Für Robert Easton

{5}Das erzählte Geschehen ist frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, seien sie lebend oder tot, sind rein zufällig.

{7}1

Im Lauf der Jahre hatte ich immer wieder von dem Tennisclub gehört, war aber noch nie dort gewesen. Die Plätze und der Swimmingpool sowie die dazugehörigen Gebäude, die Umkleide- und Gartenhäuschen umschlossen eine Meeresbucht, ein paar Meilen südlich des Los Angeles County. Ich fühlte mich schon wie ein Angehöriger der besseren Gesellschaft, kaum hatte ich meinen Ford auf dem asphaltierten Parkplatz neben den Tennisplätzen abgestellt.

Von der adretten Frau am Empfang des Hauptgebäudes erfuhr ich, dass Peter Jamieson wahrscheinlich in der Snackbar zu finden sei. Ich lief um das Fünfzig-Meter-Schwimmbecken, das auf drei Seiten von Umkleidehäuschen umgeben war. Auf der vierten Seite schimmerte der Pazifik durch einen gut drei Meter hohen Drahtzaun wie ein im Netz zappelnder blauer Fisch. Einige wenige Badegäste lagen reglos herum, als hätte das gelbe Auge der Sonne sie hypnotisiert.

Meinen künf‌tigen Klienten, der in der Sonne vor der Snackbar saß, erkannte ich auf den ersten Blick. Er sah nach Geld aus, das seit geschätzt drei Generationen in der Familie war. Er konnte kaum älter als Anfang zwanzig sein, doch hatte er das aufgedunsene, wie um Nachsicht bittende Gesicht eines vorzeitig gealterten Jungen. Die Fettschicht unter seinem maßgeschneiderten teuren Anzug wirkte {8}wie eine leicht zu durchdringende Rüstung. Seine weichen braunen Augen schienen kurzsichtig.

Als ich mich seinem Tisch näherte, erhob er sich so hastig, dass er beinahe sein Milchmixgetränk umgestoßen hätte. »Sie sind bestimmt Mr. Archer.«

Ich bestätigte seine Vermutung.

»Freut mich sehr.« Er gab mir seine große, schlaf‌fe Hand. »Darf ich Ihnen etwas bestellen? Als Tagesgericht gibt es heute Corned Beef mit Beilagen.«

»Danke, ich habe in Los Angeles zu Mittag gegessen, bevor ich losfuhr. Aber eine Tasse Kaf‌fee vielleicht.«

Er zog los, sich darum zu kümmern. In der Kletterfeige, die eine Seitenwand der Terrasse bedeckte, erörterte ein Hausgimpelpärchen familiäre Angelegenheiten. Das Männchen, zu erkennen an einem roten Fleck auf der Brust, flog auf, eine Besorgung zu machen. Mein Blick folgte ihm quer über den blauen Himmelsausschnitt, bis es verschwunden war.

»Schöner Tag heute«, sagte ich zu Peter Jamieson. »Auch der Kaf‌fee ist sehr gut.«

»Ja, sie machen hier einen ausgezeichneten Kaf‌fee.« Er nippte trübselig an seinem Malzgetränk, dann sagte er unvermittelt: »Können Sie sie zurückholen?«

»Ich kann Ihre Freundin nicht zwingen, zu Ihnen zurückzukehren, wenn sie nicht will. Das habe ich Ihnen schon am Telefon gesagt.«

»Ich weiß. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Selbst für den Fall, dass sie nicht zu mir zurückkommt, könnten wir sie immerhin davor bewahren, ihr Leben zu ruinieren.« Die Arme auf den Tisch gestützt, beugte er sich vor, um mir den {9}nötigen Kampfgeist einzuflößen. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sie diesen Mann heiratet. Und ich sage das nicht aus Eifersucht. Ob ich sie bekomme oder nicht, ich möchte sie beschützen.«

»Vor dem anderen Mann.«

»Es ist mir ernst, Mr. Archer. Dieser Mann wird of‌fenbar von der Polizei gesucht. Er behauptet, Franzose zu sein, ein französischer Aristokrat sogar, aber im Grunde weiß niemand, wer er ist oder woher er kommt. Vielleicht ist er gar kein echter Weißer.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Seine Haut ist so dunkel. Und Ginnys so hell. Mir wird übel, wenn ich sie zusammen sehe.«

»Ihr wird aber nicht übel.«

»Nein. Natürlich weiß sie nicht, was ich weiß. Er wird gesucht, wahrscheinlich ist er kriminell.«

»Wie haben Sie das erfahren?«

»Von einem Detektiv. Er hat mich erwischt – ich meine, ich habe gestern Abend das Haus beobachtet. Ich wollte sehen, ob Ginny über Nacht bei ihm bleibt.«

»Beobachten Sie Martels Haus gewohnheitsmäßig?«

»Nur dies eine Mal. Ich wusste nicht, ob sie von ihrem Wochenendausflug zurückkommen würden.«

»Sie ist mit ihm übers Wochenende weggefahren?«

Er nickte deprimiert. »Vorher hat sie mir noch meinen Verlobungsring zurückgegeben. Sie meinte, sie habe keine Verwendung mehr dafür. Und für mich auch nicht.«

Er klaubte den Ring aus seiner Uhrentasche und zeigte ihn vor wie ein Beweisstück. Das war er in gewisser Weise auch. Die Diamanten, mit denen der Platinring bestückt {10}war, mussten mehrere tausend Dollar wert sein. Wenn sie einen solchen Ring zurückgab, war es Ginny of‌fensichtlich ernst mit Martel.

»Was hat der Mann gesagt?«

Peter schien die Frage nicht gehört zu haben, so sehr war er in die Betrachtung des Rings vertieft. Während er ihn langsam drehte, brach sich das helle Tageslicht in den Diamanten. Er zuckte zusammen, als hätte er sich die Finger an ihrem kalten Feuer verbrannt.

»Was hat der Detektiv über Martel gesagt?«

»Direkt gesagt hat er eigentlich nichts. Er wollte wissen, was ich da zu suchen hätte, worauf ich sagte, ich würde auf Martel warten. Dann fragte er, woher Martel stammt, wie lange er schon in Montevista ist, wo er sein Geld herhat –«

»Martel hat Geld?«

»Anscheinend. Jedenfalls wirft er damit um sich. Aber ich kann diese Fragen nicht beantworten, das habe ich dem Mann auch gesagt. Er wollte mich dann noch über Ginny aushorchen – er muss sie mit Martel zusammen gesehen haben. Ich habe jede Auskunft verweigert, da hat er von mir abgelassen.«

»War es ein Detektiv hier aus der Gegend?«

»Das weiß ich nicht. Er hat mir irgendeinen Ausweis unter die Nase gehalten, aber ich konnte im Dunkeln nichts Genaues erkennen. Dann ist er plötzlich zu mir ins Auto gestiegen und fing an zu reden. Sehr schnell, ohne Punkt und Komma.«

»Beschreiben Sie ihn. Alt oder jung?«

»Irgendwo dazwischen, fünfunddreißig, so um den Dreh. Er trug eine Art Tweedjackett und einen hellgrauen {11}Hut, tief in die Stirn gezogen. Ich glaube, er hatte fast meine Größe – ich bin eins achtzig –, war aber schlanker. Sein Gesicht kann ich wirklich nicht beschreiben, aber sein Ton gefiel mir nicht. Im ersten Moment hielt ich ihn für einen Ganoven, der mich ausrauben will.«

»Hatte er eine Pistole?«

»Gesehen habe ich keine. Als er mit seinen Fragen durch war, hat er mich einfach weggescheucht. Da habe ich beschlossen, mir selbst einen Detektiv zu kaufen.«

Die überhebliche Formulierung verriet, dass es ganz normal für ihn war, Dinge und Personen zu kaufen. Aber der junge Mann unterschied sich doch ein wenig von anderen Reichen, die mir begegnet waren. Als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte, entschuldigte er sich: »Tut mir leid, es war nicht so gemeint, wie es klang.«

»Schon gut, solange Ihnen klar ist, dass Sie mich allenfalls mieten können. Was ist Ginny für ein Mädchen?«

Die Frage ließ ihn erst einmal verstummen. Seine braunen Augen starrten den Ring auf dem Tisch an, bis sie zu schielen begannen. Aus der Snackbar hörte ich Stimmen und das Klappern von Geschirr, durchsetzt mit den lieblicheren Lauten der Finken.

