Über Robert Merles

Das literarische Werk Robert Merles (1908–2004) spannt sich in einem weiten Bogen von seinem ersten Welterfolg »Der Tod ist mein Beruf« über die ironische Zukunftsvision der »Geschützten Männer« bis zu der mit dreizehn Bänden vollständig vorliegenden historischen Romanfolge »Fortune de France«:

Fortune de France

In unseren grünen Jahren

Die gute Stadt Paris

Noch immer schwelt die Glut

Paris ist eine Messe wert

Der Tag bricht an

Der wilde Tanz der Seidenröcke

Das Königskind

Die Rosen des Lebens

Lilie und Purpur

Ein Kardinal vor La Rochelle

Die Rache der Königin

Der König ist tot

Informationen zum Buch

Pierre de Siorac, frischgebackener Mediziner und Hugenott, hat durch Freundeshilfe das Massaker der Bartholomäusnacht überlebt und kehrt zwei Jahre später nach Paris zurück. König Heinrich III. hat ihn zum Leibarzt ernannt, aber bald wird er vor allem dessen Geheimagent in heiklen politischen Missionen. Denn Frankreich ist noch immer ein tief zerrissenes Land, die Katholische Liga in Gestalt des mächtigen Herzogs von Guise macht Front gegen den König, der im Staatsinteresse zwischen Katholiken und Protestanten zu vermitteln sucht. Spanien steht hinter den einen, England hinter den anderen. Das mörderische Duell zwischen Heinrich und Guise bestimmt über ein Jahrzehnt die französische Politik.Verkleidet als Tuchhändler, Putzmachermeister, königlicher Leibgardist, reist Pierre durchs Land, besteht Abenteuer, Duelle und Attentate, trifft Spione und Gegenspione. Er reist zu Heinrich von Navarra in den hugenottischen Süden. Er reist zu Königin Elisabeth nach London. Sein Husarenstück aber: Während eines nicht ganz freiwilligen Beischlafs mit der erzkatholischen Herzogin von Montpensier stiehlt er dieser einen Brief Guises an den König von Spanien und hat damit den entscheidenden Beweis für Guises Landesverrat in Händen.Robert Merles Romanfolge »Fortune de France« ist das farbenprächtige Gemälde einer der dramatischsten Zeiten in der französischen Geschichte: des Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Hugenotten. In seinem Zentrum steht der Chevalier Pierre de Siorac, nunmehr Arzt und Geheimagent König Heinrichs III. Das Massaker der Bartholomäusnacht, dem er gerade noch entronnen ist, liegt zwei Jahre zurück. Aber noch immer schwelt die Glut und wird aufs neue geschürt durch die »Liga« des Herzogs von Guise, der den König über Jahre hinweg zu einem mörderischen Machtkampf fordert. Pierres Charme, sein perfekter Degen und sein gutes Englisch auf internationalem Parkett machen ihn in dieser gefährlichen Auseinandersetzung zum Helden par excellence.

»Robert Merle ist einer der ganz wenigen französischen Schriftsteller, der sowohl den Erfolg beim Publikum als auch die Achtung der Kritik errungen hat.« Le Figaro

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Robert Merle

Noch immer schwelt die Glut

Roman

Aus dem Französischen von Christel Gersch

Inhaltsübersicht

Über Robert Merle

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Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Fußnoten

Impressum

Erstes Kapitel

Als ich mit meinem Diener Miroul, mit Fröhlich, meinem guten Berner Schweizer, und meinem treuen Freund, dem Fechtmeister Giacomi, den Mörderbanden der Bartholomäusnacht entronnen war und Zuflucht bei dem eleganten Hofmann, Baron von Quéribus, in Saint-Cloud gefunden hatte, ließ es sich dieser nicht nehmen, unter dem Vorwand, daß er nach seinem Gut im Carcassonner Land sehen müsse, mich mit starker Eskorte heim ins Périgord zu geleiten, zu gefährlich waren Straßen und Städte derzeit für Hugenotten. Und als Dame Gertrude du Luc – die meinem Bruder Samson ja das Leben gerettet hatte, indem sie ihn hinderte, Hals über Kopf nach Paris zu eilen – sich unserer Reise unbedingt anschließen wollte, nicht nur, weil sie für Pilgerfahrten schwärmte (ebenso wie ihre Zofe Zara), sondern vor allem, weil sie meinen Vater kennenlernen wollte, so lud ich sie ein nach Mespech, wohl wissend, daß sie beharrlich und unbeirrbar trachtete, meinen Herzensbruder Samson endlich zu heiraten.

Es war Weinlese, als wir auf Mespech eintrafen, und nach der Freude, meinen Vater und Onkel Sauveterre wiederzusehen, wurde ich zum erstenmal im Leben des Anblicks nicht froh, wie unsere Leute die schönen Trauben in der Kelter traten, rief mir der sprudelnde rote Saft doch ungewollt die Ströme von Blut vor Augen, die am 24. August und noch Tage danach das Pariser Pflaster tränkten.

Aber ich muß gestehen, bei der Erinnerung an meine Ritte über die Landstraßen des Königreichs und meine unerhörten Abenteuer in der Hauptstadt kam mich nach einer Woche des ländlich geruhsamen Lebens in der Baronie meines Vaters die Langeweile an.

Den Winter wollte ich hier ohnehin nicht verbringen, denn ich gedachte, mich zu Bordeaux als Arzt niederzulassen. Aber, du weißt wie ich, Leser, Fortuna spottet der Vorsätze und Pläne des Menschen und macht sie zunichte wie Wellen die Sandburg eines Knaben: zwei Monate hatte ich auf Mespech bleiben wollen. Ich blieb zwei Jahre.

Und ist es auch mein Hauptanliegen, auf diesen Seiten zu schildern, wie mein guter König Heinrich III. in Erscheinung und Wesen wirklich gewesen ist und nicht, wie Lug und Trug der Ligarden und Guisarden (der Liga- und der Guise-Anhänger, meine ich) ihn verunglimpften, die meinen armen König zu seinen Lebzeiten ja mit giftigem Haß überschütteten durch Abertausende Schmähschriften, Spottverse, Pasquille und ach! durch abscheuliche Predigten sogar von den geweihten Kanzeln herab, wo von Rechts wegen allein die göttliche Wahrheit gelehrt werden sollte, so erzählt die gegenwärtige Chronik doch auch die Geschichte meiner Familie samt ihren häuslichen Freuden und Kümmernissen, also daß ich nicht holterdiepolter hinweggaloppieren will über das, was uns in besagten zwei Jahren widerfuhr, Samson, François, meiner kleinen Schwester Catherine, der Bruderschaft – meinem Vater und Sauveterre, will ich sagen –, Dame Gertrude du Luc, Quéribus und meiner Angelina.

