Classroom Management

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Über dieses Buch

Welche Verhaltensweisen fördern die Motivation und die Kooperation? Wie können schwierige Gespräche konstruktiv gestaltet werden? Classroom Management schafft die Voraussetzungen für gutes Lernen: Es begünstigt ein positives Klassenklima, fördert ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkräften und Lernenden und reduziert Störungen.

 Der Band bietet eine Einführung in die Grundlagen, Strategien und konkreten Handlungsmöglichkeiten, die Klassenführung stetig weiterzuentwickeln.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

  1. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rolle der Schüler:innen hier passiv konzipiert wird, ganz im Gegenteil.

  2. In meiner Arbeit mit Lehrer:innen sage ich mit einem Augenzwinkern an dieser Stelle immer: »Wenn Sie an dieser Stelle nicht vor Ideen überschäumen, was Sie wirklich lustvoll lernen, dann erdreisten Sie sich bitte nicht, von Ihren Schüler:innen zu erwarten, dass sie überhaupt lernen!« Und Sie wissen, jeder Scherz hat auch ein Körnchen Wahrheit.

  3. Manchmal sind Schüler:innen, die Hilf- und Hoffnungslosigkeit tief internalisiert haben, so überzeugend, dass wir Erwachsenen fast auch zu glauben beginnen, dass es bei dieser Schüler:in eigentlich keinen Sinn mehr hat. Lassen Sie sich hier nicht ins Bockshorn jagen.

  4. Passen Sie die Anzahl gerne an. Wichtig ist das Gefühl von Erfolgserleben. In Lerngruppen, in denen Schüler:innen nicht so viel Erfolge zu berichten wissen (möglicherweise wegen hoher Misserfolgsorientierung), können Sie schrittweise die Anzahl der Erfolge (von Woche zu Woche oder von Tag zu Tag) erhöhen.

  5. Natürlich gibt es Schüler:innen, die sich davon nicht einschüchtern oder negativ beeinflussen lassen. Diese machen dann keine Fortschritte wegen der gut gemeinten Haltung. Sie machen Fortschritte, obwohl ihre Lehrer:in diese Haltung zeigt.

  6. Je spezifischer, desto besser.

  7. Wenn Sie diese Sätze genau so den Schüler:innen gegenüber kommunizieren, dann werden Sie wahrscheinlich bestenfalls ein müdes Lächeln ernten. Aber es geht hier ja um innere Haltungen.

  8. Vygotsky spricht von der »Zone der nächsten Entwicklung«.

  9.  Übrigens: Intelligenz-Schubladen scheinen auch einen negativen Effekt zu haben, wenn Sie nur die Intelligenten in diese Schubladen stecken. Denn was ist mit dem Rest?

  10. Anti-Kompliment bedeutet nicht, dass es schlecht ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit nur nicht auf die Stärken und Ressourcen. Oft ist es sogar notwendig und zeugt von Interesse, wenn die Nöte der Schüler:innen wahrgenommen werden. Dann sind es eben nur keine Komplimente. Es würde ja auch keiner bei einem Date sagen: »Du siehst aber schlecht und unausgeschlafen aus, ich mache mir richtig Sorgen!« Trotzdem kann in einer Freundschaft oder einer Partnerschaft so eine Aussage sehr wertvoll sein. So ist es auch in der Schule. Und in diesem Abschnitt geht es um Komplimente, um den Fokus so zu lenken, dass die Schüler:innen sich selbst danach ein Stückchen größer fühlen.

  11. Dieser Ansatz ist der »Wunderfrage« aus der lösungsorientierten Kurzzeittherapie entlehnt. Den ganzen Ansatz der Wunderfrage finden Sie bei De Shazer und Dolan (2020).

  12. Ich habe mich bewusst für den Begriff »Führer:in« entschieden – mit all seinen Assoziationen.

  13. Wenn Sie größere Ausflüge als Aktivitätsverstärker wählen, können Sie an Ausflügen »andocken«, die Sie ohnehin machen möchten. Allerdings können die Schüler sich noch ein »Extra« verdienen. Ein Beispiel bei einem Paddelausflug könnte ein Lagerfeuer mit Stockbrot sein, das auf dem Foto zu sehen ist.

