{7}Zeugin auf der Flucht

Es war an einem Freitag abend. Ich fuhr in einem hellblauen Cabriolet und in finsterer Laune von der mexikanischen Grenze nach Hause. Ich hatte einen Mann von Fresno bis San Diego verfolgt und ihn im Straßengewirr von Old Town verloren. Als ich seine Spur wiederaufnahm, war sie kalt. Er war über die Grenze gegangen, und meine Instruktionen galten nur für die Vereinigten Staaten.

Gerade oberhalb von Emerald Bay, auf halbem Wege nach Hause, überholte ich den schlechtesten Fahrer der Welt. Er fuhr einen schwarzen Cadillac mit Heckflossen, als ob er mit einem Segelboot kreuzte. Der schwere Wagen schlingerte auf dem Highway hin und her, wobei er zwei und manchmal sogar drei der vier Fahrspuren einnahm. Es war spät, und ich wollte schnell noch ein wenig schlafen. Ich versuchte ihn rechts zu überholen, als er gerade auf der mittleren Doppelspur fuhr. Der Cadillac trieb mir wie eine steuerlose Rakete entgegen und zwang mich mit kreischenden Reifen zum Bremsen.

Ich gab Gas, um links zu überholen. Gleichzeitig beschleunigte der Fahrer des Cadillac sein Tempo. Da konnte ich nicht mithalten. Wir rasten Kopf an Kopf in der Mitte der Fahrbahn. Ich fragte mich, ob er betrunken oder verrückt war oder ob er Angst vor mir hatte. Dann endete der Highway. Ich fuhr im Achtzig-Meilen-Tempo auf der linken Seite einer zweispurigen Fernstraße, als mir auf einer Anhöhe ein Lastwagen wie ein lodernder, doppelter Komet entgegenkam. Ich trat das Gaspedal durch und fuhr scharf nach rechts, wobei ich den Kotflügel des Cadillac und das Leben seines Fahrers bedrohte. Im Licht der näher kommenden Scheinwerfer war sein Gesicht leer und weiß wie ein Stück Papier {8}mit ausgebrannten schwarzen Löchern als Augen. Seine Schultern waren nackt.

Im letztmöglichen Augenblick verlangsamte er das Tempo gerade genug, um mich vorbeizulassen. Der Lastwagen fuhr dicht an der Böschung entlang und hupte ärgerlich. Ich bremste langsam, in der Hoffnung, den Cadillac zum Halten zu zwingen. Er wand sich mit rutschenden Reifen in einem wahnsinnigen Bogen an mir vorbei und wurde von der Dunkelheit verschlungen. Als mein Wagen schließlich stand, mußte ich die Finger gewaltsam vom Lenkrad lösen. Meine Knie waren weich und schlotterten. Nachdem ich eine halbe Zigarette geraucht hatte, wendete ich und fuhr sehr vorsichtig nach Emerald Bay zurück. Aus dem Alter des leichtsinnigen Draufgängers war ich längst heraus. Ich brauchte Ruhe.

Das Schild Zimmer frei und ein Mexikaner aus Neonröhren, der unter einem Sombrero schlief, zierten das erste Motel auf meinem Wege. Ich beneidete den Schläfer und parkte den Wagen auf dem Kiesweg vor dem Büro des Motels. Drinnen brannte Licht. Die verglaste Tür stand offen, ich ging hinein.

Der kleine Raum war geschmackvoll ausgestattet mit Chintz und Möbeln aus Spanischrohr. Ich drückte einige Male die mißtönende Klingel auf dem Empfangstisch. Niemand kam. So setzte ich mich hin und zündete eine Zigarette an. Die elektrische Uhr an der Wand zeigte Viertel vor eins.

Ich mußte ein paar Minuten gedöst haben. Ein Traum raste an der Schwelle zu meinem Bewußtsein vorbei, ein leises Geräusch hinterlassend. Der Tod war in dem Traum. Er fuhr einen mit Blumen beladenen schwarzen Cadillac. Als ich aufwachte, wollte mir die Zigarette gerade die Finger verbrennen. Ein magerer Mann in einem grauen Flanellhemd stand mit mißtrauischem Blick über mir.

Er hatte eine große Nase und ein kleines Kinn. Er war nicht so jung, wie er gern erscheinen wollte. Seine Zähne waren {9}schlecht, und sein sandfarbenes Haar wurde schütter und lichtete sich an der Stirn. Er war einer der typischen Ewig-Jugendlichen, die sich ihren Lebensunterhalt in der Nähe von Autohöfen, Restaurants und Hotels erschnorren und erschmeicheln, einer von denen, die sich verzweifelt an den abgenutzten Rand des Lebens anderer Menschen klammern.

»Was wünschen Sie?« fragte er. »Wer sind Sie? Was wünschen Sie?« Seine Stimme war piepsig und überschlug sich wie bei einem Jüngling mit Stimmbruch.