Wenn ich mich recht entsinne, gab es bei meiner Heimkehr nach Mespech im Jahr 1572 Streit um die Vermählung meines Bruders Samson mit Gertrude, obwohl diese Verbindung unsere hugenottische Sparsamkeit höchst vorteilhaft dünken mußte, wollte die in meinen Bruder vernarrte Dame, die seit 1567 schon mit ihm schlief, ihm doch die schöne Apotheke der Béquerets zu Montfort-l'Amaury als Mitgift einbringen.

»Ihr solltet Samson diese Heirat verbieten!« sagte Onkel Sauveterre zu meinem Vater, während wir zu viert zu dem guten Cabusse nach Breuil hinausritten. »Die Dame ist Papistin und Rompilgerin.«

»Wie kann ich meinem Sohn verbieten«, sagte Jean de Siorac, »was ich selbst getan habe, indem ich Isabelle de Caumont zur Frau nahm?«

»Und sie bekam Euch übel genug, mein Bruder, die Ehe mit der geschworenen Papistin!« sagte Sauveterre, der mit seinem krummen Rücken und seinem geduckten, dürren Hals mehr denn je einem alten Raben glich.

»Übel bekam mir's«, sagte mein Vater, und seine lustigen Augen verdunkelten sich bei dieser Erinnerung, »daß ich eine Dame von soviel altem Geblüt und Stolz mit Pauken und Trompeten habe bekehren wollen … Trotzdem war sie mir eine gute Gemahlin«, setzte er mit einem Blick auf uns, François und mich, hinzu, die wir dicht hinter den Herren Brüdern ritten. »Und ich habe sie sehr geliebt.«

Worauf Sauveterre für eine Weile verstummte. Auch wenn er ein zu rechtschaffener Mann war, als daß er sich nicht bemüht hätte, meiner Mutter in ihrem kurzen Erdenleben gutzusein, war es ihm doch besser geglückt, die Tote zu beweinen, als die Lebende zu lieben. Für Sauveterre, der biblische Fruchtbarkeit über alles pries, war eine Frau nichts wie der fruchtbare Leib, durch welchen das Volk Gottes wuchs und sich mehrte. Daß solcher Leib dazu aber erst einmal befruchtet werden mußte, erregte bei ihm weder Lust noch Liebe.

»Wenn diese Dame Samson heiratet«, fuhr er düster fort, »dann saugen Eure Enkelkinder den Aberglauben und die Götzendienerei der Papisten mit der Ammenmilch ein. Habt Ihr das bedacht?«

»Ach, ich frage mich, ob diese Milch soviel bewirkt«, sagte Jean de Siorac. »Karl IX. hatte eine hugenottische Amme, und was es damit auf sich hat, habt Ihr zu Sankt Bartholomäus ja gesehen. Außerdem, mein Herr Bruder, gebietet die neuerdings wütende Verfolgung, sich wieder zu verkappen. Bei meinem Samson steht mehr Eifer denn Laschheit zu fürchten. Dame Gertrude wird seinem unschuldigen Antlitz eine Maske vorhalten. Und übrigens, wie steht sich ein hugenottischer Apotheker in papistischem Land? Beim ersten Patienten, der ihm stirbt, schreit alles: Gift!«

»Ich sehe schon, Ihr seid entschlossen, Euch darein zu schicken«, sagte Sauveterre voll Gram.

»Soll Samson länger in Sünde leben? Oder soll er entmannt wie ein Mönch in seiner Zelle vegetieren?« sagte mein Vater, doch mag er den letzten Satz bereut haben, als er sah, wie Sauveterre die Stirn darüber runzelte, daß er Keuschheit und Entmannung in einen Topf warf.

»Baron von Mespech«, sagte Sauveterre frostig, »sorgt wenigstens dafür, daß diese Damen schnellstens von hier verschwinden. Ich bin ihres Gekakels, ihrer Zierereien und der Vergeudungen leid, die sie uns aufnötigen. Seit sie im Hause sind, nehmen die Kosten für Fleisch, Wein und Kerzen kein Ende! Für Kerzen vor allem! Wozu brauchen Dame du Luc und ihre Gesellschafterin zehn Kerzen im Gemach, wenn mir in der Bibliothek eine reicht?«

»Ihr schminkt Euch auch nicht«, sagte mein Vater lächelnd.

»Das ist es ja!« brauste Sauveterre auf. »Der Herr hat ihnen ein Gesicht gegeben, müssen sie sich noch eins machen?«

»Herr Junker«, sagte mein Vater, »hättet Ihr einen Soldaten unserer Normannischen Legion getadelt, der vor der Schlacht seine Waffen putzt?«

»Was für eine Schlacht?« fragte Sauveterre griesgrämig.

»Die sie tagtäglich unseren schwachen Herzen liefern.«

»Schwach, jaja!« sagte Sauveterre mit einem vorwurfsvollen Blick auf meinen Vater. »Einen Monat, mein Herr Bruder, einen geschlagenen Monat hausen diese Heuschrecken nun schon in unserm Korn!«

»So großen Schaden können die zwei kaum anrichten«, sagte Jean de Siorac mit einem Lächeln. »Soll ich sie etwa aus dem Hause jagen? Können sie in ihrer Kutsche denn unbeschützt reisen? Wißt Ihr nicht, daß sie auf die Gesellschaft und Begleitung von Quéribus angewiesen sind? Daß aber der Baron bei Puymartin feiert?«

»Ja, und?« sagte Sauveterre.

»Und Puymartin ist derart in ihn vernarrt, daß er ihn am Schlafittchen packt, sowie er ein Wort von Rückkehr nach Paris fallenläßt.«

»Dann redet mit Puymartin.«

»Bewahre! Ich werde mich hüten, wegen einer so unwichtigen Sache einen treuen Freund anzugehen, mit dem wir Großes vorhaben.«

Hier sah ich, wie mein Bruder François die Ohren spitzte, ging doch all sein Streben dahin, Diane zu heiraten und, wenn ihre Mutter sich mit Puymartin vermählte, halbpart mit diesem die Herrschaft Fontenac zu übernehmen – sowie bei seinem ersten männlichen Kind den damit verbundenen Titel. Derweise würde sein junges Haupt noch vor dem Tod meines Vaters das Baronskollier zieren. Glücklicher François, dem die gebratenen Tauben ins Maul flogen, die er doch nur mir verdankte, schließlich hatte ich den Räuberbaron in einem rechtmäßigen Duell getötet, so daß es ihm nun freistand, dessen sanftmütige Tochter heimzuführen, auch wenn sie Papistin war. Ha, Sauveterre hatte noch nicht ausgekrächzt! Aber weil es sich diesmal um die guten Äcker von Fontenac handelte, die so bequem an unsere grenzten, und um eine starke Burg, die auch Mespech bedeutend sicherer machte, würde es seinem hugenottischen Gewissen schwerfallen, sein heimliches Einverständnis zu verhehlen.

Mein Vater war sich dessen wohl bewußt und fand, Papistin hie, Papistin da: Dame Gertrude du Luc konnte es mit Diane aufnehmen.

