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Ennid und das Äffchen
Bevor ich in Newport an Bord ging, schenkte mir meine Mutter diese sturmfeste Jacke. Ich liebe sie. Ich habe den Grego seitdem nur zum Waschen und Trocknen ausgezogen. Seine Kapuze hält mir Nacken und Ohren auch in meinem Eisschrank schön warm, und weil Mom die hellblaue Joppe mit einem zweiten Futter versehen hat, kann ich auch über mangelnde Polsterung nicht klagen.
Was soll ich traurig sein über fehlende Post von daheim, wenn ich in den Abschiedsbrief meiner Eltern hineinschlüpfen kann?
Außerdem habe ich Ennid Muldoons Fisch. Ennids Glücksbringer ist immer bei mir, seit ich während einer Freiwache im Klüverbaumnetz der durch ruhige See laufenden JOHN LONDON meinem Grego eine mit Knopf verschlossene Tasche zwischen die Futter genäht habe. Darin steckt der kleine Holzfisch und hat einen Zettel im Bauch, den ich erst lesen soll, wenn mich der Mut verlässt.
Aber selbst wenn ich es wollte, könnte ich im Dunkeln nicht lesen, was er mir wohl rät, Ennids weiser Fisch, der sich durch den Stoff wie ein Tannenzapfen anfühlt.
Und ich will es auch gar nicht wissen. Ich war nur einmal drauf und dran, den Zettel zu lesen: als ich auf dem Wrack der JOHN LONDON Bakewell von Ennid erzählte. Wir trieben eine ganze Woche lang hilflos durch stürmische See, und trotzdem fand ich mich nicht sonderlich mutlos. Drum blieb der Fisch in der Tasche. Da werde ich ihn jetzt nicht herausholen.
Runde schlafen? Yes, Sir. Yesser, kleines Nickerchen. Mut, Merce! Mutig ein Bett aus Gummistiefeln gebaut. Bis zum großen Anpfiff ist noch Zeit. Erst wenn die dicke ENDURANCE auf offener See ist und Kurs Südgeorgien nimmt, gibt es für sie kein Umkehren mehr.
Jeder Tag zählt, wenn es ins Eis geht. Selbst Shackleton kann die Antarktis nicht im antarktischen Winter durchqueren. Und doch dürfte Bakewell allmählich auf eine günstige Gelegenheit aus sein, um mich aus dem Spind zu holen und vor den Skipper zu stellen. Hinaus muss ich ja doch irgendwann … soll ja hier unten nicht schwarz werden. Ganz gleich, wie gut Käpt’n Worsley gelaunt ist, weil sich die Segel bis hinauf zur Großoberbramrah im Wind blähen oder weil der Sir, der sich freut wie ein Kind, ihm den Arm um die Schultern gelegt hat – der Käpt’n wird sich kräftig die Lungen freibrüllen, wenn ich mit meinem hellblauen Grego erst vor ihm stehe und mir die Augen reibe, geblendet von so viel Licht.
Die JOHN LONDON war einer der Frachtschoner, die vor dem Krieg die Südamerikaroute befuhren. Meist Dreimaster mit Verstärkungsmaschine, beförderten die Schiffe größeres Stückgut aus Stahl und Eisen, aber auch Holz. Es waren ramponierte Kähne, die oft ins Dock gingen. Die betagte JOHN LONDON stand bei einer Kompanie mit Sitz in Swansea unter Vertrag; den Bauch voller Eisenbahnbohlen, pendelte sie seit Jahren zwischen Wales und Uruguay. Bei uns in Newport war sie schon öfter gewesen, weshalb mein Vater sie kannte; vor Jahren hatte er auf dem Vorderdeck ein neues Forecastle für die Mannschaftsquartiere gezimmert. Als die JOHN LONDON zu Anfang des Sommers an der Pier der Parks-Werft festmachte, gingen wir an Bord, um den Zustand des Forecastles in Augenschein zu nehmen und die nötigen Ausbesserungen in die Wege zu leiten.