»Ein Zimmer.«

»Ist das alles?«

Für mich hörte es sich an wie eine Anklage. Ich beachtete es nicht weiter. »Was haben Sie denn sonst noch zu bieten? Tscherkessische Tänzerinnen? Puffmais gratis?«

Er versuchte zu lächeln, ohne seine schlechten Zähne zu zeigen. Das Lächeln war ein ebenso trauriger Fehlschlag wie mein Witz. »Tut mir leid, Sir«, lenkte er ein. »Sie haben mich geweckt. Kurz nach dem Aufwachen bringe ich nie etwas Vernünftiges heraus.«

»Hatten Sie einen Alptraum?«

Seine verschwommenen Augen weiteten sich wie blaue Kaugummi-Blasen. »Warum haben Sie das gefragt?«

»Weil ich gerade einen hatte. Aber lassen wir das. Haben Sie nun etwas frei für mich oder nicht?«

»Doch, Sir. Verzeihung, Sir.« Er schluckte hinunter, was auch immer Bitteres in seinem Mund gewesen war, und nahm eine unpersönliche, unterwürfige Haltung ein. »Haben Sie Gepäck, Sir?«

»Kein Gepäck.«

In seinen Tennisschuhen bewegte er sich lautlos wie der vergängliche Geist des Jungen, der er einmal gewesen war. Er ging hinter den Empfangstisch, schrieb meinen Namen und meine Adresse sowie die Ausweis-Nummer auf und steckte fünf Dollar ein. Dafür gab er mir einen Schlüssel mit der {10}Nummer vierzehn und zeigte mir die dazugehörige Tür. Offenbar hatte er die Hoffnung auf ein Trinkgeld aufgegeben.

Nummer vierzehn unterschied sich mit seiner Andeutung kalifornisch-spanischen Stils in nichts von irgendeinem anderen Zimmer irgendeines anderen mittelmäßigen Motels: künstlich aufgerauhter, ziegelrot gestrichener Putz, rote Vorhänge, Lampenschirm aus imitiertem Pergament auf einem gewundenen schwarzen Eisenständer. An der Wand über dem Bett hing eine Reproduktion von Riveras Schlafendem Mexikaner. Ich erlag umgehend seiner Suggestion und träumte von tscherkessischen Tänzerinnen.

Gegen Morgen wurde eine von ihnen ohne meine Schuld erschreckt und schrie sich ihre kleine tscherkessische Lunge aus dem Hals. Ich setzte mich aufrecht im Bett hin, gab beschwichtigende Laute von mir und wachte auf. Es war fast neun auf meiner Armbanduhr. Das Schreien hörte auf und begann von neuem wie eine Feuersirene vor dem Fenster; der Morgen war mir verdorben. Ich zog mir die Hose über die Unterwäsche, in der ich geschlafen hatte, und ging nach draußen.

Eine junge Frau stand auf dem Weg vor dem nächsten Zimmer. In der einen Hand hielt sie einen Schlüssel, die andere war voller Blut. Sie trug einen weiten, bunten Rock und eine tief ausgeschnittene Bluse nach Zigeunerart. Die Bluse war dem Platzen nahe, und ihr Mund stand weit offen. Sie schrie wie am Spieß. Sie war eine hübsche Brünette, aber ich haßte sie, weil sie mir den Morgenschlaf verdorben hatte.

Ich packte sie bei den Schultern und sagte: »Hören Sie auf.«

Das Schreien hörte auf. Schläfrig sah sie auf das Blut an ihrer Hand. Es war dick wie Wagenschmiere und beinahe ebenso dunkel.

»Woher haben Sie das?«

»Ich bin ausgerutscht und hineingefallen. Ich hatte es nicht gesehen.«

{11}Sie ließ den Schlüssel fallen und zog mit der sauberen Hand den Rock zur Seite. Ihre Beine waren nackt und braun. Hinten war der Rock mit der gleichen dicken Flüssigkeit beschmiert.

»Wo? In diesem Zimmer?«

Sie zauderte. »Ja.«

Entlang der Auffahrt öffneten sich Türen. Ein halbes Dutzend Leute liefen um uns zusammen. Ein Mann mit dunklem Gesicht und zwergenhaftem Wuchs hetzte aus der Richtung des Motel-Büros herüber, seine kleinen, spitzen Schuhe tanzten auf dem Kies.

»Kommen Sie mit rein und zeigen Sie’s mir«, sagte ich zu dem Mädchen.

»Ich kann nicht. Ich will nicht.« Ihre Augen waren benommen, der Schock hatte bläuliche Ringe darunter gemalt.

Der kleine Mann glitt zwischen uns und packte sie am Oberarm. »Was ist los, Ella? Bist du verrückt, die Gäste zu stören?«

Sie sagte: »Blut« und lehnte sich mit geschlossenen Augen an mich.

Mit scharfem Blick versuchte er die Lage zu erfassen. Er wandte sich an die anderen Gäste, die murmelnd einen Halbkreis gebildet hatten. »Es ist alles völlig in Ordnung. Keine Sorge, meine Herrschaften. Meine Tochter hat sich ein klein wenig geschnitten. Es ist alles völlig in Ordnung.«

Er umschlang ihre Hüfte mit seinem langen Arm, stieß sie durch die offene Tür und wollte diese hinter sich zuwerfen. Ich hatte jedoch meinen Fuß dazwischengeklemmt und folgte ihnen.