»Dame Gertrude«, fuhr er fort, »ist von gutem Amtsadel, dazu sehr wohlhabend und hat meinem Samson das Leben gerettet, als sie ihn abhielt, sich auf der Suche nach seinem Bruder in das Pariser Gemetzel zu stürzen. Und ich für mein Teil sehe nicht ungern, wie ihr Blondschopf unsere alten Mauern erheitert. Ich bin ihr gut.«

»Mehr ihrer Zofe«, versetzte Sauveterre trocken.

Hierauf schwieg mein Vater mit einer Miene, als habe er nichts gehört. So pflegte er anzuzeigen, daß er das Gesagte nicht zu debattieren wünsche. Ha, schöne Zara, dachte ich, weit gehst du für die Interessen deiner Herrin! Und weil mich dieser Gedanke belustigte, warf ich François einen einverständigen Blick samt einem Lächeln zu. Aber François erwiderte mein Lächeln nicht, sein langes, rechtschaffenes Gesicht blieb ungerührt, womit er mir bedeuten wollte – heuchlerisch, wie er von jeher war! –, daß er den Mantel des Noah über die Schwächen unseres Vaters breite, der sich, nicht wie Noah an Wein, an Weiblichkeit berauschte. Die gute Franchou genügte ihm also nicht, wenn ich Onkel Sauveterre glaubte.

Ich sage »Onkel« Sauveterre, der Leser wird sich aber gewiß erinnern, daß Siorac und Sauveterre keine gebürtigen Brüder waren, vielmehr hatten sie im Verlauf ihrer Dienstjahre bei der Normannischen Legion so enge Freundschaft geschlossen, daß sie sich zu Rouen vorm Notar »verbrüderten«, was damals der Brauch war, und einander ihr Hab und Gut verschrieben. So kam es, daß die Baronie Mespech, obwohl es nur einen Baron von Mespech gab, den beiden zu gleichen Teilen gehörte und daß Sauveterre, obwohl nur Junker, mit demselben Recht wie der Baron über die Wirtschaft des Gutes gebieten konnte – Gott sei Dank, aber nicht über das Schicksal seiner »Neffen«.

Kaum waren wir an jenem Abend zurück von Breuil, wo die Herren Brüder einen Hammel untersucht hatten, von dem Cabusse befürchtet hatte, daß er an der Klauenseuche leide (in welchem Fall das Tier hätte abgesondert werden müssen, damit die Krankheit nicht die ganze Herde ansteckte), da klopfte die schöne Zara an meine Zimmertür und sagte, ihre Herrin wolle mich sprechen. Sagte dies mit einem Schwall von Worten, wo eins genügt hätte, und begleitete ihre Reden mit wer weiß wie aufreizenden Mienen, äugelte, lächelte, lispelte kindlich, wand ihren Hals, wiegte ihre Taille, was alles, sosehr ich es für erzkokette Mittelchen erkannte, einen gewissen Eindruck auf mich nicht verfehlte, zumal ich wußte, daß es sich bei Zara nicht um bloße Nachäffereien handelte, sondern der Schönen vielmehr zur zweiten Natur geworden war. Sie war wie eine Standesperson gekleidet, Schnürmieder und Reifrock von Seide, Diamanten an den niedlichen Ohren, Perlenschnur um den schlanken Hals, Rubine an den feinen Händen, Dame Gertrude konnte ihr eben nichts abschlagen und verwöhnte sie derart, daß mein schöner Quéribus lachend behauptete, Herrin und Zofe spielten manch zärtliche Spiele. Worauf ich die Stirn runzelte, der Baron aber noch heller lachte.

»Was ist dabei!« rief er. »Sind solch folgenlose Zärtlichkeiten unter Frauenzimmern nicht besser als ein Galan im Ehestand?«

»Baron«, sagte ich, »vergeßt bitte nicht: Ich habe Euer Wort, daß Ihr dieser Galan nicht seid noch nach dem Kirchgang sein werdet.«

»Das Wort gilt!« sagte Quéribus, indem er mir einen Arm um die Schulter warf und mich herzlich drückte. »Außerdem, droht mir nicht Euer schrecklicher Degen, seit Giacomi Euch die Jarnac-Finte lehrte?«

»Ihr spottet wohl!« sagte ich. »Höchstens daß ich ein paar Fortschritte gemacht habe, das gewiß …«

»Das sicherlich«, verbesserte mich Quéribus, indem er mich in den Arm kniff, um mir das »gewiß« abzugewöhnen, das, wie mir schon die Baronin des Tourelles gesagt hatte, den Hugenotten verriet.

»Trotzdem«, schloß ich, »bin ich nur ein Fechterlein im Vergleich mit Euch.«

Was, auch wenn es nicht ganz zutraf, meinem Quéribus die Freudenröte in die Wangen trieb, so wohl tat ihm das Lob.

Die schöne Zara hingegen, die mich durch den Flur von Mespech zur Kemenate ihrer Herrin führte, erheischte nicht so sehr lobende Worte als vielmehr stumme Ehrerweisung für ihren reizenden Rücken, während sie so aufrecht vor mir ging und bei jedem Schritt mit den Hüften wogte wie ein Schiff auf hoher See. Und weil sie ob meiner Ehrerweisung plötzlich den hübschen Kopf wandte, erspähte sie diese aus dem Augenwinkel, wobei sie mich durch eine lange Haarfranse beäugte wie ein Fohlen unter seiner Mähne.

In einem hohen, tapisseriebezogenen Lehnstuhl saß Gertrude du Luc vor einem hell flammenden und knisternden Kienfeuer, dem einzigen Feuer im Haus, dank der Höflichkeit des Barons von Mespech, so kalt dieses Oktoberende auch war. Bei meinem Eintritt erhob sie sich nicht wie sonst, mir die Arme schwesterlich um den Hals zu schlingen und mich an sich zu ziehen, immer gelüstig nach Männlichkeit. Nein, sittsam und still wie ein Engelsbild betrug sie sich hier unter Aufsicht der Herren Brüder! Außerdem waren wir nicht allein. Die Gavachette, in der kleinen Hand ein dickes Bündel Talglichter, steckte diese auf zwei Leuchter beiderseits des Spiegels, und als Gertrude, ohne sich irgend vom Platz zu rühren, mir schmachtend ihre Hand darbot zum Kuß und ich die Lippen darauf drückte, wurden die schwarzen Augen der Gavachette noch schwärzer, was der blonden Normannin nicht entging.

»Mädchen«, sagte sie in etwas hochfahrendem Ton, »wenn du die Kerzen aufgesteckt hast, holst du mir gleich noch Scheite für mein Feuer.«

»Nein, Madame!« sagte die Gavachette. »Kommt nicht in Frage! Ich geh nicht!«

»Und warum nicht, freches Ding?« fragte Gertrude, baff über solchen Ton.

