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Erstarrendes Meer


Erstarrendes Meer

Eine Erzählung über Georg Friedrich Händels letzten Aufenthalt in Halle
1. Auflage

von: Albrecht Franke

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 07.02.2016
ISBN/EAN: 9783956556050
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 127

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Frühherbst 1750. Georg Friedrich Händel, erfolgreicher Komponist und Musiker, mehr Engländer schon als Deutscher, reich, prätentiös, arrogant, einsam, nachdenklich und oft unsicher, ist zu einem Besuch in seine Geburtsstadt Halle gekommen. Die Garnisons- und Universitätsstadt an der Saale freilich hat wenig zu bieten, wenn man aus London kommt.
Was will der alternde Komponist, dem in London Herzöge, Sängerinnen, Kastraten und Musikunternehmer zu Füßen liegen, hier? Man erinnert sich seiner kaum noch, Erfolge auf der britischen Insel oder in Dublin interessieren in Halle nicht sehr. Und ein Geschäftsmann wie Händel nahm die Schwierigkeiten einer Reise aufs Festland nur in Kauf, wenn es galt, Sänger oder Musiker einzukaufen, oder wenn es galt, die Arbeitsfähigkeit durch fast gewaltsame Kuren wieder herzustellen.
Diese Reise ohne rechten Grund jedoch ist verbürgt – und so gut sonst Georg Friedrich Händels Biografie bekannt ist: Über die Tage in Halle 1750 weiß man nur wenig. Albrecht Franke füllt die Lücken mit einer Erzählung, in der der äußere Glanz des erfolgreichen Künstlers mit dessen innerer Not konfrontiert wird. Händel hat begründete Angst zu erblinden. Und wie unter dem Zwang, alles zu sehen und aufzubewahren, wächst die Musik des Oratoriums „Jephta“ in ihm auf – der biblischen Geschichte eines Mannes, der dem Erfolg als Feldherr das Liebste opfern will … Und die Jephta-Musik wird in London geschrieben werden, im Kampf gegen die Erblindung.