Wir arbeiteten mehrere Wochen lang an Aufbauten und Quartieren unter Deck, die in erbarmungswürdigem Zustand waren. Während des Schleppens, Sägens, Einpassens, Schleifens, Feilens und Pinselns lernte ich so gut wie jeden Winkel auf dem Schiff kennen. Ich bemerkte überall Zeichen von Verwahrlosung. Doch unsere drei Schreiner und ich möbelten die alte Amerikanerin noch einmal so richtig auf. Und Dad schenkte ihr sogar einen Hut, mit dem sie stolz tun konnte, denn das Forecastle bekam ein neues Dach aus leuchtendem Kirschbaum.
Wir waren fast fertig, als eines Morgens auf dem sonst immer menschenleeren Schiff das Leben neu zu pulsieren begann. Matrosen und Heizer kamen an Bord. Muldoons Leute lieferten die neue Bewantung der Fock. Ein Automobil brachte den Käpt’n auf die Werft, der sich zunächst mit meinem Vater unterhielt, bevor er unter Deck verschwand. Und schließlich erschienen zwei zwar befrackte und doch nicht sonderlich elegante Herren, der eine Amerikaner, der andere von der Swanseaer Kompanie. Das Anheuern begann.
Unter den ersten Seeleuten, die aus der Back, wo die Prozedur stattfand, wieder ans Licht kamen, war einer, der sich zu mir stellte und anfing, mich über meine Arbeit auszufragen. Wir unterhielten uns eine Weile. Er erzählte, dass er für Montevideo und Rutsch zurück angeheuert habe. Und dann wollte er wissen, ohne dass ich etwas in dieser Richtung angedeutet hatte, ob ich nicht auch Lust hätte.
Vielleicht, sagte ich. Und er lachte, leise und ganz freundlich.
So habe ich Bakewell getroffen. Seither gab es keinen Tag, an dem wir nicht die Köpfe zusammengesteckt haben. Wenn ich überlege, ist es bloß dreierlei, was ich in meinem Schrank vermisse: die Seeluft, das Licht über dem Meer und Bakewell.
»Hier, ihr müsst trinken, du und dein Holzfisch!«
Ein paar Tage später sprach ich mit meinem Vater und sagte ihm, dass ich als Matrose an Bord der JOHN LONDON nach Uruguay fahren wolle. Ich rechnete ihm vor, dass meine Heuer für die drei Monate Fahrt größer sein würde als mein Verdienst für ein halbes Jahr Arbeit im Hafen. Und ich bat ihn, ja zu sagen, weil ich meinen eigenen Weg machen müsse.
Als Matrose ließen mich Käpt’n Coon und sein Bootsmann mit einem müden Lächeln abblitzen. Dieser Bootsmann, den man wie auf fast allen Schiffen, wo Englisch gesprochen wird, Bos’n nannte und der Mister Albert hieß, war ein Typ von Seemann, wie ich ihn bis dahin nicht kannte: Er hatte nichts von den bärbeißigen Schnackern an sich, die auf der Pier herumlungern und nichts Besseres im Sinn haben, als vor einer Frau mit ihrer Potenz zu prahlen oder deren sich aufplusterndem Gatten Dresche anzudrohen. Mister Albert, der Bos’n, fragte mich, ob ich wisse, was das Meer sei.
»Yesser«, sagte ich. »Es ist das Wasser zwischen den Kontinenten.«
»Verteufelt viel Wasser.«
»Sehr viel.«
»Wie gut kannst du schwimmen, Blackboro?«, fragte er und sah in sein Heft.
»Ich glaube, ich schwimme gut, Sir«, sagte ich. »Nicht so gut wie ein Fisch, aber gut.«
»Nicht so gut wie ein Fisch?«
»Nosser.«
»Und wie gut kannst du kochen?«
Einigermaßen perplex gab ich zu, dass ich überhaupt nicht kochen könne … weil ich es noch nie versucht hätte.
»Also könntest du Nachhilfe gebrauchen. Unterschreib hier, und du bist angeheuert als Küchenhilfe.«
Der Messboy verdient nur die Hälfte der Heuer eines Matrosen, so dass ich in puncto Anreize für Dad, mich fahren zu lassen, meine Felle davonschwimmen sah.
Aber dem war nicht so.
