Friedrich de la Motte Fouqué: Das Galgenmännlein / Das Schauerfeld / Die Köhlerfamilie

 

 

Friedrich de la Motte Fouqué

Das Galgenmännlein

Das Schauerfeld

Die Köhlerfamilie

 

 

 

Friedrich de la Motte Fouqué: Das Galgenmännlein / Das Schauerfeld / Die Köhlerfamilie

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Odilon Redon, Waldgeist, 1890

 

ISBN 978-3-8430-6483-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7570-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7572-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Eine Geschichte vom Galgenmännlein

Erstdruck: In: Pantheon. Eine Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst. Herausgegeben von Dr. Johann Gustav Büsching und Dr. Karl Ludwig Kannegießer. Ersten Bandes zweites Heft, Leipzig (Saalfeld) 1810.

Das Schauerfeld

Erschienen bei Julius Eduard Hitzig, Berlin, 1814.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich de la Motte Fouqué: Romantische Erzählungen. Nach den Erstdrucken mit Anmerkungen, Zeittafel, Bibliographie und einem Nachwort herausgegeben von Gerhard Schulz, München: Winkler, 1977.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Eine Geschichte vom Galgenmännlein

In Venezia, die weit und breit berühmte welsche Handelsstadt, zog eines schönen Abends ein junger deutscher Kaufmann ein, Reichard geheißen, gar ein fröhlicher und kecker Gesell. Es gab eben zu der Zeit in deutschen Landen mannigfache Unruhe, um des Dreißigjährigen Krieges willen; deshalben war der junge Handelsmann, der sich gern einen lustigen Tag machte, ganz besonders damit zufrieden, daß ihn seine Geschäfte auf einige Zeit nach Welschland riefen, wo es nicht so gar kriegerisch zuging, und wo man, wie er gehört hatte, ganz köstlichen Wein und viele der besten und wohlschmeckendsten Früchte antreffen sollte, noch der vielen wunderschönen Frauen zu geschweigen, von welchen er ein absonderlicher Liebhaber war.

Er fuhr, wie sie es dorten zu tun pflegen, in einem kleinen Schifflein, Gondel geheißen, auf den Kanälen umher, die es in Venezia statt der ordentlichen gepflasterten Straßen gibt, und hatte seine große Lust an den schönen Häusern und den noch viel schöneren Weibsgestalten, die er oftmals daraus hervorblicken sah. Als er endlich gegen ein höchst prächtiges Gebäude herankam, in dessen Fenstern wohl zwölf der alleranmutigsten Frauenzimmer lagen, sprach der gute junge Gesell zu einem der Gondoliere, die sein Schifflein ruderten: »Daß Gott! Wenn es mir doch einmal so wohl werden sollte, daß ich nur ein Wörtlein zu einer von jenen wunderschönen Fräulein sprechen dürfte!« – »Ei«, sagte der Gondolier, »ist es weiter nichts als das, so steigt nur aus und geht kecklich hinauf. Die Zeit wird Euch droben gewißlich nicht lang werden.« Der junge Reichard aber sprach: »Du hast wohl deine Lust daran, fremde Leute zu necken und meinest, in mir so einen groben Gesellen zu treffen, der nach deinen törichten Worten täte und droben im Schlosse dann ausgelacht würde, oder wohl ausgewamst obendrein?« – »Herr, lehrt mich die Sitten des Landes nicht kennen«, sagte der Gondolier. »Tut nur nach meinem Rat, dafern Ihr's Euch gerne wohl sein[5] laßt, und nehmen sie Euch nicht mit offnen, schönen Armen auf, so will ich meines Fährlohnes quitt und verlustig gehen.«

Das schien dem jungen Burschen des Versuchens schon wert, auch hatte der Gondolier nicht eben gelogen. Die Schar der liebreizenden Fräulein nahm den Fremden nicht allein holdselig auf, sondern es führte ihn auch die, welche er für die Schönste aus ihnen hielt, in ihr eignes Gemach, wo sie ihn mit den auserlesensten Trink- und Eßwaren bewirtete, und auch mit manchem Kuß, ja, ihm endlich ganz und gar zu Willen ward. Er mußte mehrmalen bei sich denken: »Ich bin doch fürwahr in das alleranmutigste und wunderbarste Land gekommen, so es auf dem Erdboden gibt: zugleich aber kann ich auch dem Himmel nicht genugsamlich danken für die Anmutigkeiten meiner Person und meines Geistes, vermittelst deren ich den fremden Damen so sehr gefalle.«

