Jan Fischer, Nikola Richter (Hg.)

Irgendwas mit Schreiben

Diplomautoren im Beruf

ein mikrotext

Lektorat: Jan Fischer, Nikola Richter

Hergestellt mit Booktype

Coverfoto: Rainer Sturm / pixelio.de

Covertypo: PTL Attention, Viktor Nübel

Zuerst erschienen 2014 in kürzerer Form

www.mikrotext.de – info@mikrotext.de

ISBN 978-3-944543-15-4

© mikrotext, Berlin 2017 

Inhalt

„Die Schreibschule ist eine Schule, in der das Gespräch über Texte geführt, und das heißt fortgeführt wird.” Stephan Porombka

Ein Ruck ging im Januar 2014 durch das deutschsprachige Feuilleton: Rezensenten, Autoren, Betriebler diskutierten über den in der ZEIT veröffentlichten Essay von Florian Kessler „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!”. Darin prangerte Kessler die Stromlinienförmigkeit der aktuellen Literatur an und fand dafür den provokanten Begriff: Speck Lit. Sein Text war, das erwähnte kaum einer der Debattentexte, für diese Anthologie entstanden, die in einem breiteren Kontext auf die Biographien und Arbeitsstrategien von Schreibschulabsolventen schaut. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit fragt diese Anthologie: Was wird eigentlich aus denen, die an den deutschen Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig studieren? Denjenigen, die nicht als Debütanten hochgelobt werden. Denjenigen, die danach oft auch wieder fallen gelassen werden? Wie finden sie einen Berufseinstieg? Mit welchen Hürden und Vorurteilen müssen sie umgehen lernen? Wo werden Schreibende und Schreibenkönnende heute überhaupt noch gebraucht?

Die Anthologie wurde im Frühjahr 2017 überarbeitet und um neue Texte, auch aus den Kontexten anderer Schreibschulen, etwa in Köln, Tübingen, Biel und Wien, ergänzt.

Jan Fischer, Nikola Richter (Hg.)

Irgendwas mit Schreiben

Diplomautoren im Beruf

Anmerkung der Herausgeber

Diese Anthologie ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil finden sich, eingeleitet durch ein Vorwort von Jan Fischer, die  Texte, die 2017 zur vorliegenden Neuauflage dazugekommen sind. Es folgen das Vorwort der Kulturwissenschaftlerin Jacqueline Moschkau von 2014 und die Texte der ersten Version, 2014 digital erschienen.

Die Debatte zum Panorama erweitern. Vorwort von Jan Fischer

Zur erweiterten zweiten Version von „Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren von Beruf“ im Mai 2017

Es braucht eine ganz besondere Art von Geisteshaltung, um, mit vielleicht 18, 19, 20, in Betracht zu ziehen, an einer Schreibschule zu studieren. Es braucht eine besondere Art von Ungleichgewicht im Kopf.

In verschiedenen Mischverhältnissen an Schreibschulen anzutreffen, aber keinesfalls ausschließlich: Optimismus. Über lange Jahre gepflegtes Außenseitertum (wahlweise zusätzlich: brodelnden Willen zu irgendeiner Rebellion, egal welcher), bereit aufzubrechen. Ein bürgerliches Elternhaus. Kein bürgerliches Elternhaus.  Ein Kindheit in der Provinz. Eine Kindheit in der Stadt. Selbstdisziplin. Faulheit. Naivität. Liebe zur Literatur. Hass auf Literatur.

Oder, um es anders zu sagen: Die Debatten, die innerhalb von Schreibschulen geführt werden, sind ganz andere als die, die immer wieder in den Feuilletons aufploppen. Es sind keine generellen Debatten über Sinn und Zweck von Schreibschulliteratur, sondern eher solche in denen es um die Frage geht, wie der oder die einzelne mit seinem oder ihrem speziellen Ungleichgewicht im Kopf diesen eigenartig naiven und gleichzeitig ambitionierten Traum verwirklichen kann, vom Schreiben zu leben. Negativ gewendet wird das immer „Anschlussfähigkeit“ genannt, gerne an die „Logik“ oder, warum nicht, die „Gesetze“ des Marktes, auf die an Schreibschulen gedrillt würde.  Am besten noch gepaart mit dem Vorwurf, dieses oder jenes Werk sei aus Berechnung für den „Markt“ (wo ist der eigentlich? Ich bräuchte noch zwei Pfund Bio-Fantasy mit Orks und einen Bund neues Erzählen) geschrieben, als sei das etwas schlechtes.

Ich selbst kann nur für die Schreibschule in Hildesheim sprechen, aber es würde mich sehr wundern, wenn es anderen Orten - Leipzig, Tübingen, Biel - anders wäre: Ich habe sehr viele unterschiedliche Stile unter meinen Mitstudierenden gesehen, teilweise  von derselben Person.  Es gab immer viele eigenartige Experimente, Gehversuche in alle Richtungen, darunter Versuche,  genau diese dämonisierte Anschlussfähigkeit und Marktkompatibilität herzustellen, aber eben auch solche, die das exakte Gegenteil versuchten (wiederum: Gerne von ein- und derselben Person). Und ich habe oft genug gesehen, wie nichts davon funktionierte oder zumindest große Verlage das Risiko eines unbekannten Namens, sei es mit einem merkwürdigen oder einem marktgerechten Text, schlicht nicht eingehen wollten. (Allerdings habe ich auch oft genug gesehen, wie eigenartigsten Texte dann doch wieder Abnehmer und Fans fanden.) Ablehnung, jedenfalls, ist bei Texten von Schreibschulstudierenden selten ausschließlich darauf gegründet, dass sie schlechte Texte verfassen würden -  klar, jeder greift mit einem Text mal ins Klo, aber im großen und ganzen wissen die Studierenden, was sie tun, spätestens im vierten Semester oder so. Schlicht und einfach, weil Schreibschulen einen Raum fürs Ausprobieren, Stolpern und Wiederaufstehen bieten – immer wieder. Es lässt sich nicht vermeiden, nach und nach ein Gefühl für Texte, eigene und fremde, zu entwickeln.