»Sie ist wunderschön«, sagte er mit träumerischem Silberblick, »und eigentlich ziemlich unschuldig. Unbedarft für ihr Alter trotz ihrer Intelligenz. Sie kann unmöglich begreifen, worauf sie sich da einlässt. Ich habe ihr zu erklären versucht, wie riskant es ist, einen Mann zu heiraten, über den man gar nichts Sicheres weiß. Aber sie wollte nicht auf mich hören. Sie sagte, ich könne mich auf den Kopf stellen, sie würde ihn trotzdem heiraten.«

{12}»Hat sie gesagt, warum?«

»Ein Grund war, dass er sie an ihren Vater erinnert.«

»Ist Martel schon älter?«

»Ich weiß nicht, wie alt er ist. Er muss mindestens dreißig sein, wenn nicht älter.«

»Ist es Geld, was ihn attraktiv macht?«

»Das kann nicht sein. Sie hätte ja auch mich haben können – übrigens war die Hochzeit für nächsten Monat geplant –, und ich bin nicht gerade arm.« Mit der Vorsicht alten Geldadels fügte er hinzu: »Wir sind zwar nicht die Rockefellers, aber arm sind wir nicht.«

»Gut. Ich berechne hundert Dollar pro Tag plus Spesen.«

»Ist das nicht ziemlich viel?«

»Das finde ich nicht. Im Gegenteil, es reicht gerade, um über die Runden zu kommen. Ich arbeite nicht durchgängig, und ich habe ein Büro zu unterhalten.«

»Verstehe.«

»Dann bekomme ich erst einmal dreihundert Dollar Vorschuss.« Nach meiner Erfahrung war es gerade bei den sehr Reichen oft am schwierigsten, das vereinbarte Honorar einzutreiben.

Er war nicht glücklich über die Summe, erhob aber keine Einwände. »Ich schreibe Ihnen einen Scheck aus«, sagte er und griff in die Innentasche seines Jacketts.

»Erklären Sie mir zuerst, was genau Sie als Gegenleistung für Ihr Geld erwarten.«

»Sie sollen herausfinden, wer Martel ist, woher er stammt und woher er sein Geld hat. Und was er überhaupt hier in Montevista will. Ich bin sicher, sobald ich Genaueres über ihn weiß, kann ich Ginny zur Vernunft bringen.«

{13}»Damit sie Sie heiratet?«

»Jedenfalls nicht ihn. Mehr erhof‌fe ich mir gar nicht. Ich glaube nicht, dass sie mich je heiraten wird.«

Trotzdem verstaute er den Ring sorgfältig in der Uhrentasche seiner Hose. Dann schrieb er mir einen Scheck aus, ausgestellt auf die Pacific Point National Bank.

Ich zückte mein schwarzes Büchlein. »Wie lautet Ginnys vollständiger Name?«

»Virginia Fablon. Sie wohnt bei ihrer Mutter Marietta. Mrs. Roy Fablon. Gleich neben unserem Haus am Laurel Drive.« Er nannte mir beide Adressen.

»Wäre Mrs. Fablon wohl bereit, mit mir zu sprechen?«

»Warum nicht? Sie ist Ginnys Mutter, das Wohl der Tochter liegt ihr am Herzen.«

»Was hält Mrs. Fablon von Martel?«

»Ich habe darüber nicht mit ihr gesprochen. Ich glaube, sie ist geblendet, wie alle anderen auch.«

»Was ist mit Ginnys Vater?«

»Der ist nicht mehr da.«

»Was heißt das, Peter?«

Die Frage bereitete ihm Unbehagen. Fahrig, ohne mir in die Augen zu blicken, sagte er: »Mr. Fablon ist gestorben.«

»Vor kurzem?«

»Vor sechs oder sieben Jahren. Ginny ist noch immer nicht drüber weg. Sie war verrückt nach ihrem Vater.«

»Sie kannten sie damals schon?«

»Ich kenne sie schon mein ganzes Leben. Seit ich elf war, bin ich in sie verliebt.«

»Das ist jetzt wie lange her?«

»Dreizehn Jahre. Mir ist klar, dass das eine Unglückszahl {14}ist«, fügte er schnell hinzu, als hätte er schon nach bösen Omen gesucht.

»Wie alt ist Ginny?«

»Vierundzwanzig. Wir sind gleich alt. Aber sie sieht jünger aus und ich älter.«

Auf Nachfrage erzählte er mir noch, dass Francis Martel vor etwa zwei Monaten, an einem regnerischen Märztag, in seinem eigenen schwarzen Bentley nach Montevista gekommen war, um das Haus zu beziehen, das er von General Bagshaws Witwe vollmöbliert gemietet hatte. Die alte Mrs. Bagshaw hatte ihn of‌fenbar in den Tennisclub eingeführt. Martel ließ sich dort allerdings selten blicken, und wenn, dann verschwand er gleich in seiner Privatkabine im ersten Stock. Das Ärgerliche war, dass Ginny sich häufig dort mit ihm verkroch.

»Sie hat sogar das College geschmissen«, sagte Peter, »damit sie immer zusammen sein können.«

»Welches College hat sie besucht?«

»Montevista State. Sie studierte im Hauptfach Französisch. Virginia hat schon immer von der französischen Sprache und Kultur geschwärmt. Doch jetzt wirft sie alles so ohne weiteres hin.« Er versuchte, mit den Fingern zu schnipsen, brachte aber nur ein trauriges Quietschen zustande.

»Vielleicht war sie auf das Besondere aus.«

»Sie meinen, weil er behauptet, Franzose zu sein?«

»Woher wollen Sie wissen, dass es nicht stimmt?«

»Ich falle nicht so leicht auf Schwindler herein.«

»Aber Ginny?«

»Sie ist wie hypnotisiert von ihm. Es ist keine normale, {15}keine gesunde Beziehung. Es hat viel mit ihrem Vater zu tun, der zum Teil französische Ursprünge hatte. In dem Jahr, als er gestorben ist, hat sie sich auf alles Französische gestürzt, und jetzt spitzt sich die Sache zu.«

»Da kann ich nicht ganz folgen.«

»Ich weiß, ich drücke mich nicht besonders klar aus. Aber ich mache mir schreckliche Sorgen um sie. In letzter Zeit esse ich so viel, dass ich mich schon gar nicht mehr wiegen mag. Wahrscheinlich bin ich inzwischen bei über neunzig Kilo.« Er betastete vorsichtig seinen Bauch.