  14. Ein guter Zeitpunkt könnte während oder nach der Berufsausbildung oder dem Studium sein.

  15. Der Fokus sollte positiv in die Zukunft gerichtet bleiben und nicht defizitorientiert werden. Auch dann nicht, wenn ein Vorsatz nicht umgesetzt wird. Das ist eine gute Übung für Schüler:innen.

  16. Ich weiß, dass die meisten von Ihnen, liebe Leser:innen, an dieser Stelle innerlich protestieren. Aber lassen Sie uns bitte den Gedanken – nur um des Gedankens willen – einmal zu Ende denken.

1 Wie Sie dieses Buch zum Classroom Management nutzen können

Dieses Buch ist eine Einladung zum Experimentieren, zum Reflektieren und zum Diskutieren. Viele der Ansätze, die Sie hier lesen werden, kennen Sie schon. Worin besteht der Mehrwert dieses Buchs? Die Güte und das Gelingen von Klassenführung steigen mit der Expertise (König & Kramer, 2016). Wir wissen aus verschiedenen Forschungsarbeiten, dass Lehrer:innen mit einer höheren Expertise Störungen und Konflikte viel früher wahrnehmen und diesen dann aktiv begegnen, bevor sie zu wirklichen Problemen werden (Bromme, 2014; Ophardt & Thiel, 2017). Im Vergleich zu Laien oder Novizen haben Experten im pädagogischen Handlungsfeld komplexere innere Modelle von den Menschen, mit denen sie arbeiten. So können sie vielfach zielgenauer ihre Handlungen abstimmen und damit die Effektivität ihres Tuns steigern (z. B. indem sie einzelne Schüler:innen gezielter motivieren können).

Expertise entsteht nicht aus Erfahrung allein. Und Expertise kann man auch nicht allein durch das Lesen von Theorien erwerben. Vielmehr wächst die Expertise dann, wenn theoriegeleitetes Wissen mit relevanten Handlungsschemata auf eine Art verknüpft wird, dass die Güte der Entscheidungen im Alltag verbessert wird. Daniel Kahneman (2016) hat in seinem bekannten Buch Schnelles Denken, langsames Denken eindrücklich gezeigt, dass wir zwei unterschiedliche Systeme zur Verarbeitung von Informationen haben: ein schnelles intuitives, das uns hilft, unter Handlungsdruck häufig richtig zu entscheiden; und ein langsameres, das es uns ermöglicht, unsere Entscheidungen und Handlungen besser anzupassen. Der Preis, den wir für schnelle Entscheidungen zahlen, ist, dass diese oft nicht genau passend, manchmal sogar unpassend sind, wenn auch intuitive Entscheidungen bei einer hohen Komplexität oft zu besseren Ergebnissen führen. Der Preis für genaueres Denken ist die fehlende Geschwindigkeit. Gerade im Classroom Management und im Unterricht überhaupt müssen Sie häufig schnell handeln. Und im Setting Schule ist die Komplexität oft sehr hoch. Sie müssen viele Faktoren gleichzeitig berücksichtigen. Experten gelingt es in ihrer Domäne, dass sie Informationen sowohl intuitiv, schnell und unbewusst als auch bewusst und analytisch verarbeiten. Und dass sie schnell zwischen beiden Verarbeitungsmodi wechseln können (Sachse, 2009).

Der Mehrwert dieses Buches besteht darin, dass Sie eingeladen werden, Wissen zu vernetzen. In Reflexionsimpulsen können Sie die Theorien und Modelle mit Ihren praktischen Erfahrungen verknüpfen. Sie werden angehalten, Ihren Alltag durch die Brille der jeweiligen Theorien zu beobachten. Vielleicht lassen Sie sich sogar auf einige Alltagsexperimente ein. All das zielt darauf ab, dass Sie selbst Ihre Expertise im Classroom Management ausbauen. Selbstverständlich dürfen Sie dieses Buch auch einfach »nur« lesen, ohne den Impulsen, Beobachtungs- und Reflexionseinladungen und den Alltagsexperimenten nachzukommen.

In diesem Buch werden wir verschiedene wissenschaftliche Theorien und Modelle beleuchten und aus ihnen Anregungen für die Gestaltung des Classroom Management ziehen. Bevor wir das jedoch machen, sollten wir uns darauf einigen, was wir unter Classroom Management verstehen und was nicht (Kapitel 1.1). Da es keine einheitliche Definition gibt, werden wir mit einem variablen Kernverständnis darüber auskommen müssen.