»Ich bin guter Hoffnung und darf nicht schwer tragen«, sagte die kleine Schlange. »Aber«, setzte sie zischend hinzu, »der Hauptgrund ist, daß ich nicht will!«

»Zara«, rief Gertrude fassungslos, »hast du das gehört? Hat Gewürm sich jemals so aufgeführt? Bei meinem Gewissen! Man könnte vergehen! Zara, gib der Schnepfe eine Ohrfeige!«

Worauf Zara, wenig erbaut von diesem Auftrag, ziemlich lasch auf die Schuldige zutrat, diese jedoch, die barfuß war und nicht auf hohen Hacken stakste, behende hinter den Tisch entwischte.

»Schon wieder neue Scheite!« murrte sie. »Und zehn Kerzen Tag für Tag! Ich glaube, man will uns hier an den Bettelstab bringen!«

»Still, dumme Trine!« sagte ich, damit sie sich in ihrer Aufsässigkeit nicht noch mehr verplapperte. Und indem ich sie wie eine Katze beim Genick packte, befreite ich sie von den Talglichtern und streckte sie der schönen Zara hin, die sie nur widerstrebend entgegennahm, sie hätten ja ihre gesalbten Finger beschmutzen können.

»Komm, Fräulein Widerborst«, sagte ich und schob die Gavachette zur Tür. »Wenn du die Peitsche brauchst, um dir Manieren beizubringen – die kannst du haben!«

»Oh, nein, nicht die Peitsche!« schrie Gertrude, deren Zorn schon verraucht war.

»Moussu«1, sagte die Gavachette leise, als sich die Tür hinter uns schloß, »wollt Ihr wirklich Euer armes, kleines Weibchen auspeitschen, das Euch wie eine Wilde liebkost, wenn Ihr's nur mit dem Finger streift?«

Und hierbei faßte sie mich um die Mitte und schmiegte sich so eng in meine Arme, daß ich sie gar nicht hätte schlagen können, höchstens zum Spaß, in verliebter Rangelei.

»Ha, Zigeunerin!« sagte ich, »mußtest du wieder unverschämt werden! Was hat dich gestochen, sag mal, daß du die hohe Dame anfauchst?«

»Meine Eifersucht«, sagte sie jäh und senkte wie eine kleine Ziege die Stirn. »Ach, Pierre! Ich hasse diese beiden Huren, die ihre Altweiberfalten unter Schminke verstecken und alle Männer mit ihren Blicken verschlingen.«

»Altweiber!« sagte ich lachend.

»Und ob! Dame du Luc könnte meine Mutter sein!«

»Schluß jetzt!« sagte ich. »Sie gehört Samson, nicht mir. Die beiden reisen sowieso bald ab.«

»Gott sei Dank!«

»Halt den Schnabel!« sagte ich, längst besänftigt durch das feste Fleisch in meinen Armen, auch klingelte mir noch in den Ohren, was sie von ihren Liebkosungen gesagt hatte. »Verschwinde, kleine Schlange, und bitte Miroul, die Scheite heraufzubringen.«

»Frau Schwester«, sagte ich, als ich in das Zimmer zurückkehrte, »ich bitte um Entschuldigung für diesen Verdruß. Ich hätte die Schuldige gezüchtigt, wenn Ihr sie nicht begnadigt hättet.«

»Eija!« sagte sie mit blitzenden Augen, »hörte ich nicht, das Mädchen sei schwanger? Ist die Frucht Euer Werk?«

»Meines, ja.«

»Ha!« sagte Gertrude, »keinen Schlag hättet Ihr getan, wo Ihr's so bequem habt.«

»Das ist wahr, Madame.«

»Und da die Kleine das weiß, muß ich mir aus ihrem Mund wohl noch mehr Unziemlichkeiten gefallen lassen?«

»Nein, Gertrude«, sagte ich. »An ihrer Statt wird mein reizender Miroul Euch bedienen.«

»Was, ein Mann!« sagte die schöne Zara und tat, als könnte sie Männer nicht ausstehen. »Ein Mann hier bei uns! Na, ich weiß ja nicht!«

»Es wird dich nicht umbringen, Zara«, sagte Gertrude du Luc. »Miroul begegnet dir immer sehr ehrerbietig.«

»Sein Glück!« sagte Zara, legte die Talglichter, ohne sie aufzustecken, auf den Tisch und salbte ihre Hände.

Es klopfte, und weil Zara so beschäftigt war, ging ich, Miroul einzulassen,

Miroul, Miroul, man glaubt es kaum,

Ein Auge blau, ein Auge braun!

wie meine arme kleine Hélix damals sang. Er packte die Scheite in eine Ecke vorm Kamin, damit das Holz trockne, das zwar gut abgelagert, dessen Rinde aber noch feucht war vom letzten Regen. Und nach sehr anmutiger Verbeugung gegen Dame Gertrude und einer kaum weniger tiefen, aber von so wohlverhohlener Ironie gefärbten für Zara, daß nur ich es bemerkte, wollte er sich entfernen.

»Bester Miroul«, sagte da Zara, »willst du mir einen Gefallen tun?«

»Mit Vergnügen, Madame«, sagte Miroul, indem er ihr wiederum, mit seinem lachenden braunen Auge, seine maliziöse Verbeugung machte.

»Du kannst mir«, sagte Zara, sehr geschmeichelt von der Anrede »Madame«, »die Lichter auf die Leuchter stecken.«

»Aber gern, Madame!« sagte Miroul. »Besser, diese groben Hände werden schmutzig als so niedliche Fingerchen.«

Worauf ich lachte, Gertrude mit halbem Mund lächelte und die schöne Zara eine Schippe zog, begriff sie doch endlich, was das schalkhafte Kompliment wert war, mit dem mein reizender Diener ihr eine Lehre erteilte. Denn unsere Leute haben ihre kleinen Ehrenhändel, ebenso wie wir: die Scheite dem Diener, die Lichter der Zofe! Und sicherlich fand mein Miroul, daß die liebe Zara sich reichlich weit über ihren Stand erhob, seit sie von ihrer Herrin so huldreich gehätschelt wurde.

Alle zehn Kerzen waren aufgesteckt und angezündet, mochte Sauveterre die Vergeudung auch noch so beklagen (wie übrigens ganz Mespech, außer meinem Vater, ein Glück nur, daß Dame du Luc das Okzitanische nicht verstand und somit nicht die Sticheleien, die zwischen unseren Frauen von der Küche bis zur Spülkammer hin und her flogen). Noch einmal verneigte sich Miroul sehr artig und ging.

»Zara«, sagte Dame du Luc, »schließ gut die Tür.«

Worauf Gertrude, wiederum ohne aufzustehen, mir einen Schemel zu ihren Füßen wies, so daß ich das Feuer im Rücken und ihren Reifrock, aus schönstem Brokat und mit Parfüm bestäubt, vor der Nase hatte.

»Mein Bruder«, sagte sie, »wie steht es mit meinem Herzensanliegen?«

»Onkel Sauveterre ist ganz dagegen, mein Vater halb dafür.« Was die halbe Wahrheit war, denn mein Vater hatte voll eingewilligt.

»Was?« sagte sie, und ihre grünen Augen blickten bestürzt, »nur halb?«

»Mein Vater oder ich«, sagte ich.