Mein Vater erklärte sich einverstanden, und meine Mutter erklärte mir, weshalb er es ruhigen Gewissens tat: Im Verlauf der Abnahme des Forecastles hatte er Käpt’n Coon beiseite genommen und angekündigt, die neuen Aufbauten der JOHN LONDON eigenhändig Stück für Stück wieder abzureißen, falls ihm Coon nicht sein Ehrenwort gab, dass unter seinem Kommando zu fahren für mich bedeute, unter seiner persönlichen Obhut zu stehen. Käpt’n Coon hatte meinem Vater diese Zusicherung gegeben.
Ich verbrachte die letzten Tage vor Auslaufen meines Schiffes in einer merkwürdigen Stimmung. Einerseits hatte ich keine Möglichkeit, an etwas anderes zu denken: Meiner Schwester traten Tränen in die Augen, sobald sie mich ansah, und meine Eltern waren schon deshalb in heller Aufregung, weil sich die Nachricht, dass ihr Sohn nach Uruguay segeln würde, in Windeseile herumsprach. Ich merkte, wie die Leute über mich redeten, und das alles zusammengenommen machte mich so nervös, dass ich nachts nicht mehr schlafen konnte.
Andererseits spürte ich plötzlich eine bohrende Unlust. Wenn ich darüber nachdachte, und das tat ich pausenlos, dann fand ich meinen Entschluss, zur See zu fahren, peinlich und blöd. Was hatte ich mir dabei gedacht? Nichts! Es war bloß ein Gefühl gewesen, und jetzt war da eine ganze Armada aus Gefühlen, die einander schützten und stärkten, um einem jeden vernünftigen Gedanken auf der Stelle den Garaus zu machen. Mal kam ich mir lächerlich vor, dann wieder brach ich in Jubel aus und applaudierte mir für meinen grenzenlosen Mut. Ich durchforstete die Bücherschränke meiner Eltern und Geschwister nach Schilderungen von Schiffsuntergängen. Schauder jagten mir über den Rücken, als ich entdeckte, dass Jack London eigentlich John London hieß, genau wie mein Schiff! Und wenn ich dann die ersten Sätze las, kam es mir vor, als ruderte ich weit auf das Wasser hinaus.
Einzig dank dieser Bücher bin ich in den Tagen vor meiner Abreise noch halbwegs zurechnungsfähig geblieben. In einer durchwachten Nacht las ich den gesamten Robinson Crusoe. In einer anderen schrieb ich Ennid einen Liebesbrief, der in einer Hymne auf ihr Hinken gipfelte. Glücklicherweise las ich ihn mir morgens noch einmal durch.
So einfach, wie ich den Brief wegwerfen konnte, ließ sich die auf der Heuerliste geleistete Unterschrift nicht rückgängig machen. Und als mir klar wurde, dass es kein Entrinnen gab, wurde ich krank vor Angst. Ich weiß noch, wie ich auf dem Rückweg von einer Besorgung für Vater durch die Dock Street kam. Am Ende der Gasse sah ich die Schiffe an der Pier liegen. Die JOHN LONDON war nicht dabei, und doch wurden mir bei dem Anblick die Knie weich. Ich konnte nicht weitergehen. So wie die Leute mich anstarrten, muss ich zum Fürchten ausgesehen haben. Mit glühendem Kopf und wilden Blicken drückte ich mich an eine Wand. Ich fühlte mich in die Enge getrieben, schrecklich allein. Ja, das war der schlimmste Moment. Schlimmer wurde es nicht. Ich rannte davon, und danach ging es mir langsam besser.
Am letzten Tag vor Auslaufen ging ich in Muldoons Laden, um mich von Ennid zu verabschieden. Aber sie war nicht da. Sie sei krank. Mister Muldoon fragte, ob er etwas ausrichten könne, und ich erfand irgendeine Geschichte mit Ennid und Regyn.
»Auf Wiedersehen, Sir!« Ich hielt ihm die Hand hin.
Er griff sie, sah mich aber nicht an.
»Ich habe eine Frage«, sagte ich. Da hob er den Blick und sah mich, wie es schien, zum ersten Mal klar und deutlich vor sich stehen.
»Ich liebe Ihren Laden, Sir. Alles –«, ich zeigte durch das muffige dunkle Geschäft, in dem Ennid zur hinkenden Ennid verkam, »alles hier liebe ich, das, das, alles. Ich würde gern … ich meine, wenn ich zurück bin, Sir, können Sie da vielleicht einen Gehilfen gebrauchen?«
Mister Muldoon klappte sein Buch auf und sah hinein, als stünde dort eine Antwort.