Das Zimmer war eine Kopie meines eigenen, einschließlich der Reproduktion über dem ungemachten Bett. Aber alles war seitenverkehrt, wie in einem Spiegelbild. Das Mädchen tat ein paar schwankende Schritte und setzte sich auf die Bettkante. Dann bemerkte sie den Blutflecken auf dem Laken. {12}Sie erhob sich schnell und öffnete ihren von weißen Zähnen eingerahmten Mund.

»Tun Sie’s nicht«, sagte ich. »Wir wissen, daß Sie eine kräftige Lunge haben.«

Der kleine Mann wandte sich mir zu. »Was glauben Sie denn, wer Sie sind?«

»Mein Name ist Archer. Ich habe das Zimmer nebenan.«

»Verschwinden Sie bitte aus diesem.«

»Ich glaube nicht, daß ich das tun werde.«

Er senkte seinen fettigen schwarzen Kopf, als ob er mich stoßen wollte. Unter seiner Jacke aus Haifischleder ragte ein Buckel hervor wie ein an die falsche Stelle gerutschter Ellbogen. Er schien sich das mit dem Rammstoß noch einmal zu überlegen und entschied sich dann für Diplomatie.

»Nur keine übereilten Rückschlüsse, Mister. Es ist halb so schlimm, gestern abend hatten wir hier einen kleinen Unfall.«

»Sicher, Ihre Tochter hat sich geschnitten. Bei ihr heilt alles bemerkenswert schnell.«

»Das war es nicht.« Er fuchtelte mit seiner langen Hand herum. »Den Leuten draußen habe ich das erstbeste gesagt, das mir einfiel. Tatsächlich gab’s hier ’ne kleine Balgerei. Einer der Gäste kriegte Nasenbluten.«

Wie eine Schlafwandlerin ging das Mädchen zur Badezimmertür und knipste das Licht an. Auf dem Linoleum im schwarzweißen Schachbrettmuster war eine Lache von geronnenem Blut; man konnte deutlich sehen, wo sie ausgerutscht und gefallen war.

»Etwas Blut aus der Nase, wie«, sagte ich zu dem kleinen Mann. »Gehört Ihnen dieser Laden?«

»Jawohl, ich bin der Besitzer des Siesta Motor Hotels. Mein Name ist Salanda. Dieser Gast neigt zu Nasenbluten, er hat es mir selbst gesagt.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er hat sich heute früh abgemeldet.«

{13}»Bei guter Gesundheit?«

»Selbstverständlich bei guter Gesundheit.«

Ich sah mich im Zimmer um. Abgesehen von dem ungemachten Bett und den braunen Flecken auf dem Laken deutete nichts darauf hin, daß es bewohnt war. Irgend jemand hatte einen halben Liter Blut verloren und war verschwunden.

Der kleine Mann öffnete die Tür und forderte mich mit einer schwungvollen Armbewegung auf, zu gehen. »Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Sir, ich möchte so schnell wie möglich dafür sorgen, daß hier saubergemacht wird. Ella, würdest du Lorraine sagen, sie soll gleich mit der Arbeit anfangen, aber pronto. Und dann legst du dich wohl besser etwas hin, nicht?«

»Ich bin wieder in Ordnung, Vater. Mach dir keine Sorgen.«

Als ich mich wenige Minuten später abmeldete, saß sie im vorderen Büro hinter dem Schreibtisch, bleich, aber gefaßt. Ich ließ den Schlüssel vor ihr auf den Tisch fallen.

»Geht’s wieder, Ella?«

»Oh, ich hatte Sie gar nicht erkannt – mit Ihren Sachen an.«

»Hübsch gesagt. Darf ich mir den Spruch aneignen?«

Sie senkte die Augen und errötete. »Sie machen sich über mich lustig. Ich weiß, ich habe mich vorhin dumm benommen.«

»Ich bin da nicht so sicher. Was, glauben Sie, ist gestern in Nummer dreizehn passiert?«

»Mein Vater hat es Ihnen doch erzählt – oder?«

»Er hat mir eine Version gegeben – oder vielmehr zwei. Ich bezweifle, daß dies das fertige Drehbuch ist, nach dem geschossen werden kann.«

Ihre Hand fuhr hoch und legte sich in die Senke in der Mitte ihrer Bluse. Ihre Arme und Schultern waren schlank und braun, ihre Fingernägel karminrot. »Geschossen?«

{14}»Nur ein Ausdruck aus der Filmbranche«, sagte ich. »Aber es könnte ja wirklich eine Schießerei gegeben haben. Meinen Sie nicht?«

Ihre Vorderzähne nagten an der Unterlippe. Sie sah aus wie das kleine Lieblingskaninchen, das ich als Junge mal gehabt hatte. Ich widerstand dem Impuls, ihr glattes braunes Haar zu tätscheln.