»Ein bisschen Training würde helfen.«

Er sah mich verdutzt an. »Wie bitte?«

»Gehen Sie an den Strand, joggen Sie.«

»Das geht nicht, dafür bin ich viel zu deprimiert.« Er schlürf‌te den letzten Rest seines Malzgetränks hinunter. Es klang wie Todesröcheln. »Sie machen sich doch gleich an die Arbeit, Mr. Archer, nicht wahr?«

{16}2

Montevista ist ein mit der benachbarten Hafenstadt Pacific Point eng verbundenes Villenviertel. Es besitzt nur ein einziges kleines Einkaufszentrum, das sich »Markt« nennt. In den pseudorustikalen Geschäf‌ten verkehren die Einwohner von Montevista als bodenständige Dörfler, so, wie die Höflinge in Versailles sich gern als einfache Bauern verkleideten.

Ich löste Peters Scheck in der dörf‌lichen Filiale der Pacific Point National Bank ein. Die Transaktion musste vom Filialleiter abgesegnet werden, einem scharfäugigen jungen Mann im konservativen grauen Anzug namens McMinn. Er teilte mir freimütig mit, dass er die Familie Jamieson sehr gut kenne, ja der ältere Peter Jamieson sitze sogar im Vorstand der Bank.

Dies zu erwähnen, schien McMinn ein gedämpf‌tes, aber doch erhabenes Vergnügen zu bereiten, als ginge vom Geld eine göttliche Gnade aus, an der teilhaben könne, wer von Personen sprach, die es besaßen. Ich steigerte dieses Vergnügen noch, als ich ihn fragte, wie ich zum Haus der Bagshaws gelangen könne.

»Da müssen Sie bis ganz in die Vorberge. Sie werden eine Karte benötigen.« Aus der untersten Schublade seines Schreibtischs brachte er einen Plan zum Vorschein, auf dem er einige Punkte markierte. »Sie wissen vermutlich, dass General Bagshaw verstorben ist?«

{17}»Das tut mir leid.«

»Wir alle hier im Haus waren zutiefst bestürzt. Er hat seine lokalen Bankgeschäf‌te bei uns abgewickelt. Mrs. Bagshaw tut das natürlich immer noch. Übrigens, falls es Ihre Absicht ist, Mrs. Bagshaw zu besuchen, sie ist in eins der Cottages des Tennisclubs gezogen. Das Haus hat sie an einen Burschen namens Martel vermietet.«

»Kennen Sie ihn?«

»Ich habe ihn gesehen. Er ist Kunde unserer Hauptfiliale in der Innenstadt.«

McMinn warf mir einen misstrauischen Blick zu. »Sind Sie ein Bekannter von Mr. Martel?«

»Bisher nicht.«

Ich fuhr hinauf in die Vorberge. Die Hänge waren noch grün von den Regenfällen der letzten Zeit. Die weiß und lila blühenden Büsche verströmten ihren Duft wie Sonnenwärme.

Als ich am Briefkasten der Bagshaws hielt, konnte ich unter mir das Meer sehen, an den Horizont gehängt wie ungleichmäßig gebläute Wäsche. Obwohl ich kaum hundert Meter Höhe gewonnen hatte, fühlte es sich an, als wäre ich der Mittagssonne sehr viel näher gekommen.

Das Haus thronte einsam am Ende eines Canyons, mehr als hundert Meter oberhalb der Straße. Es wirkte fast so winzig wie ein Vogelhäuschen. Asphaltierte Serpentinen wanden sich zu ihm hinauf.

Ein Kabrio mit knurrendem Getriebe quälte sich, aus Richtung der Stadt kommend, hinter mir den Hang hinauf. Es war ein alter schwarzer Caddie, grau vom Staub. Er tuckerte an mir vorbei und hielt vor meinem Auto.

{18}Der Fahrer, ein Mann von mittlerer Größe, stieg aus und kam auf mich zu. Er trug ein Jackett mit Hahnentrittmuster und einen ansehnlichen perlgrauen Filzhut, den er sich schräg aufgesetzt hatte, um sich einen verwegenen Anstrich zu geben. Seine fahrigen Bewegungen wirkten aggressiv und gleichzeitig verlegen. Kein Zweifel, dass es Peters »Detektiv« war, auch wenn ich ihm den Detektiv nicht eine Sekunde lang abkauf‌te. Eine hoffnungslose Aura des Scheiterns ging von ihm aus wie ein aufdringlicher Körpergeruch.

Ich holte mein schwarzes Büchlein hervor und notierte mir das Kennzeichen des Cadillacs. Er war in Kalifornien zugelassen.

»Was schreiben Sie da?«

»Ein Gedicht.«

Er langte durch das of‌fene Wagenfenster. »Lassen Sie mal sehen«, sagte er mit lauter, aber ausdrucksloser Stimme. Sein Blick war besorgt.

»Ich zeige nie etwas, das noch nicht fertig ist.«

Ich schlug das Buch zu und steckte es zurück in meine Innentasche. Dann begann ich, das Fenster hochzukurbeln. Er riss den Arm weg, damit er nicht eingeklemmt wurde, und drückte sein Gesicht an die Scheibe, die von seinem Atem beschlug.

»Ich will sehen, was Sie über mich geschrieben haben.« Er zog eine Kleinbildkamera aus der Tasche und klopf‌te damit gegen das Fenster, immer wieder, ohne Sinn und Verstand. »Was haben Sie über mich geschrieben?«

Es war eine Situation, wie ich sie nach Möglichkeit vermied oder der ich jedenfalls rasch ein Ende machte. Je {19}weiter das Jahrhundert voranschritt – ich spürte sein Voranschreiten in den Knochen –, desto häufiger schienen sich solche zornigen Auseinandersetzungen in sinnloser Gewalt zu entladen. Ich stieg auf der Beifahrerseite aus dem Auto und ging um die Motorhaube herum auf ihn zu.

Solange ich im Auto saß, hatte uns das Blech getrennt, er ein Cadillac, ich ein Ford. Jetzt standen wir uns als zwei Männer gegenüber, und er war kleiner und schmächtiger als ich. Seine ganze Persönlichkeit veränderte sich. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, wie um den bösen Geist zu vertreiben, der in ihn gefahren war und ihn dazu gebracht hatte, mich anzuschreien. Selbstzweifel zerrten an seinem Gesicht, als hätte er kosmetisch behandelte Narben.

»Ich habe nichts Ungehöriges getan, oder? Es gibt keinen Anlass, mein Autokennzeichen aufzuschreiben.«

»Das bleibt noch zu klären«, sagte ich in halbamtlichem Ton. »Was machen Sie hier?«

»Ich guck mir die Gegend an. Ich bin Tourist.« Seine blassen Augen wanderten über die spärlich besiedelten Hügel, als wäre er zum ersten Mal im Leben auf dem Land. »Das hier ist eine öf‌fentliche Straße, oder?«

»Uns wurde ein Mann gemeldet, der hier gestern Abend als Polizeibeamter aufgetreten ist.«

Sein Blick streif‌te kurz mein Gesicht. »Das kann ich nicht gewesen sein. Ich war noch nie hier.«

»Zeigen Sie mal Ihren Führerschein.«

»Hören Sie«, sagte er, »wir können uns bestimmt einig werden. Ich bin grad nicht so flüssig, aber ich hab noch Mittel in der Hinterhand.« Er zog einen einsamen Zehner {20}aus einer abgegrif‌fenen Kalbslederbrief‌tasche und stopf‌te ihn in die Brusttasche meines Jacketts. »Hier. Kaufen Sie was Schönes für die Kleinen. Und sagen Sie Harry zu mir.«

Er versuchte, in sein Lächeln möglichst viel Charme zu legen. Doch sein Charme, falls er ihn je besessen hatte, war längst ausgetrocknet und wie weggeblasen. Wie eine Reihe von Meißeln blitzten mir seine Schneidezähne entgegen. Ich zog den Zehner aus meiner Tasche, riss ihn in der Mitte durch und gab ihm die zwei Hälf‌ten zurück.