Seit vielen Jahren arbeite ich mit Lehrer:innen zum Classroom Management. Oft begegnet mir der verständliche Wunsch, Werkzeuge und »Rezepte« an die Hand zu bekommen, die sofort einsetzbar sind. Obwohl dieses Buch sehr praxisorientiert ausgerichtet ist, wird es keine »Kochrezepte« geben. Das würde der Komplexität nicht gerecht und es würde letztlich auch das, was Sie täglich leisten, nicht genügend würdigen. Ob eine Strategie oder eine Technik funktioniert oder nicht, hängt nicht selten von der Haltung der Lehrer:in ab und von der Beziehung zwischen ihr und der Klasse bzw. einzelnen Schüler:innen. Hier ist Haltungs- und Beziehungsarbeit gefragt (Kapitel 1.2 und Kapitel 4). Auch darum wird es in diesem Buch gehen. Aber selbstverständlich bekommen Sie auch Ansätze, Techniken, Methoden und Strategien an die Hand, die Sie sofort einsetzen können und die effektiv sind (Kapitel 1.3).

1.1 Was ist Classroom Management und was ist es nicht?

Classroom Management zielt darauf ab, die echte Lehr-Lern-Zeit, das Klassenklima, die Lernatmosphäre und das demokratische Miteinander zu optimieren bzw. bewusst zu gestalten. Um das zu erreichen, müssen Störungsanteile gering gehalten und die Schüler:innen zur Mitarbeit bzw. zum Mitgestalten motiviert werden, denn eine aktive Mitarbeit am Unterricht ist eine zentrale Voraussetzung für schulische Lernprozesse (Junker & Holodynski, 2021). Classroom Management umfasst somit alle lehrerseitigen Aktivitäten1 zur Gestaltung einer Lernumgebung, die sich günstig auf das curriculare und das sozial-emotionale Lernen auswirken. Dabei ist Classroom Management nicht »einfach irgendein weiteres Modul für guten Unterricht, sondern legt die Basis für gute Lehrer-Schüler-Beziehungen, dass die Schüler gut lernen und dass sich Lehrer und Schüler im Unterricht wohlfühlen« (Eichhorn, 2014, S. 8 f.).

Der Begriff Classroom Management geht auf Jacob Kounin (1976) zurück, der fünf Dimensionen des Classroom Management postulierte, die bis heute heuristischen Wert haben (wenngleich die Begrifflichkeiten oft etwas antiquiert wirken):

  1. Disziplinierung: Die Lehrer:in interveniert bei Störungen angemessen und schafft es, die Störungen zu reduzieren oder zu beseitigen. In diesem Buch wird im Kapitel 2 exemplarisch gezeigt, dass Störungen aus der Vermeidung des Gefühls von Hilflosigkeit (»In Mathe bin ich ein Versager. Das kriege ich nie hin!«) entstehen können. Statt auf »typische« Sanktionen zur Disziplinierung zurückzugreifen, finden Sie in diesem Buch Interventionen, die auf die Überwindung von Hilflosigkeitsgefühlen und auf das Erleben von Selbstwirksamkeit abzielen. Sie lernen auch Interventionen auf der Beziehungsebene kennen, um akute Störungen zu reduzieren (Kapitel 4). Im Setting Schule wird häufig das Autonomiebedürfnis aller (!) Akteure unzureichend erfüllt. Dies kann ebenfalls zu Störungen führen, die durch die Berücksichtigung einiger Implikationen der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (Taylor u. a., 2014) eingedämmt werden können (Kapitel 3). In Kapitel 8 wird es im Kern um die Intervention von Störungen gehen, die akut auftreten. Damit die Gelingenswahrscheinlichkeit hierfür steigt, ist es günstig, Kommunikationsstrategien zu verwenden, die zu Kooperation einladen.

  2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung zielt darauf ab, bei den Schüler:innen das Gefühl zu erzeugen, dass die Lehrer:in stets über die Abläufe, die Mitarbeit und die Interaktionen (auch die abseitigen) im Unterricht informiert ist. Junker und Holodynski (2021) sehen das Monitoring als äquivalente Aktivität, um proaktiv Unterrichtsprozesse zu steuern. Bei der Gestaltung von Beziehungen ist es immer hilfreich, wenn sich die Interaktionspartner:innen wahrgenommen und gesehen fühlten. Deswegen besprechen wir in Kapitel 4 Möglichkeiten, wie Sie in der Beziehungsarbeit den Schüler:innen dieses Gefühl vermitteln können. Welche Feedbackprozesse es begünstigen, dass Schüler:innen sich jederzeit (in ihrer Kompetenz) wahrgenommen fühlen, betrachten wir in Kapitel 5. In Kapitel 6 lernen Sie u. a. auch Verstärkungstechniken kennen, die das Gefühl vermitteln, dass die Lehrer:in bereits gute Absichten erkennt und verstärkt.