Es mag den ein oder anderen Feuilletonisten überraschen, aber die meiste Zeit über ist dem „Markt“ relativ egal, was man ihm anbietet, und die „Logik des Marktes“ eher nicht nachvollziehbar.  Fast, als sei der literarische Erfolg – nach dem, unterstelle sich, die meisten Schreibschulstudierenden sich sehnen – komplexeren Voraussetzungen unterworfen als der Fähigkeit irgendeinen Trend – sei es quer oder gerade – zu bedienen. Ich weiß nicht, gute Kontakte sind vielleicht hilfreich, möglicherweise Glück. Viele andere Dinge. 

Deshalb ist die Schreibschuldebatte, die zu den wichtigen Feiern des liturgischen Literaturjahres – Leipziger Buchmesse, Frankfurter Buchmesse, Bachmannpreis – hochkocht, für Schreibschüler selbst nicht weiter interessant. Eben nicht nur, weil die Debatte immer dieselbe ist, die Kopie einer Kopie einer Kopie, in deren leicht naivem Kern Leidenschaft gegen Plastik, Regelpoetik gegen Wildwuchs, Technik gegen Wahn, Markt gegen Kunst, ausgespielt werden sollen als seien das Gegensätze. Sondern auch, weil diese Debatte die Studierenden und ihre Produktion im Kern nicht betrifft – weder diejenigen, die sich mitten in ihrem Studium befinden, noch diejenigen, die nach ihrem Abschluss ihren Weg in die Welt außerhalb der Institute machen müssen. 

Deshalb entstand 2014 dieses Buch, als eine kleine Bestands- und Momentaufnahme, die genau in diesen unerschlossenen Bereich der Debatte vorstoßen sollte (und, ironischerweise, mit Florian Kesslers Text „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn“, der auch in der ZEIT abgedruckt wurde, eine neue Iteration der alten Schreibschuldebatte auslöste). Im Kern lag – und liegt – die alte Elternfrage: Und was machst du dann später damit? Die Idee war, ehemalige Schreibschulstudierende genau das zu fragen, nicht nur die zwei oder drei erfolgreichen Autoren oder Autorinnen, die vielleicht aus einem Jahrgang hervorgehen, sondern auch die anderen, diejenigen, deren Weg sie, absichtlich oder unabsichtlich, woanders hin geführt hat. Um damit vielleicht auch ein etwas weiteres Panorama zu der Frage, was Schreibschulen für das Berufsleben der Studierenden leisten können und was nicht zu öffnen. Das Ergebnis war eine bunte Zusammenstellung unterschiedlichster Lebensentwürfe jenseits jeder Regelpoetik.

Aber ein solches Projekt ist natürlich nie abgeschlossen. Ich selbst habe mein Studium um 2010 abgebrochen, 2014, zur Veröffentlichung der Vorgängerversion dieses Büchleins  war ich Barkeeper, und heute, 2017 lebe ich ausschließlich von Texten unterschiedlichster Art (auch, wenn ich nur auf manche davon stolz bin). Seit 2014 sind mehrere Generationen von dem, was wir damals „Diplomschriftsteller“ genannt haben – und was heute vielleicht „Masterautoren“ heißen müsste – nachgewachsen, und die Lebensumstände der ursprünglichen Autoren und Autorinnen haben sich teilweise grundlegend geändert.

Wir haben trotzdem beschlossen, die Texte von 2014 nicht zu ändern, sondern es bei der Momentaufnahme zu belassen – auch, wenn diese Texte von denselben Menschen heute vielleicht anders ausfallen würden – diesen allerdings neue Texte zur Seite zu stellen, um das Panorama der Ausgabe von 2014 noch einmal zu erweitern. Die alten Debatten und Ideen haben sich dabei nicht großartig  geändert – das letzte Mal wurde Studierenden von Schreibschulen auf der Leipziger Buchmesse 2017 vorgeworfen, sie hätten nichts zu erzählen und würden für den Markt routiniert um sich selbst kreisen. Dieses Buch – in seiner alten wie auch neuen Fassung – soll, das ist die Hoffnung, diese Vorwürfe etwas entkräften. Denn die meisten der ehemaligen Schreibschulstudierenden, die in diesem Buch zu Wort kommen, haben nicht nur genug zu erzählen – von Existenzängsten, verschlungenen Wegen, Krisen, vom Aufhören und Weitermachen – die meisten von ihnen veröffentlichen auch regelmäßig Texte. Die schlicht und einfach unter dem Radar der Feuilletons und des Marktes fliegen und damit die Debatte verzerren.

Protokoll. Von Martina Hefter

Hallo, ich heiße Martina Hefter und ich arbeite in einem Poledance-Studio. Dort unterrichte ich Spagate (seit und quer), Rückwärtsbeugungen aus dem Stand bzw. Kniestand, Beinhebungen und Hamstringdehnung über 90 Grad, statisch und dynamisch, und vieles mehr. Die Poletänzerinnen sagen mir oft, wie sehr sich ihr Tanz mit meinem Unterricht verbessert habe. Dann freue ich mich. Poledance selbst unterrichte ich nicht, das kann ich nicht.