Als er nun aber wieder von hinnen wollte, forderte ihm das Fräulein fünfzig Dukaten ab, und weil er sich darüber verwunderte, sagte sie: »Ei, junger Fant, wie vermeint Ihr doch, Euch der schönsten Courtisane aus ganz Venedig so gar umsonst erfreut zu haben? Zahlt nur immer frisch, denn wer nicht vorher bedungen hat, muß sich den Preis gefallen lassen, den man von ihm begehrt. Wollt Ihr aber künftig wiederkommen, so gehabt Euch klüger, und Ihr könnt für eine Summe, wie es Euch heute gekostet hat, eine ganze Woche lang in allen Freuden leben.«

Ach, wie verdrießlich es doch sein mag für einen, der dachte, er habe eine Prinzessin erobert, wenn er nun merkt, daß es eine gar gemeine Buhlschaft war, und ihm noch eine so erkleckliche Summe dabei aus dem Geldbeutel gelockt wird! Der junge Gesell aber bewies sich nicht so ergrimmt, als wohl ein andrer meinen sollte. Es war ihm mehr um eine gute Pflege seines Leibes zu tun als um viele Preislichkeiten in seiner Historie, deshalben er sich denn nach geleisteter Zahlung in ein Weinhaus fahren ließ, um dorten wegzutrinken, was ihm noch etwa von Ärger im Kopfe herumzog.

Da nun der fröhliche Bursch auf solchen Wegen war, mochte es ihm auch nicht an gar zahlreicher und vergnügter Gesellschaft fehlen. Es ging manchen Tag fort in Saus und Braus und zwischen lauter lustigen Gesichtern; ein einziges ausgenommen, das einem[6] hispanischen Hauptmann zugehörte, der zwar allen den Späßen der wilden Bande, in die der junge Reichard sich begeben hatte, beiwohnte, aber meist ohne ein Wort zu verlieren und mit einer recht gewaltsamen Unruhe auf allen Zügen seines finstern Antlitzes. Man litt ihn dabei gern, denn er war ein Mann von Ansehen und Vermögen, der sich nichts daraus machte, die ganze Gesellschaft oft mehrere Abende hintereinander freizuhalten.

Demohngeachtet, und ob sich der junge Reichard gleich nicht mehr so arg beschatzen ließ wie am Tage seiner Ankunft in Venezia, begann ihm doch endlich das Geld auszugehen, und er mußte mit großer Betrübnis daran denken, daß ein so unerhört vergnügliches Leben nun bald für ihn ans Ende kommen müsse, dafern er nicht mit seinem vielen Verlustieren zuletzt all seines Geldes verlustig gehn wolle.

Die andern wurden seiner Trübseligkeit inne, zugleich auch der Ursache dazu – wie sie denn dergleichen Fälle sehr häufig in ihrem Kreise erlebten – und hatten ihren Spaß mit dem ausgebeutelten Kopfhänger, der es doch immer noch nicht lassen konnte, durch die Reste seines Säckels von dem anmutigen Fliegengifte zu naschen. Da nahm ihn eines Abends der Hispanier beiseite und führte ihn mit unerwarteter Freundlichkeit in eine ziemlich öde Gegend der Stadt. Dem guten jungen Gesellen wollte schier angst dabei werden, aber er dachte zuletzt: »Daß nicht mehr viel bei mir zu holen ist, weiß der Kumpan, und an meine Haut, dafern ihm drum zu tun wäre, müßte er doch immer erst die seinige setzen, welches er wohl für einen zu hohen Spielpreis halten wird.«

Der hispanische Hauptmann aber, sich auf die Grundmauer eines alten, verfallenen Gebäudes setzend, nötigte den jungen Kaufherrn neben sich und hub folgendermaßen zu sprechen an: »Es will mich fast bedünken, mein lieber, höchst jugendlicher Freund, als fehle es Euch an eben derselben Fähigkeit, welche mir über alle Maßen zur Last wird – an der Kraft nämlich, in jeder Stunde eine beliebige Summe Geldes herbeizuschaffen und so fortfahren zu können nach Belieben. Das und noch viele andre Gaben in den Kauf lasse ich Euch für ein billiges Geld ab.«

»Was kann Euch denn noch am Gelde liegen, indem Ihr die Gabe, es Euch zu verschaffen, loswerden wollt?« fragte Reichard.[7]