    Weiterführender Hinweis

    Etwa 20 % der Schüler:innen leiden unter psychischen Störungen und benötigen punktuell besondere professionelle Formen der Aufmerksamkeit. Diese können im Rahmen dieses Buches nicht ausführlich behandelt werden. Weiterführende Überlegungen dazu finden Sie unter www.apollon-hochschule.de/schulpsychologie oder im Buch Umgang mit psychischen Störungen im Unterricht (Eckert, 2022).

  3. Reibungslosigkeit und Schwung sorgen für einen guten und flüssigen Unterrichtsablauf, der zu einer kognitiven Aktivierung der Schüler:innen einlädt (Eichhorn & von Suchodoletz, 2013).). Reibungslosigkeit und Schwung sind das Ergebnis einer prozessualen Strukturierung bei gleichzeitiger Etablierung von Regeln und Routinen, die die notwendigen Abläufe sichern (Junker & Holodynski, 2021). Damit unnötige psychologische Widerstände vermieden werden, ist es günstig, Implikationen der Selbstbestimmungstheorie (Claver u. a., 2020) in die Unterrichtsgestaltung miteinzubeziehen (Kapitel 3, 5, 6 und 7). Wie es gelingt, gemeinsam mit der Lerngruppe Regeln und Rituale so umzusetzen, dass sie sicher gezeigt werden, besprechen wir in Kapitel 6. Die hohe Kunst ist es, sich als Lehrer:in so überflüssig zu machen, dass der Unterricht auch (fast) ohne Sie reibungslos und schwungvoll läuft. In Kap. 7 stelle ich Ihnen einige Ansätze aus der Teamentwicklung im Klassenzimmer (Klippert, 2019) und dem Kooperativen Lernen (Green & Green, 2005) vor.

  4. Unter Gruppenmobilisierung versteht Kounin die Fähigkeit der Lehrer:in, sich auf die ganze Gruppe und zugleich auf die einzelnen Schüler:innen zu fokussieren und diese auf beiden Ebenen zu unterstützen – individuell und als Gruppe. Neben der Beziehungsarbeit (Kapitel 4) und den Feedbackprozessen (Kapitel 5) spielen selbstverständlich Gruppenarbeit, Teamentwicklung und kooperatives Lernen (Kapitel 7) eine zentrale Rolle.

  5. Abwechslung und Herausforderung zielt darauf ab, die Lernaktivitäten auf eine Weise zu gestalten, dass diese die kognitive Aktivierung der Schüler:innen begünstigen. Sowohl Elemente der Selbstbestimmungstheorie (Kapitel 3) als auch geschickt genutzte Aspekte der Gamifizierung sind hier hilfreich. Der Lernprozess sollte aus konstruktivistischer Sicht betrachtet werden, denn wir alle bauen unser Wissen auf unserem Vorwissen und abhängig von Vorerfahrungen auf. Personen, die unterschiedliches Vorwissen oder andere Informationen haben, nehmen den Lernstoff anders wahr, bewerten ihn anders und ordnen ihn anders ein. Sie konstruieren entsprechend eine unterschiedliche Bedeutung. Die Art und Weise, wie wir unser Feedback (Kapitel 5) gestalten, verändert also auch den Lernprozess. Vormals langweilige Aufgaben können auf einmal spannend und herausfordernd sein.

Dieses Buch lädt Sie ein, diese von Kounin aufgestellten Dimensionen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und für die Praxis tauglich zu machen. Dabei gestalten nicht nur Sie, sondern konsequenterweise auch Ihre Schüler:innen die Prozesse verantwortlich mit. Wie das gelingen kann, darum geht es hier.