Ich heiße Martina Hefter und ich arbeite für eine Frau in meinem Alter, die zur Zeit an ihrem ersten Roman schreibt. Ich bin eine Mischung aus Lektorin und Schreibcoach. Ja, ich nehme Geld dafür, die Frau zahlt es mir gern. Sie sagt mir oft, dass ich ihr Schreiben wirklich voranbringe. Dann freue ich mich. Ich habe früher schon mal mit ihr gearbeitet, an einem Band mit Erzählungen. Den hat sie im Selbstverlag rausgebracht. Dafür bekam sie später einen kleinen Literaturpreis, ich habe im Internet nachgesehen, ein seriöser Preis. Da war ich ein bisschen stolz. Für den Roman möchte sie einen Verlag suchen und ich halte das nicht für unrealistisch. Ich würde die Arbeit nicht machen, wenn ich die Texte der Frau für völlig aussichtslos hielte.

Ich heiße Martina Hefter und habe im letzten Sommer sechs Wochen lang für Tino Sehgal als Performerin gearbeitet und ganz gut verdient.

Ich, Martina Hefter, arbeite in einer Performancegruppe und die Chancen stehen nicht ganz schlecht, dass auch unser zweites abendfüllendes Stück Förderung von den entsprechenden Stellen bekommt.

Am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst unterrichte ich, Univ. Lekt. Martina Hefter, derzeit eine Mischung aus Performance und Schreiben für andere Kunstsparten. Ab und zu gehen wir auch in ein Studio im Tanzquartier Wien oder machen Bewegungsspiele im Stadtpark.

Außerdem erscheint im nächsten Frühjahr mein siebtes Buch. 

Nach drei Romanen und drei Gedichtbänden wird es ein Buch überwiegend mit szenischen- bzw. Sprechtexten. Von dieser Textsorte will ich auch drei Bände machen. Welches Genre nach diesen drei kommen wird, weiß ich noch nicht. Dass ich dann drei Erzählungsbände schreibe, glaub ich eher nicht.

Ich kann Texte sprechen, tanzen, Gymnastik und Fitness unterrichten und – na ja, schreiben kann ich auch. Ich habe am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Zuvor habe ich drei Jahre lang in einem Fitnessstudio gearbeitet. Das war schon ein krasser Wechsel. Im ersten Semester in Leipzig habe ich mir einen Job gesucht, und tatsächlich landete ich auch da wieder in einem Fitnessstudio.

Im Sommer 2000 saß ich in einem DLL-Seminar zur Gegenwartsliteratur, es ging um Judith Hermanns erstes Buch Sommerhaus, später. Mit einer Mitstudentin schloss ich eine Wette ab. Was die Hermann kann, können wir auch, nein, können wir nicht. Weil es nicht unsere eigentliche Haltung ist, in der wir schreiben, werden es keine Texte werden, die irgendjemand gut finden wird, dachte ich. Unsere Erzählungen im Hermann-Stil schickten wir wenig später zum Open Mike-Wettbewerb.

Diese Erzählung las ich im folgenden November beim Open Mike vor, und sie wurde das Eingangskapitel meines ersten, na ja, Romans. Anders als Judith Hermann blieb ich relativ unberühmt, obwohl es Besprechungen in allen großen Tageszeitungen gab. Allerdings ist das Buch doch anders als Judith Hermanns Buch geworden. Den Hermann-Stil habe ich schon ein bisschen verfehlt.

Unter bestimmten Umständen hätte ich auch total reich werden können, kommt mir manchmal in den Sinn, wenn ich daran zurückdenke. Aber um den Preis, dann mit einem Buch leben zu müssen, dass man nur wegen einer Wette anfing zu schreiben?

Mein Freund (jetzt Ehemann) und ich entwarfen den Arbeitsplan: Drei Wochen hatte ich mir vom Verleger (der mich als Mitglied der Vorjury zum Open Mike eingeladen hatte) erbeten. In der Zeit, sagte ich ihm, wolle ich das Manuskript meines gerade entstehenden Romans nochmal durchsehen und ihm dann schicken. Das war schon schlimm gelogen, das Manuskript gab es noch gar nicht und ein Roman entstand gerade auch noch nicht. Aber hey, drei Wochen, absolut machbar. Mein Verlobter würde den Großteil der Elternpflichten übernehmen und ich konnte den Anfang des Romans schreiben, natürlich wieder im Hermann-Stil. Wir waren schwanger mit dem zweiten Kind. (Übrigens ist das erste Schreibschulkind Deutschlands nicht das Kind von Thomas Klupp, wie er in seinem Textbeitrag schreibt, sondern die erste Tochter von Jan Kuhlbrodt und mir, geboren im Juni 1999. Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit wurden vom gesamten Literaturinstitut mit großer Anteilnahme verfolgt, es gab sogar eine offizielle Einladung zur Baby-Vorstellung von Seiten der Professorenschaft, und so einige meiner Mitstudierenden haben in den ersten Monaten den Kinderwagen durch den Clara-Zetkin-Park geschoben. Die Professoren schenkten meiner Tochter unter anderem einen Plüschteddy. Den hat sie heute noch.)

Es war die Zeit der hohen Vorschüsse nicht nur für junge Frauen. Das neue Erzählen stand in seiner Blütezeit. Die Literaturszene glich einer Mischung aus Hollywood, Börse und Mafia. Verhandlungen in Hinterzimmern. Hohe Geldbeträge flossen. Man konnte über Nacht ein Star werden. Ich küsste das Baby auf den Scheitel.