»Das ist lächerlich. Dies ist ein anständiges Motel. Wie dem auch sei, Vater hat mich gebeten, mit keinem darüber zu sprechen.«

»Warum hat er das wohl getan?«

»Er lebt hier, und zwar gern – darum. Er möchte keinen Skandal wegen nichts und wieder nichts. Er kann es sich nicht leisten, sein gutes Ansehen hier zu verlieren – es würde ihm das Herz brechen.«

»So sentimental hat er gar nicht auf mich gewirkt.«

Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. Ich sah, daß sie sich umgezogen hatte. »Lassen Sie ihn zufrieden. Er ist ein lieber kleiner Mann. Ich weiß nicht, was Sie eigentlich wollen; Sie versuchen, Ärgernisse aufzurühren, wo überhaupt keine sind.«

Ich überließ sie ihrer gerechten Empörung – weibliche Empörung ist immer gerecht – und ging hinaus zu meinem Wagen. Die Vorfrühlingssonne blendete. Jenseits des Highway und der zuckrigen Wanderdüne lag die preußisch-blaue Bucht. Die Straße verlief ein Stück landeinwärts quer über den Fuß der Halbinsel und kehrte einige Meilen nördlich der Stadt ans Meer zurück. Links der Straße lag ein etwas abschüssiger asphaltierter Parkplatz, von dem aus der weiße Strand und die noch weißere Brandung zu überblicken waren. Schilder an beiden Seiten der Ausfahrt besagten, daß dieses Gebiet zu einem County-Park gehörte; Strandfeuer verboten!

Der Strand und der darübergelegene Parkplatz waren leer bis {15}auf einen Wagen. Er sah sehr einsam aus. Es war ein langer schwarzer Cadillac, der seinen Kühler in die Drahtabsperrung zum Strand gebohrt hatte. Ich bremste, bog von der Straße ab und stieg aus. Der Mann im Fahrersitz des Cadillac wendete seinen Kopf nicht, als ich näher kam. Sein Kinn war auf das Lenkrad gestützt, er blickte über das endlose blaue Meer.

Ich öffnete die Tür und sah ihm ins Gesicht. Es war kalkweiß. Die Augen waren blind, der Körper nackt bis auf den dichten Pelz seiner Haare auf der Brust und einen ungeschickt angelegten Hüftverband. Die Bandage bestand aus mehreren blutdurchtränkten Handtüchern, die durch ein Nylon-Gewebe festgehalten wurden. Als ich es näher untersuchte, sah ich, daß es ein Unterrock war. Auf der linken Brust war mit rotem Garn ein Herz eingestickt und darin in schräger Schrift der Name Fern. Ich überlegte, wer wohl Fern sein könnte.

Der Mann, der ihr purpurnes Herz trug, hatte dunkles, lockiges Haar, dichte schwarze Augenbrauen, ein schweres Kinn, aus dem ein schwarzer Bart sproß. Er sah wild aus, trotz seiner Blässe und des lippenstiftverschmierten Mundes.

An der Steuersäule fehlte das übliche Schildchen mit der Registriernummer, und im Handschuhfach fand ich nur eine halbleere Schachtel mit Pistolenmunition. Die Zündung des Wagens war noch eingeschaltet, auch die Armaturenbeleuchtung und die Scheinwerfer. Aber die brannten nur noch schwach. Die Benzinuhr stand auf ›leer‹. Lockenkopf mußte schon bald von der Straße abgebogen sein, nachdem er mich überholt hatte. Den Rest der Nacht hatte er hier mit laufendem Motor verbracht.

Ich band den Unterrock los, der nicht aussah, als ob er Fingerabdrücke annehmen würde, und suchte nach einem Etikett. Es war eins dran: »Gretchen, Palm Springs«. Mir fiel {16}ein, daß es Sonnabend morgen war und ich den ganzen Winter nicht ein Wochenende in der Wüste verbracht hatte. Ich band den Unterrock wieder fest, wie ich ihn gefunden hatte, und fuhr zum Siesta Motel zurück.

Ellas Willkommen war noch um einige Grade kälter als der absolute Nullpunkt. »Nun?« Sie sah mich über ihre hübsche Kaninchennase hinweg an. »Ich dachte, wir wären Sie los.«

»Das dachte ich auch. Aber ich konnte mich nicht losreißen.«

Sie streifte mich mit einem eigenartigen Blick, der weder hart noch weich war, sondern sowohl als auch. Schließlich strich sie sich mit der Hand übers Haar, dann griff sie nach der Anmeldekarte. »Wenn Sie ein Zimmer wollen, kann ich Sie nicht davon abhalten. Aber bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie könnten mich beeindrucken. Das tun Sie nicht. Sie lassen mich kalt, Mister.«

»Archer«, sagte ich, »Lew Archer. Lassen Sie die Karte nur. Ich bin zurückgekommen, um Ihr Telefon zu benutzen.«

»Gibt es keine anderen Telefone?« Sie schob den Apparat über den Tisch. »Na schön, ist in Ordnung, solange es ein Stadtgespräch ist.«

»Ich rufe die Highway Patrol an. Kennen Sie die Nummer?«

»Ich kann mich nicht erinnern.« Sie gab mir das Telefonbuch.

»Ich möchte einen Unfall melden«, sagte ich, während ich wählte.