Sein Gesicht entgleiste. »Das ist ein Zehndollarschein! Sind Sie verrückt geworden, gutes Geld einfach so zu zerreißen?«

»Mit Klebeband kriegen Sie ihn wieder ganz. Und jetzt zeigen Sie mir Ihren Führerschein, bevor Sie noch weitere schwere Straf‌taten begehen.«

»Schwere Straf‌taten?«, wiederholte er wie ein Kranker, dem man soeben seine Diagnose gestellt hat.

»Bestechung und Amtsanmaßung sind schwere Straf‌taten, Harry.«

Er blinzelte ins Tageslicht, als hätte es ihn, zum wiederholten Mal, betrogen. Ein kleiner bleicher Mond hing in einer Himmelsecke, undeutlich wie ein Fingerabdruck auf einer Fensterscheibe.

Im Canyon über uns blitzte jetzt ein Licht auf, so grell, dass es mich beinahe blendete. Es schien vom Kopf eines Mannes auszugehen, der mit einer jungen Frau auf der Terrasse des Bagshaw-Hauses stand. Für einen Moment war mir, als hätte er große runde Augen, aus denen das Licht zuckte. Doch dann begriff ich, dass er uns durch ein Fernglas beobachtete.

{21}Der Mann und die Frau wirkten so klein wie Figuren auf einer Hochzeitstorte. So weit entfernt standen sie über mir, dass ich das wunderliche Gefühl hatte, sie seien unerreichbar, wie aus Raum und Zeit gefallen.

Harry, der Straf‌täter, sprang in sein Auto und versuchte, es zu starten. Der Motor drehte sich so träge wie ein Toter in seinem Grab. Ich hatte Zeit, die Beifahrertür zu öf‌fnen und auf den zerschlissenen Ledersitz zu rutschen.

»Wo soll’s hingehen, Harry?«

»Nirgends.« Er schaltete die Zündung aus und ließ die Hände sinken. »Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«

»Weil Sie gestern Abend auf dieser Straße einen jungen Mann angehalten haben. Sie behaupteten, Sie seien Detektiv, und haben ihm eine Menge Fragen gestellt.«

Er schwieg, während sein formbares Gesicht sich geschmeidig der neuen Lage anpasste. »In gewisser Weise bin ich ein Detektiv.«

»Wo ist Ihr Ausweis?«

Er griff in seine Tasche, wahrscheinlich, um irgendein getürktes Abzeichen vorzuzeigen, überlegte es sich dann jedoch anders. »Ich hab keinen«, gestand er. »Ich bin nur eine Art Amateurdetektiv und ermittle für jemand anders, aus reiner Freundschaft. Sie hat« – er korrigierte sich eilig – »man hat mir nicht gesagt, dass es dabei solchen Ärger geben könnte.«

»Vielleicht kommen wir doch noch zu einer Vereinbarung. Lassen Sie Ihren Führerschein sehen.«

Er zog seine schäbige Brief‌tasche hervor und reichte mir eine Fotokopie.

{22}HARRY HENDRICKS

10750 Vanowen, Apt. 12

Canoga Park, Calif.

Geschlecht: m Haarfarbe: br. Augenfarbe: bl. Größe: 1,75 m

Gewicht: 75 kg Verheiratet: nein Geb.datum: 12.04.1928

Aus der unteren linken Ecke grinste mir ein Foto von Harry entgegen. Ich schrieb die Adresse und die Führerscheinnummer in mein Notizbuch. Er war also achtunddreißig.

»Wozu brauchen Sie das Ganze?«, fragte er besorgt.

»Damit ich Sie im Auge behalten kann. Was machen Sie beruf‌lich, Harry?«

»Ich verkaufe Autos.«

»Das glaube ich Ihnen nicht.«

»Gebrauchtwagen, auf Kommission«, sagte er verbittert. »Ursprünglich war ich mal Schadenssachverständiger, aber als kleiner Selbständiger kannst du da heutzutage nicht mehr mit den großen Firmen konkurrieren. Ich hab schon eine Menge gemacht in meinem Leben. Es gibt praktisch nichts, was ich nicht gemacht hätte.«

»Schon mal eingesessen?«

Er sah mich beleidigt an. »Natürlich nicht. Sie sagten was von einer Vereinbarung.«

»Ich weiß immer ganz gern, mit wem ich etwas vereinbare.«

»Mann, Sie können mir vertrauen. Ich hab gute Beziehungen.«

»In der Gebrauchtwagenbranche?«

{23}»Sie würden sich wundern«, sagte er.

»Und was sollen Sie für diese Beziehungen mit Martel anstellen?«

»Gar nichts soll ich mit ihm anstellen. Nur mich hier ein bisschen umschauen und nach Möglichkeit herausfinden, wer er ist.«

»Wer ist er denn?«

Harry spreizte seine auf dem Lenkrad liegenden Hände. »Ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden vor Ort, und die Landeier hier wissen absolut nichts.« Er linste zu mir herüber. »Wenn Sie Polizist sind, wie Sie sagen –«

»Hab ich nicht gesagt. Ich bin Privatdetektiv. Diese Gegend wird intensiv patrouilliert.« Beide Aussagen waren korrekt, hatten aber nichts miteinander zu tun.

Harry stellte die Verbindung her. »Dann sollten Sie die Information beschaf‌fen können. Es gibt Geld dabei zu verdienen, das könnten wir uns teilen.«

»Wie viel?«

»Einen Hunderter könnte ich garantieren.«

»Ich werd mal sehen, was ich in Erfahrung bringen kann. Wo sind Sie abgestiegen?«

»Im Breakwater Hotel. Das ist unten am Strand.«

»Und wer ist die Frau, die Sie auf Martel angesetzt hat?«

»Niemand hat was von einer Frau gesagt.«

»Sie haben von einer ›Sie‹ gesprochen.«

»Da hab ich wohl an meine Frau gedacht. Sie hat aber nichts mit der Sache zu tun.«

»Das kann ich Ihnen nicht glauben. Auf Ihrem Führerschein steht, dass Sie nicht verheiratet sind.«

»Das bin ich aber.« Die Klarstellung schien ihm so {24}wichtig zu sein, als hätte ich seine Zugehörigkeit zur menschlichen Rasse in Frage gestellt. »Das ist ein Fehler auf dem Führerschein. Als er ausgestellt wurde, hatte ich nicht daran gedacht, dass ich verheiratet bin, ich meine –«

Das gleichmäßige Brummen eines Autos auf der Serpentinenstraße über uns schnitt seinen haltlosen Erklärungsversuch ab. Es war Martels schwarzer Bentley. Der Mann hinter dem Steuer trug eine rechteckige dunkle Brille, die wie eine Maske seine obere Gesichtshälf‌te bedeckte.