Kurz bevor ich die Erzählung im Hermann-Stil schrieb, hatte ich als Ghostwriterin ein Buch geschrieben. Ein Bekannter, Lektor eines inzwischen untergegangenen Leipziger Verlags, hatte gefragt, ob ich Lust dazu hätte. Das Honorar war nicht schlecht. Auf dem Buchumschlag würde der Name eines Mannes stehen. Er hatte die Idee zum Buch gehabt und entsprechende Fakten gesammelt, war aber dem Schreiben der Texte nicht ganz gewachsen. Das Buch hieß Das Lexikon der Filmpannen, es war die große Zeit der populären Lexika. Eine unterhaltsame Versammlung spektakulärer Filmfehler sollte es werden, also zum Beispiel, wenn in einem Römerfilm ein Gladiator eine Swatch am Handgelenk trägt. Ich schrieb die Texte anhand der von dem Mann zusammengetragenen Pannen und mit Hilfe eines dreibändigen Filmlexikons, das der Verlag extra für mich anschaffte. Mein Name würde auf dem Buch nicht erscheinen, das war ein gutes Gefühl. Ich hatte Spaß am Schreiben. Oft lachte ich über meine eigenen Texte, ich fand sie witzig, es war, als ob sie gar nicht von mir wären.

Das Buch verkaufte sich sehr gut, es war eigentlich mein bestverkauftes, es erreichte fünf Auflagen. Der Mann, der für den Autor gehalten wurde, wurde in mehrere Fernsehsendungen und zu Lesungen eingeladen, und in der FAZ erschien eine kleine Rezension. Darin wurde das filmische Fachwissen des Autors gelobt, in Verbindung mit der originellen, unterhaltsamen Darstellungsweise. Weil mein Name nicht vorn auf dem Buchumschlag stand, konnte ich nicht am Verkauf beteiligt werden. Diese Regel gibt es tatsächlich. Die Nachforderungsregel, nach der bei unerwartet hohen Verkaufszahlen Ghostwriterinnen, Übersetzerinnen usw. nachbeteiligt werden können, wurde ein paar Jahre später eingeführt, aber ich hätte Anwälte gegen die Verlagsleiterin bemühen müssen. Das wollte ich nicht, ich mochte sie gern und war auch zu faul für solch große Sachen. Um Millionen ging es ja nicht.

Hallo, ich bin Martina Hefter.

Ja, ich glaube schon, dass ich schreiben kann.

In der Haltung des Ghostwriting habe ich auch meinen ersten Roman geschrieben. Eigentlich auch meinen zweiten und den dritten Roman. Ich schrieb als Ghostwriterin für Martina Hefter Auftragstexte, die so klingen könnten, als wären sie von Martina Hefter. Mit Martina Hefter hatten sie überhaupt nichts zu tun, auch wenn ich zum Teil autobiografische Details als Strukturgeber verwendete.

Während der gesamten Zeit um meinen ersten Roman herum studierte ich noch am DLL. Ich sah das Ganze mehr wie eine Art Praktikum, denke ich heute.

Mein erster Roman erschien übrigens am 11. September 2001. Vormittags bin ich noch mit dem neuen Baby in die Stadt, zum Hugendubel, weil ich sehen wollte, ob mein Buch da in einem Stapel liegt. Lag es, der Stapel war so mittelgroß. Mein Verleger meinte ein Jahr später, wäre 9/11 nicht geschehen, wäre das Buch viel erfolgreicher geworden. Mein Roman handelte im weitesten Sinn vom geteilten Deutschland, vom Ankommen einer jungen Frau aus dem Westen im Osten. Mit 9/11, meinte mein Verleger, wäre das ost-Wwestdeutsche Thema komplett unwichtig geworden, weil die Welt mit einem Schlag riesengroß war und Ost-Westdeutschland nur ein total unerheblicher Flecken. Das fand ich nachvollziehbar. Aber auch idiotisch. Nur weil sich eine neue Welt auftut, ist die alte ja nicht verschwunden.

Ich glaube sowieso eher, mein Buch wäre erfolgreicher geworden, wenn ich mich mehr mit dem Schriftstellerberuf identifiziert hätte. Zu der Zeit überlegte ich gerade, ob ich nicht wieder mit dem Tanzen anfangen sollte.

Das alles klingt so, als wären die Roman- und die Auftragsschriftstellerei das schlechte Schreiben, und dann gäbe es als Gegenpart dazu auch ein gutes Schreiben. Ein ehrliches sozusagen, ein echt künstlerisches. Meine Gedichtbände schrieb ich schon in anderer Haltung als die Romane. Aber eben doch auch in einer Haltung.

Ich, Martina Hefter, trainiere jeden Tag an die drei Stunden – Ballett, Pilates, Fußmuskulatur, Dehnung. Das brauche ich, um als Performancekünstlerin vor einem Publikum jederzeit Präsenz herstellen zu können. Auch bei Lesungen hat es mir schon genützt, weil ich mir an so einem Lesetisch normalerweise furchtbar peinlich vorkomme. 

Wenn wir an unseren Stücken arbeiten, kommen durchschnittlich zwei Stunden Proben mit meinem Performancekollektiv dazu. Im Moment probe ich (noch moderat) für eine Solo-Arbeit: Derzeit schreibe ich einen Sprechtext für mich selbst als Darstellerin und ich setze ihn zugleich schon in Szene.

Das Literaturinstitut war mir immer eine Nummer zu – eng irgendwie. Trotzdem habe ich wirklich viel gelernt dort und möchte die Zeit nicht missen.

Ich mag eigentlich gar nicht gern schreiben. Den körperlichen Vorgang des Schreibens zumindest finde ich furchtbar. Ich bekomme eine schlechte Haltung und Rückenschmerzen. Auch schlechte Laune. Deswegen wurde ich lieber nicht Schriftstellerin. Ich bin eine Künstlerin, die auch Texte schreibt. Ich schreibe nur solche Texte, die mich am Tag nicht mehr Zeit kosten als eine Stunde.