Schüler:innen haben altersspezifische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, die so etwas wie die Hintergrundmusik des schulischen Lernens sind. Der erste Liebeskummer lässt sich auch im Matheunterricht nicht vergessen. Der erste Zahn fällt mitunter auch im Sachkundeunterricht aus. Classroom Management sollte also stets die entwicklungspsychologische Perspektive als Ratgeber berücksichtigen. Verschiedene soziodemografische Hintergründe haben ebenfalls einen Einfluss darauf, wie Lernen optimalerweise gestaltet werden sollte. Allerdings sind diese beiden Aspekte so umfassend, dass sie in diesem Buch keine explizite Berücksichtigung finden können. Trotzdem sind Sie gut beraten, beides im Blick zu behalten und sich stets diese Fragen zu stellen: Was brauchen meine Schüler:innen, damit die nächsten Schritte gelingen? Und was brauche ich, damit ich die Schüler:innen gut bei diesen Schritten begleiten kann?

1.2 Einladung zu Arbeit an der inneren Haltung

Ein wichtiger Faktor in der Klassenführung ist die Authentizität der Lehrer:innen. So scheint Authentizität von Lehrer:innen eine Verbindung zwischen Lehren und komplexem Lernen darzustellen (Kreber, 2010). Auch die Glaubwürdigkeit von Lehrer:innen hängt davon ab, in welchem Maße sie von den Schüler:innen als authentisch wahrgenommen werden (Hascher, 2006). Authentische Lehrer:innen werden häufiger als Verhaltensmodell gewählt und befördern gelingende Entwicklung. Allerdings ist es gleichzeitig wichtig, den Schüler:innen gegenüber eine wohlwollende sowie ressourcen- und kompetenzfokussierende Haltung einzunehmen. Diese sollte als kongruent bzw. authentisch erlebt werden. Aus diesem Grund erscheint es als unverzichtbar, im Rahmen des Classroom Management an der eigenen Haltung zu arbeiten.

Ein immer noch verbreitetes Vorurteil hinsichtlich der Authentizität im Lehrerberuf besteht darin, dass es authentisch und deshalb richtig wäre, negative Emotionen den Schüler:innen gegenüber auszuleben (z. B. indem man sie anschreit oder ihnen ungefiltert negatives Feedback gibt). Obwohl das in der Situation möglicherweise authentisch ist, erweist sich diese Form von Authentizität als meistens nicht hilfreich. Authentisches Wohlwollen, Wertschätzung und eine ressourcenfokussierte Perspektive auf Schüler:innen gelingt angesichts von wahrgenommener Respektlosigkeit oder angesichts von Unterrichtsstörungen häufig nicht so leicht. Und doch zeigt sich vielfach, dass genau diese wohlwollende Perspektive wünschenswerte Entwicklungen begünstigt und die Schüler:innen zum Reflektieren einlädt. Je sichtbarer und spürbarer Lehrer:innen sich selbst reflektieren und an ihrer Haltung arbeiten, desto wahrscheinlicher werden sie für die Schüler:innen zu einem erstrebenswerten Verhaltens- und Entwicklungsmodell. Deshalb sollte Emotionsarbeit einen Teil der Arbeit im Lehrerberuf ausmachen (Eckert u. a., 2012).

Wie kann es gelingen, angesichts von Störungen oder Respektlosigkeiten authentisch wertschätzend und zugleich klar zu kommunizieren, ohne in die »Ärgerfalle« zu tappen? Wie können Sie mit unerwünschten Emotionen umgehen? Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass keine Emotion – auch Ärger nicht – an sich schlecht ist. Aber Ärger ist dann schlecht, wenn er uns den Weitblick nimmt und uns zu impulsiven oder gar abwertenden Äußerungen verführt. Aber auch unterdrückter Ärger kann im Unterricht ungünstig sein. Wenn die Schüler:innen wahrnehmen, dass Sie eine Verhaltensweise ärgert, dann könnte dieser Ärger eine wichtige Rückmeldung für Sie und die Schüler:innen sein. Wenn Sie den Ärger unterdrücken, fehlt die »echte« Rückmeldung, und Sie werden möglicherweise unglaubhaft. Wie gelingt es aber, den Ärger authentisch zu kommunizieren und gleichzeitig wertschätzend zu kommunizieren? Diese und weitere Herausforderungen erfordern eine Arbeit an der inneren Haltung. Zu dieser lade ich Sie immer wieder im Laufe des Buches ein – ohne diese Arbeit sind die meisten Methoden, Techniken oder Strategien nutzlos.