»Was, Ihr?« rief sie. »Aber das ist Verrat! Ihr, mein Bruder, den ich so liebe!«

Damit beugte sie sich zu mir nieder, um mir beide Hände auf die Schultern zu legen, und bei dieser Beugung quollen ihre Brüste ein wenig aus dem Mieder und schmiegten sich so lieblich aneinander, daß ich vor Entzücken darauf starrte wie festgebannt. Ha, dachte ich, jetzt verstehe ich! Dieser Schemel wurde so kunstreich aufgestellt, damit mir vor dem andrängenden Feind kein Entrinnen blieb, wollte ich mir nicht den Buckel versengen. Weil aber meine Schwäche von den Augen kam, kniff ich sie jesuitisch zusammen und raffte hinter diesem Wall meine Entschlossenheit.

»Frau Schwester«, sagte ich fest, »auch ich liebe Euch mit großer Freundschaft. Doch seid Ihr Witwe, und wie Ihr selbst bekennt, genießen Witwen gewisse Freiheiten, vor denen das Jahrhundert milde die Augen verschließt, während sie einer Gemahlin bitter verargt werden.«

»Aber«, sagte sie und schlug ihrerseits die Augen nieder, »gab ich Euch, was Quéribus angeht, nicht mein Wort?«

»Es geht nicht um Quéribus«, sagte ich, »sondern um gewisse leichtfertige Reisen, die Ihr Euch als Witwe zur Gewohnheit machtet.«

»Ha, ketzerischer Hugenott!« sagte sie, »so nennt Ihr meine frommen Wallfahrten!«

»Fromm war das Ziel«, sagte ich ungerührt, »nicht aber die Wege dahin. Denn bekanntlich sind diese Wege voller Gefahren für Damentugend.«

»Ach, mein Bruder!« sagte sie und neigte mir ihr schönes Antlitz zu, dem der Flammenschein in den blonden Haaren einen Heiligenschein wob, dessen Rechtmäßigkeit ich bezweifelte. »Ach, mein Bruder!« sagte sie wie in charmanter Verwirrung, »sehr unwürdig verdächtigt Ihr mich! Wo ich auf diesen Reisen doch allein nach Vergebung schmachte!«

»Das heißt mir das Heilmittel dem Übel zu nahe rücken, oder umgekehrt«, sagte ich lächelnd. »Im übrigen werdet Ihr solcher Vergebung nicht mehr bedürfen, wenn Ihr ohne Sünde mit Samson in ehelichen Banden lebt.«

»Allerdings«, sagte sie, indem sie ihre Hände von meinen Schultern zog und mit einem tiefen Seufzer in ihren Lehnstuhl sank.

Eine Weile verharrte sie stumm, die schöne Zara stand neben ihr, aber gewiß nicht wie ein Schutzengel, denn als ihre mitleidigen Augen sich von ihrer Herrin lösten und mich trafen, blickten sie, zumindest in dieser Minute, kaum liebreicher als vorhin auf meinen Diener.

»Demnach soll ich versprechen, künftig auf meine Pilgerfahrten zu verzichten?« fragte Gertrude mit neuerlichem Seufzen.

»Ihr müßt.«

»Ha!« sagte sie. »Grausam setzt Ihr mich unter Druck!«

»Nur um der Liebe willen zu Ihr wißt schon wem.«

»Würde ich ihn heiraten wollen«, sagte sie, »wenn ich ihn nicht liebte?«

»Oh, Gertrude!« sagte ich, indem ich ungeduldig aufstand, »nun erkenne ich Euch! Ihr wollt alles haben, Samson und Eure hübschen Ausflüge. Aber das gibt es nicht!«

»Holla, Monsieur!« sagte plötzlich Zara in zornigem Ton, »merkt Ihr nicht, daß Ihr meine Herrin unmäßig quält, wenn Ihr Euch derart als Sittenrichter und Tyrann aufspielt? Was für blöde Tiere die Männer doch sind, unsereinem so das Messer an die Kehle zu setzen! Pfui, wie boshaft! Was schert denn Euch die Ehe Eures Herrn Bruders, wenn er einmal verheiratet ist! Ist das Eure Angelegenheit?«

Worauf ich tat, als hätte ich nichts gehört, und Zara keines Blickes würdigte, was ihr denn entschieden wider den Strich zu gehen schien, umhüllten meine Blicke sie doch sonst mit Blumen, von den Lobreden ganz zu schweigen, die sie schlürfte wie Gras den Morgentau.

»Still, Zara«, sagte Gertrude. »Schweig still, mein Schnäbelchen! Monsieur de Siorac ist in Sorge um meinen schlichten, hübschen Samson, und er will, daß er unter meinen weiblichen Schwächen nicht leide, ja, er versucht als guter Bruder, sie mir auszutreiben. Das ist das ganze Geheimnis. Und er tut wohl daran, Zara, auch wenn es mir auf den Magen schlägt. Ach, Pierre!« fuhr sie seufzend fort, »ich fand es gar keinen so üblen Zustand, Witwe zu sein, frei über mein Geld zu verfügen, frei meine Flügel zu breiten und jahrein, jahraus nach Chartres, Toulouse, Rom oder Compostela zu wallfahrten, wie ich Lust hatte … Aber, wenn ich Samson will, das sehe ich ein, muß ich über meine schönen Kavalkaden ein Kreuz machen.«

»Seid Ihr dazu ein für allemal entschlossen?« fragte ich in sanfterem Ton.

»Ein für allemal.«

»Ach, Madame!« sagte Zara, Tränchen am Wimpernsaum, voller Anteilnahme an diesem Streit, waren diese Reisen doch gar zu schön und wonnenreich gewesen.

»Meine Schwester«, sagte ich zu Dame du Luc, indem ich auf die Knie fiel und meine Lippen auf ihre schöne Hand senkte, »bewahrt mir meines Eifers wegen keinen allzu großen Groll. Aber Ihr kennt die Unschuld meines Samson und seine unbeugsame Strenge. Beim kleinsten Seitensprung würde er Euch von sich abtun wie ein fauliges Glied, und sollte es ihm das Herz zerreißen.«

Worauf Gertrudes Herz, das ebenso zärtlich war wie ihre Sinne schwach, überquoll und sich aus ganzer Seele in einem Schluchzen ergoß, daß es nicht mit anzusehen war und Zara neben mir niederfiel, also daß wir sie zu zweit trösteten und streichelten und ihr so viele Küsse und gute Worte gaben, bis wir sie endlich besänftigt hatten.

»Mein Pierre«, sagte sie, als die befreite Brust ihr wieder zu sprechen erlaubte, »wenn Ihr nicht Angelina liebtet und ich nicht Samson, müßte ich Euch heiraten: Ihr seid gegen mich so hart und hellsichtig, daß es mich seltsam erleichtert, Euch zu gehorchen, auch wenn es mir noch so widerstrebt.«

»Hoho, Madame!« sagte Zara, der dieses Geständnis einem Verrat an ihrem Geschlecht gleichkam.