Ich bin unbedingt für eine Zusammenlegung der Schreibschulen mit Kunst-, Theater-, Musik- und Tanzhochschulen. Die Mittel und Materialien sind andere, aber das Tun selbst, die Arbeit, ist in allen Bereichen gleich. Das sehen die meisten meiner Studierenden am Institut für Sprachkunst in Wien auch so.

Zum ersten Mal, seit ich in der KSK bin (seit dem Jahr 2001) werde ich für 2017 meine überwiegenden Einkünfte im Bereich „Performance“ haben. Ich bin trotzdem Autorin, das Schreiben gehört zu meinem Beruf unbedingt dazu. Was der Beruf ist, weiß ich nicht.

Das Diplom vom DLL habe ich in meinem Sekretär liegen.

Das andere Schreiben. Von Thorsten Krämer

Folgendes Problem: Christoph hat seinen Gästen Seeteufel angekündigt, den er aber nicht bekommen hat, und serviert nun gleich stattdessen Pangasius. Du hast drei Sekunden Zeit, diesen Sachverhalt auf amüsante Weise zu erklären, wobei es zu keiner Text-Bild-Schere kommen darf –  während dieser drei Sekunden ist nämlich Sirin zu sehen, wie sie am Tisch auf das Essen wartet. Sie verträgt keinen Fisch, was du idealerweise auch noch zur Sprache bringen solltest.

**

Als ich in die Oberstufe ging, gab es dort ein Mädchen, das unbedingt Opernsängerin werden wollte. Sie liebte klassische Musik und hielt Popmusik per se für ein minderwertiges Genre. Ihre Lieblingsband damals: INXS.

**

Wir sagen hier alle du.

**

Seit zehn Jahren schreibe ich jetzt Offtexte fürs Fernsehen, die meisten davon für Das Perfekte Dinner – rund 500 Folgen allein für dieses Format. Zusammen mit den Arbeiten für die anderen Produktionen, an denen ich beteiligt war, ergibt das eine Textmenge, die ungefähr der von 50 Romanen entspricht. Das ist ein sehr hohes Pensum, aber keineswegs ungewöhnlich. Es gibt Kollegen, die müssen in drei Tagen 60 Seiten Drehbuch schreiben  und das Woche für Woche. Wie lange man so etwas durchhält, das ist eine andere Frage.

**

KICK-OFF! Wir müssen uns ja schließlich erst mal kennen lernen! Das geht am besten bei Cocktails und Fingerfood. Ich schreibe also die Offtexte. Was hast du sonst schon so gemacht?

**

Das erste Paradox des Fernsehens: Alle verstehen alles, nur der Zuschauer nicht.

Das Niveau des Fernsehens ist ein häufiger Grund zur Klage. Man könnte fast meinen, es arbeiten nur Idioten dort, die es nicht besser können. Kurioserweise ist das Gegenteil der Fall: Alle bleiben stets unter ihren Möglichkeiten. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt. Der Anteil der Akademiker unter den an einer Produktion Beteiligten ist hoch; bei einer Weihnachtsfeier einer großen Produktionsfirma habe ich mich einmal ganz vorzüglich mit einem Germanisten unterhalten, der vor kurzem erst seine Magisterarbeit über „das Unheimliche bei E.T.A. Hoffmann“ abgegeben hatte und jetzt Drehbücher für ein Scripted-Reality-Format bei RTL schrieb. Redakteurinnen, die Texte von mir änderten, weil sie sie für zu schwer verständlich oder zu intellektuell hielten, hatten selbst keine Schwierigkeiten beim Verständnis der Texte. Ob es darum geht, ob ein Scherz zu frech, eine Anspielung zu subtil oder ein Effekt zu verwirrend sei – die Messlatte liegt jedesmal deutlich tiefer als nötig. Es wirkt fast so, als habe man sich irgendwann einmal auf DEN Zuschauer geeinigt, dessen geistige Fähigkeiten nun allen bekannt sind. Damit ist nicht notwendig eine gehässige Haltung verbunden, es geht nicht darum, einen Zuschauer zu konstruieren, auf den man hinabsehen kann. Wenn schon, dann ist es eher eine fürsorgliche Haltung, die dort auftritt: Man will den Zuschauer nicht überfordern. Warum das aber so ist? Das ist mir in zehn Jahren nicht deutlich geworden.

**

Das eigentliche Problem an der Fernsehtexterei sind nicht die Texte, sondern die Deadlines. Die Offtexte, die ich abzuliefern habe, werden ja nichts ins Blaue hineingeschrieben oder auf Halde, sondern sind sehr genau terminiert. Die Produktionspläne legen exakt fest, wann gedreht wird, wie lange ein Schnittredakteur Zeit hat, eine Sendung zu bauen, wann vertont und wann gemischt wird. Natürlich gibt es immer noch einen Puffer, aber dieser Spielraum wird nach hinten raus immer dünner, und das Texten hat einen sehr späten Platz im Ablauf, dementsprechend wenig Spielraum gibt es für die Autoren. Seit zehn Jahren lebe ich also von Deadline zu Deadline. Es ist nicht leicht zu beschreiben, was das mit einem macht. Auch beim literarischen Schreiben kommt irgendwann der Punkt, wo eine Redaktion oder ein Verlag den fertigen Text vorliegen haben muss, aber diese Deadlines sind in der Regel um einiges elastischer als die beim Fernsehen. Der Rhythmus, den die Deadlines vorgeben, lässt sich prinzipiell sehr individuell gestalten – es ist nur wichtig, dass der Text rechtzeitig vorliegt; wann man daran arbeitet, spielt keine Rolle. Theoretisch könnte man sich sofort ransetzen, alles fertig machen, eine Weile ruhen lassen und dann entspannt abgeben. Aber ich kenne keinen Autoren, der so arbeitet. Im Allgemeinen fangen alle zu spät an und müssen sich dann sehr anstrengen, um rechtzeitig fertig zu werden. Dieses kurzfristige Mobilisieren von großer Energie hat zur Folge, dass nach der Deadline erst einmal Erholung angesagt ist. Doch wenn die Taktung eng genug ist, was bei regelmäßig ausgestrahlten Formaten für gewöhnlich der Fall ist, bleibt für Erholung eigentlich keine Zeit, man ist also vor der nächsten Deadline schon wieder latent in Verzug, der ganze Zyklus wiederholt sich immer weiter. Ein stetes Pendeln zwischen Höchstleistung und Erschöpfung ist die Folge – wessen Psyche zum Manisch-Depressiven neigt, der ist hier genau an der richtigen Adresse. Auf Dauer ist das nicht auszuhalten, deswegen braucht jeder  Autor in diesem Bereich eine exit strategy. In meinem Fall habe ich parallel zur Fernseharbeit eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten gemacht – die ideale Ergänzung auch deshalb, weil diese Arbeit sich inbesondere mit der Erhaltung der psychischen Gesundheit beschäftigt. Ich frage mich ernsthaft, wie andere Kollegen das ohne ein solches Gegenwicht aushalten. Den meisten ist jedenfalls klar, dass sie diese Tätigkeit nicht bis zum Rentenalter werden fortsetzen können.