»Ein Straßenunfall? Wo ist es passiert?«

»Genau hier, Schwester. Hier in Zimmer dreizehn.«

Aber das erzählte ich nicht der Highway Patrol. Ich sagte, ich hätte einen toten Mann in einem Wagen gefunden, auf dem Parkplatz oberhalb vom Strand des County. Das Mädchen hörte mit größer werdenden Augen und Nasenlöchern {17}zu. Noch bevor ich zu Ende war, erhob sie sich in ängstlicher Eile und verließ das Büro durch den Hinterausgang.

Sie kam mit dem Besitzer zurück. Seine Augen waren schwarz und glänzten wie Nagelköpfe in Leder. Das schnelle Trippeln seiner Füße klang verzweifelt. »Was ist los?«

»Ein Stück die Straße runter bin ich über einen toten Mann gestolpert.«

»Und ausgerechnet von hier mußten Sie telefonieren?« Er hielt seinen Kopf gesenkt, als ob er zustoßen wolle. Seine gespreizten Hände umklammerten den Rand des Tisches. »Hat das irgend etwas mit uns zu tun?«

»Er trägt ein paar von Ihren Handtüchern.«

»Was?«

»Und er hat stark geblutet, bevor er starb. Ich glaube, jemand hat ihn in den Magen geschossen. Vielleicht waren Sie’s.«

»Sie sind verrückt«, sagte er, aber nicht sehr nachdrücklich. »Mit solchen Anschuldigungen können Sie sich noch mal ins Unglück bringen. Was tun Sie überhaupt?«

»Ich bin Privatdetektiv.«

»Sie sind ihm bis hierher gefolgt, nicht wahr? Sie wollten ihn festnehmen, darum hat er sich erschossen?«

»Beides ist falsch«, sagte ich. »Ich kam hierher, um zu schlafen. Und man schießt sich nicht selbst in den Magen. Es ist zu unsicher und zu langsam. Kein Selbstmörder möchte an Bauchfellentzündung sterben.«

»Was haben Sie vor? Versuchen Sie, mein Geschäft zu ruinieren?«

»Falls es ihr Geschäft ist, einen Mord zu verschleiern …«

»Er hat sich selbst erschossen«, beharrte der kleine Mann.

»Woher wissen Sie das?«

»Von Donny. Ich habe gerade mit ihm gesprochen.«

»Und woher weiß Donny das?«

»Der Mann hat’s ihm gesagt.«

{18}»Ist Donny Ihr Nachtportier?«

»Er war es. Ich glaube, ich schmeiße ihn raus – er ist zu dämlich. Er hat mir nicht einmal was von dieser Schweinerei gesagt. Ich mußte es selbst herausfinden, auf die schwierige Tour.«

»Donny meint es gut«, sagte das Mädchen an seiner Schulter. »Ich bin sicher, ihm ist gar nicht klargeworden, was geschehen ist.«

»Wem wird das schon klar«, sagte ich. »Ich möchte mit Donny reden. Aber vorher will ich mir die Anmeldekarten ansehen.«

Er nahm einen Stapel Karten aus der Schublade und blätterte sie durch. Seine großen, behaarten Hände waren ruhig und sicher wie Tiere. Sie führten – unabhängig von ihrem erregten Besitzer – gelassen ein Eigenleben. Sie warfen mir eine Karte über den Empfangstisch zu. In Blockschrift stand darauf: Richard Rowe, Detroit, Mich.

Ich sagte: »Es muß eine Frau bei ihm gewesen sein.«

»Unmöglich.«

»Oder er war ein Transvestit.«

Er musterte mich mit leerem Blick, an etwas anderes denkend. »Haben Sie der Highway Patrol gesagt, sie sollen hierherkommen? Wissen die, daß es hier passiert ist?«

»Noch nicht. Aber sie werden Ihre Handtücher finden. Er hat sie zum Verbinden benutzt.«

»Ich verstehe; ja, selbstverständlich.« Er schlug sich mit der Faust an die Schläfe. Es hörte sich an, als ob jemand einen Kürbis mißhandelte. »Sie sagen, Sie sind Privatdetektiv. Wenn Sie nun der Polizei mitteilen würden, daß Sie auf der Spur eines Flüchtigen gewesen sind, eines gesuchten Verbrechers … der sich lieber erschossen hat, als verhaftet zu werden … Für fünfhundert Dollar?«

»So privat bin ich nun wieder nicht«, entgegnete ich. »Ich bin der Öffentlichkeit gegenüber verantwortlich. Außerdem {19}würde die Polizei das nachprüfen und mir auf die Schliche kommen.«

»Irrtum. Er wird nämlich tatsächlich gesucht.«

»Das behaupten Sie.«

»Geben Sie mir etwas Zeit, und ich kann Ihnen sogar sagen, weshalb man hinter ihm her ist.«

Das Mädchen rückte von ihrem Vater ab, in ihren Augen sah man zerbrochene Illusionen. »Daddy«, bat sie mit schwacher Stimme.

Er hörte sie nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf mich gerichtet. »Siebenhundert Dollar?«

»Nichts zu machen. Je höher Sie gehen, desto schuldiger sehen Sie aus. Waren Sie gestern abend hier?«

»Seien Sie nicht albern. Den ganzen Abend war ich mit meiner Frau zusammen. Wir waren in Los Angeles und haben uns ein Ballett angesehen.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, summte er ein paar Takte Tschaikowski. »Es war schon fast zwei Uhr, als wir nach Emerald Bay zurückkamen.«

»Alibis können fabriziert werden.«

»Von Verbrechern, ja«, sagte er. »Ich bin aber kein Verbrecher.«

Das Mädchen legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte zurück, sein Gesicht vor hilfloser Wut verzerrt; aber er bemühte sich, es sie nicht sehen zu lassen.