»Zara! Zara!« sagte Dame du Luc. »Beim himmlischen Hafen, tadle mich nicht! Und schließe Frieden mit Monsieur de Siorac! Nicht noch einmal wirst du ihn ›boshaft‹ und ›blödes Tier‹ schelten, wie du es dir herausnahmst.«

»Madame«, sagte Zara, indem sie die lieblichen Lippen vorstülpte, was eine sanfte Wellenbewegung ihres ganzen Körpers auslöste, »wenn Monsieur de Siorac von mir eine Entschuldigung verlangt …«

»Nicht doch, Zara«, sagte ich, »deine Schönheit ist alle Entschuldigung, derer es bedarf, und Küsse hier, auf deine süßen Wangen, und hier, auf deinen anmutigen Busen (wobei ich sie emsig schnäbelte), sind mir alle Genugtuung, die ich für deine Dreistigkeiten fordere.«

»Mein Bruder«, sagte Gertrude, indem sie unversehens aufstand, sei es, daß sie nicht allzugern sah, wie ihre Gesellschafterin geherzt und gepriesen wurde, sei es auch, daß sie jegliche Huldigung verloren wähnte, die nicht ihr galt, »sagtet Ihr nicht einmal, daß Samson und Ihr im Alter von zehn Jahren zur reformierten Religion bekehrt wurdet?«

»Woran ich mich mit gutem Grund erinnere, denn mein Vater zürnte mir bei dieser Gelegenheit, weil ich mich nur unwillig darein schickte.«

»Ach!« sagte Gertrude, die Brauen wölbend, »und warum?«

»Weil ich die Jungfrau Maria liebte. Weil ich fand, daß eine Religion, die nicht eine Frau anbetet, mir nicht das Herz erfüllen könnte.«

»Seht nur, Madame«, sagte Zara lächelnd, »wie Monsieur de Siorac schon als Kind unser holdes Geschlecht verehrte.«

»Mit dem er, außer wenn es sich um sein Liebchen handelt, gleichwohl unerbittlich ist«, sagte Gertrude. »Aber lassen wir das«, fuhr sie, kaum daß der Pfeil geschossen war, fort. »Getauft, mein Bruder, wurdet Ihr also noch in der wahren Religion?«

»Wenn Ihr sie so nennen wollt«, sagte ich, indem ich mich kühl verneigte.

»Und ebenso Samson, der, weil von einer anderen Mutter, mit Euch gleichaltrig ist.«

»Samson auch.«

»Mein Pierre«, sagte sie und richtete ihre nun ganz besänftigten grünen Augen auf mich, »darf ich Euch bitten, beim Pfarrer von Marcuays ein schriftliches Zeugnis einzuholen, daß Samson dem römischen Ritus gemäß getauft wurde und daß er die Messe hört?«

»Die Messe hört?« wiederholte ich verblüfft.

»Er wird sie kommenden Sonntag gemeinsam mit mir hören, in der Kapelle von Mespech. Euer Herr Vater hat den Pfarrer bestellt, damit er sie für mich, für Zara und Maestro Giacomi lesen kommt.«

»Ha, Gertrude!« sagte ich, »was Ihr bei meinem Vater durchsetzt, grenzt an ein Wunder!«

»Ehrlich gestanden«, sagte Gertrude und senkte die schönen Augen, »hat Zara mir dabei ein wenig geholfen.«

»Ho, Madame!« sagte Zara.

Worauf ich lachte.

»Trotzdem«, sagte ich, »bevor Samson nicht hoch und heilig abgeschworen hat, wird Pfarrer Zange Euch nicht trauen, dafür steht er zu sehr unterm Joch des Bischofs von Sarlat.«

»Mein guter normannischer Pfarrer«, sagte Gertrude, »wird nicht soviel Aufhebens machen. Er wird sich mit besagtem Zeugnis zufriedengeben, sofern Ihr es nur beschaffen wollt.«

Dazu war ich gleich entschlossen, denn, sagte ich mir, so ein Scheinchen von Zange könnte auch mir von großem Nutzen sein, wenn Monsieur de Montcalm sich doch einmal überwände, mir meine Angelina zu geben, die ja ebenfalls Papistin war, wie man sich vielleicht erinnert. Nun fand ich in der gegenwärtigen Stunde aber einen großen Zauber, hatte ich dieses Zimmer doch nie vorher durch das knisternde Feuer wie durch die Kerzenfülle so schön erleuchtet gesehen und Mespechs alte Mauern, wie mein Vater sagte, noch nie so erheitert durch Gertrudes Blondhaar und die Schönheit, die schimmernden Brokate und den Putz der beiden galanten Frauen – welche meinem Vater zweifellos ebenso wie mir meine verstorbene Mutter in Erinnerung riefen –, und so erhob ich allerhand Einwände gegen Gertrudes Verlangen, nur um die reizende Szenerie noch eine Weile zu genießen und mich von den beiden noch und noch bitten und umgirren zu lassen. Endlich aber fügte ich mich ihren Schmeicheleien. Mit einem zusätzlichen Auftrag meines Vaters versehen, machte ich tags darauf in der Abendstunde meinen Besuch bei Pfarrer Zange, nicht ohne einigen Geleitschutz mitzunehmen, nämlich meinen trefflichen Miroul, den Waffenmeister Giacomi und Fröhlich, meinen guten Berner Schweizer. Fröhlich war mir treu ergeben, seit er im Gemetzel von Sankt Bartholomäus aus dem Dienst des Königs von Navarra (der im Louvre so gut wie gefangen saß) in den eines besser mit Wissen als mit Geld ausgestatteten périgurdinischen Zweitgeborenen übergewechselt war.

Auf dem Markt von Marcuays banden wir die Pferde an die Ringe, dann klopfte ich mit straffer Faust an die Tür der Pfarrei, und als Zanges Wirtschafterin, eine Kerze in der Hand, durchs Guckloch blickte, nannte ich meinen Namen, worauf sie die Tür entriegelte und öffnete.

»Geht's gut, Jacotte?« fragte ich, indem ich ihr die Wange tätschelte.

»Aber immer, mein edler Moussu«, sagte Jacotte lachend und glucksend, resch wie sie war, an Busenumfang reicher gesegnet als jede andere in Marcuays, so daß man sich, auch angesichts ihres glatten Gesichts und ihres strammen Leibes, fragen durfte, ob sie das für den Dienst in einem Pfarrhaus erforderliche kanonische Alter habe und erst recht die dazu notwendige Keuschheit. Seit der Farce, die unserem papistischen Hirten den Spitznamen »Zange« eingebracht hatte (ich erzählte sie bereits), hieß sie bei den Leuten im Dorf nur die »Curotte«, aber hinterm Rücken, aus Furcht vor ihrer scharfen Zunge. So streitbar sie indessen war, wechselte sie bei Ansicht meiner Eskorte doch ein wenig die Farbe.