**

In seiner berühmten Kaufhausstudie konnte der Soziolinguist William Labov 1966 nachweisen, dass auch innerhalb einer sozialen Schicht sehr feine Unterschiede herrschen, die den größeren Unterschieden zwischen den Schichten entsprechen. Er fand heraus, dass die Sprache von Kaufhausangestellten variierte, je nachdem, in welchem Kaufhaus sie arbeiteten. Die Angestellten eines Kaufhauses, in dem hauptsächlich Angehörige der Oberschicht einkauften, redeten auch wie diese, während in Kaufhäusern mit einer hauptsächlich der Unterschicht angehörenden Klientel auch die Angestellten deren Sprache übernahmen. 

Diese Mikrostratifizierung konnte ich bei meiner Arbeit fürs Fernsehen bestätigen. Mein Vater war als Elektriker für die Haustechnik einer Versicherung zuständig. Als Student arbeitete ich eine Weile als Aushilfe in der Haustechnik eines Kaufhauses. Die Elektriker, mit denen ich dort zu tun hatte, erinnerten mich sehr an meinen Vater und seine Kollegen. Der erste Elektriker dagegen, dem ich beim Sender begegnete, unterschied sich stark von allen Elektrikern, die ich bislang gekannt hatte. Im ersten Moment, als er während einer Sprachaufnahme ins Studio kam, erkannte ich nicht einmal, dass es sich um einen Elektriker handelte. Er trug nämlich keinen Kittel, sondern ein buntes, geblümtes Hemd, und war auch ansonsten in keiner Weise als Handwerker kenntlich. Er hatte die Anmutung eines Künstlers, und diese kurze Begegnung verriet mir, warum es für viele Menschen so attraktiv ist, beim Fernsehen zu arbeiten. Die Strahlkraft, die man denjenigen vor der Kamera zuspricht, den Stars und Prominenten, diese besondere Aura strahlt durch bis ins letzte Glied. Und gleichzeitig verstand ich auch, dass alle Versuche, eine ähnliche Aura für den Literaturbetrieb herzustellen, zum Scheitern verurteilt sind. Denn schon dieser Elektriker hatte mehr Glamour als jeder Autor, dem ich bisher begegnet bin.

**

Das 2. Paradox des Fernsehens: 5.000 Haushalte entscheiden über das gesamte Programm. 

Niemand hat Gott je gesehen, heißt es im Johannesevangelium, und dasselbe gilt für den Gott des Fernsehens, die Quote. Natürlich lesen alle am Morgen gleich als erstes die Quoten vom Vortag, aber wie diese zustande kommen, liegt in einer Black Box verborgen. 5.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte übermitteln die Daten ihres Sehverhaltens an die Gesellschaft für Konsumforschung, die daraus die minutengenauen Quoten hochrechnet. Die Identität der Menschen, die das entsprechende Gerät bei sich zu Hause stehen haben, das ihnen ein stechuhrartiges Ein- und Ausloggen ermöglicht, wann immer sie den Fernseher einschalten, wird strengstens geheimgehalten – aus naheliegenden Gründen, um nämlich jede Form der Manipulation auszuschließen. Diese Geheimhaltung funktioniert so perfekt, dass ich bis heute noch niemanden getroffen habe, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der zu einem der 5.000 Haushalte gehört. Glaubt man der Theorie der six degrees of separation, laut der weltweit jeder Mensch mit jedem beliebigen anderen über nur sechs Schritte verbunden ist, dann kann es kaum sein, dass die Quotenzuschauer dermaßen gut vom Rest der Bevölkerung abgeschirmt sind. Daher der beliebte running gag der Branche, wonach die Quoten in Wahrheit einfach ausgewürfelt werden. Roland Barthes hätte seine Freude gehabt an dieser leeren Mitte, um die herum sich das ganze Geschäft dreht. Denn so dunkel auch die Umstände sind, unter denen diese Zahlen zustande kommen, so akribisch verfährt man bei ihrer Auswertung. Lead-Ins und Lead-Outs werden verglichen, Werbebreaks strategisch auf die Minute genau gelegt und Kurven gezeichnet, als wäre das alles eine exakte Wissenschaft und keine Orakeldeuterei. In seltenen Fällen wird eine Serie, an der hunderte von Menschen mehrere Monate lang gearbeitet haben, schon nach einer einzigen Folge abgesetzt, weil die Quote nicht stimmte. Im anderen Fall, bei einer überraschend guten Quote, werden auch schon mal begeisterte E-Mails ans gesamte Team geschickt. Die Quote ist somit Zuckerbrot und Peitsche in einem, sie ist der Motor, der dafür sorgt, dass es keinerlei Stillstand gibt. Beständig wird an Formaten, auch an erfolgreichen, gerade an erfolgreichen, geschraubt, werden kleine Änderungen vorgenommen, wird experimentiert um des Experimentierens willen. Same same, but different: Das ist das ästhetische Programm, das dafür sorgt, dass es immer weitergeht und nichts sicher ist.