Reflexionsimpuls

Die meisten Menschen hatten in ihrer eigenen Schullaufbahn Lehrer:innen, die durch eine positive und trotzdem klare Haltung auffielen – und Lehrer:innen, bei denen man wenig Haltung wahrgenommen hat. Wählen Sie bitte im Geiste zwei Ihrer eigenen Lehrer:innen aus: Eine Lehrer:in, deren Haltung Sie auch heute noch erstrebenswert finden, und eine, von der Sie sich innerlich distanzieren würden.

 Worin unterscheiden sich diese Lehrer:innen? Was würden Sie für Ihre eigene Praxis gerne übernehmen? Was davon gelingt Ihnen und wie machen Sie das? Woran möchten Sie noch arbeiten? Und wann ist Ihnen auch das bereits gelungen (vielleicht nur punktuell)?

1.3 Erst jetzt kommen Methoden, Techniken und Strategien

In diesem Buch stelle ich Ihnen unterschiedliche Theorien und Befunde vor. Daraus leite ich Methoden, Techniken und Strategien ab, die Sie in der Praxis erproben können. Die Erfahrung zeigt, dass diese Ansätze praxistauglich sind und sich in der Regel schnell umsetzen lassen. Allerdings bekommen Sie keine Kochrezepte an die Hand, sondern Handreichungen, die Sie an die spezifischen Bedingungen Ihrer Praxis anpassen müssen, damit sie funktionieren. Laden Sie sich selbst zu kleinen Experimenten ein und bewerten Sie, was gut klappt und was gut zu Ihnen und der jeweiligen Lerngruppe passt.

Meistens ist es hilfreich, wenn Sie die Lerngruppe mit in die Reflexion, Evaluation und Weiterentwicklung einer Methode einbinden. Schließlich sind die Schüler:innen die Expert:innen für ihren eigenen Lern- und Entwicklungsprozess. Im herkömmlichen Schulbetrieb mag diese Rollenzuschreibung für alle Akteure zunächst etwas befremdlich anmuten. Ich bin aber überzeugt davon, dass alle die Bedingungen, die Kounin für ein gutes Classroom Management formuliert hat, besser gelingen, wenn alle Akteure – auch die Schüler:innen – dafür Verantwortung übernehmen und mit Spaß daran arbeiten. Und dafür ist gelebte Partizipation ein guter Schritt. Wie das funktionieren kann, stelle ich beispielsweise in Kap. 6 und 7 vor.

2 Das Problem der erlernten Hilflosigkeit im Kontext von Schule

Sabrina (8. Klasse) weigert sich, ihre Aufgaben in Mathe zu erledigen. Ihre Lehrerin fordert sie auf anzufangen. Sabrina weigert sich jedoch weiterhin und sagt, sie werde Mathe ohnehin nie verstehen.

 

In einer fünften Hauptschulklasse gibt Herr Müller, der Englischlehrer, die Hausaufgabe, dass die Schüler:innen ihre Vokabeln lernen. Als in der nächsten Stunde niemand die Vokabeln kann, erklärt die Klasse ihrem Englischlehrer: »Sie dürfen nicht zu viel erwarten. Wir sind nur Hauptschüler.«

 

Paul (9. Klasse) ist bei Klassenarbeiten auffallend häufig krank bzw. fehlt. Im Elterngespräch berichtet die Mutter glaubhaft, dass Paul stets starke Bauchschmerzen habe, wenn eine Klassenarbeit unmittelbar bevorsteht.

Bei diesen drei kleinen Beispielen spielt die erlernte Hilflosigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit eine zentrale Rolle. Erlernte Hilflosigkeit ist ein Phänomen, dass im Setting Schule vielfach vorkommt und einen ungünstigen Einfluss auf das Wohlbefinden, auf die psychosoziale Entwicklung und auf die Leistung von Schüler:innen hat (Johnson, 1981; Sorrenti u. a., 2019). In diesem Kapitel werden das Phänomen und die Hintergründe der erlernten Hilflosigkeit vorgestellt. Dazu betrachten wir verschiedene aufschlussreiche Studien, die die Mechanismen erhellen und aufzeigen, wie schnell im Unterricht dieses ungünstige Phänomen aktiviert werden kann. Schließlich wird es darum gehen, mit welchen Maßnahmen Sie dem Erlernen von Hilflosigkeit entgegenwirken können und welche Instrumente Sie nutzen können, um bereits erlernte Hilflosigkeit in Kompetenzerleben zu überführen.