»Wer ist das?« fragte sie ziemlich verdattert, indem sie auf Giacomi wies, der lang und dünn war wie ein Degen.

»Das ist der Maestro Giacomi«, sagte ich, »Assistent des großen Silvie, Fechtmeister Seiner Hoheit des Herzogs von Anjou.«

»Und der Berg von einem Kerl da?« fragte sie und zeigte mit dem Finger auf Fröhlich, der gerade den Kopf einzog und seine breiten Schultern schrägte, um sich durch die Haustür zu zwängen.

»Ein Bogenschütze vom Louvre, der in meinen Dienst getreten ist«, sagte ich, ohne allerdings den König von Navarra zu erwähnen so wie vorher den Bruder des Königs.

Stumm starrte die Curotte auf uns vier (Miroul kannte sie ja) und sah tief erschrocken, daß wir unter den Capes Dolch und Degen trugen.

»Mein edler Moussu, was wollt Ihr von meinem Herrn?« fragte sie.

»Gevatterin«, sagte ich, leutselig im Ton, doch kalten Blicks, »das geht nur ihn und mich an.«

»Ha, Moussu!« rief Jacotte, »Ihr wollt Euch doch nicht an ihm rächen, weil er über Euer Duell mit Fontenac zuerst gegen Euch ausgesagt hat? Wißt Ihr denn nicht, daß man ihm die Daumenschrauben angesetzt hatte?«

»Oder aber die Pranke geschmiert?« versetzte ich, um mich unerweicht zu zeigen. »Aber darüber werde ich mit dir nicht rechten, Jacotte. Geh, hole mir ungesäumt deinen Herrn. Miroul, folge ihr, laß sie nicht aus den Klauen. Das Weib darf das Haus nicht verlassen, bis unsere Sache beendigt ist.«

Worauf Jacotte anfing wie Espenlaub zu zittern und sich auf dem Weg zur Pfarrstube von meinem Diener ohne Widerrede gängeln ließ.

»Ha, Moussu!« sagte nachher mein dreister Miroul, »mit Zeit und Gelegenheit hätt ich die Curotte schon weidlich hugenottisiert, so barmte sie nach Huld und Gnaden. Hat sie doch wahrlich gefürchtet, samt ihrem Schuft erschlagen zu werden.«

Dem Schuft stand der Kamm nicht eben steif, als er den Raum betrat, wo wir drei, die Rechte am Degenknauf, den Rücken am warmen Feuer, auf ihn warteten. Offen gestanden, hatte aber Fröhlich, anstatt die Haustür im Auge zu behalten, sich in eine Schüssel Gänseleberpastete und eine Flasche Roten verguckt, die auf dem gedeckten Tisch als kleines Abendmahl unseres Wirtes harrten, denn unser Mann war genau solch Freßsack wie mein Schweizer und, wenn ich der Maligou glaube, die es erfahren hat, dazu ein unersättlicher Rammler: Man sah es seiner karminroten Rübe und seiner großen Nase an, die sich bis auf die dicken, lüsternen Lippen niederbog. Um so kleiner waren seine Augen, aber verschlagen, und die niedrige Stirn ließ vermuten, daß Zanges Brägen gerade nur ausreichte, seinen Begierden zu dienen, jedoch schwerlich auch nur ein Atom Wissen oder Menschenfreundlichkeit beherbergte, denn ein gütiger Mensch war er sicherlich nicht, auch wenn er so tat.

Kaum war er eingetreten, da schloß Giacomi hinter ihm die Tür und lehnte sich derweise dagegen, daß Zange erbleicht wäre, hätte seine rote Haut es zugelassen. Seine Augen rollten wie ängstliche Tierchen in den Höhlen, und seine dicken Lippen bibberten wie Sülze.

»Ha, ehrwürdiger Doktor der Medizin!« brachte er endlich stotternd und stammelnd hervor, indem er sich quasi bis zur Erde verneigte. »Ich fühle mich höchlich geehrt …«

»Ich nicht, Pfarrer«, sagte ich, die Miene ruppig und die Stimme schroff. »Hätte es von deiner Aussage abgehangen, wäre ich jetzt einen Kopf kürzer!«

»Ha, mein edler Moussu«, sagte Zange auf okzitanisch, »diese Aussage hat der Herr von Malvézie mir abgepreßt, mit der Degenspitze an meinem Adamsapfel.«

»Aber als die Degenspitze weg war, hast du, Schuft, die Aussage im Bischofssitz wiederholt.«

»Heilige Jungfrau!« sagte Zange, »durfte ich mich auflehnen gegen Monseigneur, der es so von mir verlangte?«

»Kameraden!« rief ich auf französisch, »habt Ihr das gehört? Ha, und welch schandbaren Hinterhalt man mir gelegt hatte!«

Worauf alle drei ernst mit den Köpfen nickten, Fröhlich inbegriffen, obwohl er von den okzitanischen Reden nichts verstanden hatte und seine blauen Augen sowieso an der Gänsepastete hingen.

»Pfarrer!« sagte ich, »setz dich auf den Schemel hier ans Tischende, und du, Jacotte, hol das Schreibzeug deines Herrn, aber flink, Gevatterin, beeil dich! Ihr nach, Miroul, wie ihr Schatten …«

Was er tat, nur daß der Schatten Hände hatte, die sich an diesem Leib zu gern vergriffen hätten, aber mein Zorn war davor, zappelte doch Zange ganz aufgeregt in der Furcht, daß man seiner »Curotte« ans Mieder gehen könnte, ohne daß er freilich den leisesten Einspruch wagte.

»Pfarrer«, sagte ich, als die Utensilien beisammen waren, »kannst du schreiben?«

»Was dachtet Ihr!« sagte Zange und reckte wieder sein Haupt.

»Lateinisch?«

»Das weniger«, räumte er ein. »Messe und Gebete spreche ich lateinisch, aber das Schreiben bin ich nicht gewöhnt.«

»Ich diktiere dir.«

Daraus wurde nichts, zu mangelhaft war seine Orthographie. Also verfaßte ich mit eigener Hand die Taufbescheinigungen für Samson und mich, und er schrieb sie ab, ganz artig, ganz in Schweiß gebadet vor Mühsal (der Schweiß troff von seiner großen Nase herab), doch nicht, ohne bei dem die Messe betreffenden Absatz aufzumucken.

»Moussu«, sagte er auf französisch (vielleicht, damit Jacotte ihn nicht verstand), »das stimmt nicht: Ihr hört keine Messe und Euer edler Bruder auch nicht.«

»Wir hören sie, wenn du diesen Sonntag auf Mespech die Messe liest.«

»Einmal!« sagte Zange, wie erschrocken, daß er mir widersprach.

»Hier steht ja nicht, daß wir sie immer hören.«

»Ah, richtig«, sagte Zange, obwohl er von dem lateinischen Text höchstens die Hälfte verstand.