»Daddy«, sagte sie, »glaubst du, daß er ermordet wurde?«

»Wie soll ich das wissen?« Seine Stimme klang unbeherrscht und hoch, als ob sie an den Quell seiner Gefühle gerührt hätte. »Ich war nicht hier. Ich weiß nur, was Donny mir erzählt hat.«

Das Mädchen betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen, als ob ich eine neue, von ihr entdeckte Tierart sei, und sie überlegte, welche Verwendung man dafür haben könne.

{20}»Dieser Herr ist Detektiv«, sagte sie, »oder behauptet’s jedenfalls.«

Ich zog die Fotokopie meines Ausweises heraus und knallte sie auf den Tisch. Er nahm sie hoch und verglich mein Gesicht mit dem Foto. »Wollen Sie für mich arbeiten?«

»Was soll ich tun, kleine Notlügen erzählen?«

Das Mädchen antwortete an seiner Stelle: »Sehen Sie zu, was Sie über diesen – diesen Tod herausfinden können. Mein Ehrenwort, Vater hatte nichts damit zu tun.«

Ich traf eine rasche Entscheidung, eine von denen, die man später bereut. »Gut. Ich verlange fünfzig Dollar Vorschuß. Und das ist erheblich weniger als fünfhundert. Mein erster Rat an Sie ist, erzählen Sie der Polizei alles, was Sie wissen. Vorausgesetzt, Sie sind unschuldig.«

»Sie beleidigen mich«, sagte er.

Aber er holte eine Fünfzig-Dollar-Note aus der Schublade und drückte sie mir heftig in die Hand, wie ein Liebespfand. Ich hatte das üble Gefühl, daß ich dahin gesteuert worden war, sein Geld zu nehmen, zwar nicht viel davon, aber genug. Das Gefühl verstärkte sich, als er es noch immer ablehnte, zu reden. Ich mußte alle Überredungskünste aufbieten, um wenigstens Donnys Adresse von ihm zu bekommen.

Der Portier wohnte in einer Hütte am Rande eines einsamen Dünenstreifens. Ich nahm an, daß sie einmal ein Strandhäuschen gewesen sein mußte, bevor der Sand wie nicht tauender Schnee in die Hausecken getrieben worden war und Winterstürme die Dachziegel zerbrochen, das Betonfundament rissig gemacht hatten. Große Betonbrocken waren wahllos an der Stelle aufgetürmt, an der einmal die Terrasse gewesen war, von der man das Meer überblicken konnte.

Auf einem umgekippten Brett lag Donny ausgestreckt wie eine Eidechse in der Sonne. Der Wind trug das Geräusch meines Motors an seine Ohren. Blinzelnd setzte er sich auf. Er {21}erkannte mich, als ich meinen Wagen anhielt, und rannte in die Hütte.

Ich stieg die mit Fliesen ausgelegten Stufen hinunter und klopfte an die windschiefe Tür. »Öffnen Sie, Donny.«

»Gehen Sie«, antwortete er heiser. Sein Auge schimmerte durch einen Spalt im Holz wie eine Schnecke.

»Ich arbeite für Mr. Salanda. Er möchte, daß wir miteinander sprechen.«

»Sie können machen, daß Sie davonkommen, sowohl Sie als auch Mr. Salanda.«

»Öffnen Sie, oder ich breche die Tür ein.«

Ich wartete etwas. Er zog den Riegel zurück. Die knarrende Tür öffnete sich widerstrebend. Er lehnte sich gegen den Türpfosten; seine Augen suchten in meinem Gesicht, sein haarloser Körper zitterte von innerem Frösteln. Ich schob mich an ihm vorbei durch eine unbeschreiblich dreckige Kochnische, in der die verschimmelten Reste alter Mahlzeiten herumstanden. Er folgte mir leise auf nackten Füßen in ein größeres Zimmer, in dem die aufgeworfenen Dielenbretter sich unter meinen Schritten wellten. Das Panoramafenster war zerbrochen und mit Pappe geflickt. Die steinerne Feuerstelle erstickte unter Abfällen. Das einzige Möbelstück war ein Feldbett in einer Ecke, auf dem Donny offensichtlich schlief.

»Hübsch gemütlich haben Sie’s hier. Man sieht es dem Häuschen an, daß es bewohnt wird.«

Er schien das als Kompliment hinzunehmen, und ich überlegte, ob ich es mit einem Schwachsinnigen zu tun hatte. »Mir gefällt es hier. Ich halte nichts von piekfeinen Unterkünften. Ich fühle mich wohl, wo ich nachts das Meer rauschen hören kann.«

»Was hören Sie nachts sonst noch, Donny?«

Er schien den Doppelsinn meiner Frage nicht zu verstehen, oder er tat nur so. »Alles mögliche. Große Laster, die auf der {22}Landstraße vorbeifahren. Ich mag diese nächtlichen Geräusche. Nur werde ich sicher nicht länger hier bleiben dürfen. Die Hütte gehört Mr. Salanda, er läßt mich umsonst hier wohnen. Jetzt werde ich wohl rausgeschmissen, denke ich.«

»Wegen der Sache in der vergangenen Nacht?«

»Hm – ja.« Er sank nieder auf das Feldbett und stützte den traurigen Kopf in die Hände.