Geboren 1950 als Sohn einer Eisenbahnerfamilie. Nach Schule und Studium Lehrer in Wanzleben (Börde). Seit 1977 in Stendal, tätig als Schriftsteller und Lehrer. Von 1991 bis 2013 Lehrer am Winckelmann-Gymnasium Stendal. Leitung des Schüler- und Studentenschreibzirkels „Es wird …“. Seit 2013 als Autor und Lektor tätig. Seit April 2014 Vorsitzender des Fördervereins der Schriftsteller Magdeburg e. V.
Bibliografie:
Letzte Wanderung, Erzählungen. Union Verlag, Berlin 1983,
Zugespitzte Situation, Erzählung. Union Verlag, Berlin 1987,
Vor der Dunkelheit, Zweiteiliges Hörspiel. Sender Freies Berlin, 1990,
Endzustand, Erzählung. Edition Bleimond, Magdeburg 1993,
Erstarrendes Meer, Roman. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg1995,
Der Krieg brach wirklich aus. Gespräch mit und über Edlef Köppen, Mitteldeutscher Verlag, Halle / Saale 2013.
Erzählungen in Anthologien, z. B. in „Zaubersprüche & Sachsenspiegel“. Literaturkritische Arbeiten, u.a. in „Ort der Augen“. Weitere Texte in „Schreibkräfte“, in „Landschreiber 1“, in der Brigitte-Reimann-Anthologie „Ich sterbe, wenn ich nicht schreibe“ u. a.
Herausgeber der Bücher „Freistunde“, „Angezettelt“ und „Wenn Worte leuchten“.
Das zwanghaft gewordene Bedürfnis nach Tätigkeit war von ihm abgefallen. Der Arzt sah zweimal am Tage nach ihm, die schattenhafte Nonne brachte das Essen und den verdünnten Wein, rieb seine Arme und Hände mit einer grünen Flüssigkeit ein. Nie sprach sie ein Wort. Zum ersten Mal in seinem Leben begegnete er so konsequentem Schweigen. Zuerst gelang es ihm, es als angenehm zu empfinden. Die einsetzende Besserung bewirkte allerdings, dass seine Stimmung umschlug. Er wurde gesprächig, verlangte nach Neuigkeiten und etwas stärkeren Getränken. Die alte Ungeduld ergriff ihn wieder, er schnauzte der Nonne hinterher, er habe genug vom Dasein eines Kranken und Bettlägerigen. Für den Rest der Heilung wollte er wie immer allein sorgen. Stundenlang übte er die Fingerbewegungen seiner Klavierkompositionen, erfand Improvisationen dazu. Auf diese Weise hatte er schon vor Jahren seine Gliedmaßen wieder in Bewegung gebracht, die nach einem Schlaganfall eingeschlafen waren. Diesmal war es ihm sogar leichter geworden, denn er lag in einem einigermaßen bequemen Bett und nicht wie damals in heißem, faulig riechendem Heilquellenwasser.
Vor der Abreise bearbeitete ich schon wieder die jämmerliche Orgel in der Kapelle des Spitals. Es gelang, als wäre ich niemals krank gewesen. Der Chirurgus rief, es sei fast an eine Wunderheilung zu glauben, schließlich habe man mich mehr tot als lebendig gebracht. Wie ein Auferstandener fühlte ich mich nicht. Ich war ein weiteres Mal davongekommen. Dankbar kann ich nur noch sein, wenn sich meine Sehkraft bessert oder wenigstens nicht verschlechtert. Bis zum Abschied überlegte ich, ob ich dem Chirurgus von meinen Augenbeschwerden erzählen, meine Ängste schildern sollte. Aber ich fürchtete ein endgültiges Urteil. Ich hätte nicht weiterreisen können. Ich wäre wieder eingesperrt worden. Doch ich wollte das Gefühl der Befreiung aus einer Starre auskosten, noch mein eigener Herr sein.
Solche vergangenen Szenen sah Händel deutlich. Er konnte sie auch hören. Wörtlich hatten sich ihm die Gesundheits- und Segenswünsche des Arztes eingeprägt, die ihn rührten, obwohl er wusste, dass sie nach dem fürstlichen Honorar, das er gezahlt hatte, einfach zum Abschluss der Behandlung gehörten. Er roch jetzt im Herbergszimmer auch die warme Luft jenes Tages, die, mit einer winzigen Beimengung Herbstgeruchs Freiheit zu verheißen schien. Er machte seine sechs Schritte, als ginge er auf den offenen Wagenschlag zu, vor dem sich der Fuhrmann verbeugte. An der Wand zuckte er zurück, wie er vor dem Mann zurückgezuckt war. Als wäre die Zeit nicht weitergegangen, meinte er, wieder den Kerl vor sich zu haben, der ihn vermittels seiner Kutscherkünste in das erinnerungslose Dunkel gestürzt hatte. Er war in der Zuversicht eingestiegen, dass ein zweiter Unfall wenig wahrscheinlich sei, eine Londoner Gazette hatte kürzlich ausgerechnet, dass man einem tollwütigen Hund höchstens einmal im Jahr begegne. Dann, im Wagen, beruhigte er sich mit der Vermutung, dass ihm seine Augen einen Streich gespielt hätten. Während einer Rast in einer Poststation machte ihm der Kutscher in seinem Kauderwelsch allerdings deutlich, dass er der Bruder des Unglücksfuhrmanns sei. Der säße wegen des vernichteten Wagens immer noch im Gefängnis und sei obendrein gepeitscht worden. Händel bot sofort Geld für eine Kaution an. Das begriff der Mann nicht. Es war ihm zum Schluss nichts anderes übriggeblieben, als den Beutel wieder wegzustecken. Er erinnerte sich, dass er später, wieder unterwegs, auch gelangweilt von der eintönigen Landschaft, froh darüber gewesen war, kein Mitleid mehr zu empfinden. Er hatte sich sogar gesagt, dass er in seinem Leben ebenfalls für alles einzustehen gezwungen wäre. Für alles. Ohne Gnade. Warum soll ich mein Geld für einen toll gewordenen Knecht zum Fenster hinauswerfen, hatte er sich kopfschüttelnd gefragt.
Mich jedoch hat noch niemand mit dem Ochsenziemer bearbeitet. Ich muss mich auf der Rückreise um den armen Teufel kümmern.

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