**

BERGFEST! Wir haben jetzt die Hälfte dieses Textes hier zusammen hinter uns gebracht, und das muss gefeiert werden! 

**

Jemand, der wenig Einblick in die Entstehungsbedingungen von Fernsehproduktionen hat, ist in der Regel sehr erstaunt, wenn, beispielsweise durch einen ausführlichen Abspann, deutlich wird, wie viele Menschen an einer Sendung beteiligt sind. Die schiere Menge an Namen steht dabei für zweierlei: Sie enthüllt, wie wichtig dieser Wirtschaftszweig ist, wie viele Menschen also mit dem Fernsehen ihr Geld verdienen, und sie offenbart diesen Bereich als einen, der von einer sehr großen Arbeitsteilung geprägt ist. Allein die möglichen Tätigkeiten, die man als Schreibender beim Fernsehen übernehmen kann, sind derart fein aufgefächert, dass es wenig Überschneidungen gibt. Drehbuchautoren schreiben keine Moderationen, Texter von Moderationen schreiben selten Offtexte, und, wie ich selbst erfahren konnte: Wenn man einmal als Offtexter für Koch-Shows gebucht ist, kriegt man vor allem Angebote zum Texten anderer Koch-Shows. Das hat etwas Deprimierendes, als wäre die gesamte Existenz plötzlich geronnen zu einer einzigen, sehr speziellen Tätigkeit. Gleichzeitig ist diese extreme Form der Arbeitsteilung aber auch die Grundlage für eine Form der Anerkennung, die ich aus dem Literaturbetrieb nur in Einzelfällen kenne. Wer sich dort als Autor über Wasser halten will, wird früher oder später, so er denn nicht gleich mit einem Bestseller die Bühne betritt, Tätigkeiten ausüben, die mit dem eigentlichen literarischen Schreiben wenig zu tun haben. Man macht Lesungen, schreibt Rezensionen, sitzt in Jurys, übernimmt hier und da ein Lektorat, wird als Teilnehmer an Podiumsdiskussionen gebucht und manches mehr. Allen diesen sekundären Tätigkeiten ist gemein, dass sie gleichzeitig auch von allen anderen Akteuren des Betriebs übernommen werden: Kritiker schreiben Rezensionen, Verleger nehman an Diskussionen teil, Schauspieler machen Lesungen. Der Autor wird den anderen immer ähnlicher, seine Kernkompetenz ist, im Tagesgeschäft, nur mehr ein Anhängsel, eine Zusatzqualifikation. Dementsprechend sinkt die Wertschätzung für die Arbeit am Text. Es reicht nicht, gute Qualität abzuliefern, man muss auch in allen anderen Bereichen des Betriebs versiert sein – was andererseits wieder die Konkurrenz zwischen Parteien fördert, die eigentlich in gar keinem Konkurrenzverhältnis stehen müssten. Der Literaturbetrieb, in dem prinzipiell jeder alles macht, einfach, um sein Überleben zu sichern, ist deshalb grundsätzlich dysfunktional. Dass er trotzdem irgendwie weiter existiert, noch zumindest, liegt daran, dass es die Beteiligten schaffen, die zynische Grundlage seines Doch-Funktionierens immer wieder auszublenden. Der Preis dafür ist freilich hoch, und viele geben schließlich auf oder freunden sich mit dem Zynismus an.

Ich verwende den Begriff „Zynismus“ hier sehr bewusst, da es sich dabei um genau den Vorwurf handelt, der sehr häufig dem Fernsehen gemacht wird, sehr viel häufiger jedenfalls als dem Literaturbetrieb. Meine persönliche Erfahrung belegt das Gegenteil: Mir ist bei meiner Arbeit für das Fernsehen wesentlich weniger Zynismus begegnet als im Literaturbetrieb. Die extreme Arbeitsteilung ist der erste Grund dafür. In dem Maße, in dem die Besonderheit einer Tätigkeit im allgemeinen Bewusstsein verankert ist, sinkt die Konkurrenz und steigt die Wertschätzung für diese Tätigkeit. Offtexte schreiben, Sendungen schneiden, bei einem Dreh realisieren, den Ton mischen, das sind derart verschiedene Spezialisierungen, dass es absurd wäre, sich zu sagen: Das, was die machen, kann ich auch. Genau diese Haltung findet sich aber im Literaturbetrieb ständig, weil in der Praxis genau das stattfindet. Dazu kommt, dass es beim Fernsehen nicht die eine Königsdisziplin gibt, sondern dass alle Arbeiten gleichwertig ineinander greifen. Im Literaturbetrieb dreht sich alles um den Text, ihm ist alles untergeordnet. Denn, und das ist der zweite Grund, warum der Literaturbetrieb Zynismus in stärkerem Maße fördert als das Fernsehen, Literatur ist Kultur. Sehr deutlich wird dies an einem Wort wie Kulturvermittler. Schon der Name suggeriert, dass es sich hierbei um eine nachgeordnete Tätigkeit handelt, was unterschlägt, dass genau diese Tätigkeit im Tagesgeschäft von großer Bedeutung ist – was sich wiederum in der Bezahlung niederschlägt. Ach ja, die Bezahlung ... 