»Jacotte«, sagte ich auf okzitanisch, als ihr Herr sein Pensum beendet hatte, »du wirst, wenn nötig, bezeugen, daß der Herr Pfarrer von Marcuays all dies ohne Zwang und Bedrohung geschrieben hat wie auch ohne Schmiergeld, sondern ganz freiwillig, aus freien Stücken.«

»Ja, ja«, sagte Jacotte.

»Und, Jacotte«, sagte ich, in meinem Beutel wühlend, »hier sind zwei Sous, um dich über gehabte Unannehmlichkeiten zu trösten.«

»Besten Dank auch, Moussu, aber keine Ursache«, sagte Jacotte mit einem Blick über ihre Schulter, denn noch stand Miroul hinter ihr, die Hände auf ihren Hüften, die ebenso breit waren wie ihr Kreuz und ebenso drall wie ihr Busen, dabei von fettem Bauch keine Spur, weil sie bestimmt nicht wie ein löchriger Stiefel trank, so wie ihr Herr, und vom frühen Morgen bis in die Nacht rackerte, und in der Nacht auch noch, wie es hieß, dann aber zu ihrer großen Befriedigung.

»Pfarrer«, sagte ich, indem ich die beiden Urkunden in mein Wams steckte, »mit diesen beiden Schreiben, die nichts wie die reine Wahrheit besagen, hast du wettgemacht, was du unter Zwang gelogen hast.«

»Moussu«, sagte Zange, noch ganz in Schweiß gebadet von der Aufregung, aber mit schon festerer Stimme, »ich wäre sehr glücklich, wenn Ihr wie auch Euer Herr Vater mir wegen dieser unseligen Aussagen nicht mehr allzu übel wolltet.«

Worauf ich aufstand und, damit er sich nicht zu sicher fühle, ihm den Rücken kehrte, um meine Stiefel vors prasselnde Feuer zu halten. Wahrlich, dachte ich dabei, der Strolch knappst nicht mit seinem Holz wie die Herren Brüder, dem versorgt seine Herde den Holzstoß mit Bündeln, den Weinkeller mit Wein, den Bratspieß mit Wildbret, die Speisekammer mit Pasteten! Denn in dieser Gemeinde wie auch in Taniès gab es kein Schäflein, das sich, zusätzlich zur alljährlichen Zehnten-Schur, nicht Monat für Monat noch selber schor, um seinen Hirten zu nähren: Für ein paar Paternoster lebte der Scheinheilige wie die Ratz im Käse, den Buckel am Feuer, den Bauch am Tisch und die Jacotte im Flaumpfühl. Ach, wie es mir stank, daß ich nicht umhinkam, den Schnappsack auch noch zu schmieren, aber zweifellos war er hier Auge und Ohr des Sarladischen Bistums, wohin er sich einmal pro Woche begab, sei es auf einem Bauernkarren, sei es auf seinem Maultier. Und ich wollte beileibe nicht, daß er meine lateinischen Schriftstücke dort mündlich bestreite.

»Pfarrer«, sagte ich, »wie ich höre, ist die schöne Statue der gebenedeiten Jungfrau in der Kirche von Marcuays ganz abgeblättert von den vielen Berührungen der Andächtigen.«

»So ist es, leider!« sagte Zange seufzend, doch mit plötzlich aufleuchtender Miene, »aber die Pfarrei hat kein Geld für eine neue Vergoldung.«

»Hier«, sagte ich, indem ich einen blitzblanken, nicht angekauten Ecu auf den Tisch legte, »damit sie neuen Glanz bekommt. Der Stifter dieser Spende«, sagte ich auf französisch, indem ich seine Dankesworte mit den Händen abwehrte, »soll in Marcuays und Taniès ungenannt bleiben, nicht aber vor du weißt schon wem in Sarlat, damit, wie ich zu hoffen wage, ein Edelmann dort in besserem Licht erscheint, den der König und der Herzog von Anjou in den bewußten Wirren vor dem Tod bewahrten.«

»Moussu«, sagte Zange mit einer tiefen Verbeugung, »ich bin ganz sicher, daß man Eurem Wunsche willfahren wird. Was mich angeht, werde ich jedenfalls keine Mühe scheuen.«

Als wir das warme Haus verließen, fuhr uns scharfer Wind ins Gesicht, das Wetter war umgeschlagen und roch eher nach Schnee als nach Regen.

»Ha, Moussu!« sagte mein flinker Miroul, indem er an meine Seite wechselte, während Giacomi und Fröhlich hinter uns trabten und unsere Hufe im Schweigen der Nacht seltsam auf dem Pflaster hallten. »Ha, Moussu! Ist es nicht verdammenswert, für die Vergoldung eines papistischen Götzenbildes zu spenden?«

»Immerhin, Miroul«, sagte ich, »hat mich dies nur einen Ecu gekostet, während die Herren Brüder die Statue einst für fünfhundert kauften, um dem Bistum zu gefallen.«

»Aber ein Götzenbild, Moussu!«

»Miroul«, sagte ich, »vergolden heißt nicht anbeten.«

»Vergolden hilft vergöttern!« sagte mein lieber Miroul, der, Diener hin, Diener her, die giochi di parole2 ebenso liebte wie jeder italianisierte Höfling.

»Ach, Miroul!« sagte ich, »was schert es uns, daß die guten Leute im Dorf einem Holzbild Hände und Füße küssen. Soll mein hübscher Samson seine Gertrude nicht bekommen, und ich nicht meine Angelina, nur wegen ein bißchen neuer Farbe? Du sprichst zu sehr von deiner Warte.«

»Ich, Moussu?«

»Ja, du, Miroul. Du hast Glück, eine Hugenottin zu lieben, die du glattweg heiraten kannst, du brauchst keine Umwege zu gehen.«

Wäre es nicht finster gewesen, hätte ich meinen Miroul gewiß rot anlaufen sehen, war er doch heiß verliebt in seine keusche Florine, obwohl er wiederum so an mir hing, daß er geschworen hatte, sich nicht eher zu beweiben, als bis meine Angelina und ich vorm Altar getraut wären.

Ein Schwur, den ich nicht im Traum von ihm gefordert hätte, so ungewiß war es, ob ich sie je bekam. Herr von Montcalm wurde von seinem Beichtvater derart tyrannisiert, daß er keinen Ketzer zum Schwiegersohn wollte, obwohl ich ihm das Leben und seiner Frau und Tochter die Ehre gerettet hatte, als ich die Räuber von Barbentane in die Flucht schlug, die sie gefangenhielten. Doch zum Glück war nicht nur Angelina für mich, sondern auch Frau von Montcalm, und ihre Briefe erhielten mich in Hoffnung, war besagter Beichtiger doch alt und hinfällig; und würde der Herr in seiner Gnade ihn zu sich rufen, könnten sie ihn bei Herrn von Montcalm durch Pater Anselme ersetzen, der beim Grafen bereits Sekretär war und mich sehr liebte, weil er damals an meiner Seite die Kutte geschürzt und besagte Räuber mit scharfem Degen zum Teufel geschickt hatte.

gratis pro Deo