»Damit hat es folgende Bewandtnis«, entgegnete der Hauptmann. »Ich weiß nicht, ob Ihr gewisse kleine Kreaturen kennet, die man Galgenmännlein heißt. Es sind schwarze Teufelchen in Gläslein eingeschlossen. Wer ein solches besitzt, vermag von ihm zu erhalten, was er sich nur Ergötzliches im Leben wünschen mag, vorzüglich aber unermeßlich vieles Geld. Dagegen bedingt sich das Galgenmännlein die Seele seines Besitzers für seinen Herrn Luzifer aus, wofern der Besitzer stirbt, ohne sein Galgenmännlein in andre Hände überliefert zu haben. Dies darf aber nur durch Kauf geschehn, und zwar, indem man eine geringere Summe dafür empfängt, als man dafür bezahlt hat. Meines kostet mir zehn Dukaten; wollt Ihr nun neun dafür geben, so ist es Eur.«

Während der junge Reichard sich noch besann, sprach der Hispanier weiter: »Ich könnte jemanden damit anführen und es ihm für irgendein andres Gläslein und Spielwerk in die Hände schaffen, wie mich denn selbsten ein gewissenloser Handelsmann auf gleiche Weise in dessen Besitz brachte. Aber ich denke darauf, mein Gewissen nicht noch mehr zu beschweren und trage Euch den Kauf ehrlich und offenbar an. Ihr seid noch jung und lebenslustig und gewinnt wohl mannigfache Gelegenheit, Euch des Dinges zu entledigen, dafern es Euch zur Last werden sollte, wie es mir heute solches ist.«

»Lieber Herr«, sagte Reichard dagegen, »wolltet Ihr mir's nicht für ungut nehmen, so möchte ich Euch klagen, wie oft ich in dieser Stadt Venezia bereits angeführt worden bin.«

»Ei, du junger, törichter Gesell!« rief der Hispanier zornig, »du darfst nur an mein Fest von gestern abend zurückdenken, um zu wissen, ob ich um deiner lausigen neun Dukaten willen betrügen werde oder nicht.«

»Wer viel gastiert, verbraucht auch viel«, versetzte der junge Kaufmann sittig, »und nur ein Handwerk, nicht aber ein Geldsäckel hat einen güldnen Boden. Wenn Ihr nun Eueren letzten Dukaten gestern ausgegeben hättet, könnten Euch heute meine vorletzten neune dennoch lieb sein.«

»Entschuldige es, daß ich dich nicht totsteche«, sagte der Hispanier. »Es geschieht, weil ich hoffe, du werdest mir noch von meinem Galgenmännlein loshelfen, und dann auch, dieweil ich[8] gesonnen bin, Pönitenz zu tun, welche auf solche Weise nur erschwert und vergrößert würde.«

»Möchten mir wohl einige Proben mit dem Dinge vergönnt sein?« fragte der junge Kaufherr auf das vorsichtigste.

»Wie ginge das an?« versetzte der Hauptmann. »Es bleibt ja bei keinem und hilft auch keinem, als der es vorhero richtig und bar erstanden hat.«

Dem jungen Reichard ward bange; denn es sah unheimlich aus auf dem öden Platz, wo sie in der Nacht beisammen saßen, ob ihn gleich der Hauptmann versicherte, er zwinge ihn zu nichts, wegen der bevorstehenden Buße. Jedoch schwebten ihm zugleich alle Freuden vor, die ihn nach dem Besitz des Galgenmännleins umgeben würden. Er beschloß also, die Hälfte seiner letzten Barschaft daran zu wagen, vorher jedoch versuchend, ob er nicht etwas von dem hohen Preise herunterhandeln könne.

»Du Narr!« lachte der Hauptmann. »Zu deinem Besten heischte ich die höchste Summe, und zum Besten derer, die es nach dir kaufen, damit es nicht einer so frühe für die allerniedrigste Münze der Welt erstehe und unwiederbringlich des Teufels sei, weil er es ja dann nicht mehr wohlfeiler verkaufen kann.«

»Ach laßt nur«, sagte Reichard freundlich. »Ich verkaufe das wunderliche Ding wohl so bald nicht wieder. Wenn ich's also für fünf Dukaten haben könnte –«

»Meinetwegen«, erwiderte der Hispanier. »Du arbeitest dem schwarzen Teuflein seine Dienstzeit um die letzte, verlorne Menschenseele recht kurz.«

Damit händigte er dem jungen Gesellen gegen Bezahlung des Kaufschillings ein dünnes gläsernes Fläschchen ein, worin Reichard beim Sternenlichte etwas Schwarzes wild auf und nieder gaukeln sah.

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