Ich stand über ihm. »Was ist eigentlich letzte Nacht geschehen, Donny?«

»Schlimme Sache. Der Kerl kam ungefähr gegen zehn Uhr an …«

»Der Mann mit dem dunklen, lockigen Haar?«

»Ja, der. Gegen zehn fragte er nach einem Zimmer, und ich gab ihm Nummer dreizehn. Etwa um Mitternacht hörte ich so was wie einen Schuß. Ich bekam es mit der Angst, und es dauerte eine Weile, bis ich wagte, einmal nachzusehen. Draußen auf dem Weg kam er mir schon entgegen. Ganz ohne was an, nur mit einem Verband um die Hüfte. Er sah aus wie so ’ne Art närrischer Fakir oder so. Er hatte eine Kanone in der Hand und taumelte direkt auf mich zu, schob mir die Kanone in den Bauch und sagte, ich soll die Fresse halten. Dann sagte er, ich dürfte niemand erzählen, daß ich ihn gesehen habe, jetzt nicht und später nicht; wenn ich meine Klappe aufmachte, käme er zurück und brächte mich um. Aber jetzt ist er tot – oder?«

»Er ist tot.«

Ich konnte Donnys Angst förmlich riechen: Die Haare in meinem Nacken sträubten sich. Ich wußte nur nicht, ob Donnys Furcht der Vergangenheit oder der Zukunft angehörte. Die Pickel in seinem bleichen, kummervollen Gesicht standen hervor wie ein Basrelief.

»Ich glaube, er wurde ermordet, Donny. Sie lügen, nicht wahr?«

{23}»Ich und lügen?« Aber seine Reaktion war langsam und schwach.

»Der tote Mann war nicht allein. Er hatte eine Frau bei sich.«

»Was für eine Frau?« Aber sein Erstaunen war schlecht gespielt.

»Das will ich ja von Ihnen hören. Ihr Name war Fern. Ich glaube, sie hat geschossen, und Sie haben sie auf frischer Tat ertappt. Der verwundete Mann kam aus dem Zimmer, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Die Frau blieb zurück, um mit Ihnen zu sprechen. Wahrscheinlich hat sie Ihnen Geld gegeben, damit Sie die Kleider beseitigen und die Anmeldekarte für das Zimmer fälschen. Aber Sie haben beide das Blut auf dem Boden des Badezimmers übersehen. Habe ich recht?«

»Keine Spur. Sie sind völlig schief gewickelt, Mister. Sind Sie von der Polente?«

»Privatdetektiv. Sie sitzen tief in der Tinte, Donny. Es wäre besser, wenn Sie sich eine plausible Erklärung einfallen ließen, noch bevor die Polizei Sie vernimmt.«

»Ich habe nichts getan.« Seine Stimme schnappte über wie die eines Jungen. Zu dem grauen Schimmer in seinem Haar paßte das schlecht.

»Die Kartei fälschen ist ein schlimmes Vergehen, selbst wenn Sie um eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord herumkommen.«

Er begann in zusammenhanglosen Sätzen seinen Protest herauszustammeln, der aber nicht sehr überzeugend klang. Gleichzeitig bewegte sich seine Hand über die schmutzige graue Decke. Die Hand verschwand unter dem Kopfpolster und kam mit einer zerknitterten Karte hervor. Er versuchte, sie in den Mund zu stopfen und zu zerkauen. Ich riß sie aus seinen vergilbten Zähnen.

Es war die Meldekarte vom Motel, ausgefüllt mit einer {24}jungenhaften Kritzelschrift: Mr. und Mrs. Richard Rowe, Detroit, Mich.

Donny zitterte heftig. Unter den billigen, baumwollenen Shorts vibrierten seine knochigen Knie wie Stimmgabeln. »Es war nicht meine Schuld«, rief er. »Sie hat mir ’ne Kanone vorgehalten.«

»Was haben Sie mit den Kleidern des Mannes gemacht?«

»Nichts. Sie ließ mich nicht einmal in das Zimmer. Sie hat die Sachen gebündelt und selbst mitgenommen.«

»Wohin ist sie gegangen?«

»Die Landstraße runter in Richtung Stadt. Sie ging auf der Straßenböschung entlang, und das war das letzte, was ich von ihr gesehen habe.«

»Wieviel hat sie Ihnen gezahlt, Donny?«

»Nichts, nicht einen Cent. Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, sie hat mir ’ne Kanone vorgehalten.«

»Und Sie waren so erschrocken, daß Sie bis heute morgen nichts gesagt haben?«

»Das stimmt. Ich war erschrocken. Wundert Sie das?«

»Aber jetzt ist sie weg«, sagte ich. »Jetzt können Sie mir eine Beschreibung von ihr geben.«

»Ja.« Er bemühte sich sichtlich, seine verschwommenen Gedanken zu sammeln. Sein eines Auge schielte ein wenig, das gab seinem Gesicht ein traurig mißgestaltetes Aussehen.