Der Grund, dass Autoren sich gezwungen sehen, auch alle möglichen anderen Aufgaben im Betrieb zu übernehmen, ist natürlich die schlechte Bezahlung der eigentlichen literarischen Arbeit. Im kommerziellen Bereich der Kultur liegen nämlich konstitutiv zwei Maßstäbe übereinander, die einander widersprechen. Die entsprechenden Währungen sind Anerkennung und Bezahlung. Die Autoren erhalten mehr Anerkennung als die festangestellten Presseleute im Verlag, letztere verdienen aber besser. Neid, Dünkel und Frustation sind häufige Folgen dieser Konstellation. Gleichzeitig wird aber auch die Anerkennung für die Autoren in dem Maße abgewertet, indem sie sich auf Tätigkeiten einlassen, die ihnen bessere Bezahlung in Aussicht stellen. Das System Literaturbetrieb ist von Grund auf marode, es strotzt nur so vor double binds und widersprüchlichen Botschaften, die immerzu an die Akteure gesendet werden. Erstaunlicherweise verschwinden die Symptome dieser Krankheit immer dort, wo der Kulturfaktor eine geringere Rolle spielt. Im Bereich der Krimi- und Fantasyliteratur etwa herrschen viel klarere Verhältnisse, wird auch die Arbeitsteilung strikter vollzogen und, so mein Eindruck zumindest, herrscht eine größere Zufriedenheit bei allen Beteiligten.

Das Fernsehen nun, das kommerzielle, niveaulose Unterhaltungsfernsehen, das weit davon entfernt ist, unter Kulturverdacht zu stehen, bietet im Vergleich dazu deutlich bessere Arbeitsbedingungen, so erstaunlich das auch klingen mag. Die Spielregeln sind um einiges simpler, was nicht heißt, dass in jedem konkreten Fall die Situation besser ist als im Literaturbetrieb, aber die strukturellen Rahmenbedingungen ermöglichen eher eine befriedigende Tätigkeit, als dass sie sie verhindern. Es ist die Nüchternheit des Handwerks, die für jemanden aus der Kulturbranche den großen Reiz des Fernsehens ausmacht.

**

Das dritte Paradox des Fernsehens: Niemand zahlt fürs Privatfernsehen, weil alle dafür zahlen.

Viel Aufhebens wird um die GEZ gemacht, erst recht seit der Neuregelung, dass die Gebühren pauschal per Haushalt abgeführt werden müssen. Von Zwangsgebühren ist die Rede, mehrere Petitionen, die sich für ihre Abschaffung einsetzen, werden massenhaft gezeichnet. Aber niemand protestiert dagegen, wie das Privatfernsehen finanziert wird. Die Unternehmen, die dort Werbung schalten, decken alle Bereiche des täglichen Lebens ab, vom Knäckebrot übers Auto hin zum Duschgel. Die entsprechenden Werbebudgets müssen freilich erst erwirtschaftet werden, unterm Strich zahlt also jeder Konsument, der einen dieser Artikel kauft, für die Fernsehwerbung und damit auch für das Programm der Privaten. Das Privatfernsehen ist also das eigentliche Subventionsfernsehen. Nur kümmert das niemanden. Lieber boykottieren Geister, die sich selbst für kritisch halten, bestimmte Sender, als dass sie aufhören würden, die Produkte zu kaufen, die auf diesem Sender beworben werden. Dabei ist das bloße Nichtschauen eines Senders absolut bedeutungslos, da die Quote ja auf andere Weise ermittelt wird. Dass sich die Werbebudgets trotzdem zunehmend ins Online-Geschäft verschieben, liegt an der allgemeinen Mediennutzung, die von verschiedenen demoskopischen Institutionen unabhängig ermittelt wird und nichts über einzelne Sender aussagt. Wer einen Sender für sein schlechtes Programm bestrafen will, hat nur eine Möglichkeit: weniger einkaufen.

**

Ich kenne keinen anderen Beruf, in dem die sogenannten soft skills von solcher Bedeutung sind wie beim Fernsehen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum die Branche so viele Quereinsteiger anzieht, wie der bekannte Witz belegt: Wenn du nichts gelernt hast, geh doch zum Fernsehen. Egal, wie man die Qualität einzelner Formate und Produktionen auch einschätzt, in der Summe bedeutet  Fernsehen massenhafte Kreativarbeit. Das große Problem, das diese Branche lösen muss, lautet daher: Wie können wir industrielle Fertigung mit Kreativität verbinden? Die Antwort ist so einfach wie komplex: über Atmosphären. 

„Gefühle sind räumlich ausgedehnt“, schreibt der Phänomenologe Hermann Schmitz. Er lastet der Psychologie an, dass sie diesen Aspekt sträflich vernachlässigt, und spricht vom „klimatischen Spüren“, prototypisch anhand des Wetters vorgeführt. Daran anschließend stellt er fest: „Dergleichen Atmosphären sind gewöhnlich in dem Sinn kollektive Gefühle, daß sie mehreren Menschen, wenn diese sich zusammenfinden, wie eine sie gemeinsam überdeckende ‚Stimmungsglocke’ ... zugänglich sein können.“

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie weitreichend die Auswirkungen der Atmosphäre auf einen Arbeitsprozess sind, der in so großem Maße arbeitsteilig organisiert ist wie die Fernseharbeit. Um eine große Menge von Menschen zusammenzuhalten, die alle in ihren Gewerken möglichst ihre eigene kreative Autonomie erhalten wollen, braucht es besondere Qualitäten, die auf das Schaffen und Erhalten einer speziellen Atmosphäre abzielen. Das steht selten in der job descriptionfreiwilligenStimmungschwierigschwierigen