Diese Geschichten haben sich vor vielen, vielen Jahren zugetragen.

Vor tausenden von Jahren. Am Anfang hat man sie nur erzählt. Erst später wurden sie aufgeschrieben. Sie sind der Grundstein unserer abendländischen Kultur.

Sie stammen aus der Zeit, als auf dem griechischen Berg Olymp noch Götter lebten.

Heute leben auf dem Olymp keine Götter mehr. Vielleicht haben die Flugzeuge sie verjagt.

Damals, zur Zeit der alten Griechen, gab es noch keine Flugzeuge. Auch keine Raketen.

Die Götter hatten auf dem Gipfel des Olymp ihre göttliche Ruhe.

Die Welt der alten griechischen Götter

Die alten Griechen glaubten, dass drei Götter, die Brüder Zeus, Poseidon und Hades, vor Millionen von Jahren die Welt unter sich aufgeteilt hatten. Dies geschah, nachdem sie ihren Vater, den bösen Urgott Kronos, in einem erbitterten Kampf besiegt hatten.

Hades wurde der Gott der Unterwelt und der toten Seelen. Poseidon herrschte über alle Meere und Gewässer. Zeus wurde Hauptgott. Er war der Herrscher über die Erde, den Himmel und den finsteren Tartaros, einen tiefen, schwarzen Abgrund unter der Erde. Dort sperrte Zeus seine Widersacher ein.

Es gab noch sehr viele andere Götter.

Auch Berge oder Flüsse, wie der Fluss Skamandros, der nicht weit von Troja floss, waren gleichzeitig Götter. Es gab auch Halbgötter, die wie Fabelwesen aussahen, Kentauren und Satyrn, die halb Mensch und halb Tier waren. In den erdumschließenden Ozeanen herrschten Meeresgöttinnen, die man Okeaniden nannte. In den Gebirgsbächen lebten ewig junge und schöne Frauen – Nymphen.

Die mächtigsten Götter lebten auf dem Berg Olymp.

Sie wohnten in goldenen Palästen, die Hephaistos, der Gott der Schmiedekünste, ihnen gebaut hatte.

An goldenen Tischen aßen die Götter von goldenem Geschirr die göttlichen Speisen Nektar und Ambrosia, die sie ewig jung und unsterblich machten.

Über sie alle herrschte Zeus. Er war ein Wettergott. Seine schrecklichsten Waffen waren Donnerkeile und Blitze. Die Wunden, die sie verursachten, konnten selbst bei Göttern zehn Jahre lang nicht heilen.

Die zwölf wichtigsten Götter waren Zeus’ Berater. Sie bildeten den Rat der Götter. Fast alle waren Zeus’ Kinder oder seine Brüder und Schwestern. Jeder Gott und jede Göttin hatte eine göttliche Aufgabe.

Die schöne Demeter war die Göttin der Fruchtbarkeit. Sie kümmerte sich darum, dass alles wuchs und gedieh, dass die Bäume Früchte trugen und die Kühe Kälber bekamen. Hermes, der Gott der Diebe, des Handels und der Reisenden, war Zeus’ treuer Bote. Er besaß geflügelte goldene Sandalen und konnte in Sekundenschnelle die ganze Welt bereisen.

 

Es gab noch andere wichtige Götter, die sehr mächtig waren, obwohl sie nicht im Rat der Götter saßen.

Helios, der Sonnengott, war einer von ihnen. Er hatte die Aufgabe, die Welt zu erhellen. Jeden Tag zog er in seinem goldenen Wagen die Sonne über den Himmel. Er sah von dort oben alles, was auf der Erde und dem Olymp geschah.

Ein sehr wichtiger Gott war auch Eros, der Gott der ewigen Liebe. Mit seinen goldenen Flügeln flog er unsichtbar zwischen den Wolken am Himmel umher. An der Schulter trug er einen goldenen Köcher voller goldener und bleierner Pfeile. Die goldenen Pfeile waren die Pfeile der Liebe, die bleiernen die Pfeile des Hasses.

Seine Aufgabe war es, Liebe zwischen den Göttern und unter den Menschen zu verbreiten. Er schoss seine Pfeile mit einem kleinen goldenen Bogen ab. Die Pfeile hatten eine Zauberwirkung. Derjenige, der von einem goldenen Pfeil getroffen wurde, verliebte sich in den erstbesten Menschen, den er sah.

Das ist der Grund, warum Männer sich manchmal in Frauen verlieben, die überhaupt nicht zu ihnen passen, oder auch umgekehrt. Und darum gibt es das Sprichwort: »Liebe macht blind!«

Nur bei drei Göttinnen wirkte dieser Zauber nicht: bei Pallas Athene, der Göttin der Weisheit und des Sieges; bei Hera, der Göttin der Familie, und bei der Jagdgöttin Artemis.

Über alle anderen Lebewesen hatte Eros dank seiner Pfeile große Macht.

 

Nicht nur die alten Griechen verehrten und beteten zu den Göttern des Olymp. Das taten auch die alten Römer. Aber die Römer gaben den griechischen Göttern lateinische Namen. Den Liebesgott Eros nannten sie Amor und Helios, den Sonnengott, Sol.