»Sie war … ja, sie war dick und groß. Ja, und hatte blondes Haar.«

»Gefärbt?«

»Ich glaub schon, weiß nicht. Sie trug es in so ’ner Art Zopf, oben auf dem Kopf aufgesteckt. Sie war richtig fett, schwer wie ’ne Ringerin, Brüste wie große, dicke Wassermelonen. Dicke Beine.«

»Was hatte sie an?«

»Ich hab’s kaum bemerkt. Ich war so erschrocken. Ich glaube, sie hatte so ’ne Art feuerroten Mantel an mit ’nem {25}schwarzen Pelzkragen. An den Fingern ’ne Menge Ringe und Zeugs.«

»Wie alt?«

»Bestimmt nicht mehr jung, würde ich sagen. Älter als ich, und ich gehe auf die Neununddreißig zu.«

»Und sie hat geschossen?«

»Ich glaube. Falls mich jemand fragt, sagte sie, sollte ich einfach sagen, Mr. Rowe hätte sich selbst erschossen.«

»Sie sind leicht zu beeinflussen, nicht wahr, Donny? Das ist aber gefährlich in Zeiten, da jeder den anderen herumstößt.«

»Das habe ich nicht mitgekriegt, Mister. Sagen Sie’s noch mal.«

»Ach, macht nichts«, brummte ich und verließ ihn.

Eine halbe Meile die Landstraße hinauf kam ich an einem Wagen der Highway Patrol vorbei. Zwei grimmig aussehende uniformierte Männer saßen auf den Vordersitzen. Donny war jetzt dran. Ich verdrängte ihn aus meinen Gedanken und fuhr über das Land nach Palm Springs.

Palm Springs war immer noch ein kleines, aber aufgetakeltes Nest. Und dementsprechend waren auch die meisten Mädchen. Die Hauptstraße war eine Mischung aus Hollywood und Vine – von irgendeiner unnatürlichen Kraft quer durch die Wüste hierher versetzt – verkleidet in Western-Kostümen, die keinem was vormachen konnten; nicht einmal mir.

Ich fand Gretchens Damenwäsche-Geschäft in einer teuer aussehenden Arkade, die um einen mit Steinplatten ausgelegten imitierten Patio gebaut war. In der Mitte des Patios gurgelte ein kleiner Springbrunnen und schleuderte kleine Lassos aus Spritzwasser gegen die Hitze. Es war Ende März, und die Saison ging zu Ende. Die meisten Läden, auch der, den ich betrat, waren bis auf die Angestellten leer.

Es war ein kleiner Laden, in dem eine Parfumwolke hing {26}wie von einer ganzen Legion dahingegangener Puppen. Strümpfe, Kleider und andere Kleidungsstücke lagen zusammengerollt auf den Glastheken oder hingen wie glänzende Baumschlangen an Ständern, die an den Wänden angebracht waren. Eine rothaarige Frau kam aus den raschelnden Nischen im Hintergrund auf Zehen trippelnd heran.

»Sie suchen ein Geschenk, mein Herr?« rief sie mit verblühter Fröhlichkeit. Hinter ihrer gemalten Maske war sie müde und ältlich; außerdem war Sonnabend nachmittag, und glücklichere Leute tauchten ihre Körper in nierenförmige Schwimmbecken hinter hohen Mauern, die sie nicht übersteigen könnte.

»Nicht ganz. Eigentlich überhaupt nicht. Mir ist in der vergangenen Nacht etwas Merkwürdiges passiert. Ich möchte es Ihnen gern erzählen, aber es ist eine irgendwie komplizierte Geschichte.«

Sie betrachtete mich fragend und entschied bei sich, daß ich auch für meinen Lebensunterhalt arbeiten mußte. Das falsche Lächeln verschwand. Ein anderes trat an seine Stelle, das mir besser gefiel. »Sie sehen aus, als ob Sie eine ziemlich stürmische Nacht hinter sich haben. Und eine Rasur könnten Sie auch gebrauchen.«

»Ich habe ein Mädchen getroffen«, sagte ich, »oder besser eine reife Frau, eine stattliche Blondine, um ganz genau zu sein. Ich habe sie am Strand von Laguna aufgelesen, wenn ich brutal freimütig sein soll.«

»Reden Sie nur frisch von der Leber weg. Was ist das für ein Bär, Bruder, den Sie mir da aufbinden wollen?«

»Warten Sie. Sie verderben mir die Pointe. Irgend etwas hat da eingerastet, als wir uns begegneten im Licht des Sonnenuntergangs am Rande des sommerwarmen Meers.«

»Wenn ich reingehe, ist es immer verdammt kalt.«

»Aber nicht gestern abend. Wir schwammen im Mondschein und amüsierten uns gut und so. Dann ging sie. Erst als {27}sie fort war, fiel mir ein, daß ich ihre Telefonnummer nicht kannte, nicht einmal ihren Familiennamen.«