Auch das junge Mädchen neben ihm hatte eine dunkle Brille aufgesetzt. Sie sah damit fast aus wie die klassische Hollywood-Blondine.

Harry zückte seine Minikamera, kaum größer als ein Feuerzeug. Er lief über die Straße und stellte sich, die Kamera in der rechten Hand verborgen, an der Einbiegung auf.

Der Fahrer des Bentley stieg aus und sah ihn an. Gedrungen und muskulös, war er sportlich gekleidet, im englischen Stil, mit viel Tweed über den feinen Halbschuhen, was nicht unbedingt zu seiner dunklen, geschmeidigen Erscheinung passte. Mit beherrschter Stimme und leichtem Akzent sagte er: »Kann ich Ihnen irgendwie behilf‌lich sein?«

»Jawoll. Achtung, wo ist das Vögelchen?« Harry hob die Kamera und schoss sein Foto. »Danke, Mr. Martel.«

»Kommt nicht in Frage.« Martel verzog die fleischigen Lippen zu einer hässlichen Grimasse. »Händigen Sie mir sofort diese Kamera aus.«

»Von wegen! Die kostet hundertfünfzig Dollar.«

»Mir wäre sie zweihundert wert«, sagte Martel. »Mit {25}dem Film, der drin ist. Ich habe eine Passion für meine Privatsphäre, verstehen Sie.« Das Wort »Passion« sprach er mit langem nasalen »o«, wie ein Franzose. Für einen Franzosen aber war er ziemlich dunkelhäutig.

Ich sah zu der Blondine im Auto hinüber. Zwar konnte ich ihre Augen nicht erkennen, aber sie schien meinen Blick zu erwidern. Ihre untere Gesichtshälf‌te, schön wie kalter Marmor, wirkte schreckgelähmt.

Harry überschlug Zahlen im Kopf, fast konnte man ihm dabei zuhören. »Für dreihundert können Sie sie haben.«

»Très bien, dreihundert. Darin sollte eine – wie ist das Wort? – Quittung eingeschlossen sein, mit Ihrer Adresse und Unterschrift.«

»Nichts da.« Ich sah Harrys ganzes Leben im Schnelldurchlauf: Er konnte nie den Hals vollkriegen.

Das Mädchen beugte sich aus der of‌fenen Tür des Bentleys. »Lass dich nicht von ihm ausnehmen, Francis.«

»Das ist ganz und gar nicht meine Absicht.« Er machte einen Satz auf Harry zu und entriss ihm die Kamera. Dann warf er sie zu Boden und zerstampf‌te sie mit dem Absatz.

Harry war entsetzt. »Das können Sie nicht machen!«

»Hab ich aber. Es ist ein fait accompli

»Geben Sie mir mein Geld.«

»Kein Geld. Pas d’argent. Rien du tout.«

Martel stieg in sein schwarzes Auto und knallte die Tür zu. Harry folgte ihm schreiend: »Das können Sie nicht machen! Die Kamera gehört mir nicht. Sie müssen sie mir ersetzen.«

»Gib ihm Geld, Francis«, sagte das junge Mädchen.

»Nein. Die Gelegenheit hat er verpasst.« Wieder machte {26}Martel eine schnelle Bewegung. Im Fenster tauchte seine Faust auf, und über den Zeigefinger hinweg linste das kleine runde Auge einer Pistole. »Hören Sie zu, mein Freund. Ich mag es nicht, von canailles belästigt zu werden. Wenn Sie noch mal hierherkommen oder meine Privatsphäre sonstwie verletzen, werde ich Sie töten.« Er schnalzte mit der Zunge.

Harry wich langsam zurück, stolperte über den Straßenrand und wäre fast gestürzt. Ohne falsche Scham kam er wieder hoch wie ein Sprinter beim Start und rannte davon. Keuchend und schwitzend warf er sich auf den Sitz des Cadillacs.

»Der hätte mich fast erschossen. Sie sind Zeuge.«

»Sie können von Glück reden, dass er’s nicht getan hat.«

»Verhaf‌ten Sie ihn. Na los. Damit darf er nicht ungestraft davonkommen. Der ist nichts weiter als ein billiger Ganove, und seine französische Masche ist so viel wert wie ein Dreidollarschein.«

»Können Sie das beweisen?«

»Im Moment noch nicht. Aber diesen Knoblauchfresser krieg ich dran. Damit kommt er nicht durch, meine Kamera zu zerstören. Das war ein wertvolles Gerät, und es gehörte mir nicht mal.« Aus seiner Stimme sprach tiefer Kummer: Die Welt hatte ihn zum tausendsten Mal betrogen. »Sie würden hier nicht untätig rumsitzen, wenn Sie wirklich Polizeischutz bieten, wie Sie behaupten.«

Der Bentley bog von der Zufahrt auf die Straße. Einer der Reifen rollte über die zerbrochene Kamera und gab ihr den Rest. Martel fuhr seelenruhig in Richtung Stadt weiter.

»Ich muss mir irgendwas einfallen lassen«, murmelte Harry vor sich hin.

{27}Er nahm den Hut ab, als behinderte er den freien Flug seiner Gedanken, und hielt ihn auf den Knien wie eine Bettelschale. Der Aufdruck auf dem Seidenfutter verriet, dass er von einem Herrenausstatter in Las Vegas stammte. Auf dem Schweißleder stand in goldenen Buchstaben: L. Spillman. Entweder, dachte ich, hat Harry seinen Hut geklaut, oder sein Führerschein ist gefälscht.

Als hätte er meine unausgesprochene Anschuldigung gehört, drehte er sich zu mir. Mit mühsam gezügelter Aggression zischte er: »Lassen Sie sich von mir bloß nicht aufhalten. Sie waren mir keine Hilfe.«

Ich sagte, ich würde ihn später im Hotel aufsuchen. Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen.

{28}3

Laurel Drive war auf beiden Seiten von hohen Hecken gesäumt wie eine englische Allee. Ein gewaltiger grüner Klebsamenwall schützte Mrs. Fablons Grundstück vor unbefugten Blicken. Am anderen Ende des Gartens saßen eine Frau, die auf die Entfernung wie Ginnys Schwester aussah, und ein Mann unter einem Sonnenschirm beim Mittagessen.

Der längliche Kiefer des Mannes erstarrte, als ich in der Auf‌fahrt erschien. Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab und erhob sich. Großgewachsen, hielt er sich gerade und hatte ein grobknochiges, streitlustiges, aber trotzdem ansehnliches Gesicht.

»Ich verzieh mich dann mal«, hörte ich ihn halblaut sagen.

»Warum so eilig? Ich erwarte keinen Besuch.«

»Ich auch nicht«, erwiderte er knapp.

Der Mann warf die Serviette über seinen angebissenen Lachs mit Mayonnaise. Ohne ein weiteres Wort und ohne mich eines Blicks zu würdigen, stieg er in einen unter einer Eiche geparkten Mercedes und fuhr über die andere Seite der halbkreisförmigen Auf‌fahrt von dannen. Nach seinem Verhalten zu urteilen, hatte er den erstbesten Vorwand genutzt, um sich davonzumachen.