Da ist die Glocke. Vier Schläge.
Auf einer kleinen Schonerbark wie der ENDURANCE hört man die Schiffsglocke in jedem noch so versteckten Kabuff unter Deck. So weiß auch der blinde Passagier, wie spät es ist: vier Glasen. Über dem Meer zwischen Patagonien und den Falkland-Inseln dürfte es nicht heller sein als in meiner Kammer.
Ich will Shackletons Entscheidung nicht vorgreifen, aber mich eingerechnet wird derzeit nicht mehr als ein halbes Dutzend von den 28 Mann Besatzung wach sein: ein Rudergänger, drei auf Wache an Deck, ein Ausguck und der Mann im Ölzeugspind. Der Rest hat Wachskugeln in den Ohren und schlummert. Wenn ich die Augen zumache, sehe ich die große Kastanie auf dem Platz vor Muldoons Laden vor mir und wie ich durch die Straßen am Hafen lief, um mich von dem zu verabschieden, was ich in Wirklichkeit liebte, zum Beispiel die Bäume, anhand deren mir mein Vater die unverwechselbaren Eigenschaften eines jeden Holzes erklärte. Die Angst und alle die Gefühle, die mich bedrückt hatten, waren verschwunden. Am letzten Tag in Newport blieb bloß Wehmut übrig. Ich spürte, wie sich meine Arme und Beine bewegten, und die Luft war so mild und umfloss mich, dass ich meinte, ich würde darin schwimmen, auf der Rodney Street zum Kontor gehen und doch aufrecht dorthin schwimmen.
Von unserem alten Kontormeister Simms erfuhr ich, dass die JOHN LONDON beladen, ausgerüstet und verproviantiert war.
Er zog mich auf: »Crew vollzählig, sobald Küchenhilfe Blackboro heil an Bord gelangt.« Und er teilte mir die Auslaufzeit mit: »Beginn Rattenwache.«
Das sagte mir nichts.
»Mitternacht, Merce.«
Wir plauderten über die Zeiteinteilung an Bord in Glasen und in Wachen, und Simms, der lange Jahre Steuermann gewesen ist, riet mir, ich solle auf der Hut sein, wenn ich nicht Schiffsnauke werden wolle.
Während er weiter Rechnungen sortierte, erklärte er mir, das jedes Schiff seinen Nauken habe.
»Nauke ist so eine Art schwarzes Schaf. Der Buhmann an Bord, das ist Nauke. Er ist immer schuld. Kommt eine Rah herabgerasselt – Nauke war’s. Und bricht Feuer aus im Kohlenbunker – Naukes Schuld. Jeder Skipper erwischt mal einen üblen Tag; dann pfeift er den Steuermann an. Der Steuermann geht zum Bos’n und beschimpft ihn. Die Schikane rappelt die Ränge hinunter, bis sich alle einig sind: Dafür muss Nauke büßen. Es gibt Schiffe mit mehreren Nauken, auf denen musst du aufpassen, dass du nicht Nauke der Nauken wirst. Und es gibt Schiffe, auf denen sind alle …«
Weiter kam er nicht. Vor dem gläsernen Kabuff, in dem Simms sein Bestes gab, um mich vor Naukes Los zu bewahren, stand Ennid. Sie lächelte flüchtig, als sie uns entdeckte, und hob unschlüssig die Hand.
»Die kleine Muldoon«, sagte Simms.
Ich führte sie in Vaters leeres Büro. Es war das erste Mal, dass wir allein waren. Fantastisch sah sie aus mit dem Regenmantel und dem Schirm, der ihr am Arm baumelte. Sie war gar nicht krank, Ennid stand vor mir, und ich fing an zu zählen – zwanghaft, ein Zählzwang. Ich zählte die Fenster im Büro meines Vaters und die Knöpfe an Ennids Mantel. Ich überschlug, dass ich sie fünfmal im Laden ihres Vaters und einmal im Freien gesehen hatte: draußen in den Alexandra Docks auf halbem Wege nach Pillgwenlly. Aber auch da waren wir nicht allein gewesen. Und geredet hatten unsere Väter, während wir einander Blicke sandten, die nicht tief genug sein konnten. Sie stellte sich an eines der Fenster. Es sind vier, dachte ich, tatsächlich vier. Und ich setzte mich auf eine Ecke des Schreibtischs, davon gab es auch vier.