Zeus und der Rat der Götter

Zeus war der Hauptgott. Die Römer nannten ihn Jupiter. Er herrschte über die Erde, den Himmel und den finsteren Tartaros. Er war ein Wettergott. Man nannte ihn »den Wolkenversammler«, »den Donnernden« und »den Vorausplanenden«.

Alle Götter fürchteten seine Wutausbrüche. Sein Lieblingsvogel war der Adler.

Im Rat der Götter saßen:

 

HERA, sie war Zeus’ dritte Ehefrau. Die Römer nannten sie Juno.

Sie war die Göttin und die Beschützerin der Familie. Zwei riesengroße Schlangen – Pythons – waren ihre Dienerinnen.

 

POSEIDON, ein Bruder des Zeus. Die Römer nannten ihn Neptun.

Er war einer der mächtigsten Götter, gefürchtet wegen seines Zorns.

Er herrschte über alle Gewässer und lebte in der Tiefe des Meeres in einem prächtigen goldenen Palast.

In seinem Streitwagen, von drei schwarzen Rossen gezogen, den Dreizack drohend in der Hand, durchkreuzte er die Meere, schnell wie der Wind. So haben ihn viele Kunstmaler abgebildet. Man nannte ihn »den Erderschütterer«.

HADES, auch er ein Bruder des Zeus. Die Römer nannten ihn Pluto. Er herrschte über die Unterwelt, die nach ihm benannt war, und über die toten Seelen.

 

ATHENE, auch Pallas Athene genannt, war die Lieblingstochter des Zeus. Sie war die Göttin der Weisheit, des Sieges und der schönen Künste. Ihr Lieblingsvogel war die Eule. Deshalb glaubt man bis heute, dass die Eule ein sehr kluger Vogel ist. Die Römer nannten sie Minerva.

 

APHRODITE war die Göttin der Liebe. Die Römer nannten sie Venus. Sie schenkte den Menschen Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit. Man sagte, dass sie im Meeresschaum geboren sei.

 

ARES war der einzige Sohn von Zeus und Hera. Er war der Gott des Krieges. Die Römer nannten ihn Mars.

HEPHAISTOS war Heras Sohn. Er war vaterlos. Die Römer nannten ihn Vulcanus. Er war der Gott des Feuers und der Schmiedekünste und baute für die Götter die goldenen Paläste auf dem Olymp.

 

APOLLON, ein Sohn des Zeus und der Titanin Leto. Er war der Gott des Bogenschießens, der schönen Künste und der Weissagung. Er war der Gott, der alles wusste. Er sah so wunderschön aus, dass man noch heute beim Anblick eines schönen Mannes sagt: »So schön wie Apollon!«

 

ARTEMIS war die Zwillingsschwester des Apollon. Sie war die Göttin der Jagd, aber gleichzeitig auch die Beschützerin der wilden Tiere. Die Römer nannten sie Diana.

HERMES war Zeus’ Sohn von der Nymphe Maia, eine Tochter des Titanen Atlas. Er war der Gott der Diebe, des Handels, der Reisenden und der Kaufleute. Zeus diente er als Bote, weil er in Windeseile jeden Winkel der Welt erreichen konnte. Er trug goldene geflügelte Sandalen. Die Römer nannten ihn Merkur.

 

DEMETER, eine Schwester des Zeus. Sie war die größte Erdgöttin. Ihr Name bedeutet »Mutter Erde«. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit. Die Römer nannten sie Ceres und die Ägypter Iris.

 

DIONYSOS war der Gott des Weines. Die Römer nannten ihn Bacchus. Er war das jüngste Mitglied im Rat der Götter. Sein Vater war Zeus. Seine Mutter war Semele, die Tochter des Theben-Gründers Kadmos.

Das Baby Zeus und die Ziege Amalthea

Lange bevor Zeus die Götterwelt beherrschte, regierte auf dem Olymp ein schrecklicher Gott – sein Vater, der gewaltige Kronos.

Er verschlang alle seine Kinder – gleich nach der Geburt. Sie verschwanden weinend in seinem dunklen Rachen.

Warum tat er das?

Kronos tat es aus lauter Angst.

Es gab eine Prophezeiung, die besagte, dass eines seiner Kinder ihn eines Tages vom Thron stoßen würde.

»Ich werde ewig herrschen, wenn ich keine Kinder habe«, erklärte er seiner Frau Rhea. »Keiner wird mich von meinem Thron stoßen können. Ich werde niemandem Platz machen müssen. Ohne Kinder wird sich die Prophezeiung nicht erfüllen. Darum werden wir ohne Kinder leben!«

Rhea war darüber sehr traurig. Ein ewiges Leben ohne Kinder hatte für sie keinen Sinn.

Sie hatte Kronos trotzdem lieb. Darum wurde sie immer wieder schwanger.

Irgendwann, dachte sie, würde sich Kronos erbarmen. Doch sie irrte sich.

Immer wieder verschlang Kronos das neugeborene Kind.