Mrs. Fablon war sitzen geblieben und wirkte recht gefasst. »Wer sind Sie, um Himmels willen?«

{29}»Mein Name ist Archer. Ich bin Privatdetektiv.«

»Kennt Dr. Sylvester Sie?«

»Ich kenne ihn jedenfalls nicht. Warum?«

»Weil er so fluchtartig aufgebrochen ist, als er Sie sah.«

»Das tut mir leid.«

»Muss es nicht. Der Lunch war ohnehin kein großer Erfolg. Erzählen Sie mir nicht, dass Audrey Sylvester ihn beschatten lässt.«

»Kann sein. Aber nicht von mir. Hätte sie Grund dazu?«

»Ganz bestimmt nicht, was meine Türschwelle anbelangt. George Sylvester ist seit zehn Jahren mein Hausarzt, und unser Verhältnis ist ungefähr so erotisch wie ein Zungenspatel.« Sie lächelte über ihren eigenen Witz. »Stellen Sie Menschen nach, Mr. Archer?«

Falls auch das ein Scherz sein sollte, gaben ihre Augen nichts davon zu erkennen. Sie waren blau, aber undurchdringlich mit Weiß abgemischt. Ich interessierte mich besonders für ihre Augen, weil ich die ihrer Tochter nicht hatte sehen können.

Jugendlich waren diese Augen sicherlich nicht, aber irgendwie unschuldig, als würden sie nur ausgewählte Tatsachen wahrnehmen. Dazu passten das mit Sorgfalt blondierte Haar, das wie geschlagene Sahne auf ihrem Köpfchen saß, die unglaublich gute Figur unter dem etwas zu jugendlichen Kleid und die Arglosigkeit, mit der sie sich von mir unter die Lupe nehmen ließ. Aber unter der gelassenen Fassade war sie angespannt.

»Ich muss mich irgendwie verdächtig gemacht haben«, sagte sie mit dünnem Lächeln. »Sagen Sie, hat man mich im Visier?«

{30}Ich antwortete nicht. Stattdessen überlegte ich, wie ich die Beziehung zwischen Ginny und Martel möglichst taktvoll zur Sprache bringen könnte.

»Ich stelle Ihnen lauter Fragen«, sagte sie, »aber Sie schweigen sich aus. Macht man das so als Detektiv?«

»Ich verfolge meine eigenen Wege.«

»Unergründliche Wege, Ihre Wunder zu wirken? Das habe ich mir fast schon gedacht. Dann sagen Sie doch mal, um welche Wunder ist es Ihnen zu tun?«

»Es hängt mit Ihrer Tochter Ginny zusammen.«

»Verstehe.« Ihr Blick veränderte sich nicht. »Nehmen Sie Platz, wenn Sie mögen.« Sie zeigte auf den Metallstuhl, der ihrem eigenen gegenüberstand. »Ist Virginia in Schwierigkeiten? Es wäre das erste Mal.«

»Das eben ist die Frage, die mich beschäf‌tigt.«

»Wer hat Sie dazu angestiftet?«, fragte sie in recht scharfem Ton. »Doch nicht George Sylvester?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Schon merkwürdig, wie er eben davongelaufen ist.« Sie musterte mich eingehend. »Aber George war es nicht, stimmt’s? Er ist ziemlich vernarrt in Virginia – alle Männer sind das –, aber er würde sich nicht derart exponieren –« Sie hielt inne.

»Sich exponieren?«

Sie zog ihre gezupf‌ten Augenbrauen in die Höhe. »Sie locken mich aus der Reserve, und ich sage, was ich gar nicht sagen will.« Sie atmete durch. »Ich weiß, es muss Peter gewesen sein. Hab ich recht?«

»Dazu kann ich nichts sagen.«

»Dann wäre er ja noch hilfloser, als ich dachte. Es war {31}Peter, nicht wahr? Er droht schon seit einiger Zeit mit Privatdetektiven. Peter ist verrückt vor Eifersucht, aber dass er so weit geht, hätte ich nicht gedacht.«

»So weit geht er gar nicht. Er hat mich nur gebeten, etwas über den Mann in Erfahrung zu bringen, den sie heiraten will. Ich nehme an, Sie kennen Francis Martel.«

»Ich habe ihn selbstverständlich kennengelernt. Eine faszinierende Person.«

»Ohne Zweifel. Aber nach dem, was vor knapp einer Stunde passiert ist, scheint es mir der Mühe wert, sich den Mann genauer anzuschauen. Ich habe es selber miterlebt, auf der Straße unterhalb seines Hauses. Ein Mann wollte ihn fotografieren. Martel hat ihn mit vorgehaltener Pistole verjagt. Er hat angedroht, ihn zu erschießen.«

Sie nickte gelassen. »Das kann ich ihm nicht verdenken.«

»Ist es seine Angewohnheit, mit Mord zu drohen?«

»Es wäre ja kein Mord, sondern lediglich Notwehr.« Das klang wie ein Zitat. »Was Sie da gesehen haben, ist sicherlich nicht ohne Grund geschehen. Er möchte nicht, dass seine Identität bekannt wird.«

»Wissen Sie, wer er ist?«

»Ich habe Verschwiegenheit gelobt.« Sie legte einen Finger auf den Mund. Nagellack und Lippenstift glänzten Ton in Ton.

»Was denn«, sagte ich, »ist er am Ende der verschollene Kronprinz der Bourbonen?«

Unwillentlich war es mir gelungen, sie zu erschrecken. Sie starrte mich mit of‌fenem Mund an. Und machte ihn erst wieder zu, als ihr einfiel, dass es so besser aussah.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wer er ist«, sagte sie nach {32}einer Weile. »Es könnte ernsthaf‌te internationale Verwicklungen nach sich ziehen, falls Francis hier entdeckt würde.« Auch dies schienen mir nicht ihre eigenen Worte zu sein. »Sicherlich handeln Sie in gutem Glauben, Mr. Archer – bei Peter bin ich mir nicht so sicher –, aber ich möchte Sie dennoch bitten, alle weiteren Erkundigungen einzustellen.«

Das war jetzt kein Scherz. Ihre Stimme war ernst.

»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Martel eine wichtige politische Persönlichkeit ist?«

»Er war es. Und er wird wieder eine Rolle spielen, sobald die Zeit reif ist. Momentan aber muss er im Exil leben, vertrieben aus seinem Heimatland«, sagte sie pathetisch.

»Frankreich?«

»Er ist Franzose, ja. Daraus macht er kein Geheimnis.«

»Aber sein Name ist in Wirklichkeit nicht Francis Martel?«

»Er ist berechtigt, ihn zu führen, aber es ist nicht sein richtiger Name.«

»Wie heißt er richtig?«

»Ich weiß es nicht. Nur dass es ein in ganz Frankreich legendärer Name ist.«

»Haben Sie irgendwelche Beweise, dass dem so ist?«

»Beweise?« Sie lächelte, als hätte sie höhere, direkt aus dem Unendlichen übermittelte Einsichten. »Freunden verlangt man keine Beweise ab.«

»Ich schon.«

»Dann haben Sie wahrscheinlich nicht viele Freunde. Of‌fenbar sind Sie von Natur aus misstrauisch. Sie und Peter Jamieson passen gut zusammen.«

{33}»Kennen Sie ihn schon lange?«

Ich meinte Martel, aber sie fasste die Frage falsch auf, wahrscheinlich mit Absicht. »Peter geht seit zwanzig Jahren bei uns ein und aus.« Sie deutete auf das weitläufige eingeschossige Haus in ihrem Rücken. »Und sicherlich genauso lange habe ich ihm die Nase geputzt. Als Peters Mutter starb, habe ich ihn gewissermaßen geerbt. Er war ja noch so klein. Aber auch kleine Jungen werden größer, und als er älter war, verliebte er sich in Ginny, wozu er kein Recht hatte. Im Grunde erwidert sie seine Gefühle nicht, hat es nie getan. Aber mit der Zeit hat er sie einfach mürbegemacht, weil kein anderer da war.«

Ungeachtet dessen war mein Eindruck, dass sie Peter trotzdem schätzte, und das sagte ich ihr.