Das gegenüberliegende, neugebaute Kontorhaus hatte dagegen so viele Fenster, dass ich ihre Anzahl nur schätzen konnte. Es war ein ungeheurer Kasten.
»Es ist so«, begann sie. »Ich möchte nicht, dass du auf diese Weise mit meinem Vater redest. Vielleicht kannst du dir denken, dass er dich seit heute für völlig übergeschnappt hält. Was hast du dir dabei gedacht, Merce Blackboro, hm?«
Sie bekam einen hässlichen Mund, das lag in der Familie. Also gut, dachte ich, streiten wir uns. Das wird dir leidtun, um Mitternacht bin ich weg. Beginn Rattenwache. An der Wand über dem Wartestuhl in der Ecke sah ich das in Gold gerahmte Bild hängen, das mir geheimnisvoll und bedeutsam erschien, seit ich es als Junge zum ersten Mal betrachtet hatte. Kaiser Napoleon ist darauf zu sehen, wie er einsam an einem Strand steht und über das Meer blickt. Mein Vater behauptet, es sei die Küste von Südengland, an der Bonaparte einmal irrtümlich gelandet war.
Auch Ennid schwieg. Zum Streit kam es also nicht. Ennid suchte etwas in ihrem Handtäschchen und durchbohrte mich mit einem Blick, als sie es gefunden hatte.
»Ich habe etwas für dich.« Sie hielt es mir hin. Es war bunt, bunt angemalt, ich nahm es und sah, dass es ein kleiner Fisch aus Holz war.
»Es ist ein Glücksbringer.« Sie kam zu mir und nahm mir den Fisch aus der Hand. Sie drehte ihn um und klappte ihn an der Bauchseite auf. Es lag ein Zettel darin.
»Wenn du einmal nicht weiterwissen solltest, dann lies das.«
Sie gab mir den Fisch zurück. Keine Armlänge entfernt stand sie vor mir. Ich zog sie zu mir heran, vergrub das Gesicht in ihrer Halsbeuge und küsste mich nach oben zu ihrem Mund.
»Ich muss gehen«, keuchte sie und machte sich los, und ich hatte die Vorstellung, sie würde mir unter den Lippen zerbröckeln.
»Bleib noch!«
»Wozu?«
Auf dem Stuhl unter dem verlorenen Napoleon ließ mein Vater Arbeiter sitzen, bis sie mumifiziert waren. Da hatte ich einmal mit Zahnschmerzen gesessen, bis ich fast die Besinnung verlor. Ennid setzte sich auf meinen Schoß. Ich küsste sie, und sie sagte zum ersten Mal: »Du Äffchen.« Immer wieder, in jeder Pause zwischen unseren Küssen, sagte sie die zwei Worte. Sie öffnete meinen Gürtel, griff unter ihr Kleid und keuchte: »Du Äffchen. Äffchen!«
Als sie wieder aufstand und sich die Sachen zurechtzupfte, hatte ich den Fisch noch in der Hand. Mein Puls raste, als ich ihr von der verunglückten Hymne auf ihr Hinken erzählte und davon, dass ich den Liebesbrief in den Usk geworfen hatte.
»Dein Glück!«, sagte sie bloß, »dein Glück, mein Äffchen.«
Natürlich frage ich mich, was wohl auf dem Zettel stehen mag. Ich frage mich das, sobald ich nur die Arme verschränke und den Fisch auf der Brust spüre.
Eins, zwei, drei, vier, fünf Schläge. Fünf Glasen.
Bakewell glaubt, allein aus Platzgründen kann auf dem Zettel bloß entweder eine Bibelziffer stehen, ein Spruch wie »Denk an mich!« oder ein einzelnes Wort, so wie in dem Telegramm von König Georg. Und er meint, ich solle besser ihn den Zettel lesen lassen, schon damit er mir sagen kann, was darauf stand, falls ich Ennids Fisch verliere.
Schlau gedacht, Bakewell. Aber nicht schlau genug.