Spickzettel für Lehrer – systemisch Schule machen

»Hast du einen Spickzettel?« Diese Frage kennen wir noch aus der Schulzeit, aus der Schülerperspektive, wenn es darum ging, sich auf Prüfungen und Klassenarbeiten vorzubereiten. Wechseln wir die Rolle und Perspektive und stellen uns auf die andere Seite des Klassenzimmers, auf der die »Wissenden«, d. h. die Lehrer, stehen. Schnell wird deutlich: Bei aller Erfahrung gibt es doch erhebliche »Wissenslücken« im Umgang mit schwierigen Situationen, ob sie nun das Lernen selbst, die Schule als Organisation oder die Beziehungen und das Verhalten der Beteiligten betreffen.

Systemisch orientierte Pädagogen können sich hier ruhig und entspannt zurücklehnen, wohl wissend, dass sie selbst »Fragende« sind – Fragende bezüglich passender

Antworten auf die sich stets wandelnden und neu entstehenden Konfliktfelder in der Organisation Schule, zwischen Schülern und Lehrern, zwischen Schule und Eltern und auch mit dem politischen Umfeld von Schule.

Aus systemischer Sicht sind Schwierigkeiten immer mit Lernchancen verbunden. Wo der Blick vom Problem auf die Lösung wechselt, wo man statt hinderlicher Defizite hilfreiche Ressourcen ins Auge fasst, kommt auch die Haltung in Bewegung. Ein gut platzierter Unterschied zieht dann oft viele positive Änderungen nach sich.

Die Bücher dieser Reihe wollen Einladungen sein, sich auf diese andere Sichtweise einzulassen. Sie sollen Lehrern, Erziehern und Schulleitern Methoden und Strategien zum täglichen Handeln anbieten, die Ihnen die Arbeit – und im besten Fall: das Leben – leichter machen. Sie sind auch Rezepte, die man ausprobieren und mit eigenen Zutaten verfeinern kann.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, Erfahren und Ausprobieren!

Dr. Christa Hubrig

Herausgeberin der Reihe Spickzettel für Lehrer

Einleitung

»Ich sehe, nichts ist ohne Rücksicht gut.«

(William Shakespeare)

Mobbing unter Schülern ist nicht nur ein ernst zu nehmendes zwischenmenschliches Problem, sondern gleichzeitig auch eines, das eine unangenehme Erkenntnis beinhaltet: dass der Mensch – gleich welchen Alters – dazu neigt, sich selbst zu erhöhen, indem er andere erniedrigt.

Mobbende Kinder und Jugendliche spiegeln in ihrem Verhalten jedoch auch ein gesellschaftliches Klima wider, in dem Rücksichtnahme, Kooperation, Vertrauen und Empathie im Umgang miteinander immer bedeutungsloser werden. Zwischen 500.000 und 750.000 Kinder und Jugendliche sind an Deutschlands Schulen Mobbing ausgesetzt. Dazu kommen die Täter und Mittäter, die Mitläufer und die Wegseher.

Ziel dieses Spickzettels für Lehrer ist es, Lehrkräften Möglichkeiten an die Hand zu geben, wie man bei Schülern Bewusstseinsprozesse anregen kann, die diese dazu befähigen, sich gegen jede Art von Unterdrückung in der Klasse – sei es nun Diskriminierung oder Mobbing – zur Wehr zu setzen.

Im ersten Kapitel werden einige grundlegende Daten und Fakten zum Thema Mobbing in aller Kürze zusammengetragen. Zur Vertiefung sei auf die weiterführende Literatur im Anhang verwiesen.

Das zweite Kapitel lädt dazu ein, Mobbing aus einer systemisch-existenziellen Perspektive zu betrachten. Hier spielen nicht nur strukturelle Gegebenheiten, sondern auch individuumsbezogene Faktoren eine Rolle. Dabei wird diese Betrachtungsweise weitgehend vereinfacht und verkürzt wiedergegeben – aber so, dass auch Nichtsystemiker diesen Ansatz für ihre Arbeit nutzen können.

Das dritte Kapitel stellt das schulformübergreifende und prozessorientierte Anti-Mobbing-Programm »Pro Mensch – kontra Mobbing« vor. Es geht schwerpunktmäßig darum, bei Interventionen nicht auf die Täter zu fokussieren, sondern vor allem auf die Wegseher. Gelingt es, diese zu mobilisieren, wird dem Mobbing unter Schülern der Nährboden entzogen.

Im vierten Kapitel folgt eine Darstellung der systemischen Interventionen, die für die Umsetzung des Schulprojekts im letzten Kapitel (»Einer für alle – alle für einen!«) maßgebend sind.

Dieses letzte fünfte Kapitel gliedert sich in drei Module. Das erste davon ist wiederum in drei Submodule unterteilt, die präventiv, kurativ bzw. reintegrativ ausgerichtet sind. Sie beinhalten das Schulprojekt, bei dem mittels systemischer Interventionen gezielte Anregungen zur Bildung eines Anti-Mobbing-Klimas – oder, positiver formuliert: eines Pro-Mensch-Klimas – in der Klasse erfolgen. Das zweite und das dritte Modul beschreiben die Stabilisatoren, die für den nachhaltigen Erfolg bei der Umsetzung des ersten Moduls notwendig sind: das Engagement der Lehrkräfte einerseits und die das Mobbing sanktionierenden Maßnahmen der jeweiligen Schule andererseits.