»Natürlich gewinnt man einen Menschen lieb, wenn man ihn zwanzig Jahre lang Tag für Tag um sich hat. Aber im Moment ist er mir regelrecht zuwider. Meine Tochter hat glänzende Aussichten. Sie ist ein schönes Mädchen« – sie hob das Kinn, als gehörte Ginnys Schönheit auch ihr, wie ein Familienerbstück – »und hat sich diese Chance verdient. Ich möchte nicht, dass Peter – oder Sie – es ihr vermasseln.«

»Das liegt nicht in meiner Absicht.«

Sie seufzte. »Ich kann Sie nicht dazu überreden, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen?«

»Nicht, bevor ich ein paar weitere Erkundigungen eingezogen habe.«

»Würden Sie mir dann wenigstens versprechen, nach Möglichkeit so vorzugehen, dass Ginnys Pläne keinen Schaden nehmen? Sie ist so glücklich mit Francis Martel. {34}Und die Beziehung ist noch ganz frisch. Werfen Sie keinen Schatten darauf.«

»Das könnte ich gar nicht, wenn die Liebe echt ist.«

»Das ist sie, glauben Sie mir. Francis Martel betet den Boden unter ihren Füßen an. Und Virginia ist ganz vernarrt in ihn.«

Ihre Worte, schien mir, waren von Wunschdenken bestimmt, und so stellte ich ihr eine ernüchternde Frage: »Deshalb sind sie also übers Wochenende zusammen weggefahren?«

Ihre bislang so gleichmütigen blauen Augen wichen zuckend meinem Blick aus. »Sie haben kein Recht, solche Fragen zu stellen. Sie sind kein Gentleman, nicht wahr?«

»Aber Martel ist einer?«

»Ich habe langsam genug von Ihnen und Ihren versteckten Andeutungen, Mr. Archer.« Sie erhob sich. Ich war entlassen.

{35}4

Ich ging nach nebenan zum Haus der Jamiesons. Es war eine große, schmutzig weiße Villa im Kolonialstil, die die sterile Atmosphäre einer Anstalt verströmte.

Die Frau, die mir, nach wiederholtem Klingeln, die Tür öf‌fnete, trug ein gestreif‌tes graues Kleid, das auch als Schwesterntracht hätte durchgehen können. Sie war ein hübscher dunkler Typ, und ihre etwas gebieterische Erscheinung sprach dafür, dass sie die einzige Frau im Haus war.

»Sie brauchen nicht so oft zu klingeln. Ich habe Sie schon beim ersten Mal gehört.«

»Warum öf‌fnen Sie dann nicht?«

»Ich hab Besseres zu tun, als immer gleich zu springen«, sagte sie schroff. »Ich war dabei, eine Gans in den Ofen zu schieben.« Sie sah auf ihre fettigen Hände herunter und wischte sie an ihrer Schürze ab. »Was wünschen Sie denn?«

»Ich hätte gern Peter Jamieson gesprochen.«

»Junior oder senior?«

»Junior.«

»Der ist wahrscheinlich noch im Tennisclub. Ich frage mal seinen Vater.«

»Vielleicht könnte ich selbst mit ihm sprechen. Mein Name ist Archer.«

»Vielleicht. Wollen sehen.«

Ich wartete im schummrigen Flur auf einem Stuhl mit {36}hoher Rückenlehne, der womöglich noch von Torquemada persönlich geschreinert worden war. Schließlich kehrte die Haushälterin zurück und verkündete einigermaßen verwundert, dass Mr. Jamieson mich empfangen wolle. An geschlossenen Eichentüren vorbei führte sie mich in eine eichengetäfelte Bibliothek mit tiefen Laibungen, die einen Ausblick auf die Berge boten.

Ein Mann war in einem Sessel am Fenster versunken, ein Buch in der Hand. Sein Gesicht war fast ebenso grau wie die Haare. Als er die Lesebrille abnahm und zu mir hochsah, bemerkte ich, dass sein Blick matt und abwesend war.

Ein halbvolles Whiskeyglas stand auf dem niedrigen Tisch neben ihm, und auf einem größeren Tisch in Griffweite befanden sich eine Flasche Bourbon sowie eine Karaf‌fe mit Sodawasser. Ich bemerkte, dass die Haushälterin das Glas und die Whiskeyflasche anstarrte, als stünden sie für alles, was sie hasste. Sie hatte feurige schwarze Augen und hasste of‌fenbar mit viel Leidenschaft.

»Mr. Archer«, sagte sie.

»Danke, Vera. Hallo, Mr. Archer. Nehmen Sie doch Platz.« Er deutete auf den Sessel gegenüber. Seine Hand war im Gegenlicht fast durchsichtig. »Hätten Sie gern noch einen Drink, bevor Vera sich zurückzieht?«

»Nicht so früh am Tag, danke.«

»Ich trinke selbst nicht oft um diese Zeit.« Mir fiel auf, dass er sein Buch verkehrt herum hielt. Of‌fensichtlich hatte er dem Eindruck vorbeugen wollen, das Trinken sei seine einzige Beschäf‌tigung. Er schlug das Buch zu und legte es auf den Tisch. »Das Buch der Toten«, sagte er. {37}»Ägyptisches Thema. Das wäre dann alles, Vera. Ich bin durchaus imstande, Mr. Archer selbst zu unterhalten.«

»Jawohl, Sir«, sagte sie in zweifelndem Ton und warf beim Hinausgehen die Tür ins Schloss.

»Vera ist eine starke Frau«, sagte Jamieson. »Sie ist der Nagel zu meinem Sarg, gleichzeitig aber auch ein Segen. Ich weiß nicht, wie dieser Haushalt ohne sie funktionieren sollte. Sie hat meinem armen Jungen praktisch die Mutter ersetzt. Meine Frau ist seit vielen Jahren tot, wissen Sie.« Die Haut um seine Augen zog sich zusammen, als würde das Unglück ihres Todes ein weiteres Mal über ihn hereinbrechen. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, um sich dagegen zu wappnen. »Sicher, dass Sie nichts trinken wollen?«

»Nicht bei der Arbeit.«

»Wie ich höre, arbeiten Sie für meinen Sohn. Er bat mich um Rat, und ich habe ihn ermuntert, Sie zu engagieren.«

»Ich bin froh, dass Sie Bescheid wissen. Da muss ich nicht lange um den heißen Brei herumreden. Halten Sie Francis Martel für einen Schwindler?«

»Bis zu einem gewissen Grad sind wir das doch alle, meinen Sie nicht? Nehmen Sie mich zum Beispiel. Ich trinke allein für mich, wie Sie sehen. Je mehr ich trinke, desto verbissener versuche ich, es zu verbergen. Um meine Integrität halbwegs zu wahren, müsste ich of‌fen trinken und dafür geradestehen, nicht nur Peter, sondern vor allem Vera gegenüber.«