Das war schrecklich für Rhea. Aber sie hatte einen Trost: Ihre Kinder waren Götter. Und Götter sterben nicht. Einmal geboren, leben sie ewig. So lebten Rheas Kinder weiter in dem riesigen Bauch ihres Vaters. Platz gab es dort genug. Nur wachsen konnten sie nicht. Aber sie redeten und spielten miteinander und warteten darauf, dass man sie irgendwann befreien würde.

So vergingen Jahrhunderte.

Eines Tages merkte Göttin Rhea, dass sie wieder schwanger war.

Sie freute sich sehr und fasste einen Entschluss: »Ich werde mich verstecken. Kronos wird das Baby nicht verschlingen, wenn er mich nicht finden kann. Ich will endlich ein Kind haben!«

Sie floh auf die Insel Kreta. Dort verbarg sie sich heimlich in einer Höhle des Berges Ida.

Kronos witterte bald Gefahr.

»Wo ist meine Frau? Warum ist sie plötzlich verschwunden, ohne mir ein Wort zu sagen?«, fragte er sich. »Ist sie vielleicht wieder schwanger?« Er begann, sie zu suchen. Aber er konnte sie nirgendwo finden.

Wütend durchforschte er die ganze Welt. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.

So brachte Rhea in aller Ruhe heimlich einen Gott zur Welt – Zeus.

Das Kind war nur einige Tage alt, als plötzlich Kronos vor dem Eingang der Höhle stand. »Du hast wieder ein Kind geboren, du Unglückliche!«, donnerte er. »Gib es her!«

Doch Rhea war darauf vorbereitet. Sie wusste, dass Kronos sie finden würde, und reichte ihm einen in blutige Windeln gewickelten Stein.

Kronos verschlang das Bündel und war zufrieden.

Aber die Gefahr war nicht vorüber, weil Kronos verlangte, dass Rhea sofort mit ihm nach Hause kam. Sie begleitete ihn eine Weile, dann sagte sie: »Geh du nur vor. Ich komme nach. Ich bin noch schwach von der Geburt«, und setzte sich ins Gras.

Nachdem Kronos weitergegangen war, lief sie zurück zu der Höhle.

Fieberhaft überlegte sie, wer sich nun um den kleinen Zeus kümmern sollte.

In der Nähe der Höhle floss ein Bach. Dort spielten fröhliche Nymphen. Auf einmal hörten sie ein Baby weinen und liefen sofort in die Höhle. Eine Nymphe nahm das Kind auf den Arm und tröstete es.

Da erschien plötzlich Göttin Rhea. »Kümmert euch um meinen Sohn Zeus«, sagte sie. »Er wird eines Tages die ganze Welt beherrschen. Ich werde jetzt eine von euch in eine göttliche Ziege verwandeln, damit sie das Kind mit Milch, Ambrosia und Nektar füttern kann!«

»Verwandle mich, bitte!«, bat sofort die Nymphe, die Zeus in ihren Armen hielt. »Ich würde mich so gern um das Baby kümmern.«

Das tat Rhea.

Sie verwandelte die Nymphe in eine schöne weiße Ziege und nannte sie Amalthea, was in der griechischen Sprache göttliche weiße Ziege heißt.

Die Ziege legte sich neben das Baby ins Heu und leckte es mit ihrer warmen Zunge ab und säugte es mit ihrer Milch. Aus ihren beiden Hörnern trank Zeus die göttlichen Speisen Nektar und Ambrosia.

Auch ein großer Schwarm Bienen begann sich um Zeus zu kümmern. Die Bienen brachten dem Baby Berghonig.

Zeus wuchs schnell. Von Tag zu Tag wurde er größer und stärker.

Damit Kronos das Baby nicht hören konnte, wenn es weinte, schickte Rhea kleine Geister, die Krach machten. Sie schlugen rhythmisch mit Holzlöffeln auf eiserne Töpfe und Pfannen. Sie sangen und musizierten so ausgelassen, dass ihr Lärm das Babygeschrei bei weitem übertönte.

Einmal wurde Kronos misstrauisch. Er wollte wissen, wer diesen ohrenbetäubenden Lärm in der Höhle machte. Aber er kam nicht hinein, weil er so schrecklich groß war. Er musste auf die Knie gehen und konnte nur seinen Kopf durch die Höhlenöffnung stecken.

Doch noch bevor seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sprang die Ziege Amalthea auf, nahm Anlauf und versetzte ihm einen gewaltigen Stoß mit ihren Hörnern.

Das tat weh. Kronos lief schreiend davon.

Bei diesem Stoß verlor Amalthea eines ihrer Hörner. Dieses Horn ist als das sagenhafte »Füllhorn« in die Geschichte eingegangen. Es brachte seinem Besitzer unermesslichen Reichtum, denn es füllte sich immer und immer wieder aufs Neue mit dem, was sein Besitzer sich wünschte: sei es Gold oder edler Wein.

 

Dank Amaltheas Fürsorge wurde Zeus bald sehr groß und sehr stark.

Er beschloss, den gewaltigen Kronos von seinem Thron zu stürzen.

Die Prophezeiung sollte sich erfüllen.

Zeus brauchte Verbündete.