»Gut, das haben Sie sich jetzt von der Seele geredet«, sagte ich lächelnd, »aber das hilft mir in Bezug auf Martel nicht viel weiter.«

{38}»Ach, ich weiß nicht. Wenn ich etwas über die Menschen gelernt habe, dann immer nur auf dem Weg der Selbstbefragung. Es ist ein langwieriger, schmerzhaf‌ter Prozess«, sagte er, den Blick nach innen gekehrt. »Falls Martel ein Schwindler ist, geht er ein hohes Risiko ein.«

»Haben Sie ihn kennengelernt?«

»Nein. Aber so abgeschieden ich auch leben mag, empfange ich doch Nachrichten aus der Außenwelt. Martel hat vor Ort lebhaf‌tes Interesse erregt.«

»Wie ist die allgemeine Einschätzung?«

»Es gibt zwei Lager. Wie immer. Das ist der größte Nachteil der Demokratie: Es muss zu jedem Thema immer zwei Meinungen geben.« Er war of‌fensichtlich jemand, der sich gern reden hörte. »Diejenigen, die Martel kennen und ihn mögen, in erster Linie die Frauen, sehen keinen Grund, ihn nicht für einen vornehmen, vermögenden jungen Franzosen zu halten. Andere sehen in ihm mehr oder weniger eine Mogelpackung.«

»Einen Trickbetrüger?«

Er hob seine durchsichtige Hand. »Das nun nicht gerade. Dass er ein kultivierter Europäer ist, steht außer Frage.«

»Und dass er vermögend ist?«

»Ich fürchte, ja. Zufällig weiß ich, dass seine Ersteinlage bei der örtlichen Bank sich im sechsstelligen Bereich bewegte.«

»Soviel ich weiß, sitzen Sie im Vorstand der Bank.«

»Sie haben also Nachforschungen über mich angestellt«, sagte er etwas angesäuert. »Da tun Sie mir zu viel Ehre an.«

»Ich habe das zufällig von Mr. McMinn gehört, als ich {39}einen Scheck einlöste. Können Sie herausfinden, wo Martels Geld herkommt?«

»Versuchen kann ich’s wohl.«

»Möglich, dass es geliehenes Geld ist«, sagte ich. »Ich weiß von Betrügern, die sich sogar von Gangstern Geld leihen, um sich damit kurzfristig einen gewissen Status zu verschaf‌fen.«

»Was bezwecken sie damit?«

»Es gibt zum Beispiel einen Fall, wo so ein Betrüger ein Stadtbussystem auf Kredit gekauf‌t hat, um es systematisch auszuschlachten und den bankrotten Betrieb dann wieder abzustoßen. Seit einigen Jahren werden sogar Banken aufgekauf‌t.«

»Soviel ich weiß, hat Martel bisher nichts gekauf‌t.«

»Außer Virginia Fablon.«

Jamieson runzelte die Stirn. Er griff nach seinem Whiskey, sah, dass so gut wie nichts mehr übrig war, und stand auf, um sich einen neuen zu mixen. Er war groß, aber hager und gebrechlich. Er bewegte sich wie ein alter Mann, war jedoch nach meiner Schätzung nicht viel älter als ich – höchstens fünfzig.

Ich wartete, bis er sich eingeschenkt, mit einem ersten Schluck die Nerven beruhigt und wieder in seinem Ledersessel Platz genommen hatte, dann setzte ich nach: »Hat Ginny Geld?«

»Wohl kaum genug, um einen Schwindler anzulocken. Ein Mädchen wie sie braucht kein Geld, um das Interesse von Männern, welcher Art auch immer, zu erregen – sie dürf‌te schon mehr Anträge abgewiesen haben, als die meisten jungen Frauen sich jemals erhof‌fen würden. Of‌fen {40}gesagt, war ich überrascht, als sie Peter erhörte, aber nicht sehr verwundert, als sie die Verlobung wieder löste. Gestern Abend habe ich versucht, es ihm zu erklären. Solange sie noch zur Schule gingen, war alles in Ordnung. Aber für einen ganz gewöhnlichen jungen Mann kann eine schöne Ehefrau ein Fluch sein, vor allem, wenn er sie wieder verliert.« Erneut zog sich die Haut um seine Augen zusammen. »Es ist gefährlich, das zu bekommen, was man sich wünscht, wissen Sie. Es beschwört das Unglück geradezu herauf. Aber mein armer Sohn will das nicht einsehen. Die jungen Leute ziehen keine Lehren aus den Missgeschicken ihrer Altvorderen.«

Langsam wurde er mir allzu geschwätzig. Wenn ich an ihm vorbei auf die Berge blickte, befiel mich ein Gefühl von Unwirklichkeit, als hätte die sonnenbestrahlte Welt sich von mir zurückgezogen.

»Wir sprachen über die Fablons und ihr Geld.«

Jamieson riss sich sichtlich zusammen. »Ja, natürlich. Sehr viel kann es nicht sein. Die Fablons waren wohl mal vermögend, aber Roy hat das meiste verspielt. Es ging das Gerücht, das sei ein Grund für seinen Selbstmord gewesen. Zum Glück hat Marietta ihr eigenes kleines Privateinkommen. Es reicht, um sorgenfrei leben zu können, aber mit Sicherheit nicht, um einen Mitgiftjäger anzulocken. Schon gar nicht einen, der selbst hunderttausend Dollar flüssig hat.«

»Hundert Riesen auf der Bank, ist das alles, was Martel bräuchte, um in den Tennisclub zu gelangen?«

»In den Tennisclub? Gewiss nicht. Man benötigt eine Bürgschaft von mindestens einem Mitglied und muss vom Mitgliedschaftskomitee aufgenommen werden.«

{41}»Wer hat für ihn gebürgt?«

»Mrs. Bagshaw, glaube ich. Das ist durchaus gängige Praxis, wenn Mitglieder ihre Häuser hier im Ort vermieten. Das spricht nicht gegen den Mieter.«

»Aber auch nicht für ihn. Können Sie sich vorstellen, dass Martel so etwas wie ein politischer Flüchtling ist?«

»Schon möglich. Ehrlich gesagt, habe ich Peter schon deshalb nicht davon abgeraten, Sie zu engagieren, weil ich gern meine Neugier befriedigen möchte. Außerdem will ich Peter helfen, sich die Sache mit Ginny von der Seele zu schaf‌fen. Das setzt ihm mehr zu, als Ihnen vielleicht deutlich ist. Ich bin sein Vater, und ich spüre es. Ich mag ihm kein besonders guter Vater gewesen sein, aber ich kenne meinen Sohn. Und Ginny auch.«

»Ginny wäre Ihnen als Schwiegertochter nicht recht?«

»Im Gegenteil. Sie würde Leben ins Haus bringen, sogar in dieses. Aber ich fürchte sehr, dass sie meinen armen Sohn nicht liebt. Und nur aus Mitleid in eine Heirat eingewilligt hat.«

»Mrs. Fablon hat etwas ganz Ähnliches gesagt.«

»Sie haben also mit Marietta gesprochen?«

»Ein wenig.«

»Sie ist eine viel ernstere Person, als sie vorgibt. Und Ginny genauso. Schon als Kind war Ginny ungewöhnlich ernst. Sie hat immer hier in der Bibliothek gesessen, manchmal das ganze Wochenende durch, und sich in Bücher vertieft.«